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Artikel „Nachtigal, Gustav“ von Friedrich Ratzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 193–199, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nachtigal,_Gustav&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 08:08 Uhr UTC)
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Nachtigal: Gustav N., Afrikareisender und Diplomat, geb. am 23. Februar 1834 zu Eichstedt bei Stendal, † an Bord S. M. Kreuzer „Möve“ auf der Höhe von Cap Palmas am 20. April 1885. Früh verlor er den Vater, der Prediger war, und mit Mühe erwarb die Mutter das zur Erziehung mehrerer Kinder Nöthige. Als N. zu Stendal das Gymnasium absolvirt hatte, widmete er sich medicinischen Studien in Berlin, Halle, Würzburg und Greifswald und wirkte als Militärarzt zu Köln, bis 1863 ein Brustleiden ihn zwang, Heilung und neuen Wirkungskreis an der Nordküste Algiers zu suchen. Erst in Bona, dann in Tunis lebend, und gelegentlich kleine Reisen ins Innere unternehmend, erwarb er sich hier die Kenntniß des orientalischen, speciell des für Nordafrikas Küstenländer, für die Sahara und den größten Theil des Sudan maßgebenden maurisch-arabischen Charakters und Geistes, welche ihn später weder in Mursuk noch in Kuka, Abeschr oder Wara fremd sein ließ. Hier lernte er das Arabische so sprechen, daß er mit den sudanischen Hadschi’s wie Einer verkehren konnte, der zu ihnen gehört. Und, was nicht das Kleinste war, als Leibarzt des Chasnadar des Bei von Tunis gewann er jenen Einblick in das orientalische Hofleben, das ihn nicht blos befähigte, vom bornuanischen Hof eine classische Schilderung zu entwerfen, sondern wol auch beitrug, jene von Natur ihm gegebenen diplomatischen Fähigkeiten der scharfen Beobachtung, der geschmeidigen Anpassung und der imponirenden äußeren Ruhe in einer Weise zu entfalten, welche allein zu erklären vermag, wie er jenen Stätten der Intriguen, wo Günstlinge oft zweifelhafter Natur, die größte Macht und den weitreichendsten Einfluß mit Eunuchen und Weibern theilen, nicht blos heil entkam, sondern sogar Unterstützung seiner Bestrebungen bei ihnen in unerwartet reichem Maße fand. Wenn N. in dem ersten veröffentlichten Briefe von seiner großen Reise, den er am 16. Mai 1869 von Mursuk an die Geographischen Mittheilungen richtete und der ein schönes Zeugniß für seine innere Bescheidenheit und Wahrhaftigkeit ablegt, seinem lebhaft empfundenen Mangel an wissenschaftlicher, besonders naturwissenschaftlicher Vorbildung gegenüber die Worte in die Wagschale legt: „Ich bin Arzt, spreche arabisch, habe Jahre lang in Nordafrika gelebt“, so betonte er gleich hier im Anfang seiner Reise die wesentlichen Vorzüge, die ihm und seiner Aufgabe später zu Gute kommen sollten. Das Interesse für Länder- und Völkerkunde, welches er nebenbei als Motiv für die Ausführung „der langgehegten Idee, die Zahl der Afrikareisenden zu vermehren“, angibt, zeigte sich schon während des gezwungenen Aufenthalts in Mursuk zu einem tieferen Verständniß für die Aufgaben dieser Wissenschaft entfaltet. Viele hatten Fessan beschrieben, seit Hornemann in oder bei Mursuk seinen nie aufgeklärten frühen Tod gefunden, Nachtigal’s Schilderung ist unter den vielen die in der Form vollendetste und im Inhalt vollständigste. Man würde sie bis zum Zustandekommen einer gründlichen, wissenschaftlichen Aufnahme auch als abschließend bezeichnen dürfen, wenn im Fluß afrikanischer Wandlungen je ein Abschluß auch nur für eine kleine Reihe von Jahren denkbar erschiene.

