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Artikel „Jastram, Cordt“ von Wilhelm Sillem in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 634–642, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jastram,_Cord&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 00:32 Uhr UTC)
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Jastram: Cordt J. und Hieronymus Snitger; beide in Hamburg 1686 hingerichtet, sind die Volksführer, nach denen die Wirren benannt worden sind, die zwei Jahrzehnte lang eine gedeihliche Entwicklung des hamburgischen Gemeinwesens hinderten, die Autorität des Rathes lähmten und endlich die Stadt in Gefahr brachten, eine Beute Dänemarks zu werden. So dürfen hier füglich die Biographien beider Parteiführer mit einander vereinigt werden. Daß jene Wirren ein allgemeineres Interesse als nur das speciell hamburgische zu beanspruchen geeignet sind, ist ersichtlich aus C. F. Wurm’s (s. A. D. B. XLIV, 326) Programm: „Der europäische Hintergrund der Snitger-Jastram’schen Wirren in Hamburg. Aus archivalischen Quellen.“ Hamburg 1855. J. wurde 1634 in Hamburg geboren. Sohn eines Färbers, setzte er das väterliche Geschäft fort. „Durch Heirath und eine ansehnliche Erbschaft wohlhabend wurde er Schiffsrheder und betrieb die damals blühende Rhederei nach Grönland zum Walfischfang; zu Zeiten hatte er die Leitung von vier Grönlandsfahrern [635] unter sich. Er hatte sich in der Welt umgesehen und aufmerksam beobachtet. Wenn er auch in den bürgerlichen Collegien verschiedentlich ein und das andere bekannte lateinische Wort so übel anbrachte, daß es ein Gelächter verursachte, so sprach er doch faßlich und eindringlich. Die französische Sprache verstand er gar nicht.“ (L. Wächter’s [s. A. D. B. XL, 428] historischer Nachlaß, herausgeg. von C. F. Wurm. Hamburg 1838/9. 2 Bände. I, 350 f.) Der dänische Canzleirath Jak. Heinr. Pauli, der alles daran setzte, um J. und S. für Dänemark zu gewinnen, nennt in seinem Briefe an die Herren v. Liliencron und Ehrenschildt J. einen „bonhomme, der aus Nichts Arges habe“ (a. a. O. S. 452). Jastram’s Mitkämpfer für „die Maintenirung der Freiheit und Rechte seiner Vaterstadt“, Snitger, im September 1648 in Hamburg geboren, gehörte einer angesehenen Kaufmannsfamilie an. Er sowie sein Vater schrieben sich „Jeronimo Snitquer“, spanisch, wie es damals mehrfach der Fall war bei denen, die in Spanien etablirt waren. Als „Hieronymus Schnitker“ wurde er 1666 an demselben Tage mit dem nachmaligen Bürgermeister Luk. v. Borstel in das Akademische Gymnasium seiner Vaterstadt aufgenommen, ein Institut, das oft von Gymnasiasten aufgesucht wurde, ehe sie die Universität bezogen. S. hatte demnach eine höhere Schulbildung genossen, wenn ihm auch nach dem Zeugniß des J. H. Pauli die französische Sprache nicht besonders geläufig war (a. a. O. S. 352). „Auf Reisen gebildet, war er geschäftserfahren, wohlberedt und hatte, man wußte nicht was an sich, wodurch er die Gemüther an sich ziehen konnte. Seine Anhänger rühmten seinen Freimuth, seine Leutseligkeit und Gastfreiheit, die Gegner verunglimpften ihn als hochmüthig, verwegen, hinterlistig, er heuchle Sittlichkeit und lebe schwelgerisch“ (a. a. O. S. 349 f.). Sein Wahlspruch war: „Salus urbis et populi“ (S. 416 Anm. 3). Nach dem Tode seiner ersten Frau, Cäcilia († 1681), einer Schwester des Senators Hieronymus Sillem, heirathete er Anna Katharina, Tochter des Asmus Wetken, einer sehr angesehenen Familie (s. A. D. B. XLII, 231) angehörig. In den Streitigkeiten der siebziger und achtziger Jahre, die übrigens schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts begonnen hatten, handelte es sich um die Frage, welche Körperschaft die höchste Herrschaft habe, ob der Rath allein oder Rath und Bürgerschaft. Der Rath hatte u. a. 1665 die Behauptung aufgestellt, ihm sei vom Kaiser die höchste Herrschaft übertragen, es gebe folglich zwei Stände, den Rathsstand und den Bürgerstand. Hiergegen erhoben mit Recht die Oberalten, als bürgerliche und kirchliche Gemeindeältesten und Vorsitzende der erbgesessenen Bürgerschaft Einwendungen. Denn worüber sich Rath und Bürgerschaft geeinigt hatten, hatte Geltung und wurde in einem sogenannten Receß zusammengefaßt. Die