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Artikel „Marienwerder, Johannes“ von Franz Hipler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 381–383, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Johann_von_Marienwerder&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 12:29 Uhr UTC)
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Marienwerder: Johannes M., der gelehrteste Theologe des preußischen Ordensstaates, geb. 1343, † am 19. September 1417 in seiner Vaterstadt Marienwerder. Mit 20 Jahren etwa bezog er die Universität Prag, wo er sich besonders an Heinrich v. Oytha anschloß, 1367 Baccalaureus, 1369 Licentiat und Lesemeister, 1374 aber Dekan in der Artistenfacultät und um dieselbe Zeit auch Priester und Domherr an der Allerheiligenkirche wurde. Als solcher trat er alsbald in die theologische Facultät ein, in welcher er 1384 eine ordentliche Professur erhielt, die er aber drei Jahre darauf niederlegte, als die nationalen Streitigkeiten mit den Böhmen, in welchen er mannhaft für die Rechte der Deutschen eintrat, die letzteren veranlaßte Prag zu verlassen. Aus dieser Prager Lehrthätigkeit entstammen einige theologische Schriften, die bei aller scholastischen Erudition nach Form und Inhalt doch die mehr zum Praktischen hinneigende Richtung ihres Verfassers bekunden, nämlich die ausführliche „Expositio symboli apostolorum“, die sich in sehr verschiedenen Redactionen noch in zahlreichen Handschriften – in München allein z. B. in 10 Exemplaren – vorfindet (auszüglich bei Hipler, Joh. Marienwerder, S. 20–36), dann eine Schrift über die 8 Seligkeiten (handschriftlich in Danzig, Pelplin etc.) und endlich eine kurze Paraphrase des „Vaterunser“ (gedruckt bei Pisanski, preußische Litteraturgeschichte I, 59 und im Erml. Pastoralblatt XV, 142). Von Prag begab sich M. im J. 1387 in seine Heimath, wurde hier Deutschordenspriester und als solcher sofort Canonicus und 1388 Dekan des pomesanischen Domkapitels in seiner Vaterstadt. In dieser Stellung, die er bis an sein Lebensende beibehielt, begann er ums J. 1393 eine Kapitelschronik in Annalenform, wovon sich jedoch nur ein Fragment, bis 1398 reichend, erhalten hat (herausgegeben von Voigt, Cod. dipl. Pruss. V, 55 und vollständiger von Strehlke, Script. rer. Pruss. V, 430). In diese Zeit fallen auch seine Beziehungen zu der seligen Dorothea v. Montau, der Wittwe eines Danziger Schwertfegers Namens Albrecht, welche im Sommer 1391 nach Marienwerder übersiedelte und hier mit Genehmigung des Domkapitels und des deutschen Ordens am 2. Mai 1393 eine Klause neben der schönen Kathedrale bezog, in der sie am 25. Juni 1394 im Alter von 47 Jahren starb. [382] Der Domdechant war während dieser Zeit neben seinem Freunde, dem Dompropst und späteren Bischofe Johannes Rymann, dem gelehrtesten Juristen in Preußen, Dorothea’s Beichtvater und zeichnete als solcher die Mittheilungen seiner geistlichen Tochter auf, die sie ihm aus der Welt ihres inneren, hochbegnadigten und ganz in Christus versenkten Geisteslebens in reichster Fülle machte. Von der Echtheit und Zuverlässigkeit dieser ihrer Visionen und Revelationen auf Grund der angestellten Prüfungen überzeugt, ging er nach ihrem Tode daran, seine Aufzeichnungen in einer Reihe von Werken zu verarbeiten, die, ihrer Zeit viel verbreitet und den mystischen Schriften ihrer Zeitgenossen, der heiligen Katharina von Siena und Brigitta von Schweden nicht mit Unrecht an die Seite gestellt, erst in neuester Zeit wieder die Beachtung der Historiker und Theologen auf sich gezogen haben. Zunächst galt es für den bald nach dem Tode der im Rufe der Heiligkeit verstorbenen Klausnerin beginnenden Canonisationsproceß eine Biographie derselben zu verfassen. Den ersten Entwurf dazu finden wir in einem langen