Im J. 1869 sollten dem Scheich Omar von Bornu Geschenke des Königs von Preußen zum Dank für die freundliche Aufnahme übersandt werden, welche [194] er mehreren deutschen Reisenden hatte zu Theil werden lassen. Gerhard Rohlfs brachte sie nach Tripolis und N., der noch kurz vorher die Absicht gehegt hatte nach Deutschland zurückzukehren, um sich in der Augenheilkunde zu vervollkommnen, übernahm es sie nach Kuka zu escortiren. Er ging mit fünf Mann und acht Kameelen, bescheiden ausgestattet, am 18. Februar von Tripolis ab und erreichte am 27. März Mursuk. Hier durch Unruhen festgehalten, die die Gegend von Kawar und Bilma in Aufregung versetzten, führte er vom 6. Juni bis 8. October 1869 jene gefahrvolle und ergebnißreiche Reise in das südlich von Mursuk liegende Gebirgsland von Tibesti aus, welche ihn mit einem Schlage in die vordere Reihe der Afrikaforscher treten ließ. Das durch die Rauhheit und Armuth seiner Natur und mehr noch durch die wilde Gesetzlosigkeit seiner Bewohner gefürchtete Land war bisher von keinem Europäer besucht worden und nach den Erfahrungen, welche N. dort gemacht, wird es wol auch so bald keinen neuen Besucher unter den wissenschaftlichen Reisenden finden. In den Satz: „Ich sah nie ein Volk mit weniger natürlicher Gutmüthigkeit begabt“ faßte N. in seinem ersten Bericht über diese Reise den Eindruck zusammen, den er von der Tibbu Reschade gewonnen. Kein Afrikareisender hat jemals eine schwerere Zeit durchgemacht als N. in dem einen Monat, den er als Gefangener, am Hungertuch Nagender, mit Tod Bedrohter, Mißhandelter in Bardai verlebte und seine Flucht aus dieser Hölle ist eines der gewagtesten Stücke, dessen Gelingen übrigens an einem Faden hing. Am Ende war es noch als ein Glück anzusehen, daß N., völlig ausgeraubt, sich aus Tibesti flüchtete, denn er bot der Habsucht der Tibbu zuletzt keinen Anziehungspunkt mehr und dies war wol der einzige Grund, der ihm das Schicksal des Fräulein Tinne ersparte, die, nachdem sie gleichzeitig mit N. einige Monate in Mursuk verlebt hatte, nicht fern von dieser Stadt durch die Tuareg ermordet wurde.

Im Vergleich zu dieser abenteuerlichen Reise, die ein Gebiet von ca. 3000 deutschen Quadratmeilen den bekannteren Strecken Innerafrika’s zufügte, treten die zunächst sich anschließende Reise von Mursuk nach Bornu, welche er am 18. April 1870 antrat, der Aufenthalt in Kuka, wo er am 6. Juli ankam, die für die Geographie des Centralsudan wichtige Reise nach der Bahr-el-Ghasal-Senke, Kanem und Borku (20. März 1871 bis 9. Januar 1872), welche den kühnen Forscher von Sudan her neuerdings in die Nähe von Tibesti führte, die Reise in die bisher gleichfalls unbesuchten Heidenländer Baghirmis, vom Frühling bis zum Herbst 1872 in den Hintergrund. Es sind zwar Unternehmungen von zum Theil höchster wissenschaftlicher Bedeutung, doch fehlt ihnen das Dramatische, Aufregende jener wilden Fahrt, wenn auch die Reise nach Borku, im Gefolge einer raubenden und sengenden Araberhorde, auf mageren Thieren, mit 200 zu 150 % Zinsen von Wucherern geborgten Thalern gemacht, an bunten Bildern nicht gerade arm war. Noch einmal nahm Nachtigal’s Forscherthätigkeit den Charakter des kühnen Wagens an, als er sich 1873 entschloß, den Heimweg über Wadai, das bisher jedem Europäer das Leben gekostet, der seine Grenzen überschritten, und über das nur 1793 und 1858 von Browne und Cuny besuchte Darfur zu nehmen. Das Glück war ihm günstig genug, denn er fand in dem Herrscher von Wadai einen energischen Beschützer, während er Darfur’s Grenze in derselben Zeit nach Aegypten zu überschritt, als von diesem Lande her die Eroberungsexpedition Ismail Ayab Pascha’s, welche für Jahre das Land in Aufregung brachte, sich Darfur näherte. Er traf mit derselben in El Obeid zusammen und gab die erste Nachricht von seiner glücklichen Rückkehr im September aus Chartum. Im November 1874 traf er, mit gebührenden Ehren empfangen, in Kairo ein, verweilte den Winter in Aegypten, um, wie er damals an Dr. Behm schrieb, seine rheumatischen Gelenke und Knochen zu heilen, und machte im Sommer 1875 einen [195] wahren Siegeszug durch Deutschland. Des Reiches in seiner Abwesenheit gewonnene Einheit und Macht erhob sein patriotisches Herz mehr als alles Andere, was die Heimath ihm an Ehren und Freuden bot.