damals Hamburg bewegenden Wirren gingen also nicht aus einem Kampf sogenannter „Geschlechter“ gegen die „Bürger“ hervor. Wählte doch der Rath sehr häufig seine Mitglieder aus dem Colleg der Oberalten. Diese principiellen Gegensätze wurden aber verschärft durch persönliche Angriffe, hervorgerufen durch offenkundige Mißbräuche. Die Bürgerschaft rügte, daß die Beamtenstellen durch den Rath „nach Gift und Gaben“ verliehen würden, die Processe würden unnöthig in die Länge gezogen. Da keine Abhilfe dieser Beschwerden eintrat, hatte die Bürgerschaft 1650 bereits zum zweiten Mal dem Rathe das Honorar verweigert (Wächter I, 286). Als sich im J. 1663 der Rath durch fünf neue Wahlen ergänzt hatte – es waren Verwandte der bisherigen Rathsherren – erkannte die Bürgerschaft die Wahlen nicht an. „In der That war im J. 1663 unter den vier Bürgermeistern und siebzehn Senatoren kein einziger, der nicht einige Vetter- und Schwägerschaften unter seinen Collegen zählte“ (Buek, Hamb. Bürgermeister. Hamb. 1840, S. 224). Um Frieden zu stiften, erschien 1667 [636] als kaiserlicher Commissar der Ritter v. Selb aus Wien, mußte aber nach einem halben Jahre unverrichteter Dinge zurückkehren, da die Bürgerschaft seinen vorgeschlagenen Vergleich nicht billigte. Hatte die Bürgerschaft bisher nur gegen den Rath opponirt, so gab ihr 1672 die Wahl eines ihr nicht anstehenden Mitgliedes des bürgerlichen Collegs der Diakonen durch die Oberalten die Veranlassung, auch diese ihre eigenen Vorsitzenden anzugreifen. In dem Bürgerconvent vom 18. September setzten einige Bürger, unter denen sich auch J. befand, den Oberalten dermaßen mit Drohungen, Stoßen und Drängen zu, daß sie das Rathaus verlassen mußten und Schutz bei dem Rathe suchten. Aus der Antwort des Raths, er könne ihnen nicht mehr Schutz gewähren als er selbst hätte, erhellt genugsam die Machtlosigkeit des Raths (Wächter I, 302 f.). Nun wandten sich die Oberalten um Schutz an den Kaiser, infolge dessen im Februar 1674 Graf Gottlieb Amadeus Windisch-Grätz (s. A. D. B. XLIII, 416) als kaiserlicher Commissar in Hamburg erschien. Mit dessen Ankunft begannen auch die unheilvollen Ränke des kaiserlichen Hofrathes und Residenten in Hamburg, des Edlen von Rondeck († am 2. August 1678 in Hamburg). Joh. Dietrich, so hieß er ursprünglich, Sohn eines hessischen Predigers, Jurist, war seit 1670 Präsident und Rath des Herzogs August von Sachsen, Administrators von Magdeburg. In Ungnade gefallen, wurde er vom Kaiser Leopold zum Hofrath ernannt und geadelt als Edler v. Rondeck. 1671 trat er zur römischen Kirche über und wurde kaiserlicher Resident in Hamburg. In den vom Grafen Windisch-Grätz eilig zur Beilegung der Streitigkeiten entworfenen Receß hatte v. Rondeck einige der Stadt nachtheilige Artikel zu Gunsten der Oberalten hineingebracht. In kaum zwei Monaten war der Receß von Rath und Bürgerschaft schnell durchberathen worden, da der Graf nicht länger in Hamburg verweilen konnte. Jene Artikel waren übersehen worden. Selbst einige Rathsherren erklärten, „es sei unmöglich, daß dem Receß in allen Punkten strikte nachgelebt werden könne“ (a. a. O. S. 311). Er sei, so meinte mit Recht die Bürgerschaft, nicht den bisherigen Recessen gleich zu achten, die als ein freier Vertrag zwischen Rath und Bürgerschaft entstanden seien; dieser Receß sei aber durch Herbeiziehung eines äußeren Einflusses zu Stande gekommen. Trotzdem bestanden allein die Oberalten auf eine kaiserliche Confirmation des Recesses, die 1677 mit einer angefügten scharfen Poenalclausel eintraf gegen jeden, der dem Recesse nicht nachleben werde. Die Irrungen nahmen an Erbitterung zu; das Colleg der Hundertvierundvierziger schickte 1682 sogar einen eigenen Sachwalter, den Juristen Daurer nach Wien, um die Absetzung des Rathsherrn Krull, der als Oberalter seiner Zeit in Wien über die Abfassung der Poenalclausel verhandelt habe, zu betreiben. Unter so bewandten Umständen ernannte der Kaiser den Herzog Georg Wilhelm von Lüneburg-Celle und die Stadt Bremen 1683 zu seinen Subdelegirten, um die Streitigkeiten in Hamburg zu schlichten. Hierdurch trat in den Jastram-Snitger’schen Wirren die Wendung ein, die nach drei Jahren zum Untergang der beiden Parteihäupter führte.