Briefe an den Deutschordensprokurator in Rom (abgedruckt bei Voigt a. a. O. V, 82 ff.), eine weitere Ausführung in dem jüngst von den Bollandisten publicirten kurzen Bericht „Ueber das Leben und die Wunder Dorothea’s“ (Acta SS. Octobr. XIII, 493 sq. 560 sq.). Dann folgt eine für weitere Kreise berechnete Schrift („Vita beatae Dorotheae Pruthenae“), die zuerst 1702 von dem Convertiten Adrian v. Linde in Danzig, neuerdings aber (1882) nach einer schönen vaticanischen Pergamenthandschrift von dem Bollandisten Remigius de Buck (a. a. O. S. 499–560) herausgegeben wurde. Jetzt erst begann M. die vollständige Verarbeitung seiner Aufzeichnungen von und über Dorothea, die er in drei größere Gruppen sonderte, je nachdem sich dieselben entweder auf das äußere „übende“ Leben der Klausnerin bezogen, oder an das Kirchenjahr und die darin gefeierten Momente aus dem Leben Christi und seiner Heiligen sich anlehnten, oder endlich einzelne außerordentliche Vorgänge des inneren Seelenlebens betrafen, durch welche sich Dorothea von anderen ähnlich beanlagten Personen unterschied. So entstanden in den Jahren 1395–1400 drei größere Werke: 1) „Die umfangreiche Lebensbeschreibung“ in 7 Büchern, 2) die Schrift „Ueber die Feste“ in 129 Kapiteln und 3) das „Septililium“. Die Herausgabe dieser für die Geschichte der deutschen Mystik unentbehrlichen Werke, von denen bislang nur die Kapitelüberschriften und einige unbedeutende Proben publicirt waren, ist in den Analecta Bollandiana (Brüssel 1883, II, 381) soeben mit dem Septililium eröffnet worden, während die beiden anderen Schriften später folgen sollen. Eine kürzere deutsch geschriebene Biographie in vier Büchern, in der sich M. an ein größeres Publikum, namentlich auch an die Deutschordensritter wendet, welche in der seligen Klausnerin die Ehre ihres Landes, die Schutzpatronin ihres Ordens sahen, bildete – neben einer für die Canonisationsacten bestimmten zeugeneidlichen Deposition, die A. v. Linde 1702 edirte – den Abschluß der auf die Wittwe Albrechts bezüglichen Arbeiten, die ihn ein starkes Decennium hindurch beschäftigt hatten. Dieses deutsche Dorotheenleben, das nach Inhalt und Form öfters an Suso’s Selbstbiographie erinnert und mit vollster Sachkenntniß und sichtlicher Wärme für das Heimathland und die erste Blüthe der Heiligkeit, die in demselben aufgesproßt, frisch und anmuthig geschrieben ist, scheint ein Lieblingsbuch für jene Zeit geworden zu sein, so daß es, wie es das erste größere Werk deutscher Prosa auf dem Boden des preußischen Ordenslandes war, so auch später das erste Buch wurde, welches – im J. 1492 zu Marienburg – unter eine preußische Buchdruckerpresse kam, weshalb es denn auch neuerdings von M. Töppen (Script. rer. Pruss. II, 179 bis 374) vollständig wieder abgedruckt ist. Aus den letzten Lebensjahren Marienwerder’s, die mit gelehrten, seelsorgerlichen und administrativen Arbeiten, nach der Schlacht von Tannenberg aber mit den Bemühungen um die Restauration [383] der schwer betroffenen Diöcese Pomesanien ausgefüllt waren, haben wir von ihm noch einige Ansprachen an die Mitglieder der Priesterbrüderschaft zu Marienwerder (handschriftlich in Danzig und Pelplin) und einen Brief (an den Hochmeister?), der sich auf Elisabeth, die Nachfolgerin Dorothea’s in der Klause zu Marienwerder bezieht. (Erml. Pastoralbl. VIII, 47.) Sein Andenken in dem jüngst trefflich restaurirten Dome seiner Vaterstadt wird durch einen schönen alten Grabstein erhalten; dem gleichzeitigen pomesanischen Chronisten gilt er mit Recht als „ein achtbarer Lehrer der heiligen Schrift, gar ein selig Mann seines Lebens“.

Scriptores rer. Pruss. II, 190; III. 371; V, 430. Meister Joh. Marienwerder u. die Klausnerin Dorothea v. Montau, Braunsberg 1865, von dem Unterzeichneten.