ADB:Hoffmann, Heinrich (evangelischer Theologe)

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Artikel „Hoffmann, Heinrich“ von August Wächtler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 402–412, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hoffmann,_Heinrich_(evangelischer_Theologe)&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 20:21 Uhr UTC)
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Hoffmann: Heinrich Friedr. Karl H., D. theol., Pastor zu St. Laurentii in Halle a. S., geboren zu Magdeburg am 24. März 1821 als Sohn eines Bankbeamten, † zu Halle a. S. am 20. Mai 1899. (Vgl. Kähler u. Hering, D. Heinr. Hoffmann, 1900. – Aus dem Tagebuche des D. H. Hoffmann, 1900. – Briefe, 1901. Sämmtlich bei R. Mühlmann, Halle a. S.) Kindheit und Jugend hat er in Magdeburg verlebt. Unter der Hut und Zucht frommer Eltern wuchs er in der Stille heran. Auf dem Domgymnasium war er ein guter Schüler, obwol er, wie er später gesteht, es sich nicht gerade sauer werden ließ. Aber schon früh fing er an, selbständig zu arbeiten, und wenn auch nicht im Sturmschritt, so ging es doch ziemlich regelmäßig und sicher vorwärts. Seine Gesundheit war von Kindesbeinen an nicht die festeste, und der Knabe schon dachte bei seiner Neigung zur Hypochondrie von jedem Jahre, das er erlebte, dies würde sein letztes sein. Dabei war er in der Schule von einer so unüberwindlichen Blödigkeit, daß die Lehrer sich genöthigt sahen, ihn von allem Declamiren zu dispensiren. Der früh in ihm angeregte religiöse Sinn wurde durch das Leben im Elternhause und durch dessen Beziehungen zu den „Stillen im Lande“ gefördert. Namentlich aber übte ein Bruder der Mutter, Onkel August, ein Magistratssecretär, der Theologie studirt hatte, aber wegen schwacher Brust nicht hatte zum Predigtamte kommen können, einen tiefgehenden Einfluß auf ihn aus; ihn nennt G. selbst seinen geistlichen Vater, dem es das größeste Herzensanliegen gewesen, „die Liebe zum Herrn in ihm zu wecken“. Auf der Schule fesselten ihn vor anderm die Geographie und zwar nach ihrer physikalischen Seite und die Naturwissenschaften, so daß sein Lehrer in diesen Fächern sich aufs höchste darüber verwunderte, daß H. etwas anderes als Naturwissenschaften studiren wollte. Die Classiker hat er auf der Schule nicht gerade versäumt, hingegen war ihm der Unterricht im Deutschen zuwider, und was er von der schönen Litteratur las, brachte ihm wenig Genuß. Während der Vater seinen Erstgeborenen wie selbstverständlich zum Kirchendienst bestimmt hatte, suchte diesem der Onkel zu [403] einer selbständigen Entscheidung zu verhelfen, ohne ihn dabei zum Studium der Theologie zu ermuthigen. Zu einer rechten Herzensneigung für die Theologie ist es nach Hoffmann’s eigenem Geständniß auch nicht gekommen. „Meine Spontaneität war ja immer sehr gering; in Dingen, die nicht gerade Gewissenssache sind, bin ich wohl stets sehr bestimmbar gewesen. – – Genug, ich weiß wahrlich nicht, wie ich es gewagt habe, Geistlicher zu werden – ein Mensch, der nicht den mindesten Drang gehabt hat, auf andere einwirken zu wollen; der es schrecklich fand, vor andere hervortreten zu sollen; ein Mensch, der ja auch nicht ungern arbeitete, auch Sinn für Ideale hatte, für die Glaubenswahrheiten warm war, aber doch immer geneigt war, für sich zu grübeln und zu graben“ – „ich habe nicht gewählt, ich bin geführt worden wie mit verbundenen Augen“. „Wenn ich, wiewol mit Beben, die Bahn weiter verfolgte, in welche ich, ich weiß nicht wie, hineingeleitet ward, so war die Erklärung hierfür wesentlich darin zu suchen, daß ich mir immer die harmlose Stellung eines Landpfarrers als mir zugedacht vorstellte. Es ist anders gekommen! Als ich mich zu Berlin für die theologische Facultät inscribiren ließ, da unterschrieb ich, ohne es zu ahnen, den Verzicht auf ein gutes Theil Lebensglück, denn es gehört zum Lebensglück ein Beruf, zu dem man entschiedene Neigung und wirkliche Anlage hat. Beides finde ich für den geistlichen Stand bis zum heutigen Tage nicht in mir.“ Das sind Hoffmann’s eigene Bekenntnisse, um so bemerkenswerther als sie nicht etwa in den Studenten- oder Candidatenjahren aufgezeichnet sind, sondern mitten in gesegneter Amtsthätigkeit der reiferen Jahre, in den für den einzigen Sohn bestimmten Lebensnachrichten.

