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Artikel „Humann, Karl“ von Ernst Fabricius in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 801–807, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Humann,_Carl&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 05:25 Uhr UTC)
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Humann *): Karl H., Ingenieur und Alterthumsforscher, geboren am 4. Januar 1839 in Steele, † am 12. April 1896 in Smyrna. Der Entdecker der pergamenischen Bildwerke, des kostbaren Schatzes der königlichen Museen in Berlin, Karl H. ist in Steele an der Ruhr geboren, wo sein Vater Besitzer eines Gasthauses und großer Steinbrüche war. Im nahen Essen besuchte er das Gymnasium und widmete sich nach bestandenem Abiturientenexamen dem Ingenieurfach. Das praktische Jahr war er bei Eisenbahnbauten in der Rheinprovinz und im Vermessungsdienst beschäftigt; dann begann er an der Bauakademie in Berlin sein eigentliches Studium. Aber schon nach kurzer Zeit sah er sich durch ein Brustleiden gezwungen, südliches Klima aufzusuchen. Im Herbst 1861 begab er sich deshalb nach der Levante, wo ein älterer Bruder von ihm als Unternehmer und Geschäftsmann thätig war, und kam so, ohne seine Studien in der daheim üblichen, geordneten Weise je wieder aufzunehmen, in eine nichts weniger als sichere Laufbahn.

Zunächst war H. bei seinem Bruder auf der Insel Samos thätig, wo dieser die Wiederherstellung des antiken Hafens von Tigani, einem kleinen Orte, der an der Stelle der alten Hauptstadt der Insel liegt, contractlich übernommen hatte. Später stand er im Dienst anderer Unternehmer oder führte selbst ähnliche Aufträge in den verschiedensten Theilen der Türkei aus. So übernahm er im Sommer 1864 Vermessungen für eine damals projectirte Eisenbahn von Jaffa nach Jerusalem; Ende des Jahres war er wieder in der Donaugegend; in den Jahren 1865 und 1866 wurde er zeitweilig bei Bauten auf den Prinzeninseln im Marmarameer beschäftigt, und im Sommer 1866 erhielt er einen Auftrag zu Terrainstudien in Kleinasien, um die leichteste und kürzeste Landverbindung zwischen Constantinopel und Smyrna zu ermitteln. Es war ein bewegtes, zuweilen wohl etwas abenteuerliches Leben, das H. in diesen Jahren geführt hat, auch als er 1869 dann selbst für die türkische Regierung die Ausführung verschiedener Chausseebauten im westlichen Kleinasien contractlich übernommen hatte. Damals baute er eine Landstraße von Pergamon nach dem 28 km entfernten Hafenplatze Dikeli und hatte längere Zeit in der ausschließlich von Türken, Griechen, Armeniern und orientalischen Juden bewohnten heutigen Stadt Bergama sein Hauptquartier. Später verlegte er seinen Wohnsitz nach Smyrna, gründete sich hier einen eigenen Hausstand und vermählte sich während eines vorübergehenden Aufenthalts in Deutschland im Winter 1873/74 mit Louise Werwer, die, aus seiner engeren Heimath gebürtig, ihm nach dem Orient folgte und hier die Geschicke und Arbeiten ihres Gatten in treuer Hingabe getheilt hat. In Smyrna betheiligte sich H. auch an mercantilen Unternehmungen, wie an der Gewinnung und dem Vertrieb von Schmiergel, der einen Hauptartikel des dortigen Handels bildet.

Auf seinen ausgedehnten Reisen und in den mannichfachen Geschäften hatte H. eine große Vertrautheit mit dem Land und allen Verhältnissen im [802] kleinasiatischen Küstengebiet erlangt, die Umgangssprachen des Orients, insbesondere auch das Türkische und das Neugriechische, sich vollkommen angeeignet und sich in die Eigenart der aus so vielen verschiedenartigen Elementen zusammengesetzten Bevölkerung gründlich eingelebt. Vortrefflich verstand er es, die Einheimischen, Hoch und Niedrig, zu behandeln und alle die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich jedem größeren Unternehmen in der Türkei in den Weg legen. Trotzdem waren seine geschäftlichen Unternehmungen eigentlich nicht von besonderem Glücke begleitet, und weder als Ingenieur noch als Kaufmann würde H. es wohl zu einer hervorragenden Stellung gebracht haben. Da griff im J. 1878 das Geschick mächtig in sein Leben ein und stellte ihn vor eine große Aufgabe, zu deren glänzender Bewältigung er nicht allein alles das einsetzen konnte, was er an Geschick und besonderer Erfahrung erworben hatte, sondern die zugleich das Beste in seiner Natur zur Entfaltung und Wirkung gelangen ließ.