Die Bürgerschaft weigerte sich mit den Celler und Bremer Abgesandten zu verhandeln, denn, wie die Bürgerschaft sagte, gründeten sich deren Forderungen auf v. Rondeck’s leidenschaftliche Berichte und zielten auf die Schmälerung der bürgerlichen Freiheit ab. Die Subdelegirten meldeten nach Wien, die von J. aufgehetzte Bürgerschaft werde sich nicht unterwerfen, die schon gegen einige Magistratspersonen, besonders gegen den Bürgermeister Meurer (s. A. D. B. XXI, 532) vorgegangen sei (Wächter I, 339). Als der Kostenpunkt der Subdelegation zur Sprache kam, erklärten die Bürger, sie würden nicht einen Sechsling dazu zahlen, worauf die lüneburgischen Räthe erwiderten, der Herzog [637] werde sich an der Stadt Gütern schadlos halten. Mit dieser Drohung reisten die Gesandten im Frühjahr 1684 von Hamburg ab, nachdem sie noch ein blasphemisches Prognosticon ad imitationem Psalmi secundi in Abschriften unter die Leute gebracht hatten, welches begann: „Warum toben die Hamburger und der gemeine Pöbel redet so vergeblich? Die Pfeffersäcke lehnen sich auf und die Käseschraper rathschlagen wider den Kaiser und den Herzog von Braunschweig-Lüneburg: Lasset uns zerreißen Ihrer Kaiserlichen Majestät Bande und von uns werfen des Herzogs Seile“ (a. a. O. S. 343). Die dritte kaiserliche Commission war also abgewiesen worden. Nun schritt man gegen Meurer ein. Man warf ihm vor, daß nach seinem Eintritt in den Rath, dieser gegen die kaiserlichen Anforderungen nachgiebiger geworden sei, Meurer halte es mit v. Rondeck und habe die Celler Subdelegation begünstigt u. s. w. Meurer ward gezwungen, nach Leistung der Urfehde und hoher Caution am 12. Juni 1684 aus dem Rath auszuscheiden und begab sich nach Celle. Tags zuvor war der Windischgrätz-Receß aufgehoben worden; Jastram’s und Snitger’s Einfluß nahm zu, da sie sich bei und nach einer Feuersbrunst, die über zweihundert Häuser und mehr als siebzehnhundert Wohnstätten eingeäschert hatte, jeder in seiner Weise, bewährt hatten. J. hatte Gesundheit und Leben gewagt, um namentlich die Schiffe zu schützen; S. schlug, weil die Steuerlast bedeutend angewachsen war, vor, die bisher vom Rath verliehenen Beamtenstellen dem Meistbietenden zu verkaufen, wodurch der Stadtsäckel in anderthalb Jahren 150 000 Mark Banco (225 000 Reichsmark) gewann. (Im J. 1696 schätzte man den Ertrag auf 1 200 000 Reichsmark; a. a. O. S. 373, 377.) J. und S. wurden auch in eine Commission erwählt, die den Briefwechsel mit dem Hamburger Agenten in Wien zu führen hatte. Zugleich wurden Briefe und Papiere, die Daurer’s Sendung betrafen, jener Commission vom Rath ausgeliefert. Nach Meurer’s Abgang wählte der Rath an seine Stelle den ersten Syndicus Joh. Schlüter zum Bürgermeister, einen wohlwollenden aber fast siebzigjährigen Mann, der durchaus nicht geeignet war, Thatkraft gegen die Unbotmäßigkeit der Bürger zu entwickeln. Der Herzog von Lüneburg verlangte in einem Schreiben vom 5. Januar 1685 u. a. Jastram’s und Snitger’s Auslieferung oder Bestrafung, die Bezahlung der Subdelegationskosten und, da dies nicht gewährt wurde, ließ er in seinen Landen hamburgische Güter und Bürger arrestieren, das Amsterdamer Postfelleisen eröffnen und die Hamburger Briefe daraus nehmen. Zugleich wurde Hamburger Gebiet, die Dorfschaft Moorburg am linken Elbufer, von lüneburgischen Truppen besetzt. Den Werth der beschlagnahmten Waaren schätzte man auf eine Tonne Goldes (a. a. O. S. 396 Anm.). Diese Besetzung hamburgischen Gebiets gab Dänemark den erwünschten Vorwand, seine lange gehegten Pläne gegen Hamburg, anscheinend zum Schutze Hamburgs, auszuführen.