Gleichsam von selbst trat nun N. an die Spitze der deutschen Afrikareisenden, die nach und nach aus den schwachen, im Solde des Auslandes arbeitenden Anfängen der Hornemann und Burckhardt zu einer die Nation interessirenden und anregenden Körperschaft erwachsen waren, auf welche diese mit Stolz und mit sich steigernden Erwartungen blickte. N. hat sich große Verdienste um diese freie Körperschaft erworben. Wer die Schaar der deutschen Afrikareisenden vor zehn Jahren durchmaß, als die wissenschaftlichen Ergebnisse der Afrikaforschung vielfach unterschätzt wurden, theilweise auch noch nicht so klar ans Licht gebracht waren wie später, und als die nationalen Verdienste jener Männer nur in engen Kreisen weitblickender Freunde Verständniß fanden, gewann keinen befriedigenden Eindruck. Es gab Märtyrer unter diesen Männern und wenige waren, die nicht einen Märtyrerzug trugen. Die wenigsten verfügten über reiche oder auch nur genügende Mittel. In ihrer Heimath hatten sie eine der regelrechten Laufbahnen verlassen, welche man in unserem gedrängten und treibenden Leben selten straflos aufgibt und niemals leicht wiedergewinnt. Stolz, reiferes Alter, geschwächte Gesundheit verboten nach dem ersten Besten zu greifen. Unsere Gesellschaft hegt noch immer einen unbestimmten, aber fühlbaren Verdacht gegen Leute, die sich nicht sehr leicht in eine der anerkannten Zünfte oder Kasten einreihen lassen. Selbst ein Alexander v. Humboldt war von den Botanikern den Geologen und von diesen den Geographen zugeschoben worden. Wieviel leichter noch mußte dieses nebelbildende Odium der Zunftlosigkeit sich trübend in die Lebenslust von Männern ergießen, deren Leistungen nicht immer Zeit hatten voll auszureifen, die Merkmale strenger Wissenschaftlichkeit nicht immer aufwiesen, deren Vorbildung häufig einseitig war und deren litterarische Thätigkeit aus mehreren Gründen sich gern an jenes größere Publikum wandte, bei welchem mehr Verständniß für menschlich bedeutende Leistungen erwartet wurde als in der Gelehrtenwelt! Kurz nach Nachtigal’s Rückkehr begannen diese vielfach mißlichen Verhältnisse sich dadurch zu ändern, daß in immer weiteren Kreisen die Erkenntniß Raum gewann, es hätten jene Männer nicht blos eine wissenschaftliche Thätigkeit entfaltet, sondern schöpferisches Wirken in ganz neuer Richtung für die Nation im Ganzen angebahnt. Der Keim der deutschen Kolonialpolitik begann zu treiben. Heute, wo er erwachsen, sind in seinem Schatten die Afrikareisenden jener früheren Epoche ihres ehrenvollen Platzes in den Reihen der geschichtlichen Persönlichkeiten des jungen Reiches sicher. Auch N. hatte seine große Reise zunächst in rein wissenschaftlichem Interesse angetreten und in demselben sie auch durchgeführt. Aber wie innig erscheint uns heut jene warme, ideale, auf Vorträge, Flugschriften, Aufrufe und Geldsammlungen basirte Theilnahme des deutschen Volkes an der Afrikaforschung mit der neuen Thatsache von Deutschlands Festsetzung in Afrika als politische und Culturmacht verknüpft! Jetzt erkennen wir einen starken Faden, der von der individuellen zur nationalen Theilnahme und von dieser zum politischen