In allzu jungen Jahren war H. hinausgeworfen worden in eine fremde Welt, um unberührt zu bleiben von ihrem Wesen. In manchen Anschauungen und Gewohnheiten war er Levantiner geworden, und die Dinge von ihrer materiellen Seite zu betrachten, war bei einem Berufe, wie H. ihn hatte, nur selbstverständlich. Aber die Grundlage seiner ganzen Natur war deutsch, und der Idealismus, der zurückgedrängt war durch die Last der täglichen Arbeit in fremder Umgebung, weit ab von geistigem Austausch und vertrautem Verkehr, brach mächtig bei ihm hervor, als er die Gelegenheit, der Wissenschaft und seiner Heimath einen Dienst zu leisten, vor sich sah. H. hat dies selber empfunden, namentlich als Ernst Curtius, Friedr. Adler[WS 1] und Heinr. Gelzer im Herbst 1871 in Pergamon seine Gäste waren und er ihnen die ersten, damals noch unerkannten Stücke der Gigantomachie aus den byzantinischen Mauern der Burg holte. Und seitdem er diese ersten Marmorreliefs dem Berliner Museum zum Geschenk gemacht hatte, geht es wie ein Sehnen nach solcher Bethätigung idealeren Strebens durch seine Natur. Auf Curtius’ Bitten nimmt er Planskizzen von Pergamon, Ephesos und Philadelphia auf, die 1872 in den Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften veröffentlicht wurden, theilt ihm in demselben Jahre seine Entdeckung des von Herodot erwähnten Sesostris-Reliefs an der alten Straße zwischen Sardes und Smyrna mit, liefert Kiepert die auf den weiten Reisen gesammelten Nachträge und Verbesserungen zur Karte Kleinasiens und sucht Antiken für das Berliner Museum anzukaufen. Aber vor allem liegen ihm doch die Ausgrabungen in Pergamon im Sinn. Er wirbt dafür Jahre lang, bei jeder Gelegenheit, die sich darbietet, ja er sucht auf der Reise nach Deutschland im Herbst 1873 Ernst Curtius persönlich auf, um ihn für den Plan zu gewinnen. Indeß Curtius’ eigenes großes Unternehmen, die Aufdeckung der Altis von Olympia, sollte gerade beginnen. Inzwischen war in Pergamon wieder eine Reliefplatte zum Vorschein gekommen, die H. in sein Haus bringen ließ, und als im nächsten Jahre Gust. Hirschfeld, Curtius’ Schüler, nach Kleinasien kam, ließ H. in dessen Anwesenheit die vierte Platte aus der Mauer ziehen und drängte ihn, doch zu bleiben und die Ausgrabungen in die Hand zu nehmen. Es war ihm gewiß nur um die Sache zu thun – „denn“, so schreibt er später über seine eigenen Ausgrabungen, „daß mir selbst diese vorbehalten sein sollten, daran habe ich nie gedacht“ –, aber er empfand sie doch zugleich als eine ganz persönliche Sache, als das, was ihn befreien wird aus der Welt der materiellen Interessen und Sorgen und ihm den idealen Lebensinhalt gewähren wird. Die Sache ging jedoch nicht voran. Ohne Humann’s Vorwissen war allerdings im J. 1874 bei der Botschaft in Constantinopel ein Anlauf gemacht [803] worden zur Erwirkung der Ausgrabungserlaubniß für Pergamon, aber auch das kam wieder ins Stocken. Die pergamenischen Marmorreliefs im Museum blieben unbeachtet, und Niemand dachte daran, ihren Entdecker von „seinem chronischen Pergamon-Leiden“ zu befreien.

Da übernahm im J. 1877 Alexander Conze die Direction der Skulpturenabtheilung des Berliner Museums, erkannte den hohen Werth der pergamenischen Bildwerke, trat alsbald mit H. in Verbindung und erwirkte beim preußischen Unterrichtsministerium die Mittel zu einer kurzen Versuchsgrabung. H. sollte selbst die Ausführung übernehmen. Inzwischen hatte sich auch die Bedeutung der Reliefs als Theile einer Gigantomachie, die einen großen Altarbau geschmückt hatte, auf Grund einer Schriftstellernotiz der späteren römischen Kaiserzeit herausgestellt.

