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Artikel „Junker, Wilhelm“ von Viktor Hantzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 723–729, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Junker,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 18:19 Uhr UTC)
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Junker: Johann Wilhelm J., Afrikaforscher, wurde am 18. April 1840 in Moskau von deutschen Eltern geboren. Sein Vater, Inhaber eines bedeutenden Bankhauses, ein weitgereister Mann von regem und vielseitigem Geiste, stammte aus Göttingen, die zur Schwermuth neigende Mutter aus Schwarzburg. Im Sommer 1840 siedelte die Familie nach St. Petersburg, im August 1844 nach Göttingen über, wo der Vater, der seinen Kindern eine deutsche Erziehung zu geben wünschte, bereits nach drei Jahren starb. Der vortrefflich beanlagte Knabe wurde anfangs durch Hauslehrer unterrichtet, 1851 aber nach Wiesbaden, später nach Lausanne in eine Erziehungsanstalt gebracht. In den Ferien unternahm er wiederholt größere Fußreisen in die Alpen und durch Mitteldeutschland. 1855 kehrte die Mutter mit den Kindern zu ihren Verwandten nach St. Petersburg zurück. Nachdem der Sohn das dortige deutsche Gymnasium absolvirt hatte, studirte er seit 1860 zunächst in Dorpat, dann in Göttingen Medicin. Obwol er ein sehr gesetzter Jüngling von großer Ordnungsliebe und regem wissenschaftlichen Sinn war, betrieb er das Studium doch nur mit mäßigem Erfolge, sodaß es ihm nicht gelang, die erste akademische Prüfung zu bestehen. Deshalb kehrte er Göttingen verdrießlich den Rücken und begab sich nach Prag, wo er ernsthafter als bisher zu arbeiten [724] begann. Dabei entstand in ihm nach und nach der Wunsch, nicht den ärztlichen Beruf, sondern den des Forschungsreisenden zu ergreifen, da ihm die Sehnsucht nach fremden Ländern und Völkern als väterliches Erbtheil im Blute lag und da ihm günstige Vermögensverhältnisse erlaubten, ganz seinen Neigungen zu leben. Er begab sich deshalb wieder nach St. Petersburg und eignete sich hier die für wissenschaftliche Reisen nöthigen Vorkenntnisse namentlich auf sprachlichem und naturkundlichem Gebiete an. 1869 glaubte er sich soweit gefördert, um versuchsweise seine erste Forschungsreise antreten zu können. Angeregt durch die Berichte Kane’s, Nordenskiöld’s und anderer Polarfahrer reiste er im Mai zur See von St. Petersburg nach Stockholm, durchquerte Scandinavien und begab sich dann über Kopenhagen nach Island, wo er sich hauptsächlich ornithologischen Studien widmete. Er durchzog die Insel von der Hauptstadt Reykjavik bis zu dem nördlichen Hafen Akreyri, doch nöthigten ihn sein Heimweh und die unvorhergesehenen schweren Strapazen der Reise schon nach wenigen Wochen zur Umkehr. Nachdem er auf der Rückreise die Färöer und Schottland besucht hatte, ließ er sich wiederum in Göttingen nieder, um seine medicinischen Studien fortzusetzen und zu promoviren, was ihm diesmal auch glücklich gelang. Da seine Angehörigen wünschten, daß er auch in Rußland den Formen genügen und die medicinische Staatsprüfung bestehen sollte, ging er abermals nach Dorpat, doch wurden seine Prüfungsarbeiten für ungenügend befunden, sodaß er den festen Vorsatz faßte, sich niemals wieder irgend einem Examen zu unterziehen. Vielmehr beschloß er nun, sich noch weit gründlicher als bisher zum Forschungsreisenden auszubilden. Da ihn seine Erlebnisse in Island nicht zu einer zweiten Nordfahrt ermuthigten, erwählte er sich Afrika zum Forschungsgebiete. Um dort mit Erfolg auf unbetretenen Pfaden wandeln zu können, mußte er sich eine genaue Kenntniß des Arabischen, sowie eine ausreichende Vertrautheit mit den Sitten, Lebensgewohnheiten und religiösen Vorstellungen der dem Islam angehörigen Völker aneignen. Zu diesem Zwecke reiste er 1873 nach einem längeren Sommeraufenthalte in Unteritalien, wo er sich an das afrikanische Klima gewöhnen wollte, über Malta nach Tunis. Er hielt sich zunächst mehrere Monate hindurch in der Stadt selbst auf und durchzog dann auf vielen Kreuz- und Querfahrten den größten Theil der Regentschaft. Als er auch das benachbarte Algier kennen zu lernen wünschte, gerieth er in den Verdacht, ein deutscher Spion zu sein, weshalb er von den französischen Grenzbehörden zur Umkehr gezwungen wurde. Nachdem er sich eine genügende Kenntniß der arabischen Sprache und afrikanischer Sitten und Gebräuche angeeignet hatte, kehrte er Ende 1874 nach Hause zurück. Doch wirkten die gesammelten Eindrücke so mächtig in ihm nach, daß er beschloß, sobald als möglich eine große Reise nach dem unbekannten Innern Afrikas anzutreten.