Eingreifen führt. Barth’s Reise mit ihren großartigen Ergebnissen, die alles vorher in diesem Felde Geleistete in den Schatten stellte, Vogel’s unglückliches Ende in Wadai’s Hauptstadt, die deutsche Expedition von 1861/62 zur Aufsuchung oder Rettung Vogel’s, dessen Reise Petermann einmal sehr wahr ein Samenkorn nennt, „das auf dem guten Boden vaterländischen Strebens aufkeimte“, Gerhard Rohlfs’ kühne und glückliche Reisen in Nordafrika und im Sudan, die ebenso wie die südafrikanischen Fahrten von Karl Mauch durch Sammlungen im Vaterland ermöglicht wurden, endlich Nachtigal’s wissenschaftlich so ergebnißreiche und menschlich so spannende Reise in der Sahara und im Sudan, [196] sie bereiteten jene immer tiefergehende und immer weitere Kreise erfassende Bewegung vor, die endlich die Deutschen in alle Theile von Afrika sandte, sei es auf Regierungsunkosten, aus Mitteln von Vereinen oder durch freigebige Private unterstützt, und welche einen halb officiellen Mittelpunkt in der 1872 gegründeten „Afrikanischen Gesellschaft“ fand, um endlich bei immer stärker hervortretender handelsgeographischer und politischer Tendenz in der Entfaltung der deutschen Flagge in Afrika ein Allen verständliches nationales Ziel zu finden. Die Verwendung von N. und Rohlfs im diplomatischen Dienste des Reiches, die Beschäftigung anderer namhafter Reisenden in der Exploration des Kamerungebietes, der südwestafrikanischen Besitzungen u. a. ließ weithin verstehen, welcher Vortheil im Besitz und der Thatbereitschaft solch geübter und erprobter Kräfte liege.

N. hatte schon 1877 durch einen Vortrag auf der Münchener Naturforscherversammlung über die handelsgeographischen Vereine die praktischen Aufgaben der deutschen Afrikaforschung in großen Linien gezeichnet. Im darauffolgenden Jahre lieh er der Gründung eines Vereins für Handelsgeographie seine Unterstützung und die ersten Hefte der Zeitschrift dieses Vereins brachten eine werthvolle Monographie von N. über Handel und Verkehr im Sudan. Entsprach es auch seiner Natur nicht, an der Spitze lauter Bewegungen zu marschiren, so war er doch stets bereit, den nationalen Bestrebungen Rath und Hilfe zu leihen und so betheiligte er sich am deutschen Colonialverein, am deutschen Schulverein und brachte Opfer für den leider von Anfang an verunglückten Plan einer deutschen Universität in Nordamerika. Der Reichskanzler wußte, daß er keinen Vertreter der blassen Theorie wählte, als er 1882 N. an die Spitze des Generalconsulats in Tunis berief. N. widmete sich mit Liebe den schwierigen, wenn auch nicht allzu zahlreichen Aufgaben dieser neuen Stellung. Ihm war Tunis ein nicht nur bekannter, sondern befreundeter Boden und als ihn im Frühling 1884 der Ruf an die westafrikanische Küste erreichte, schied er nicht gerne, sondern unter dunkeln Ahnungen von der Stätte der alten Puniermacht, wo er sich „fortdauernd der Beschäftigung hingab, der Marius doch nur augenblicklich huldigte, d. h. auf den Trümmern von Karthago zu sitzen“. Er schrieb damals an einen Freund in Deutschland: „Es ist mir, als ginge ich meiner Verurtheilung entgegen.