Der junge Student, der einsam im Postwagen die Vaterstadt verließ, ist auch in Berlin, wo er studiren sollte, einsam geblieben. Das Studentenleben zog ihn ebensowenig an wie die Studenten selbst, und er lebte nach den strengen asketischen Ansichten, die er sich unter pietistischen Einflüssen angeeignet hatte. Fleißig in seinem Fach, war er doch auch täglich zwei Stunden im Lesezimmer, der Zuflucht der Einsiedler, um sich dort mit der geliebten Geographie zu beschäftigen. Von den theologischen Lehrern zog ihn Hengstenberg nicht an, obwol er von Hause her die günstigsten Vorurtheile für ihn mitgebracht hatte, und „die eingefleischten Hengstenbergianer“ waren nicht nach seinem Geschmack. Twesten, bei dem er Exegese hörte, enttäuschte ihn gewaltig, während Neander’s Schriftauslegung ihm Freude und Befriedigung gewährte – „für den Studenten war er ein Meister in der Schrift, ein geweihter Mystagog“. Trendelenburg’s verschlungene Gedankengänge blieben ihm fremd, aber Steffens’ Psychologie berauschte ihn, und bei Karl Ritter, dem Geographen, hat er dankbaren Herzens hospitirt. Im übrigen hat ihn das Heimweh geplagt; der Verkehr im Hause des Judenmissionars Becker und eines „grundfrommen“ Leinewebers, der dem Elternhause durch die Magdeburger Messe bekannt geworden war, boten ihm wenig. Wenn er auch die namhafteren Prediger Berlins an den Sonntagvormittagen mit Eifer kennen zu lernen suchte, so waren die Nachmittage um so schwerer, und wenn er auch hier und da das Theater besuchte, so blieb der Reiz der Bühne für ihn doch gering, und die Abende waren entsetzlich lang. Kurz, die Großstadt war ihm unausstehlich, und in ihrem Getriebe fühlte er sich verloren. Trotzdem waren die Briefe an die Eltern im Tone guten Humors gehalten, wenn er auch bald schon dem Vater die Bitte aussprach, ihn nach Halle gehen zu lassen; er mußte aus sich heraus, mußte lernen, mit Anderen leben und sich über das auszusprechen, was er in sich aufgenommen hatte.

