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Artikel „Trimberg, Hugo von“ von Richard Moritz Meyer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 762–765, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hugo_von_Trimberg&oldid=- (Version vom 6. Oktober 2024, 09:36 Uhr UTC)
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Band 39 (1895), S. 762–765 (Quelle).
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Trimberg *): Hugo von T., lehrhafter Dichter des Mittelalters. Hugo ist „nicht vor 1230, wahrscheinlich bald nach diesem Jahre“ in dem fränkischen Ort Werna (wol dem jetzigen Wernfeld) geboren. Vermuthlich kam er bald nach Trimberg, wonach er seinen Namen führt. Nach eifrigen Studien, die aber auf privates Lesen beschränkt blieben (wenigstens berichtet der gesprächige Mann nirgends von Lehrern oder Schule, und bezeugt ausdrücklich, daß er die berühmten fremden Universitäten nicht besucht hat) wurde er um 1260 Meister der in der Bamberger Vorstadt Teuerstadt bestehenden, dem heiligen Gangolph geweihten Schule. Dies Amt hat er mit Liebe und Eifer verwaltet, dabei aber weder reichlichen Lohn noch auch nur treue Dankbarkeit der Schüler geerntet. Er besaß eine zahlreiche Familie: zeitweilig aßen zwölf Menschen sein Brot. Ein Sohn ging ins Kloster. Der gelehrte und unpraktische Schulmeister schlug sich mit Schuldenmachen und Borgen mühsam durch; sein Haß auf die Wucherer beruhte auf eigenen Erfahrungen. Weder die Bücher, die er des Erwerbs wegen schrieb, noch die, welche er selbst sammelte und aus deren Verkauf er ein sorgenloses Alter erhoffte, brachten viel ein, so daß er in hohem Alter, um 1296, nach langer Pause wieder zur Feder greifen mußte, um in einem umfangreichen Lehrgedicht, dem „Renner“, seine Erfahrung und seine Lectüre nutzbar zu machen. In dies große um 1300 vollendete Sammelhaus seines Wissens und Wollens trug er wiederholt und bis etwa zum Jahr 1313 hin Nachträge und Erweiterungen ein. Bald nach dem 24. August 1313 – dem Tage von Heinrich’s VII., von Hugo erwähntem Tod – wird er gestorben sein. Den ungeheuern Erfolg seines Hauptwerkes hat er nicht mehr erlebt.

Nach Wölfel’s Untersuchungen (Z. f. d. A. 28, 151 f.) zerfällt Hugo’s dichterische Thätigkeit in drei Perioden. Der ersten, die etwa bis zum Jahr 1266 geht, gehören acht deutsche Büchlein an, drei weltlichen und fünf geistlichen Inhalts. Von ihnen ist uns nur der „Sammler“ und auch der nur durch Hugo’s Angaben bekannt; es war ein lehrhaftes Gedicht, ganz in der Art des „Renners“, und wurde in diesen späterhin aufgenommen und eingearbeitet. Ueber den Verlust eines Theils der Handschrift unwillig, brachte der Dichter dies Buch nicht zur Vollendung und brach bei diesem Anlaß seine deutsche Verfasserthätigkeit überhaupt ab. Nun schrieb er vier Werke in lateinischer Sprache, eins in Reimversen, eins in quantitativ gemessenen Versen, eins in Prosa, eins prosaisch und gereimt. Wir kennen davon die „Laurea sanctorum“ und das „Registrum multorum auctorum“ (Neujahr bis September 1280 verfaßt), beides ärmliche Machwerke, die gleichzeitig dem Gedächtniß und der Moral dienen sollen und für beide Zwecke zu breit gerathen sind. Die „Laurea sanctorum“, ein ausführlicher „Cisiojanus“, d. h. ein Gedicht zum Auswendiglernen der Kalenderheiligen, ist immerhin das originellere Buch und in der Art, wie Hugo alle Heiligen in den Dienst seiner engen Anschauungen zwängt, liegt neben aller Monotonie eine gewisse Energie. Die Verskunst ist überall lässig geübt; wo Distichen herrschen, bleibt wol der Pentameter einmal fort; wo Reimpaare die Hauptmasse bilden, drängt sich (wie im Renner) gern eine Reimhäufung ein. – Die Auswahl der Autoren im Registrum bietet nichts Charakteristisches, weil eben Hugo alles, was er kennt, aufzählt, und fast alles auch anpreist. „Nullius scientiam dum sit bona sperno.“ Höchstens tritt eine Bevorzugung der Satiriker hervor: Persius und Juvenal werden citirt, von Horaz sind Satiren, Briefe und Poetik die „libri principales“, neben denen die lyrischen Gedichte in den Hintergrund treten.