Wohl selten ist eine archäologische Arbeit mit größerer Freudigkeit und mit zuversichtlicherer Hoffnung begonnen worden als damals am 9. September 1878. „dem großen Tage in Humann’s Leben“, als er mit vierzehn Arbeitern den Spaten auf der Burg der Attaliden ansetzen durfte. Schon am dritten Tage konnte H. die Entdeckung von elf weiteren Platten der Gigantomachie und des Altarbaues selbst telegraphisch nach Berlin melden. Der Erfolg steigerte seine Energie und Arbeitsfreudigkeit in außerordentlicher Weise. Man muß in dem ersten vorläufigen Bericht über die pergamenischen Ausgrabungen die von H. selbst verfaßte Geschichte des Unternehmens lesen, um die feurige Begeisterung für die Sache und die in warmer Vaterlandsliebe aufleuchtende Freude an dem Gewinn für die heimischen Sammlungen nachzuempfinden, um zugleich aber auch ein Bild von der unermüdlichen Thatkraft und dem staunenswerthen Geschick zu bekommen, mit dem H. aller entgegenstehender Schwierigkeiten Herr geworden ist. Die Frist für die Ausgrabungen, erst auf drei Monate verlängert, wurde schließlich auf ein Jahr und drei Monate ausgedehnt. Ende September 1878, nach dreiwöchentlicher Arbeit, waren schon 23 Platten der Gigantomachie gefunden, am Jahresschluß wurde die 39. entdeckt, und am 1. Mai 1879 wies das Inventar 66 Platten der Gigantomachie und 23 des Telephosfrieses, der den Aufsatz des Altarbaues geschmückt hat, ferner 37 andere Skulpturen und 67 Inschriften auf. Kurz zuvor war Conze nach Pergamon gekommen und unterstützte H. in der Leitung der Grabungen, für die jetzt zeitweise über 100 Arbeiter eingestellt wurden; später kam der Baumeister R. Bohn hinzu, der schon an den Ausgrabungen in Olympia theilgenommen hatte, und die Architekten H. Stiller und O. Raschdorff, und übernahmen die Aufnahme der architektonischen Altarfunde und die Untersuchung anderer Baudenkmäler. Denn außer der Beaufsichtigung der Grabarbeiten, welche große Umsicht und Aufmerksamkeit erforderten, hatte H. für die sachgemäße Verpackung der Funde Sorge zu tragen, für den äußerst schwierigen Transport der Kisten nach Dikeli und für ihre Verladung auf den „Komet“, den Stationär der deutschen Botschaft in Constantinopel, der, wie später die „Loreley“ für die Ueberführung der Marmore nach Smyrna, wo sie vom Oesterreichischen Lloyd übernommen werden konnten, zur Verfügung gestellt war. Und zu allen diesen Obliegenheiten kamen die Unterhandlungen mit den türkischen Localbehörden über diese für die Verhä1tnisse des Landes so ungewöhnlichen Dinge und mit der Regierung in Constantinopel über den nachträglichen Erwerb des ursprünglich der Türkei vorbehaltenen Gewinnantheils, ganz abgesehen von der fortlaufenden Berichterstattung an das Museum bis zu Conze’s Ankunft.

Es ist fast ein Wunder zu nennen, daß die ganzen Vorgänge unbemerkt und ungestört geblieben sind. Die Funde, 462 Kisten im Gewicht von annähernd [804] 7000 Centnern, waren längst in Berlin, als die Welt durch den erwähnten ersten vorläufigen Bericht Kunde von den pergamenischen Entdeckungen erhielt. Auch in Deutschland selbst hatten außer den zunächst Betheiligten nur Wenige davon erfahren. Das allgemeine Interesse war durch Olympia und noch mehr durch Schliemann’s trojanische Funde abgelenkt. Wird doch erzählt, daß ein Seecadett des „Komet“, der über den Transport der Marmore von Pergamon und über Humann nach Hause geschrieben hatte, von seinem Vater die Belehrung empfing, der Ort heiße doch Troja, und der Mann nenne sich Schliemann.