[404] In Halle fand er, was er suchte. Allmählich ging ihm, wie er sagt, ein schwaches Licht auf über die Lage der Dinge auf dem Kampfplatz des geistigen Lebens, und er fing an zu fragen, ob die damalige moderne Geistesphilosophie oder die positiv gerichtete Theologie das Gebiet des schwindenden alten Rationalismus einnehmen werde. Schon in Berlin hatten die Aufregungen im öffentlichen kirchlichen Leben, die der Sintenis’sche Streit und die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s IV. hervorgerufen, auch ihm es fühlbar gemacht, daß der Kirche innere Kämpfe der schwersten Art bevorstehen, und daß ihm selbst sein zukünftiger Beruf zu einer Heerfahrt werden würde. Die Studentenschaft in Halle war in großer Erregung, und eine von R. Haym in Umlauf gesetzte Petition um die Berufung von D. Fr. Strauß nach Halle fand theils mit offener Zustimmung, theils aus schwächlicher Unentschiedenheit zahlreiche Unterschriften, während H. mit seinen Freunden solche verweigerte. Von den damaligen Lehrern der Universität zog ihn am meisten Jul. Müller an, mehr als Tholuck, mit dem er erst später in nähere Berührung kam. Bei seinen häufigen Reisen nach Magdeburg hat Tholuck von 1844 bis 1852 in Hoffmann’s Elternhause sein Absteigequartier genommen, um der Unruhe der Gasthöfe zu entgehen, und während Hoffmann’s Amtswirksamkeit in Halle ist er diesem ein treuer Freund und Berather gewesen. Viel mehr aber bot ihm der freundschaftliche Verkehr mit gleichstrebenden Altersgenossen, den er hier zum ersten Male kennen lernte und in vollen Zügen genoß. So wenig auch hier das sog. Studentenleben ihn anzog, hat er auf Veranlassung der zahlreichen Mitschüler, die er in Halle vorfand, vorübergehend auch daran theilgenommen und ist sogar eine Zeitlang Mitglied der neugegründeten Burschenschaft gewesen. Aber ungleich werthvoller wurde und blieb ihm die Freundschaft mit zwei Magdeburger Mitschülern, denen er hier erst nahetrat, um mit ihnen fürs Leben verbunden zu bleiben: der spätere Oberconsistorialrath Drenckmann in Darmstadt († 1893) und der Schulrath Ferd. Schaller, Seminardirector in Köpenik († in Wernigerode 1892). Von dieser Gemeinschaft, die Ostern 1841 dadurch, daß H. in dasselbe Haus zog, in dem die beiden Freunde wohnten, zur vollen Ausgestaltung kam, weiß er auch im Alter noch zu rühmen: „So gab es nun von Ostern 41 an drei unvergänglich schöne Semester, das waren sonnenhelle Maientage im Leben“. In einer Dorfkirche bei Halle hat er im vierten Semester auch seine erste Predigt gehalten; das war für ihn um so mehr ein Ereigniß, als dieser Erstlingsversuch ganz ermuthigend ausfiel. „Ich sah doch, daß es mir möglich war, vor einer Menschenversammlung den Mund aufzuthun und meine Blödigkeit zu überwinden.“

Mit dem Abschluß des sechsten Semesters kehrte er ins Elternhaus zurück. Von hier aus erledigte er die beiden theologischen Prüfungen in vorzüglicher Weise. Der Tod des geliebten Onkel August, eigene schwere Krankheit und der Verlust der Mutter im J. 1846 machten die ersten Jahre der Candidatenzeit ungewöhnlich ernst, aber hinderten ihn nicht an anhaltender und eindringender theologischer Arbeit. Wenn er daneben mit Unterricht in Privatstunden und Schulen sich beschäftigte, nebenher auch das Rectorexamen ablegte und hin und wieder in und um Magdeburg predigte, so hat er die zehn Jahre der Candidatenzeit doch vornehmlich zu ernstester Vertiefung seiner theologischen Erkenntniß benutzt. Beweis dafür war das Ansehn, dessen er sich im „Candidatenverein“ erfreute, der ihn im J. 1847 zum Präses erwählte. Wiederholte Reisen mit dem Vater nach Ems, von wo aus er die Rheingegend besuchte, und mit einem Freunde in die bairischen Alpen gaben seinem Sehnen, sich in der Welt umschauen zu können, die erste Befriedigung. Die Erschütterungen des Jahres 1848 waren zwar in Magdeburg nicht so spürbar [405] wie an anderen Orten, aber haben ihn, wie er sagt, im Innersten durchstürmt. Seine Studien führten ihn zu einer tieferen Würdigung der confessionellen Theologie, und der Gegensatz zwischen Lutherthum und Calvinismus machte seine Vorliebe für den Unionismus wankend, zumal die Bevorzugung der unionistischen Richtung seitens des Staates ihn abstieß, und ihm, einem Gegner des Staatskirchenthums, dieses in Preußen mit dem Unionismus zusammenfiel. Die Versetzung des Vaters nach Berlin führte ihn im September 1852 wieder dorthin, und während er glaubte, weiter studiren und auf der Universität Vorlesungen hören zu können, wurde er bald aus dem Stillleben herausgerissen, das seinen Neigungen und Wünschen so sehr entsprach. Die ungewöhnlich lange und mußereiche Vorbereitungszeit, die in ihrem stillen äußeren Verlauf doch vielfache innerliche Bewegungen umschloß, mit manchem schweren Verzicht und ernstlichen Anfechtungen, über die er sich nur andeutend geäußert, war eine fruchtbare Capitalienansammlung von Kraft, mit der er reich ausgerüstet und befestigt in die Arbeit des Amtes eintreten konnte.