Mit dem Registrum dachte Hugo, wie sein Schriftenverzeichniß am Ende [763] des Buches zeigt, seine litterarische Thätigkeit überhaupt einzustellen. Er war kränklich, litt an Ohrensausen und andern Gehörshallucinationen; seine Augen wurden schwach, sein Gedächtniß nahm ab. Gewiß war es die Noth, die ihm nach langer Pause wieder die Feder in die Hand zwang und langsam brachte er nun etwa 1296–1300 alles was er noch zu sagen hatte in lässigen Reimversen zu Papier. So entstand der „Renner“, das umfangreichste Lehrgedicht in deutscher Sprache, über 24 000 Verse. Die ursprüngliche Anlage war nicht übel: unter Anleitung eines Gleichnisses (von den Birnen, die vom Baume herab in die Dornen der Hoffart, den Brunnen der Habgier, die Lache der Schlemmerei, oder das Gras der Reue fallen) sollten die drei ersten Todsünden und dann der tugendhafte Wandel vorgeführt werden; die vier andern Todsünden, Unkeuschheit, Zorn, Neid und Trägheit werden aus den drei ersten abgeleitet (vgl. Wölfel a. a. O. S. 165). Aber der alte Dichter ist völlig außer Stande, seinen „Renner“ zu bemeistern; der läuft, wie er selbst klagt, nach Willkür seinen eigenen Weg. Hugo kommt fortwährend vom Hundertsten ins Tausendste, wiederholt sich, zum Theil wörtlich, und verwirrt sich; nie aber widerspricht er sich, denn seine Weltanschauung ist so einfach und fest, wie seine Disposition verworren und locker ist. Wie das Buch schließlich aussieht, wird es vortrefflich durch den Titel des alten Drucks charakterisirt: „ein schön und nützlich Buch, darinnen angezeigt wird einem Jeglichen, welcher Würde, Wesens oder Standes er sei, daraus er sein Leben zu bessern und seinem Amt nach Gebühr desselben auszuwarten und nachzukommen zu erlernen hat, mit viel schönen Sprüchen aus der Heiligen Schrift, alter Philosophen und Poeten weisen Reden, auch feinen Gleichnissen und Beispielen gezieret“. Neben Freidank, der eine Summe praktischer Lebensweisheit gibt, und Thomasin von Zirclaria, der die adelige Jugend zu Herren und Damen comme il faut (das Fremdwort ist hier am Platze) erziehen will, stellt sich Hugo als Lehrmeister der Moral. Er besitzt weder Thomasin’s Bildung, noch Freidank’s Weltkenntniß, allein er hat erschrecklich viel gelesen. Ihm mangelt die Klarheit des wälschen Domherrn wie die Gewandtheit des Fahrenden; aber er hat sich in langjähriger Uebung eine eigenthümliche Technik erworben, die sein Buch populär machte. Sobald er an irgend ein Schlagwort kommt, bleibt er daran hängen, führt in großer Breite, fast immer mit Hülfe der Anaphora in ausgebildeter Priamelform seine Betrachtungen über dies eine Thema fort, und macht es sich leicht, von da wieder auf den Ausgangspunkt zurückzukommen. Gern bindet er in volksthümlicher Weise mehrere Laster oder Classen oder Nöthe durch bestimmte Zahlen zusammen und schmückt einzelne Stellen durch Reimhäufung, Inreim, seltener durch Alliteration aus. Er citirt gelehrt genug, um sich in Respect zu setzen, und nennt Bücher des heiligen Gregorius und des heiligen Bernhard mit dem ausführlichen Titel, führt Bibelstellen genau an und mischt auch wol ein paar lateinische Sätzchen oder gar das griechische „gnothi seauton“ („erkenne dich selbst“) ein; noch lieber aber beruft er sich auf Freidank, den einfachen Mann aus dem Volk, den er oft und kaum je ohne Lobsprüche nennt. Neben gelehrten Etymologien, neben Fabeln aus Aesop und seinen Nachahmern, neben Mittheilungen aus lateinischen Volksbüchern bringt er Anekdoten aus eigener Erfahrung vor, schildert eine Begegnung mit Bauern, denen er den Begriff des „Halbritters“ erklären muß, und läßt es nicht an Anspielungen auf Zeitereignisse fehlen. Wenn er auch in der Herbeiziehung der Beispiele und Erläuterungen den im Registrum citirten Vers des Juvenal befolgt: „wo dus her hast, wer wills wissen? aber haben wirst du müssen“, so weiß er doch oft das fremde Gut sich wirklich zu eigen zu machen; so sind seine Deutungen der mittelalterlichen Thiermärchen, wenn auch vom „Physiologus“ abhängig, vielfach originell und nicht ohne Geist. [764] Er liest aber nicht bloß, sondern schaut auch eifrig um sich und weiß von den kegelspielenden Bauern, vom Trinker, vom aufgeputzten Weib hübsche Genrebilder zu entwerfen. Die Umgebung hat wol sogar zu stark auf ihn gewirkt; die fortwährende Verwendung von Mist und Mistkäfer im Gleichniß zeigt den verbauerten Dorfschulmeister. Daneben begegnen doch aber zarte Naturbilder wie das vom Sonnenschein im Winter (V. 7658), hübsche Wendungen wie die über die unersättliche Gier der Habsüchtigen (V. 21 216 f.). Der Schulmeister weiß nicht bloß seinen lieben Glocken manch hübsche Verwendung im Gleichniß abzugewinnen, sondern auch bei aller sonstigen Vorliebe für die Musik eine allzu sentimentale Aufnahme derselben mit einer witzigen Verspottung der Leute abzufertigen, die weinen müssen, wenn einer mit einem Pferdeschwanz über ihre Schafdärme streicht (V. 12 404 f.). Witz fehlt ihm überhaupt nicht und in der Erfindung von allegorischen Ekelnamen bildet er zwischen der pseudoneidhartischen Dichtung und den Fastnachtsspielen ein beachtenswerthes Bindeglied. Auch andere Allegorien mangeln nicht; sie bringen es freilich nicht zu der lebendigen Anschaulichkeit, mit der etwa Thomasin das deutsche Land als Hausfrau anredet.