“ Als Arzt und nach den Erfahrungen seiner Reise wußte N. selber am besten, daß er kein starker Mann sei. Er kannte zu gut, was Fieber ist, er täuschte sich nicht über die Gefährlichkeit des westafrikanischen Küstenklima’s und würdigte seine verhängnißvolle Neigung zur Seekrankheit. Um so mehr verdient es Bewunderung, wie er seine Pflicht mit einem Eifer erfüllte, welcher über den Rahmen des unbedingt Nothwendigen noch weit hinaus wirkte. Die Thätigkeit Nachtigal’s in diesem letzten Jahre war eine erstaunliche und hätte auch einen zäheren Körper schwächen müssen. N. reiste von Tunis über Marseille, traf in Lissabon, wo sein auf eigenen Wunsch ihm beigegebener Begleiter Max Buchner aus München mit ihm zusammentraf, am 24. April ein und begann am 1. Juni seine westafrikanische Reise von Gibraltar aus. Vom 18. bis 21. Juni wurde eine Reise den Dubrekafluß hinauf gemacht, die später zur Erwerbung der Gebiete von Koba und Kabitai führte. Am 5. und 6. Juli wurde die deutsche Flagge in Bagida und Lome gehißt, am 7. Geiseln in Klein Pópo eingenommen, am 11. und 12. Juli der Kamerunfluß besucht, die Flagge in Kamerun gehißt am 14., in Bimbia am 21., in Klein Batanga am 23., in Plantation und Kriby am 24., in Batta am 26., im Campodistrict am 29., in Aduni am 31. Juli, am Benitoflusse am 2. August. Auf dem Küstendampfer „Fan“ besuchte N. vom 6. bis 9. August die Küstendistricte zwischen Cap St. John und dem Benito und zog nach Verhandlungen mit dem französischen Gouverneur von Gabun am 18. August die Flagge am Südufer des Benito wieder ein. Nun ging er vom [197] 19. bis 25. August über St. Thomé nach Lagos zurück, wo Flegel mit ihm zusammentraf, kam am 28. zum zweiten Mal nach Kamerun, ließ die Flagge in Hickory-Town hissen und ging, indem er Dr. Max Buchner als interimistischen Vertreter des deutschen Reiches zurückließ, nach Süden. Am 15. und 16. September verweilte er am Kongo und traf am 7. October in Angra Pequena ein, von wo er in der Zeit bis zum 21. November in Begleitung des Lieutenants Grafen Spee eine Reise ins Binnenland unternahm und am 29. October die Flagge in Bethanien hißte. Auf der Rückreise nach Norden besuchte N. am 22. November die Walfischbai, am 28. die Große Fischbai, am 1. December Mossamedes, am 6. Benguella, vom 9. bis 14. Loanda, am 17. Ambriz. Dann verweilte N. neuerdings vom 18. bis 25. December am Kongo und machte eine Inspectionsreise flußaufwärts, um dem Könige der Belgier, dem er bei Gelegenheit der Begründung der Association Internationale zu Brüssel bereits näher getreten war, die von jenem erbetene Auskunft über den Stand der Angelegenheiten am Kongo ertheilen zu können. Vom 31. December bis 3. Januar 1885 verweilte N. zum dritten Male am Kamerun, wo unterdessen sein Stellvertreter, Dr. Max Buchner, in den Kämpfen mit den Negern und den Intriguen fremder Weißen sich bewährt hatte, besuchte vom 14. bis 17. Januar von Bimbia aus die Hauptplätze am Kamerungebirge, ging vom 23. bis 25. Januar von Gogoro aus über Land nach Mahin und kehrte darauf gegen Mitte Februar zum vierten Male nach Kamerun zurück, von wo aus er noch mehrere Fahrten an der Küste u. a. nach Lagos ausführte.