Die Anfänge sollte er in Berlin machen, wo Büchsel ihn zu seinem Hülfsprediger berief. Zu seinem Verdruß mußte er vor dem Brandenburger Consistorium erst noch ein Colloquium bestehen, ehe er am 27. Januar 1853 im Dom zu Berlin von Bischof Neander ordinirt wurde. Es war ein Jahr schwerer und anhaltender Arbeit unter Büchsel’s eigenartiger Leitung („Sie sollen des Teufels Jagdhund sein!“ hatte er ihm erklärt, als H. nach seiner Instruction fragte), die ihn aus aller Beschaulichkeit herausriß, und vervollständigte die Vorbereitung für die selbständige Führung des Pfarramtes einer Stadtgemeinde in nicht gerade willkommener und doch erwünschter Weise. Dabei brachte ihm dies Jahr noch eine andere wichtige Bereicherung; er verlobte sich mit Laura, der Tochter des Geheimraths Wentzel, einer Persönlichkeit voll Thatkraft und unermüdlicher Rührigkeit, die seine Eigenart aufs glücklichste ergänzte, so daß die Ehe zu einer Gemeinschaft des Lebens und der Arbeit wurde, wie sie in und außer Pfarrhäusern selten gefunden wird. Endlich erfolgte noch am Schlusse desselben Jahres die Berufung zum Pastor der St. Laurentiusgemeinde in Halle a. S., und am Tage nach seiner Hochzeit, 19. April 1854, zog das Ehepaar in das Pfarrhaus auf dem Neumarkt ein.

Hier war die Pflege und der Ausbau der ihm anvertrauten Gemeinde seine Hauptaufgabe, die ihm umso größer erschien, als genug vorausgegangen war, das Gemeindebewußtsein und die Zusammengehörigkeit zu erschüttern. Von 1841–1846 war G. A. Wislicenus Pastor auf dem Neumarkt gewesen und hatte, als er infolge lebhaften Protestes gegen seine Angriffe auf die Bibel („Ob Schrift, ob Geist“) abgesetzt war, eine freie Gemeinde gegründet. Der Nachfolger, Fr. Ahlfeld, dessen Gaben und Eifer das Vertrauen der Gemeinde zum geistlichen Amte bald wiedergewinnen konnten, war schon nach dreijähriger Thätigkeit in Halle dem Rufe nach Leipzig gefolgt. Dessen Nachfolger, der später katholisch gewordene Heinr. Ahrendts, hatte nur ein und ein halbes Jahr ausgehalten. So bot der Boden Schwierigkeiten genug für die Gemeindepflege. Zum Glück war der Umfang nicht allzu groß. Noch bildeten die alten Stadtmauern im wesentlichen die Grenzen nach außen, während die benachbarte Stadtpfarrei eine Erweiterung nach der Stadt zu unmöglich machte. Im Laufe der Jahre aber gewann die Laurentiusgemeinde eine solche Ausdehnung, daß sie das Gelände bis zum Nachbardorfe Giebichenstein auf der einen Seite und weit ins Feld hinaus nach der anderen umfaßte. Noch zu Hoffmann’s Lebzeiten erwuchs in diesem nach außen so gut wie unbegrenzten Pfarrbezirk die Seelenzahl von 3500 fast auf die zehnfache Zahl. Als er die drohende Gefahr übergroßen Wachsthums erkannte, hat er [406] seinen Gemeindekirchenrath veranlaßt, nach der unbebauten Seite eine Grenze für die Laurentiusgemeinde festzusetzen und damit die Errichtung der neuen Pauluspfarrei angebahnt.