Aber nun, als die Skulpturen in Berlin, wenn auch in provisorischer Weise, aufgestellt und die Umstände ihrer Entdeckung bekannt geworden waren, brach die Freude über den kostbaren Besitz, die Anerkennung des ungeheuren wissenschaftlichen Werthes der Funde und die Begeisterung für ihren Entdecker sich Bahn. Im Frühjahr 1880 kam H. nach Berlin. „Wie ein Feldherr, der siegesgekrönt aus der Schlacht zurückkehrt, wurde er empfangen.“ Mit den betheiligten Behörden vereinigten sich alle, die aus Beruf oder Neigung den wissenschaftlichen und künstlerischen Interessen nahe standen, ihn zu feiern. Ganz besonders wurde er auch von dem Kronprinzen, dem Protector der königlichen Museen, ausgezeichnet, und die philosophische Facultät der Universität Greifswald ernannte ihn zu ihrem Ehrendoctor.

Bereits im Sommer 1880 durfte H. die Ausgrabungen in Pergamon wieder aufnehmen. Es hatte sich gezeigt, daß außer Ergänzungen zu den bereits entdeckten Museumsstücken die Gesammtanlage der hellenischen Königsstadt noch in den Hauptzügen zu finden war. Auf dieses wissenschaftliche Ziel hin wurde nunmehr unter Conze’s Einfluß, der mit R. Schöne’s Hülfe die Mittel dafür flüssig machte und die Oberleitung in der Hand behielt, das Unternehmen ausgedehnt. Die Aufgabe war aber jetzt zu umfassend, als daß H. sie allein hätte bewältigen können ohne die Hülfe Bohn’s, der ihm abermals zur Seite stand, und ohne die Unterstützung jüngerer deutscher Archäologen (1883 und 1885 E. Fabricius, 1884 Fr. Köpp, 1886 C. Schuchhardt[WS 2] und P. Wolters[WS 3] u. A.), die sich im Laufe der Jahre in der Betheiligung an den Untersuchungen und Aufnahmen ablösten. Vor allem aber wurde das ganze Unternehmen durch die bewunderungswürdige Hingabe von Humann’s Gattin in außerordentlicher Weise gefördert. Frau H. stand entweder in Pergamon selbst dem oftmals sehr großen Haushalt der nun von zahlreichen Gästen besuchten Expedition vor oder trug von Smyrna aus für ihre mannichfachen Bedürfnisse in unermüdlicher Weise Sorge, selbst dann, wenn ihr Gemahl durch andere Aufgaben von Pergamon ferngehalten war.

Denn auch zu weiteren wissenschaftlichen Unternehmungen wurde H., nachdem seine Kraft einmal erprobt war, in Anspruch genommen. Nach Beendigung der zweiten Ausgrabungs-Campagne in Pergamon führte er im Sommer 1882 im Auftrage der Berliner Akademie eine Reise nach Angora aus, um einen Gipsabguß des nur in ungenügenden Abschriften bekannten Monumentum Ancyranum, der bekannten Inschrift über die Thaten des Kaisers Augustus, zu beschaffen. Auf diesen Abguß, der in 194 Tafeln im Berliner Museum aufbewahrt wird, und auf die Nachvergleichung des Textes durch A. v. Domaszcewski[1], Humann’s Begleiter auf dieser Reise, hat alsdann Mommsen seine zweite, im folgenden Jahre erscheinende Ausgabe des Denkmals gegründet. Dort ist der Bericht mitgetheilt, in welchem H., wieder sehr anschaulich, schildert, wie die nicht geringen Schwierigkeiten des Unternehmens überwunden wurden. H. dehnte die Reise noch weiter bis nach Bogasköi aus und brachte außer photographischen Aufnahmen und Gipsabgüssen der Reliefs [805] die erste zuverlässige Planskizze der großartigen Ueberreste dieses berühmten, alten Cultursitzes im Herzen Kleinasiens mit. Die Veröffentlichung seiner Beobachtungen und Aufnahmen verband er dann aber mit den Ergebnissen einer anderen Reise, die ihn nach Nordsyrien führte.