Erst 1679 hatte Dänemark in Hamburgs Nähe 17000 Mann zusammengezogen, um der wiederholten Forderung der Erbhuldigung mehr Nachdruck zu geben, was noch durch den Pinneberger Interimsreceß unter Vermittlung von Frankreich, Lüneburg und Brandenburg abgewandt wurde. 1683 im August schrieb der niederländische Gesandte in Kopenhagen, schon mangele es den Dänen nicht an Einverständniß in Lübeck und Hamburg; 1684 im August meldet der französische Gesandte im Haag, Graf d’Avaux, daß Dänemark mit seinen Absichten auf Hamburg auch die gegen den Herzog von Holstein-Gottorp verbinde (C. F. Wurm, Der europ. Hintergrund u. s. w. S. 11, 13). Dänemarks Absichten auf Hamburg auszuführen, war mit Umgehung des in Hamburg accreditirten dänischen Residenten Lynker, der dänische Canzleirath Jak. Heinr. Pauli bestimmt. Anfangs Mediciner, später Jurist, hatte er auf verschiedenen [638] Sendungen Christian’s V. Vertrauen erworben und war 1683 angewiesen worden, in Hamburg seinen Wohnsitz zu nehmen, wie Pauli selbst schreibt als „résident quasi en cachette“ (a. a. O. S. 382 Anm.). Gestützt auf ein königliches Memorial vom 30. Januar 1685 stellte der Canzleirath J. und S. vor, daß Dänemark nicht die Unterdrückung der städtischen Freiheit und des Handels zu Gunsten einer kleinen Partei zugeben werde. Die dänischen Umtriebe hatten aber auch den Kurfürsten von Brandenburg nicht ruhen lassen. Er hatte am 7. August 1684 in Berlin einen Vertrag mit dem Gesammthause Lüneburg zum Schutze von Bremen, Lübeck und Hamburg geschlossen, falls eine der Städte angegriffen werden sollte (Wurm a. a. O. S. 26). Dementsprechend sandte der große Kurfürst seinen Staatsrath F. R. v. Canitz (s. A. D. B. III, 756) nach Hamburg, um zwischen Lüneburg-Celle und Hamburg zu vermitteln. Als ob der Rath auf jede Selbständigkeit verzichten wollte, schlug er der Bürgerschaft vor, trotz aller traurigen Erfahrungen, die er mit bürgerschaftlichen Deputationen gemacht hatte, eine Deputation von dreißig Mitgliedern zu erwählen, die mit ihm und Herrn v. Canitz über „alle Differentien“ verhandeln sollte. J. und S. gehörten zu den Dreißigern, die „sehr bald alle Angelegenheiten der äußeren und inneren Stadt- und Rechtsverhältnisse an sich zogen“ (Buek, Bürgerm. 107). Bezeichnend ist das Wort des Rathsherrn Langermann, das er zu den Dreißigern in der achten Sitzung sprach: Deputatio est mala bestia, quae non audit rationes (Wächter I, 388, A. 8). Die Verhandlungen blieben ohne Erfolg, da Celle auf seinen Forderungen bestand. Der Kurfürst rief Canitz ab, beauftragte ihn aber, in Celle anzuzeigen, daß der Kurfürst keinesfalls Hamburgs Untergang müßig ansehen werde (Wächter 401). Nach vierzehn Tagen bot Lynker der Stadt des Königs gute Dienste an, wofür Rath und Bürgerschaft dem Könige ihren Dank zu sagen, aber auch dies dem Kurfürsten mitzutheilen beschlossen. Nun traf der jüngere v. Rondeck († 1688 in Wien), der an seines Vaters Stelle kaiserlicher Resident war, Anstalten, sich Snitger’s zu bemächtigen und ihn dem Herzog von Celle auszuliefern. Seine Helfershelfer waren drei aus fremden Diensten entlassene Officiere, die in Hamburg lebten und einige entlassene Stadtsoldaten. S. und seine Frau wurden am Abend des 19. März, im Begriff von ihrem Landhause in Horn nach Hamburg zurückzukehren, von den Verschworenen entführt, die die Gefangenen nach einem Ort im Lüneburgischen zu bringen beauftragt waren. Gegenüber von Artlenburg mußten sie die Nacht am rechten Elbufer zubringen, da der Fährmann sich weigerte, nachts überzusetzen. Hier wurden sie am frühen