Die damals noch übersehbare, zum größten Theil aus Ackerbürgern, Handwerkern und Arbeitern bestehende Gemeinde konnte dem jungen Pfarrer Muth machen, diejenigen Mittel thatkräftig anzuwenden, die eine wirkliche Gemeindepflege ermöglichen. Von der Predigt werden wir, um der Bedeutung Hoffmann’s als Prediger willen, noch besonders handeln. Es gelang ihm bald, den größten Theil der Gemeinde um seine Kanzel zu sammeln. Auch hat es von Anfang an nicht an Zuhörern aus den anderen Gemeinden der Stadt gefehlt, namentlich aber hat er auf die studirende Jugend stets eine große Anziehungskraft ausgeübt. Vor allem war er darauf bedacht, die alten Mittel der Seelenpflege so reichlich wie möglich anzuwenden. Wie es in seiner Natur lag, hat er nie neue Wege für die kirchliche Arbeit zu bahnen gesucht, und wo andere neue Bahnen einschlugen hat er auch da, wo der Erfolg dafür sprach, sich nur widerstrebend dafür gewinnen lassen. Neben dem Hauptgottesdienst richtete er die sonntägliche Kinderlehre für den Sommer wieder ein und im Winter einen Abendgottesdienst um 5 Uhr. Auf die Pflege der liturgischen Seite der Gottesdienste ist er stets bedacht gewesen und hat außerdem viele Jahre lang an Sonnabenden und vor den Festtagen rein liturgische Vespergottesdienste gehalten, von denen die Christvesper mit ihrer Ansprache an die Kinder sich allerdings zuletzt allein erhalten und in den „Christblumen“ bleibende Früchte hinterlassen hat. Am Mittwoch Abend hielt er Bibelstunden, einmal im Monat Missionsstunde. Von jenen werden gegenwärtig die „Neutestamentlichen Bibelstunden“ herausgegeben, in den anderen erwies er sich als ausgezeichneter Sachkenner und meisterhafter Erzähler, der die Gemeinde nachhaltig für die Arbeit der Mission zu erwärmen verstand.

Im engsten Zusammenhange mit diesen Anstrengungen stand das unablässige Bemühen, auch das Gotteshaus der Gemeinde, das mitten auf dem durch allmähliche Pflege verschönten Gottesacker steht, immer mehr liebzumachen. Die häßliche und verwahrloste Neumarktkirche hat er nach und nach zu einer trauten und würdigen Stätte umgewandelt. Viel ließ sich freilich auch mit dem feinen Geschmack und Geschick, worüber er als trefflicher Kenner christlicher Archäologie und Architektur verfügte, nicht erreichen. Dazu kam, daß die von Anfang an für die Gemeinde kaum zureichende Kirche trotz aller Um-, Ein- und Anbauten in ihrem Innern immer weniger dem stetig wachsenden Bedürfniß genügte. Einem Neubau aber standen auch wegen der großen Ausdehnung der Gemeinde, wegen der staatlichen Patronatspflichten und wegen der Gebundenheit aller hallischen Kirchengemeinden bezw. der Besteuerung für Bauzwecke außergewöhnliche Hindernisse entgegen. Erst gegen Ende seiner Amtswirksamkeit erreichte er den Bau einer zweiten Kirche, einer Succursalkirche für S. Laurentius, nach dem ersten Diakon S. Stephanus genannt, die er am 7. December 1893 einweihen konnte. Die freiwilligen Leistungen der Gemeindeglieder für diesen Bau waren ein schönes Zeichen kirchlicher Opferwilligkeit. In der Einweihungspredigt sagt er daüber: „Ein volles, gedrücktes und gerütteltes Maß von Freude ist dabei diese Baujahre für mich abgefallen. Wie soll mir nicht das Herz frohlocken auf diesen Tag, welcher strahlenden Sonnenglanz göttlicher und menschlicher Freundlichkeit über meinen Lebensabend ausbreitet“. Auch dem bald darauf nothwendig gewordenen Kirchbau für die neu errichtete Paulusgemeinde hat er noch seine liebereiche Fürsorge mannichfach zugewendet, aber den Tag der Grundsteinlegung nicht mehr erlebt.