Von einem deutschen Ingenieur in Syrien waren der Berliner Akademie Nachrichten über ein großes Denkmal zugegangen, das sich an der Stelle, wo der Euphrat aus dem Taurus bricht, auf der Spitze eines über 2200 m hohen Berges, des Nemrud-Dag, befinden sollte. Im Auftrag der Akademie hatte O. Puchstein 1882 unter den größten Schwierigkeiten das Monument untersucht, die an ihm angebrachten großen Inschriften copirt und festgestellt, daß es sich um das Grabmal eines Königs Antiochos von Komagene aus der Mitte des 1. vorchristlichen Jahrhunderts handelte. Die Aufklärung, welche Puchstein brachte, ließ es nun aber wünschenswerth erscheinen, genaue Aufnahmen der riesenhaften Anlagen und Proben der dazu gehörigen Bildwerke in Gipsabgüssen zu beschaffen. Zu diesem Zwecke unternahm H. im Sommer 1883 zusammen mit Puchstein und F. v. Luschan[WS 4] eine größere Expedition nach dem Nemrud-Dag, die ihre Aufgabe vortrefflich erfüllte und außer reichem geographischen Material genauere Kunde über zahlreiche Monumente namentlich hettitischen Ursprungs, auch einige Originale für das Berliner Museum mit heimbrachte. Die Ergebnisse beider Reisen, nach Bogasköi und dem Nemrud-Dag, sind 1890 in dem von H. und Puchstein gemeinsam veröffentlichten Werke „Reisen in Kleinasien und Nordsyrien“ herausgegeben worden.

Schon vorher hatte indeß die von der syrischen Reise ausgehende Anregung neue Pläne gezeitigt, zu deren Verwirklichung H. wieder hülfreich die Hand bot. Im J. 1884, zur Zeit der dritten pergamenischen Campagne, war H. definitiv in den preußischen Staatsdienst aufgenommen und mit dem Amtscharakter eines Directors an den königlichen Museen in Berlin, zum Vertreter der Interessen der preußischen Sammlungen in Kleinasien mit dem Wohnsitz in Smyrna ernannt worden. Und während er jetzt, nach dem vorläufigen Abschluß der pergamenischen im December 1886, weitere Ausgrabungen für das Museum vorbereitete, ergriff er zugleich jede Gelegenheit, um den archäologischen oder geographischen Unternehmungen in Kleinasien und den Nachbarländern seine Dienste zu leihen.

Durch den Director des kaiserlichen Museums in Constantinopel, Hamdy Bey[WS 5], der auf Puchstein’s Spuren gleichfalls den Nemrud-Dag besucht hatte, war die Aufmerksamkeit auf die Reste einer altorientalischen Stadt bei Sendschirli in Nordsyrien gelenkt worden, deren Untersuchung das Berliner Orientcomité, eine private Vereinigung von Alterthumsfreunden, in die Hand nehmen wollte. Um seine Mitwirkung ersucht, führte H. im Sommer 1888 abermals eine Expedition nach Nordsyrien und leitete hier das Unternehmen wenigstens ein, das dann von seinen Begleitern v. Luschan, Fr. Winter und später von R. Koldewey[WS 6] fortgesetzt und 1894 erfolgreich zu Ende geführt wurde. Dabei war es von großem Vortheil, daß H. für die nicht leichten Verhandlungen mit den türkischen Behörden in Constantinopel mit gewohntem Geschick bis zu Ende eintrat. Hamdy Bey, der mit wirklichem Verständniß und hervorragendem Eifer die Fürsorge für die Alterthümer im osmanischen Reich in einer den Verhältnissen nach vortrefflichen Weise organisirt hatte, hielt gerade auf H. große Stücke und schenkte ihm ein auch auf persönlicher Zuneigung beruhendes, unbedingtes Vertrauen. Nicht minder stand H. mit den türkischen Behörden in Smyrna stets auf bestem Fuß. Er war der natürliche Berather und Helfer für Alle, die zu wissenschaftlichen Zwecken nach der Levante [806] kamen, und neben den deutschen trat H. insbesondere für die österreichischen Unternehmungen auf kleinasiatischem Boden gern mit Rath und That ein. Weit über die nächste Aufgabe seiner amtlichen Stellung hinaus wußte ihr H. „den Charakter einer Station für die gesammte alterthums-wissenschaftliche und kartographische Erforschung Kleinasiens und der angrenzenden Länder zu geben“. Und nicht allein Archäologen gingen bei H. aus und ein, sondern sein gastliches Haus öffnete sich stets der großen Zahl bevorzugter Fremder, die, wie Diplomaten oder Marineofficiere in dienstlicher Eigenschaft oder auch nur zum Vergnügen, jahraus jahrein nach Smyrna kommen, und wurde zum geselligen Mittelpunkte der deutschen Colonie, die in H. ihr allseitig verehrtes Haupt sah.