Die kurze Reise nach Mahin, wo Erwerbungen gemacht wurden, welche dann später durch einen Vertrag mit England wieder rückgängig gemacht werden mußten, legte den Todeskeim in die Brust des hier nahe bei der Vollendung seiner schweren Arbeit Angelangten. Sein Begleiter Zöller schrieb damals in der Kölnischen Zeitung: „Die kurze, aber anstrengende Reise von Gogoro nach Mahin hatte uns bei glühendem Sonnenbrand durch ein recht unangenehmes Sumpfgebiet geführt. Die Folgen sollten nicht ausbleiben. Kurz nach der Abfahrt von Mahin bekam Dr. Nachtigal einen Fieberfall.“ Die Ordnung der Verhältnisse im Mahingebiete war also das letzte Werk Nachtigal’s und auch der Nagel zu seinem Sarge. Schon vorher hatte er auf der Fahrt von Kamerun her äußerst heftige Angriffe der Seekrankheit zu erleiden gehabt und kam in geschwächtem Zustande an. Indem er sein Werk krönen wollte bot er dem Fiebergift, gegen welches er nie gefeit gewesen, die Brust zu erneutem Angriffe. Schon in Mursuk, jenem berüchtigt ungesunden Hauptort Fessan’s, hatte bei der ersten Reise ein hartnäckiges Malariafieber ihn niedergeworfen. N. verließ am 11. April Kamerun, anscheinend gesund. Aber die Seekrankheit verschlimmerte sein offenbar nur schlummerndes Uebel, das schon vor der Ankunft auf der Rhede von Lagos eine ungünstige Wendung genommen hatte, so daß Contreadmiral Knorr, der am 15. April gleichfalls vor Lagos anlangte, die „Möve“, auf der N. sich befand, sogleich die Reise fortsetzen ließ, damit sie die hohe See wieder gewinne. Bei schönem und trockenem Wetter lag der Kranke unter einem Zelte auf Deck. Am 19. fühlte er selbst sein Ende herannahen, dictirte seinen letzten Willen und verschied am 20. früh morgens 4½ Uhr in Anwesenheit des Commandanten und des Arztes. Die „Möve“ befand sich zu dieser Zeit 160 Seemeilen vom Cap Palmas und auf diesem Vorgebirge wurde am Nachmittag des 21. April der Vielgewanderte zur letzten Ruhe gebettet.

Zwischen den weltbewegenden Thaten dieses letzten Jahres Nachtigal’s, die eine tiefe Spur in der Geschichte der neuesten Zeit gemacht haben und die man nicht überschätzt, wenn man in ihnen den Beginn des Abschlusses der nationalen Wiedergeburt Deutschlands erkennt, und seiner Rückkehr aus Afrika im J. 1875 [198] liegen zehn Jahre intensiver Arbeit. N. hatte den Ehrgeiz, ein nicht allzu vergängliches Denkmal seiner Reisen aufzurichten und hat sein Ziel erreicht, wenn auch das Denkmal Torso blieb. In unserer nachgerade überreichen Afrikalitteratur ragte ein großes Reisewerk über viele andere empor, ein Werk, zu welchem man trotz der großen Fortschritte der Afrikaforschung in den letzten 30 Jahren immer wieder zurückkehrt. Es sind Barth’s fünf Bände: „Reisen in Nord- und Zentral-Afrika“. Nachtigal’s „Sahara und Sudân“, dessen erster Band 1879 und dessen zweiter 1881 erschien, theilt mit Barth’s Reisen die Vorzüge des reichen Inhaltes, der gründlichen Fundirung und der sorgfältigen Darstellung. Beide Werke sind von der Art, daß man sie in die Hand nimmt, um Thatsachen kennen zu lernen, und daß man sie in der Hand behält und immer wieder zu ihnen zurückkehrt, wenn man einmal den Reiz empfunden hat, der dieser ruhigen, gemessenen Erzählung merkwürdiger Reiseerlebnisse, diesen nach gründlichen Natur- und Bücherstudien