Morgen von den verfolgenden Hamburger Reitern überrascht, die Entführer gefangen genommen und nach Hamburg zurückgeführt. Snitger’s und seiner Frau Rückkehr glich einem Triumphzuge: Seinem Wagen folgten auf einem Leiterwagen die drei gefangenen Officiere, neben demselben schritt J., um die Entführer vor der Volkswuth zu schützen. v. Rondeck hatte sich aus der Stadt entfernt, die sich einem nie gekcmnten Freudentaumel überließ: auf den Marktplätzen loderten am Abend Freudenfeuer auf und unverabredet wurden allgemein die Fenster erleuchtet. J. gab zu der den Befreiern Snitger’s verheißenen Belohnung fünfhundert Thaler. Den Entführern wurde der Proceß gemacht. Am 8. April fällte das Niedergericht sein Urtheil über drei derselben: der hamburgische Garnisonsauditeur Rickmeyer wurde zu fünfjähriger Haft, der verabschiedete hamburgische Rittmeister Hartwig zu lebenslänglichem Gefängniß und der vormalige dänische Rittmeister v. Gahlen zum Tode verurtheilt. Dies Urtheil erschien dem großen Haufen zu milde, nach zwei Tagen sprach der Rath das Endurtheil, indem er für alle drei auf Todesstrafe erkannte. Am 13. April wurde sie vollzogen. Der [639] Kurfürst war um seine Verwendung für die Angeklagten gebeten worden, hatte aber erklärt, er wolle dem Gerichte seinen Lauf lassen (a. a. O. S. 422). Rondeck aber schrieb von Harburg aus an den Rath, „es müsse kaiserliche Majestät Wunder nehmen, daß man so cruel mit den Gefangenen verfahren wolle, da sie doch ausgesagt hätten, Snitger’s Abducirung sei auf des Grafen v. Berka [des kaiserlichen Gesandten] und seine (Rondeck’s) Verordnung geschehen“ (a. a. O. S. 425). Am 29. Mai wurden auch die anderen sechs Helfershelfer hingerichtet. Der Kaiser erklärte seinen Abscheu über die Executionen und citirte J. und S. und den Bürgermeister Schlüter zur Verantwortung nach Wien. Herzog Georg Wilhelm forderte im kaiserlichen Auftrage die völlige Wiedereinführung Meurer’s. Der Kurfürst versuchte vergeblich den Herzog zur Nachgiebigkeit zu bewegen, während er dem Rathe nahe legte, eine Deputation nach Wien zu senden, der er eine ehrenvolle Aufnahme bereiten wolle. Zu einem Entschluß konnte sich der Rath nicht aufraffen. Da besetzten im Januar 1686 Lüneburger Truppen das Amt Bergedorf und die Vierlande, um „Hamburg zu zwingen, kaiserlichen Befehlen zu pariren, Meurer und dessen Güter zu restituiren und diesem Satisfaction zu geben“ (a. a. O. S. 445). Hamburger Stadtsoldaten suchten das Vordringen der Lüneburger zu hindern, mußten sich aber nach einigen Gefechten vor der Ueberzahl zurückziehen. Nun deputirte der Rath seine beiden Mitglieder, die nachmaligen Bürgermeister, die Doctoren Schaffshausen und Hieronymus Hartwig Moller nach Wien. Am 18. März fuhren sie in die Leopoldstadt ein. Hier kam ihnen, wol nicht zufällig, der in Wien accreditirte lüneburg-cellische Minister Baron v. Marenholtz zu Pferde, begleitet von vier Dienern, entgegen und griff die hamburgischen Gesandten an. Durch dazwischen tretende Wiener wurden sie vor ferneren Mißhandlungen geschützt. Der Kaiser forderte sogleich die Abberufung des lüneburgischen Gesandten, allein eine anderweitige Genugthuung wurde Hamburg nicht zu theil. Der Kurfürst jedoch, der sich gewissermaßen für die Sicherheit der Gesandten verbürgt hatte, zeigte dem Rath an, daß er die in seinem Gebiete belegenen Marenholtz’schen Güter im Werthe von 50 000 Thalern mit Beschlag belegt habe (Buek, Bürgerm. S. 145). Sein Anerbieten, brandenburgische Truppen der Stadt zu Hülfe zu schicken, lehnten Rath und Dreißiger ab. Auch Pauli stellte