Für das Berliner Museum führte H. selbst dann zunächst von 1890–94 Ausgrabungen in Magnesia am Mäander aus, bei welchen ihm O. Kern als Epigraphiker und R. Heyne als Architekt zur Seite standen. In erster Linie handelte es sich hier um die vollständige Untersuchung des kunstgeschichtlich besonders wichtigen Tempels der Artemis Leukophryene, die erschöpfend durchgeführt wurde. Dazu kam als weiterer Gegenstand der Untersuchung der große, von H. mit glücklichem Scharfsinn entdeckte Marktplatz mit den ihn umgebenden Säulenhallen, an deren Wänden ein wahres Archiv von Inschriften zum Vorschein kam.

Schon während der letzten Campagne in Pergamon hatte H. zuweilen mit Störungen seiner Gesundheit, den Vorboten schwerer Leiden, zu thun gehabt, und seine Frische war zuletzt nicht mehr ganz die alte gewesen. In dem gefährlichen Klima von Sendschirli hatte er sich dann ein heftiges Fieber zugezogen, und auch die Ausgrabungen in dem tiefgelegenen und versumpften Gelände von Magnesia hatten seine Gesundheit in besorglicher Weise angegriffen. Dennoch plante er immer neue Unternehmungen. Zusammen mit R. v. Kekule[WS 7], der seit 1889 an der Spitze der Skulpturenabtheilung des Berliner Museums stand, wurde der Entschluß zu den Ausgrabungen in dem Magnesia benachbarten, aber auf hoher Felsterrasse gelegenen Priene gefaßt, der, von der Museumsverwaltung mit Energie durchgeführt, zu der vollständigen Aufdeckung des gesammten Stadtgebietes führte und die Kenntniß hellenistischer Stadtanlagen außerordentlich gefördert hat. Aber H. sollte die Vollendung nicht mehr erleben. Schon bald nach Beginn der Grabungen trat eine solche Verschlimmerung seines Leidens ein, daß er die Fortsetzung der örtlichen Arbeiten seinen jüngeren Mitarbeitern, insbesondere Th. Wiegand, überlassen mußte und nur vom Krankenlager aus ihren Fortgang zu verfolgen vermochte.

Die Aerzte riethen H., nach Deutschland zu reisen, und wie er einst seine Hoffnung auf den Süden gesetzt hatte, so glaubte er jetzt, die Heilung in der Heimath zu finden. Aber trotz der sorgsamen Pflege der Seinen schwanden seine Kräfte zu rasch dahin. Am 12. April ist er in Smyrna gestorben und hat in dem Land, in dem er durch unermüdliche Arbeit für die Wissenschaft und seine deutsche Heimath so Großes geleistet hat, die letzte Ruhe gefunden.