Als er im August 1875 an dem internationalen Geographencongreß in Paris theilnahm, traf er mit dem glänzenden Dreigestirn der damaligen deutschen Afrikaforschung, mit Gustav Nachtigal, Gerhard Rohlfs und Georg Schweinfurth zusammen, die seine Pläne günstig aufnahmen und ihn mit werthvollen Rathschlägen unterstützten. Vor allem lenkten sie seine Aufmerksamkeit auf die Ursprungsländer des Nil, die sie ihm als ein aussichtsreiches, wenn auch gefahrvolles Forschungsgebiet bezeichneten. Da er keine Furcht vor Gefahren kannte, entschloß er sich, nach diesen Gegenden vorzudringen. Nachdem er sich in Berlin eine zweckmäßige Tropenausrüstung zusammengestellt hatte, begab er sich Anfang October 1875 über Triest nach Alexandria. Von hier aus trat er auf Gerhard Rohlfs’ Veranlassung zunächst während der Monate November und December eine Reise in die Libysche Wüste an, um zu untersuchen, [725] ob an der Küste entlang ein alter längst versandeter Nilarm nachzuweisen sei und um die räumliche Ausdehnung der noch niemals wissenschaftlich näher erforschten großen Bodensenkung unter den Meeresspiegel zu ermitteln, die Rohlfs früher dort festgestellt hatte. Mit Empfehlungsbriefen der ägyptischen Regierung an die Beduinenstämme versehen, zog er zunächst in westlicher Richtung längs der Meeresküste hin, ohne den vermutheten Nilarm entdecken zu können, wendete sich dann in Zickzackmärschen nach Südosten, erreichte die Oase des Jupiter Ammon, besuchte die koptischen Klöster des Natronthals, in denen er sich vergeblich bemühte, Handschriften für die Petersburger Bibliothek zu erwerben, erforschte die elf kleinen Natronseen und gelangte endlich nach mühseligen Wüstenmärschen in die Oase Fajjum, von wo aus er mit der Bahn nach Kairo fuhr. Hier traf er mit Theodor von Heuglin und Georg Schweinfurth zusammen. Der erstere machte ihn darauf aufmerksam, daß es ein verdienstliches Unternehmen sein würde, das von Suakin am Rothen Meere nach Süden ziehende bisher unerforschte Chor Baraka gründlich zu untersuchen. J. erklärte sich sofort bereit, diese dankbare Aufgabe zu lösen. Im Februar 1876 fuhr er, begleitet von dem württembergischen Forstgehilfen Kopp, zu Schiffe von Suez nach Suakin, stellte hier eine Karawane zusammen und zog dann in südlicher Richtung durch das Chor Baraka in seiner ganzen Längenausdehnung bis Bela Genda südlich vom 16. Breitengrad, bis wohin Werner Munzinger vor wenigen Jahren vorgedrungen war. Dann wendete er sich nach Westen, erreichte am 29. März Kassala, überschritt den Atbara und den Blauen Nil und traf am 6. Mai in Chartum, der Hauptstadt des ägyptischen Sudan ein. Nachdem er hier seine ethnographischen und naturwissenschaftlichen Sammlungen geordnet und ergänzt hatte, gedachte er die Landschaften Kordofan und Darfur zu besuchen. Der Gouverneur von Chartum, Ismail Pascha, verweigerte ihm aber unter allerhand nichtigen Vorwänden die Erlaubniß zu dieser Reise, da er nicht wünschte, daß ein scharf beobachtender unabhängiger Reisender Einblicke in die verworrenen Verhältnisse dieser Gegenden gewinnen und die schweren Mißstände in ihrer Verwaltung zur öffentlichen Kenntniß bringen möchte. J. gab deshalb diesen Plan auf und schloß sich dem bald darauf in Chartum eintreffenden italienischen Reisenden Romolo Gessi an, mit dem er den Blauen Nil aufwärts bis Sennaar und den unteren