malenden Schilderungen und dieser tief- und weitdenkenden Art des Urtheilens innewohnt. Uebrigens liegt der Grund dieser Aehnlichkeit nicht blos darin, daß der ältere dem jüngeren Vorbild war, sondern auch in einer großen Uebereinstimmung der Anlage und Arbeitsweise dieser beiden bedeutenden Männer, welchen ein merkwürdiger Zufall das gleiche Arbeitsfeld gewiesen. Sucht man Nachtigal’s Stellung in der Geschichte der Afrikaforschung zu präcisiren, so ist sie weder bezeichnet durch die geniale Intuition und vielseitige naturwissenschaftliche Schulung eines Schweinfurth, noch durch die Ausdehnung und Mannigfaltigkeit der Reisen eines Rohlfs, sondern N. wird stets als der Nachfolger Heinrich Barth’s und als der Fortbildner von dessen Lebenswerk erscheinen. An der Erforschung und Darstellung der Sahara und des Centralsudan hat N. durch Beobachtung der Natur, soweit diese ihm zugänglich, und aller culturgeographischen Erscheinungen, durch unermüdliches Einziehen von Erkundigungen und durch fleißiges Studium der mühsam aufgetriebenen Chroniken von Kanem, Bornu, Baghirmi etc. fähig, eifrig und erfolgreich wie einst Heinrich Barth fortgearbeitet. Beiden gemein ist das weite Hinübergreifen der Forschung über die Grenzen des Selbstgesehenen durch eine große Fähigkeit Erkundigungen zu gewinnen und kritisch zu prüfen. Der Vorzug der Aechtheit und Gründlichkeit, der Reiz der Tiefe, welcher auf dem liebevollen Einleben in die wildfremde Natur- und Menschenwelt Afrika’s beruhte, Vorzüge besonders der deutschen Afrikalitteratur, sind den Schriften Nachtigal’s in hervorragendem Maße eigen. Wenn über den Schilderungen so namhafter Reisenden wie Denhams, Livingstone’s, Stanley’s ein Hauch von Fremdsein ausgebreitet liegt, der die Bilder wie ein blauer Duft umhüllt, so taucht Nachtigal’s Vertrautsein mit orientalischem, speciell arabischem Wesen, die groß genug war, um Vorurtheile auszuschließen, alle seine Darstellungen in ein warmes goldenes Licht, welches Mitzufriedenheit, Mitbehagen und Mitleiden wachruft. Wer z. B. seine Capitel 4–8 im ersten Bande von „Sahara und Sudân“ liest, glaubt einen Weisen des Landes reden zu hören, der mitten in diesen Dingen und doch über ihnen steht, weil er sie so genau kennt, einen Weisen, der nicht blos in die Schule des Koran, sondern auch des bunten unmittelbaren orientalischen Lebens gegangen. – Hat sich als politische Persönlichkeit N. erst in den letzten drei Jahren seines Lebens bethätigen können, so hat ihm das Glück noch an der Schwelle seines Hinscheidens Aufgaben gestellt, durch deren geschickte Lösung er im Andenken der Nachwelt als der fortleben wird, dem es gegönnt war, die ganze Entwickelung der deutschen Afrikaforschung von schwankenden Versuchen bis zu den bedeutendsten, höchst zielbewußten Leistungen auf wissenschaftlichem, litterarischem und politischem Gebiet erst mitzuerleben, dann zu führen und zu vollenden. Im Augenblicke, wo der Tod ihn abrief, lag die Ernennung N.’s zum Ministerresidenten in Tanger im Cabinet des Kaisers zu Berlin zur [199] Vollziehung bereit. Und der Reichsanzeiger rief ihm ins Grab nach: „Der Name Nachtigal’s wird mit dem Beginne der Colonialpolitik des Deutschen Reiches unzertrennlich verknüpft bleiben, und wie in den Jahrbüchern der Erforschung des schwarzen Erdtheils, dem die besten Kräfte seines Lebens gewidmet waren, so auch in denen der vaterländischen Geschichte ehrenvoll fortleben.“