Wie die Grundlage von Humann’s ganzer Natur echt deutsch war, so war es auch seine äußere Erscheinung. Die hohe, schlanke Gestalt, die blonden Haare und der röthliche Bart, die blauen Augen, die unter einer hohen Stirn hervorleuchteten, das leichte, gewinnende Wesen und die niederdeutsche Sprache verriethen seine rheinisch-westfälische Abstammung. In der Regel höchst aufgeräumt, in gesunden Tagen von unverwüstlichem Humor, auch ein großer Freund des heimischen Gerstensaftes, liebte er heitere Geselligkeit und trug immer sehr wesentlich dazu bei, das Zusammensein der verschiedenen, in der [807] Fremde ganz auf einander angewiesenen Theilnehmer an der gemeinsamen Arbeit behaglich und zugleich anregend zu gestalten. Selbst poetisch veranlagt, war H. ein großer Verehrer der deutschen Dichter. Wenn er im Freundeskreis so recht in Stimmung kam, dann konnte er Goethe’sche Strophen mit größter Begeisterung vortragen, und der „Faust“ hat ihn auf so mancher Fahrt begleitet. Seitdem H. die Schulbank verlassen hatte, war er eigentlich nie aus der praktischen Thätigkeit herausgekommen. Auch wenn er nicht bei der Arbeit im Ausgrabungsgebiet oder auf Reisen war, nahmen ihn die technischen Arbeiten, das Auftragen und Auszeichnen der Karten und Pläne oder das Entwickeln seiner photographischen Aufnahmen fast ganz in Anspruch. Die praktische Veranlagung war in der That bei ihm entschieden vorherrschend. Wußte er sich doch immer zu helfen, wenn es galt, sei es, mit den gerade zu Gebote stehenden primitivsten Mitteln ungeheure Lasten zu bewegen, sei es, für den Abguß des Monumentum Ancyranum im Backofen eines Bäckers den nöthigen Gips zu brennen. Und trotz dieser Richtung seiner Natur war H. ein vortrefflicher Schriftsteller und verstand es ausgezeichnet, in den Berichten über die von ihm ins Werk gesetzten Unternehmungen deren Ursprung und Verlauf, die entgegenstehenden Schwierigkeiten und ihre Ueberwindung, die begeisterte Hingabe an die Sache und die Freude des Erfolges frisch und anschaulich und spannend darzustellen mit einem poetischen Hauch, der um so anziehender wirkt, als er die Persönlichkeit des Verfassers ahnen läßt. Und es war in der That ein eigenthümlicher Zauber, den diese seine Persönlichkeit ausübte, was H. nicht bloß den Respect der Einheimischen sicherte, sondern vor allem auch die herzliche Zuneigung und warme Verehrung vieler deutscher Landsleute erworben hat, die durch gleiche Interessen oder gemeinsame Arbeit mit ihm zusammengeführt wurden.

Die pergamenischen Ausgrabungen, Humann’s Lebenswerk, wurden nach seinem Tode von Conze, der 1886 an die Spitze des Archäologischen Instituts getreten war, wieder aufgenommen und nunmehr mit Reichsmitteln und unter W. Dörpfeld’s bewährter Leitung auf die Abhänge und den Fuß des Berges ausgedehnt. Die ganze Königsstadt so erschöpfend und vollständig zu untersuchen wie es überhaupt möglich ist, das ist jetzt als die große Aufgabe anerkannt, deren Lösung Deutschland sich nicht mehr entziehen kann, nachdem es durch Humann’s Verdienst in den Besitz der kostbaren Hinterlassenschaft der Attaliden getreten ist.

Als Quelle kommt in erster Linie der „Vorläufige Bericht über die Ergebnisse der Ausgrabungen in Pergamon“, Jahrbuch der Kgl. Preuß. Kunstsammlungen I, Berlin 1880, in Betracht, für welchen Humann selbst die Geschichte des Unternehmens geschrieben hat. Der kritische Leser wird die oben angedeuteten poetischen Elemente darin nicht verkennen. Auf naher persönlicher Kenntniß beruhen die beiden ausgezeichneten Nekrologe von R. Schöne in demselben Jahrbuch Bd. 17, 1896 und von A. Conze in Bettelheim’s Biograph. Jahrbuch Bd. I, S. 369 ff., 1897. Ein Nachruf in der Beilage zur Vossischen Zeitung vom 15. April 1896, Nr. 175 von O. K(ern) enthält gleichfalls persönliche Erinnerungen, wie sie auch mir zu Gebote stehen.

[801] *) Zu Bd. L, S. 506.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Humann, Karl LV 804 Z. 6 v. u. l.: Domaszewski (statt Domaszcewski). [Bd. 56, S. 397]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johannes Heinrich Friedrich Adler (1827–1908); war ein deutscher Architekt, Baubeamter und Bauforscher.
  2. Carl Schuchhardt (1859–1943); war ein deutscher Prähistoriker und Museumsdirektor.
  3. Paul Heinrich August Wolters (1858–1936); war ein deutscher Klassischer Archäologe.
  4. Felix Ritter von Luschan (1854–1924); war Arzt, Anthropologe, Forschungsreisender, Archäologe und Ethnograph.
  5. Osman Hamdi Bey (1842–1910); war ein türkischer Archäologe, Maler und Museumsgründer.
  6. Johannes Gustav Eduard Robert Koldewey (1855–1925); war ein deutscher Architekt und Bauforscher und einer der bedeutendsten deutschen Vertreter der Vorderasiatischen Archäologie.
  7. Heinrich Friedrich Reinhard Kekulé von Stradonitz (1839–1911); war ein deutscher Klassischer Archäologe aus der Familie Kekulé von Stradonitz.