Sobat bis zur Seriba Nasser befuhr. Unterdessen war Ismail Pascha nach Aegypten zurückgekehrt, um der Regierung über seine Eroberungszüge Bericht abzustatten. J. hätte nun ungehindert nach Darfur vordringen können, doch hörte er, daß daselbst eine Hungersnoth ausgebrochen sei. Deshalb beschloß er eine Reise in die heidnischen Negerländer im Gebiete der Zuflüsse des Weißen Nil anzutreten. Am 22. October verließ er Chartum und fuhr den Weißen Nil aufwärts. Bald nach der Abfahrt traf er auf einem entgegenkommenden Dampfer den Gouverneur der Aequatorialprovinz, General Gordon, der sich sehr für ihn interessirte und ihm ein Empfehlungsschreiben an die Befehlshaber und Beamten sämmtlicher ihm unterstellter Militärstationen mitgab, durch welches diese angewiesen wurden, dem Reisenden unentgeltlich Träger und Lebensbedürfnisse zur Verfügung zu stellen. Am 17. November kam J. fieberkrank in Lado an, wo er Gordon’s Brief dem Regierungsarzte Emin Effendi (dem späteren Emin Pascha) übergab, der ihm gegenüber seine deutsche Abstammung verleugnete und sich für einen Türken ausgab. Um seine Gesundheit möglichst bald wiederherzustellen, blieb J. zwei Monate in Lado, legte umfangreiche wissenschaftliche Sammlungen an und studirte Sprache und Lebensweise der umwohnenden Bari-Neger. Am 22. Januar 1877 brach er im Gefolge einer Karawane auf und zog in westlicher Richtung durch die Landschaft Makaraka [726] bis zur Militärstation Kabajendi, wo er nun länger als ein Jahr hindurch, vom Februar 1877 bis zum März 1878, sein Standquartier aufschlug. Auf zahlreichen Kreuz- und Querzügen, die sich zum Theil an militärische Expeditionen gegen arabische Sclavenhändler oder unbotmäßige Negerstämme anschlossen, drang er, oft unter großen Entbehrungen und Beschwerden, in die umliegenden Landschaften vor, erforschte die Gebiete der Flüsse Jei, Rohl, Tondj und Wau, sowie die Wasserscheide zwischen dem Bahr el Gebel und dem Quellgebiete des Uelle-Makua, besuchte die Mittu- und Kalika-Länder und kehrte dann am 29. März 1878 nach Lado zurück, wo er zum zweiten Male mit Emin zusammentraf, der ihm aus dem Schatze seiner reichen Erfahrung wichtige Mittheilungen und Rathschläge zu Theil werden ließ. Nachdem er seine mitgebrachten Sammlungen verpackt hatte, fuhr er den Nil abwärts nach Chartum und verkehrte hier längere Zeit in freundschaftlicher Weise mit Gordon. Da ihn aber Sehnsucht nach der Heimath erfaßte, trat er am 29. Juli die Rückreise an. Diese ging so schnell und glücklich von Statten, daß er bereits Ende September wieder in St. Petersburg war. Den Winter verbrachte er im Kreise seiner Angehörigen mit der Ordnung seiner Sammlungen und Aufzeichnungen. Seine Routenaufnahmen übersandte er der geographischen Anstalt von Justus Perthes in Gotha zur Bearbeitung. Sie bildeten die Grundlage für mehrere Karten, die später in Petermann’s Mittheilungen erschienen (1879, Tafel 23 und S. 445; 1880, T. 4 und S. 81, T. 9 und S. 179; 1881, T. 20 und S. 411). Im Frühjahr 1879 begab er sich nach Deutschland, erstattete der Berliner Gesellschaft für Erdkunde Bericht über seine Forschungen (Verhandlungen 1879, VI, 204–217), besuchte Göttingen und andere Orte, an denen seine Jugenderinnerungen hafteten und rüstete sich dann für eine neue große Reise aus, die ihn abermals nach der ägyptischen Aequatorialprovinz führen sollte.