N. begann seine schriftstellerische Thätigkeit in Tunis, von wo er durch Vermittelung des über zahlreiche Verbindungen in der deutschen Presse gebietenden Freiherrn v. Maltzan Aufsätze nach Deutschland sandte. Seine ersten Reiseberichte brachten die Geographischen Mittheilungen in zum Theil ausführlichen, besonders die ethnographischen Verhältnisse gründlich erörternden Briefen in den Jahrgängen 1869–71 und 1873–75, spätere Aufsätze besonders über die Völkerverhältnisse des Sudan die „Zeitschrift“ und die „Verhandlungen“ der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, die Zeitschrift für Ethnologie, die Mittheilungen des Centralvereins für Handelsgeographie und die Deutsche Rundschau. Da N. mit Vorliebe die Congresse der Naturforscher und Aerzte, der Anthropologen u. a. besuchte, enthalten auch deren Verhandlungen Beiträge seiner Feder.

N. war von Bau gedrungen und nicht groß. Sein Haar war dunkel und gelockt, seine Augen blau, sein Antlitz verwittert. Es sprach aus seiner ungezwungenen Haltung Bescheidenheit und Einfachheit, aus den blitzenden Augen Lebensmuth und Kühnheit, auf den fest geschlossenen Lippen zeigte sich Entschlossenheit und in der schmucklosen Rede wohnte Klarheit, Sicherheit, überlegener Geist, Stoffbeherrschung. Wenn man ihn sah wunderte man sich, wie er die Strapazen der fünfjährigen Reise ertragen hatte, wenn man ihn hörte schwand dieses Erstaunen vor dem Eindruck einer ächten Odysseusnatur voll Klugheit, Zähigkeit und Willenskraft. Im freundschaftlichen Verkehr heiter mit dem unverwischbaren Stempel des Corpsstudenten, war er Fremden gegenüber gemessen, so daß diese einen diplomatischen Zug im Charakter Nachtigal’s schon zu einer Zeit zu bemerken glaubten, wo er die Last der Repräsentation als Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für Erdkunde und der Afrikanischen Gesellschaft, als Vorstandsmitglied der Association Internationale vielleicht leichter und gewandter als andere trug, weil er das Gewicht seines Wesens und seiner Leistungen in angeborener Bescheidenheit ganz von selbst wirken ließ. Die ihm zunächst Stehenden aber meinten, unter den Gaben Nachtigal’s besonders die Fähigkeit, sich schnell und vollständig in die Denk- und Gefühlsweise Anderer einzuleben, als die Ursache so mancher diplomatischer Erfolge bezeichnen zu dürfen, die er schon auf seiner großen Reise aufzuweisen hatte. – Eine lebenstreue Büste Nachtigal’s wurde im December 1885 im Reichskanzleramt zu Berlin aufgestellt und ein vortreffliches Bild von ihm brachten Westermann’s Monatshefte 1885.

Von seinem oben genannten Hauptwerke sind nur die beiden ersten Bände erschienen, welche an der Reise nach Wadaï und Darfur Halt machen. Originalkarten Nachtigal’s begleiten dieses Werk und theilweise auch jene kleineren Aufsätze.

Nachtigal’s Briefe in den Geogr. Mitth., 1869–75. – Nekrologe ebd. 1886 und in den Verh. d. G. f. Erdkunde zu Berlin, 1885. – Erinnerungen an Gustav N. von Dorothea B. Deutsche Rundschau, 12. Jahrg. – H. Zöller, Die deutschen Besitzungen an der westafrikan. Küste, 1885/86, 4 Bde. – Dr. Max Buchner, Privatmittheilungen.