Hugo ist ein hartnäckiger laudator temporis acti: überall sieht er Verfall, in der ungezogen gewordenen Schuljugend wie in den ländergierigen Prälaten. Der Kirche schreibt der eifrig fromme Mann die größte Schuld an dem Niedergang aller Tugend zu. Die Habsucht, die Gier, der Geiz sind für ihn die herrschenden Leidenschaften der Zeit, und daneben noch besonders die Heuchelei und der Neid; auch die „böse Gewohnheit“, d. h. der Mangel an Selbstzucht, übles Mißtrauen und Zorn werden ausführlich gerügt. Dagegen spricht er von fleischlichen Sünden wenig, auch der Trunk tritt zurück. Die Wucherer und Ausbeuter ziehen immer wieder sein Auge auf sich, sobald er von andern Dingen reden möchte. Ihn jammert, wie die Armen mißhandelt werden. Und dieser Grundton, die Klage über die Bedrückung der Geringen durch die maßlosen Leidenschaften der Mächtigen, sicherte seinem Buch ein aufmerksames Publicum. Dabei war es durchaus, wie wir uns heut ausdrücken würden, zur „Familienlektüre“ geeignet: Frauenverspottung fehlt fast ganz, unanständige Stellen begegnen überhaupt nicht, allerlei nutzbare Winke (einmal sogar ein Hausmittel gegen die Gicht, ein andermal eine ausgezeichnete Charakteristik der deutschen Dialekte V. 22 208 f.) sind eingemischt. Hugo selbst, der namentlich gegen Schluß oft und treffend von sich selbst spricht und sein lässiges Dichten rührend entschuldigt, warnt vor der Lectüre der Ritterromane und der Volksepen, hierin zu Thomasin im bezeichnendsten Gegensatz: es sei eine Sünde, etwas zu schreiben oder zu lesen, woran kein Lob Gottes sei (21 498). Auch diese Stimmung kam der seiner Zeit entgegen; man war der „Lügendichtung“ satt. Und so konnte der gute Hugo unter seinen Deutschen einen solchen Beifall finden, wie ihn etwa in Italien der gleichzeitige Dante geerntet hat! In zahlreichen Handschriften ward sein „Renner“ fortgepflanzt. Michael de Leone, Scholasticus am Neuen Münster in Würzburg († 1355) veranstaltete eine Bearbeitung, die ihrerseits vielfach verbreitet wurde. Für Nachahmungen blieb kaum noch Raum, doch besitzen wir in einer Handschrift von 1425 eine Art Auszug und eine wol noch aus dem vierzehnten Jahrhundert stammende Nachbildung in dem (früh Hugo selbst zugeschriebenen) „Reuaus“. Schon 1549 ward dann der „Renner“ durch Cyriacus Jakob zum Bock in Frankfurt am Main gedruckt, weil dieser ihn wegen der Anklagen gegen die Geistlichkeit als einen Zeugen für die Nothwendigkeit der Reformation ansah; im protestantischen Eifer hat der Drucker dann manche Stellen ziemlich bedenklich verändert: wo Hugo von der Wunderkraft des Weihwassers sprach, setzt er die des Gebets ein u. s. w. Schon Agricola [765] hatte ihn gern citirt, Morhof spricht mit Verständniß von ihm, und der gestrenge Gervinus hat ihn gelobt und seine Milde anerkannt, während Wackernagel ihm gerade Härte schuld gibt. Dies ist gewiß unrichtig; der fromm und einfach erzogene, immer mäßige, demüthige Mann hat es zur Härte nie gebracht; er klagt die Welt an, weil seine Tugenden ihr fehlen. Ein Dichter war er nicht, aber sein frommes Gemüth mag mehr Gutes gewirkt haben, als manche prunkvolle Moralpredigt.