Im Herbst fuhr er über Triest nach Alexandrien. Am 16. October betrat er zum dritten Male den Boden Afrikas. Gemeinsam mit dem Präparator Friedrich Bohndorff, der ihm beim Sammeln von Naturgegenständen behilflich sein sollte, begab er sich über Suakin und Berber zunächst nach Chartum, wo er am 4. Januar 1880 eintraf. Dann fuhr er den Weißen Nil und den Bahr el Ghasal aufwärts bis zur Meschra-er-Rek. Von hier aus zog er zu Lande, zahlreiche südliche Zuflüsse des Djur überschreitend, bis zum Militärposten Dem Soliman, wo er seinem Freunde Gessi begegnete. Dann drang er nach Süden in das Gebiet der unabhängigen Niam-Niam-Stämme vor und richtete nahe bei dem Wohnorte des Fürsten Ndoruma eine neue Station Namens Lacrima ein, von wo aus er weite und ergebnißreiche Rundreisen unternahm. Die erste vom August bis zum December 1880 führte ihn in das Gebiet des Uelle-Makua, den er für den Oberlauf des Schari hielt. In den Jahren 1881 und 1882 erforschte er die Grenzländer der A-Madi- und A-Barmbo-Stämme am großen Uelle-Bogen, erreichte seinen südlichsten Punkt bei Teli am Nepoko und hielt sich dann bis zum November 1883 im Gebiete des Niam-Niam-Fürsten Semio auf. Da er das Uelle-Problem gelöst zu haben glaubte, wollte er nun seinen Rückmarsch antreten, fand aber den Weg nach dem Bahr el Ghasal durch einen Aufstand der Dinka-Stämme verlegt. Er wendete sich deshalb nach Osten und traf am 21. Januar 1884 bei Emin in Lado ein. Hier erfuhr er, daß der Mahdisten-Aufstand rasch um sich gegriffen und die Europäer in Lado vom Verkehr mit der Außenwelt abgeschnitten habe. Auch seine Sammlungen, die er nilabwärts vorausgeschickt hatte, waren in die Hände der Aufständischen gefallen. Ueberdies traf die Nachricht ein, daß der König von Uganda den Ausweg nach Süden verschlossen hätte. J., [727] der sich großen Einfluß auf die unabhängigen Negerstämme zutraute, wollte trotzdem einen Durchbruchsversuch nach Süden wagen, um wenigstens seine Aufzeichnungen zu retten. Er fuhr deshalb im Januar 1885 den Bahr el Gebel aufwärts und begab sich zu dem Häuptling Anfina, der am Somerset-Nil oberhalb der Murchison-Fälle wohnte und sich bisher als Freund Emin’s erwiesen hatte. Da er aber erklärte, den Weißen nicht helfen zu können, kehrte J. nach zehn Monaten zu Emin zurück, der sich unterdessen auf das Gerücht vom Falle Chartum’s vor den Mahdisten nach Wadelai zurückgezogen hatte. Da Emin den ihm anvertrauten Posten auch jetzt noch nicht verlassen wollte, trennte sich J. am 2. Januar 1886 von ihm, drang abermals, da der Durchbruch nach Norden völlig aussichtslos erschien, nach Süden vor, fuhr über den Albert-See und kam zu Kabrega, dem Könige von Unyoro, der ihn unfreundlich behandelte. Glücklicherweise gelang es ihm, sich durch einen Boten in Verbindung mit den englischen Missionaren in Uganda zu setzen. Diese übersandten ihm Briefe und Zeitungen, aus denen er authentische Nachrichten über die Vorgänge im ägyptischen Sudan, über den Fall Chartum’s, den Tod Gordon’s und den Rückzug der Engländer erhielt. Zugleich erfuhr er, daß sein Bruder Ernst Friedrich eine Expedition unter der Leitung Gustav Adolf Fischer’s zu seiner Rettung ausgesandt habe, die von Sansibar aus nach Lado vordringen sollte, der aber der Marsch durch Uganda verwehrt worden war. Er selbst erhielt nur mit vieler Mühe vom König Muanga die Erlaubniß, das Land zu betreten, das er ohne ausreichende Lebensmittel, dazu infolge eines Sturzes vom Reitthier an einer schmerzhaften Verletzung der Hüfte leidend und überdies durch einen Krieg zwischen den Wanyoro und Waganda gefährdet, unter großen Beschwerden durchzog. Im Juni traf er endlich am Victoria-See ein, über den er im Ruderboot fuhr. Anfang September kam er nach Tabora. Hier schloß er sich einer Karawane des arabischen Händlers Tippo Tipp an und erreichte glücklich am 29. November 1886 bei Bagamoyo die Küste, nachdem er reichlich sieben Jahre ununterbrochen im dunkelsten Afrika zugebracht hatte. Ueber Sansibar begab er sich nach Suez, wo ihn eine Abordnung seiner Angehörigen und Georg Schweinfurth empfingen. In Kairo wurde er von Stanley besucht, der eben eine Expedition zum Entsatze Emin Pascha’s ausrüstete. Nach einem kurzen Aufenthalt in Deutschland sah er im April 1887 seine Heimath St. Petersburg wieder, wo man ihn längst für verloren gehalten hatte.