[407] Die Predigt in der Kirche begleitete die Seelsorge, die er unablässig an Vielen, die zu ihm kamen, und durch regelmäßige Hausbesuche bei den Eltern der Confirmanden und der Confirmirten, sowie sonst bei gesunden und kranken Gemeindegliedern ausübte. Außer den allgemeinen pfarramtlichen und seelsorgerlichen Angelegenheiten gab die bald reichlich betriebene kirchliche Armenpflege und die Anmeldung der Abendmahlsgäste, auf die er auf und unter der Kanzel drang, überreiche Gelegenheit im Studirzimmer. Sein Pfarrhaus wurde auch durch die eifrige Mitarbeit der Pfarrfrau ein rechtes Elternhaus für viele Pfarrkinder aus allen Ständen. In den Hausbesuchen aber hat er in stiller Treue nähere Beziehungen zu den Gemeindegliedern zu gewinnen und zu befestigen gesucht; kaum ein Stadtgeistlicher in lutherischem Gebiet wird in unserer Zeit die Hausbesuche in solchem Umfang und so planvoll betrieben haben. Auch in den Jahren beginnenden Alters hat er den Durchschnitt dieser Besuche noch auf 100 im Monat veranschlagen können. Die Arbeit wuchs mit der Gemeinde je länger desto mehr. Wegen ernstlicher Erkrankung wurde ihm durch die Liebe der Gemeinde wiederholt ein Hülfsprediger zur Seite gestellt; in den beiden letzten Jahrzehnten konnte er durch die Maßnahmen des Parochialverbandes ständig einen solchen haben. Trotzdem ist es ein reiches Maß der Arbeit geblieben, das er zu leisten hatte, obwol er es immer mehr lernte, Helfer und Helferinnen für allerlei Gemeindearbeit aus allen Kreisen der Gemeinde heranzuziehen. Namentlich hat er, nach Einführung der Kirchenverfassung für die evangelische Landeskirche in Preußen, auch die Glieder der kirchlichen Körperschaften zur Mitarbeit im Dienst an der Gemeinde angeregt. Als die gewaltige Erschütterung kirchlicher Sitte durch Einführung des Personenstandsgesetzes zu Tage trat, hat er die Aeltesten u. a. auch den Professor Rud. Haym, willig gemacht, durch persönliche Besuche bei den Säumigen darauf hinzuwirken, daß die Zahl der Taufen und Trauungen wieder der Zahl der Geburten und Eheschließungen sich näherte.

Bei anderen Mitteln, die namentlich in der Fürsorge für die Jugend, für die Armen, Kranken und Alten gesucht und gefunden wurden, war von Anfang bis zu Ende die Pfarrfrau die erste und eifrigste Helferin im Dienst an der Gemeinde. Gelang es mit ihrer Hilfe schon sogleich im ersten Jahr, für die Schulmädchen Strick- und Nähstunden an den schulfreien Nachmittagen durch freiwillige Helferinnen einzurichten, so wurde auch bald ein Frauenverein für Armen- und Krankenpflege auf dem Neumarkt eingerichtet und nicht ohne Gegensatz in Geschiedenheit von dem allgemeinen städtischen Frauenverein, der vorher alle Kirchengemeinden umfaßt hatte, erhalten. H. hatte den Werth einer kirchlichen Armenpflege, in der Glieder der Gemeinde einander dienen, alsbald erkannt und in seiner langen Amtszeit immer mehr schätzen lernen. Auch die Pflege der confirmirten Jugend in Mädchen- und Jünglingsvereinen wurde nicht unterlassen; obwol die Gründung und Leitung solcher Vereine weder zu den Neigungen noch zu den Gaben Hoffmann’s gehörte, so fanden sich Helfer und Helferinnen genug, die auf seine Anregung und unter seiner gelegentlichen Mitwirkung diese Arbeiten treulich ausrichteten. Außer den Missionsstunden in der Kirche wurde auch ein Missionsnähverein eingerichtet, der unter der Leitung der Frau Pastor durch regelmäßige Arbeit und den jährlichen „Bazar“ sehr bedeutende Summen für Berlin I aufbrachte. Am Epiphaniasfest wurde dann alljährlich eine Missionsfeier in der Kirche veranstaltet, zu der die Weihnachtsbäume aus der Gemeinde zusammengetragen wurden – Jahre lang die einzige Missionsfeier in Halle und später vorbildlich für die anderen Gemeinden.