dem Rath dänische Hülfe zur Vertreibung der Lüneburger in Aussicht, ohne ein Entgegenkommen zu finden. Pauli’s Briefe nach Kopenhagen (Wächter, S. 450–455) bekunden sein unausgesetztes Bemühen, J. und S. für den König von Dänemark günstig zu stimmen, zugleich aber, „daß Haß und Mißtrauen gegen Dänemark hier so tief gewurzelt seien, daß es schwer scheine, sie ausrotten zu können“; J. habe erklärt, sobald man veranlaßt werde, einen Angriff Dänemarks auf die Stadt befürchten zu müssen, würden die bürgerlichen Collegien einförmig mit dem Rath gegen Dänemark beschließen; S. habe beim Trunk (inter pocula) geäußert, wenn Dänemark die Stadt von den Lüneburgern befreien wolle und ihr freie Fahrt durch den Sund, wie die Holländer und Schweden sie jetzt hätten, bewilligen würde, so würde die Stadt sich durch ein namhaftes Geldgeschenk dankbar erweisen. Noch am 17. August meldete Pauli: J. hat mir zuschreiben lassen, im Falle, daß vom Könige von Dänemark gegen die Stadt das Geringste sollte vorgenommen werden, würde man sowol Brandenburger als die gegenwärtigen 2000 Mann Hannoveraner annehmen.“ Der Haß gegen Meurer’s Partei, die an Lüneburg-Celle ihren starken Rückhalt hatte, vielleicht auch die Furcht vor der unleugbaren Ueberlegenheit des resignirten Bürgermeisters mögen in etwas Jastram’s und Snitger’s und ihrer Genossen unglaubliche Verblendung erklären, die bis zum letzten Augenblick nicht die von [640] Dänemark drohende Gefahr sahen. Denn im Juli gingen in Hamburg Gerüchte um, daß auf der Kropper Heide zwischen Schleswig und Rendsburg sich zahlreiche dänische Truppen sammelten. Brandenburgische und holländische Agenten und Mitglieder der englischen Court in Hamburg zeigten an, „die Stadt sei in großer Gefahr“, Augen- und Ohrenzeugen berichteten, daß an 1800 Höfe in Holstein der Befehl ergangen sei, jeder Hof solle einen Mann mit Schaufel und Spaten stellen; nördlich von Altona werde ein großes Lager abgesteckt; in der Umgegend von Blankenese sei Belagerungsgeschütz untergebracht. Als am 14. August der Rath den Dreißigern vorschlug; das Geschütz und die Stadtsoldaten aus dem Landgebiet in die Stadt zu ziehen, wandten sie ein, wenn glaubwürdige Nachrichten eingetroffen sein würden, wäre dazu noch Zeit genug. J. äußerte öffentlich, „er wolle sich im Bürgerschaftssaale henken lassen, wenn Dänemark Hamburg feindlich überziehe.“ S. behauptete, „dies Gerücht sei von den Meurerischen ausgesprengt“. Aber am Abend des 18. stellte er Pauli vor, das Gerücht von der feindlichen Annäherung des Königs gewinne an Glaubwürdigkeit und fügte hinzu: „Kommt der König feindlich vor Hamburg, dann vertragen wir uns sogleich mit Lüneburg und lassen den rothen Hahn in Altona krähen.“ Allein am nächsten Morgen um fünf Uhr eilte Pauli zu S. und kündigte ihm an, der König stände bei Ottensen, mit 16 000 Mann und schwerem Geschütz. Er verlange Hamburgs Erbhuldigung und eine Barzahlung von 400 000 Thalern, widrigenfalls werde er die Stadt verwüsten. So wenig dachte S. an hochverrätherische Absichten, daß er stracks den vier Bürgermeistern Pauli’s Eröffnung kund gab. Lynker machte dem Rath im Laufe des Tages eine ähnliche Mittheilung wie die Pauli’s. Der Rath war aber nicht ohne Aussicht auf Hülfe. Denn an demselben Tage übergab der brandenburgische Resident die Erklärung seines Herrn, „was für Volk die Stadt vom Kurfürsten begehre, solches solle dazu parat sein“. Auch Herzog Ernst von Hannover bot seine Hülfe an und versicherte, die Stadt habe von den lüneburg-cellischen Truppen nichts zu befürchten (a. a. O. S. 458 f.).