Die Nachricht von der Rückkehr des kühnen Reisenden erregte in der ganzen gebildeten Welt lebhafte Theilnahme. Zahlreiche angesehene geographische Gesellschaften ehrten ihn durch Veranstaltung von Festsitzungen, durch Ernennung zum Ehrenmitglied oder durch Verleihung einer Medaille. Um die ihm zugedachten Ehrungen persönlich in Empfang zu nehmen, trat er eine Rundreise durch Europa an, die ihn von St. Petersburg nach Berlin, Wien, Paris, London, Edinburg, Brüssel, Stockholm und anderen Hauptstädten führte. Ein Angebot des Königs Leopold von Belgien, ihm eine leitende politische Stellung in dem neu errichteten Congostaat zu übertragen, lehnte er mit Rücksicht auf sein Ruhebedürfniß und auf seine litterarischen Verpflichtungen ab. Nachdem er sich einigermaßen erholt hatte, begann er mit der Bearbeitung seiner glücklicherweise vollständig geretteten Tagebücher und sonstigen Reiseaufzeichnungen. Da er in Rußland nicht die nöthigen Hilfsquellen fand, begab er sich nach Deutschland. Zunächst verweilte er, um Justus Perthes’ geographischer Anstalt in Gotha nahe zu sein, mehrere Wochen in Friedrichroda und Tabarz in Thüringen, wo er seine Routenaufnahmen revidirte, die unter der Leitung Bruno Hassenstein’s zu trefflichen Karten der bereisten Gebiete verarbeitet [728] wurden. Dann ließ er sich in Wien nieder, wo er in Richard Buchta einen verständnißvollen Mitarbeiter und an dem Buchhändler Hugo Hölzel einen entgegenkommenden Verleger für sein geplantes großes Reisewerk gefunden hatte. Die wichtigsten wissenschaftlichen Ergebnisse seiner Reisen legte er in zwei Ergänzungsheften zu Petermann’s Mittheilungen dar (Nr. 92–93, Gotha 1888–1889). Darin berichtet er zunächst über die Hydrographie, Orographie und Ethnographie des Uelle-Makua-Gebietes. Dann folgen seine Höhenbestimmungen und meteorologischen Beobachtungen, bearbeitet von Adolf Schmidt, endlich Berichte über seine kartographischen Arbeiten von Bruno Hassenstein. Beigegeben ist die werthvolle, nach Junker’s Aufnahmen und anderen Quellen von Hassenstein entworfene Vierblattkarte von Centralafrika im Maßstabe 1:750 000. Kurz nach dem Abschluß dieser streng wissenschaftlichen Arbeit erschien der erste Band des Junker’schen Reisewerkes, dem sich in den beiden folgenden Jahren noch zwei weitere Bände anschlossen. Es ist betitelt: „Dr. Wilhelm Junker’s Reisen in Afrika 1875–1886. Nach seinen Tagebüchern bearbeitet und herausgegeben von dem Reisenden“ (Wien 1889–1891). Das Werk fand allgemeinen Beifall und gilt noch heute als eines der besten Bücher der deutschen Afrikalitteratur. Der dritte Band wurde ins Englische übersetzt (Travels in Africa during the years 1882–1886. Translated by A. H. Keane. London 1892). Eine russische Bearbeitung gab Professor Petri in St. Petersburg heraus. Der Text ist in Tagebuchform gegeben und durch zahlreiche Karten und Abbildungen erläutert. Außer den persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen des Reisenden findet der Leser eine Menge interessanter Beobachtungen über Land und Leute in Centralafrika, Mittheilungen aus dem Thier- und Pflanzenleben, stimmungsvolle Naturschilderungen, Charakteristiken merkwürdiger Persönlichkeiten weißer und schwarzer Rasse, Darlegungen der politischen Verhältnisse und Vorgänge während des Mahdisten-Aufstandes, aber auch Berichte über aufregende Abenteuer und blutige Greuel. Die jahrelange angestrengte Arbeit an diesem Lebenswerke hatte Junker’s ohnehin durch die Strapazen der Reise sehr geschwächte Gesundheit weiter verschlechtert, und er gelangte allmählich zu der Ueberzeugung, daß er nicht alt werden würde. Seine Ahnung sollte sich bald erfüllen. Nach der Vollendung des Druckes im October 1891 reiste er zu seinen Verwandten nach Rußland. Während des Winters wurde er von der Influenza befallen, deren Folgen er in St. Petersburg im Hause seiner Schwester am 13. Februar 1892 nach schweren Leiden erlag.

