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Artikel „Ruland, Anton“ von Friedrich Leitschuh in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 632–634, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ruland,_Anton&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 16:02 Uhr UTC)
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Ruland: Anton R., Oberbibliothekar der königl. Universität Würzburg, geboren daselbst am 25. November 1809, † am 8. Januar 1874 zu München. Nach Beendigung seiner humanistischen und philosophischen Studien widmete sich R., der Sohn des k. Hofraths und Professors der Medicin an der Würzburger Hochschule, Thomas August Ruland, dem Studium der katholischen Theologie. Am 26. Mai 1832 zum Priester geweiht, wurde er als Cooperator nach Kitzingen angewiesen. Aber schon am 27. März 1833 wurde er als Bibliothekar an die Würzburger Universität berufen, wo sein Pathe Peter Richarz in strenger Pflichterfüllung das Amt des Oberbibliothekars bekleidete. Am 16. August 1834 promovirte R. als Doctor der Theologie. Seine Dissertationsschrift handelt „De s. missae canonis ortu et progressu nec non valore dogmatico“. Nach Richarz’ Ernennung zum Bischof von Speier war R. der alleinige Leiter der Universitätsbibliothek, indeß nur für ganz kurze Zeit; denn seine „Reformen“ fanden so wenig Beifall, daß er aus Disciplinarrücksichten seines Amtes entsetzt und zum Stadtpfarrer[WS 1] in Arnstein ernannt wurde. Ungebrochenen Muthes, wenn auch mit manchen trüben Erfahrungen, ging R. nach Arnstein, von wo aus er seine Stimme erschallen ließ, wenn es galt, die Wichtigkeit des katechetischen Unterrichts in der Schule zu betonen, oder dem Ministerium Abel die Freude an Gegenständen seiner besonderen Protection etwas zu trüben. Gegen die Berufung [633] der Redemptoristen nach Franken erhob sich R. in seiner unvergleichlich schönen Schrift: „Der fränkische Clerus und die Redemptoristen“. „Es ist nicht zu läugnen, daß namentlich in dieser Zeit (des Bischofs Julius) so manche Spreu und mancher weibersüchtige Pfaffe sich im Clerus fand“, sagt R. in der angeführten Schrift, „es ist nicht zu verwundern, weil Julius, da es im Charakter der Franken lag, nicht leichtsinnig die Verantwortlichkeit des Priesterthums auf sich zu nehmen, in die Nothwendigkeit versetzt wurde, aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands Adspiranten zum Priesterthume anzunehmen, wodurch mancher sich einschlich, der nicht berufen war.“ Die Schrift, rücksichtslos und herb, aber wahr in jedem Worte, kernig und kräftig in der Sprache, erregte ungeheures Aufsehen. Dieser unerhörte Mannesmuth setzte die geistlichen Mitbrüder in gerechtes Erstaunen. Das Würzburger Ordinariat war höchst unangenehm berührt und drohte mit Suspension, aber R. fand dadurch Gelegenheit, noch eindringlicher darauf hinzuweisen, daß der Ruf nach helfenden Jesuiten oder Redemptoristen, sobald er vom Clerus selbst ausginge, als „Selbstanklage der eigenen Untüchtigkeit, der eigenen Versunkenheit und schimpflicher Pflichtversäumniß“ zu betrachten sei. Das Vertrauen seiner Amtsbrüder sendete nun den unerschrockenen Mann in den damals noch ständischen Landtag nach München, dem er auch nach dem Jahre 1848 als Abgeordneter durch die Volkswahl ununterbrochen bis zu seinem Tode angehörte. Der junge Abgeordnete zeichnete sich durch solche Entschiedenheit und Furchtlosigkeit aus, daß sein Auftreten nicht selten in der eigenen Partei Beklemmungen hervorrief. Und es war deshalb vielleicht auch zur inneren Klärung der fast allzu stürmischen Natur Ruland’s von großem Vortheil, daß ihm das Jahr 1850 diejenige Stellung brachte, die man ihm zum Schaden der Anstalt allzulange vorenthalten hatte: er wurde Vorstand der Würzburger Universitätsbibliothek. Bei seinem Wiedereintritte in die Bibliothek fand er dieselbe durch Unthätigkeit des früheren Vorstandes und schnöde Gewinnsucht eines gewissenlosen Beamten in traurigem Zustande vor, so daß er schon nach der ersten dreistündigen Revision zur Aeußerung genöthigt war: „der Dieb ist im Hause“. R. gelang es, die in höchste Unordnung gerathene Sammlung wieder in den vorzüglichsten Stand zu setzen. Aber es war ihm nicht vergönnt, nur seiner Anstalt zu leben: das Vertrauen der Wähler sandte ihn wiederum in den Landtag. 