Text: Der Renner her. v. Histor. Verein in Bamberg 1833; zum Handschriftenverhältniß Wölfel, Z. f. d. A. 28, 162 f. Ehrismann, Germ. 30, 129 f.; vgl. noch Mourek, Sitzungsber. der k. Böhm. Gesellsch. der Wissensch. 1893; Ehrismann, Germ. 36, 313. – Laurea sanctorum her. v. Grotefend, Anz. f. K. d. d. Vorz. XVII, 1870, S. 301–311; dazu vgl. S. 279–84. – Registrum multorum auctorum her. im Auszug v. M. Haupt, Monatl. Ber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1854, S. 142–64, vollständig J. Huemer, Wien. SB. 116, S. 145 f.

Lebensbeschreibung: K. Janicke, De vita et scriptis Hugonis Trimberg., Diss., Halle 1856. Ders., Germ. 2, 363 f. Wölfel a. a. O., S. 145 f. (Sammlung der persönlichen Stellen S. 155).

Zum Renner: K. Janicke, Freidank bei Hugo von Trimberg, Germ. 2, 418–24, die Fabeln und Erzählungen im Renner des Hugo, Ders., Arch. f. Stud. d. n. Spr. 32, 161–76. – Ueber Michael de Leone: Ruland, Arch. d. histor. Ver. v. Unterfranken u. Aschaffenburg XI, Heft 2, S. 42 f. – Meister Reuaus: Schönbach in Wagner’s Archiv 1, 13–37; die Handschrift v. 1425: Wackernagel, Gesch. d. dtschn. Lit. 1, 378, Anm. 16. – Ueber den Druck: S. Schäfer, Zur dtschn. Lit.-Gesch. d. 16. Jahrh., Diss., Bonn 1874.

Allgemeine Würdigung: K. Janicke, Hugo’s von Trimberg Weltanschauung Germ. 5, 385–401. – Wackernagel a. a. O. S. 376 f. Koberstein, Gesch. d. d. Nat.-Lit. 1, 247. Gervinus, Gesch. d. dtschn. Dichtung⁵ 2, 277–93. Scherer, Gesch. d. d. Lit., S. 228 f. Vogt in Paul’s Grundriß 2, 1, 349. – Veraltet Conz, Beitr. f. Philos., Gesch. u. Lit. 1786, 1, 82–131 und (danach umgearbeitet) Kl. pros. Schriften 2, 290–346.


[762] *) Zu Bd. XXXVIII, S. 619.