Bei der von außen drohenden Gefahr hatten sich Rath und Bürgerschaft schnell geeinigt, aber so blindlings wie bisher die große Masse sich von J. und S. hatte führen lassen, so schnell verwandelte sich ihre bisherige Anhänglichkeit in Feindschaft. J. und S. wurden für Feinde der Stadt angesehen. Am 20. forderten schon Volkshaufen vor Bürgermeisterhäusern dringend die Verhaftung beider. Sie und einige andere Führer der Dreißiger wurden am 22. in bürgerliche Haft auf dem Winserbaum abgeführt. Acht Tage später mußte der zweiundsiebzigjährige Bürgermeister Schlüter seine Haft im Einbeck’schen Hause antreten, von der ihn der Tod am 21. October erlöste. Wären J. und S. sich einer Schuld bewußt gewesen, so hätten sie die Stadt unbemerkt verlassen können, da vom 20. bis 22. August die Stadtthore geöffnet waren für den Einzug der Lüneburger und der städtischen Garnison. Die Stadt wurde energisch vertheidigt: ein viermaliger Angriff der Dänen auf die Sternschanze brachte allein ihnen einen Verlust von 1000 Mann, der andren Verluste zu geschweigen. So ließ der König am 6. September mit den Belagerungsarbeiten einhalten und schloß am 23. einen Vergleich mit der Stadt ab. Aber je günstiger die Aussichten sich für Hamburg gestalteten, desto schärfer gingen Jastram’s und Snitger’s Gegner vor. Am 27. August wurden sie in der Frohnerei der Obhut des Scharfrichters übergeben. Ihre Frauen, Kinder und Vertheidiger durften nur in Gegenwart von Gerichtsdienern mit ihnen sprechen. Bei der ersten gerichtlichen Vernehmung am folgenden Tage leugneten beide die ihnen vorgelegten Fragen über hochverrätherische Verbindungen mit Dänemark. Auf verschiedene [641] Anklagen antwortete S., daß er nicht anders gehandelt habe als alle Dreißiger. J. wurde wegen einiger Aeußerungen angeklagt, die den Schein erwecken konnten, als ob „er die Dänen als die Befreier Hamburgs angesehen habe. Er entgegnete, sie sollten nach seiner Meinung die Lüneburger aus den Vierlanden vertreiben, „doch nie sei er der Meinung gewesen, daß sie diese für sich behalten sollten“ (a. a. O. II, 7). Am Abend des 30. wurden beide Gefangene stundenlang der Tortur unterworfen, ohne ein weiteres Geständniß abzulegen oder zu widerrufen. S. war so zugerichtet, daß er nicht gehen konnte, „er könne die Hände nicht zum Munde führen und man müsse ihm wie einem Kinde zu essen geben“, meldete der Frohn, als er die Gefangenen am 9. September vor das Niedergericht führen sollte. Nach den Stadtrechten hätten J. und S. vor einer Bürgerversammlung angeklagt und dieser die Beweise vorgelegt werden müssen, daß sie ihre Vollmacht überschritten und verrätherische Consilia gegen die Stadt vorgehabt hätten, dessen sie jetzt angeklagt waren. Der gerichtlich bestellte Vertheidiger beschwerte sich, daß ihm zur Abfassung der Vertheidigung nicht die Zeit verstattet sei, welche sonst in der allergeringsten Civilsache täglich erlaubt werde, indem ihm nur eine siebentägige Frist verwilligt worden, und erklärte auch in Beziehung auf die Pauli’schen Schriftstücke, daß er der französischen Sprache nicht völlig mächtig sei“ (a. a. O. II, 11 f.). Dieselbe Härte und Eile, mit welcher man ein Jahr zuvor das Todesurtheil über die neun Entführer Snitger’s gefällt hatte, zeigte sich in der Verurtheilung von J. u. S. Am 10. September sprach das Niedergericht das Todesurtheil aus, das der Rath am 1. October bestätigte. Am 4. October wurde es vollzogen. Snitger’s Frau hatte ihren Mann seit seiner Verhaftung nicht verlassen; als S. die Thürschwelle der Frohnerei überschritt, sank sie ohnmächtig nieder. Beide Verurtheilte wurden von ihren Beichtvätern begleitet. Kurz vor seinem Ende rief S. den gerechten Gott zum Zeugen an, daß er unschuldig sterbe (a. a. O. II, 14).