J. war ein Mann von mittelgroßem, kräftigem Körperbau. Seine Züge gibt das Bild wieder, das den ersten Band seines Reisewerkes schmückt. Seine Erfolge als Forscher verdankt er hauptsächlich seinen persönlichen Eigenschaften: seiner unerschütterlichen Ruhe und Besonnenheit, die ihn auch in Gefahren und scheinbar verzweifelten Lagen nicht verließ, seiner ungewöhnlichen Genügsamkeit und Bedürfnißlosigkeit, seiner körperlichen Widerstandsfähigkeit gegen Unbilden aller Art, seiner Gründlichkeit und Genauigkeit im Beobachten, seiner Geschicklichkeit in praktischen und technischen Dingen, die ihm über manche Schwierigkeiten hinweghalf, an denen andere Reisende scheiterten, seiner unerschöpflichen Geduld und seinem feinen Takt im Verkehr mit den Eingeborenen, mit denen er sich stets ohne Gewalt und Blutvergießen zu verständigen vermochte, sodaß sie ihn als ihren Freund, Berather, Vertrauensmann, Arzt und Wunderthäter schätzten. Er betrachtete den Neger als ein großes Kind, mit dem man durch Ruhe, Geduld und Freundlichkeit am besten auskommen kann. Er achtete ihn als Menschen, und so gelang es ihm, selbst bei den wildesten Menschenfressern durchzukommen, ohne je einen Schuß zu seiner Vertheidigung abgeben zu müssen. [729] Dabei war er frei von übertriebener Humanität und wollte nichts von der Aufhebung der Haussklaverei und von der Einführung theologischer Vorstellungen durch die Missionare wissen. Trotzdem war er kein grundsätzlicher Gegner der Mission, aber er wünschte, daß sie sich begnügen möchte, die Eingeborenen zur Arbeit und Ordnung zu erziehen. Seine Tagebücher befinden sich im Archiv der geographischen Anstalt von Justus Perthes in Gotha, seine naturwissenschaftlichen und ethnographischen Sammlungen, soweit er sie nicht in Afrika zurücklassen mußte, im Museum der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg und im Museum für Völkerkunde in Berlin. Seine Wörterverzeichnisse aus zehn centralafrikanischen Negersprachen gab C. G. Büttner in der Zeitschrift für afrikanische Sprachen 2, 35–108 heraus, und Friedrich Müller verarbeitete diesen Stoff in seiner Abhandlung über die äquatoriale Sprachfamilie in Centralafrika (Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissenschaften in Wien, philos.-hist. Classe 119 [1889] II).

Ludwig Hevesi, Wilhelm Junker, Lebensbild eines Afrikaforschers, Berlin 1896 (mit Bild). – Richard Buchta, Der Sudan unter ägyptischer Herrschaft, Leipzig 1888. – Petermann’s Mittheilungen 38 (1892), S. 66 bis 67 (H. Wichmann). – Ausland 65 (1892), S. 225–228 (W. Wolkenhauer). – Mittheilungen der k. k. geographischen Gesellschaft in Wien. N. F. 25 (1892), S. 169–175 (L. Hevesi). – Westermann’s illustrirte deutsche Monatshefte 74 (1893), S. 91–105 (H. Frobenius). – Geographisches Jahrbuch 16 (1893), S. 483. – Mancherlei Nachrichten über J. enthalten auch die verschiedenen Werke und Aufsätze über Gordon, Emin, Lupton, Gessi und Casati, sowie über den Mahdisten-Aufstand. Berichte über seine Reisen finden sich in fast sämmtlichen geographischen Zeitschriften des In- und Auslandes, am ausführlichsten in Petermann’s Mittheilungen.