1855 that R. in der Kammer den Ausspruch, das Wahlgeschäft gehe die Kirche nichts an; sie huldige eben keiner politischen Anschauung. Der kirchlichen Entrüstung über eine solche Anschauung wurde baldigst in Form einer scharfen Rüge Ausdruck gegeben. Kurz vorher war R. der Augsburger Bischofsstuhl in Aussicht gestellt worden – aber seine Wünsche bewegten sich nicht in dieser Richtung. Die Leitung der Universitätsbibliothek und seine weitverzweigten litterarischen Arbeiten gewährten ihm Alles, was er vom Leben verlangte, und ein Rücktritt von seiner politischen Thätigkeit, die er immer lieber gewann, entsprach jetzt am allerwenigsten seiner Neigung. Daß die Ereignisse des Jahres 1866 bei ihm keine sympathische Zustimmung fanden, braucht wohl kaum eigens bemerkt zu werden, und als 1870 Baierns Zukunft daran geknüpft war, daß es ein lebendiges, ein treues Glied der Gesammtnation blieb, da nahm R. die willkommene Gelegenheit wahr, in der Kammer an den Ausgang des deutschen Bruderkrieges zu erinnern und eine preußische Granate, welche in die Würzburger Bibliothek geflogen war, mit einem bitteren Hinweis auf die treue Bruderhand der Preußen in den Saal zu werfen. Wie einseitig und wenig weitsichtig auch Ruland’s Ansichten und Verhalten in dieser Sache und namentlich bei der Abstimmung über das Kriegscreditgesetz war – fürchtete er ja doch, daß Preußen sein geliebtes Vaterland aus der Reihe der selbständigen Staaten ausstreichen werde – so überaus verdienstvoll [634] ist sein 27jähriges Wirken als unerschrockener, alles Parteiwesen möglichst meidender und stets nach eigener Ueberzeugung handelnder Volksvertreter. R. wurde nicht ganz mit Unrecht die verwitterte granitne Säule genannt, in der das Auge des durch die Fluten schreitenden Wanderers den Zeugen längstvergangener Tage begrüßt. Persönlich war R. einer der achtungswerthesten, felsenfesten Charaktere, ein Mann des strengen Rechtes, nur dem Gemeinwohl lebend, von einfachster Lebensweise. Viele Jahre war er als Vorstand des Würzburger Gemeindecollegiums thätig. In der Bibliothekverwaltung hatte er die strengsten und correctesten Grundsätze. Freilich wirkte der Zustand, in welchem er die Würzburger Bibliothek angetreten, in ihm noch lange nach und bestimmte ihn auch, den ihm anvertrauten Bücherschatz mit einer Aengstlichkeit zu hüten, welche sich nicht immer mit den Grundsätzen einer sachgemäßen liberalen Verwaltung vereinbaren ließ. Seinen emsigsten Fleiß widmete er der Herstellung eines Handschriftenkataloges der Würzburger Universitätsbibliothek. R. war aber auch als Schriftsteller ebenso genau und gewissenhaft wie als Bibliothekar. Seine zahlreichen Arbeiten enthalten einen kostbaren Schatz der werthvollsten Studien auf theologischem und historischem Gebiete. Ruland’s Name wird nicht der Vergessenheit anheimfallen. Die Trauer um seinen Tod – R. starb am 8. Januar 1874 in München an der Cholera – war eine tiefe und allgemeine. Er wurzelte mit seinem ganzen Sein in seinem engeren Heimathlande, in seinem Franken: für den fränkischen Volksstamm glühte er, aber doch nicht in dem Grade, daß er von den Zuständen der heimathlichen Scholle nicht in seiner Art auf das Ganze geblickt hätte. Seine reichhaltige Bibliothek vermachte er dem heiligen Stuhle, seine kostbare Münzsammlung der Universität Würzburg.

Th. Wiedemann, Oesterreich. Vierteljahrsschrift für kathol. Theologie, Bd. 13, 1874. – Leitschuh, Gesammelte Schriften von Dr. A. Ruland, 1. Bd. Predigten, Wien 1875. – Dr. Anton Ruland. Ein kurzes Lebensbild. Von Dr. G(lück), 1874. – Nachruf des I. Präsidenten Frh. v. Stauffenberg, Dr. Ruland gewidmet. Stenogr. Bericht über die Verhandlungen der bayr. Kammer der Abgeordneten, 1874, Bd. I, 15. Sitzung. – Dr. A. Ruland. Kurze Lebensbeschreibung in: Das katholische Deutschland repräsentirt durch seine Wortführer, Würzburg 1878, L. Wörl. Heft IX, Nr. 42. – Leitschuh, Dr. A. Ruland, k. Oberbibliothekar der Universität Würzburg als Schriftsteller. Eine Erinnerungsgabe zum dreihundertjährigen Jubiläum der Universität Würzburg, München 1882.

Anmerkungen

  1. Vorlage: Stadpfarrer