J. und S. sind die Opfer der dänischen Ränke geworden. Weder unter den Qualen der Tortur haben sie ein Einverständniß mit Dänemark bekannt, noch konnten sie dessen aus ihren Worten und Thaten überführt werden. Hätten beide ihre Wirksamkeit auf die communalen, städtischen Aufgaben beschränkt, so hätten sie durch Abschaffung offenbarer Mißbräuche manche Einrichtung zum Heil der von ihnen stets hochgehaltenen bürgerlichen Freiheit treffen können. Es ist aber auch nicht zu leugnen, daß sie mit der Gesammtheit der Dreißiger die Befugnisse dieser Deputation überschritten und in die Rechte des Rathes sich Eingriffe erlaubten. Vollends fehlte J. und S. der politische Scharfblick bei den weit verzweigten Verwickelungen, in die Hamburg durch die gleichzeitige Einmischung des Kaisers, Lüneburgs, Dänemarks und Brandenburgs gerathen war. Zur Erklärung dieser Kurzsichtigkeit darf man vielleicht sagen, daß J. und S. geblendet waren durch die Feindschaft gegen Meurer und seine Partei. Sind beide nicht frei zu sprechen von solcher persönlichen Feindschaft, die vielleicht auch in der Furcht vor dem geistig ihnen überlegenen ehemaligen Bürgermeister begründet war, so ist dieser ebensowenig frei zu sprechen von der persönlichen Mitwirkung zur Entführung des Snitger’s, indem Meurer sich zur Vorbereitung derselben bei dem lüneburgischen Amtmann auf der Wilhelmsburg zwischen Harburg und Hamburg befand (a. a. O. I, 423). Die zügellose, verhetzte Volksmasse forderte 1685 das scharfe Urtheil wider Jastram’s und Snitger’s Gegner und 1686 gegen die eigenen Parteihäupter.

Außer den unzähligen gleichzeitigen Flugschriften über J. und S. ist vor allen Wächter’s Nachlaß zu nennen: Nach der Vorrede Wurm’s ist der [642] Verfasser nicht mehr zu einer letzten Ueberarbeitung seiner Schrift gekommen. Sie enthält aber die auf Quellenforschung beruhende actenmäßige Darstellung der Wirren. Zu den Wächter bekannten Quellen sind neuerdings einige aus dänischen, brandenburgischen u. a. Archiven geschöpfte Veröffentlichungen in der Zeitschrift und den Mittheilungen des Vereins für Hamb. Geschichte erschienen. – S. G. Kowalewski, Gesammtregister über die Veröffentlichungen des gen. Vereins von 1839–1899. Hamb. 1900. Hervorzuheben sind die betreffenden Arbeiten in Bd. VIII (1889) der Zeitschrift und in Bd. IX (1894) „Zur Geschichte der dänischen Belagerung von 1686 von Th. Schrader“ mit Berichtigungen früherer Darstellungen. – Als eine Gedächtnißfeier ist die gleichfalls auf Quellenstudien beruhende Schrift von H. Erdmann: „Hamburg vor 200 Jahren oder die Jastram-Snitger’schen Wirren“, Hamb. 1886, 8°, 75 S. anzusehen.