Durch die eigene hingebende Arbeit hat H. auch die Hilfbereitschaft und [408] Opferwilligkeit der Gemeinde in nicht gewöhnlichem Maaße geweckt und gehoben. Für die kirchliche Armenpflege standen ihm stets beträchtliche Mittel zu Gebote; die Leistungen der Gemeinde für die Heidenmission waren nicht nur im Vergleich mit denen der anderen Gemeinden der Stadt bedeutend; wenn es sich um Unterstützung eines christlichen Liebeswerks handelte, oder wenn es die Abhilfe eines Nothstandes galt, war seine Bitte nie vergeblich und seine Empfehlung stets wirksam. Zeuge hierfür ist vor allem die schon erwähnte S. Stephanuskirche, mit ihrer ganzen Ausstattung, zum weitaus größeren Theile eine Leistung der Gemeinde aus freiwilliger Liebe. Eine Kinderbewahranstalt konnte er im J. 1876 einweihen, ein Feierabendhaus für verwittwete und sonst allein stehende Frauen im J. 1879, – Anstalten, die als kirchliche Einrichtungen von doppeltem Werth für die Gemeinde sind. Eine Frucht seiner Arbeit war auch das Vermächtniß eines zweiten Pfarrhauses, das ein Schwesternpaar in froher Hoffnung auf die zweite Kirche ihm schon Jahre vorher zugesagt hatte.

So hat H. seine Arbeit der Gemeinde gewidmet und diese gebaut. Die wachsende Gemeinde war vielfach eine andere geworden, nicht nur nach Umfang und Seelenzahl. In der Stadt Halle war ein „Zug nach dem Norden“ aufgekommen; fast alle Glieder des akademischen Körpers zogen in die ehemalige Vorstadt, und die wohlhabenden Bürger, die sich von ihren Geschäften zurückzogen, bauten sich auf dem Neumarkt an. Durch Uebung waren auch dem Pastor die Kräfte gewachsen; aber ein anderer war er nicht geworden, höchstens darin, daß er die angeborene Zurückhaltung immer mehr überwand, daß der herbe Eindruck der ganzen Erscheinung auch für ferner stehende schwand und nach und nach demjenigen der überströmenden Güte und Freundlichkeit gegen alle Platz machte. Die ihm näher traten, lernten den Melancholiker auch als einen Mann von köstlichem Humor und treffendem Witz kennen. Durch seine Treue hat er sich das Vertrauen der ganzen Gemeinde erworben und erhalten, auch bei solchen, die erst seine Gegner gewesen. Daß er bei seiner Arbeit ständig an Halle gebunden war und mit Ausnahme der jährlichen Erholungsreisen, die womöglich stets ins Hochgebirge gingen, nicht hinauskam und außerhalb Halle wenig bekannt war, beruht nicht nur auf seiner Neigung zur beschaulichen Stille; er ist nie ein Mann der Parteien und Conferenzen gewesen, noch weniger haben ihn Projectenmacher und Neuerer angezogen. Wenn ihn seine Arbeit auch völlig und ständig in Anspruch nahm, sodaß wenig Erholungszeit übrig blieb, so hat er doch, namentlich in dem ersten Jahrzehnt seiner Amtsarbeit sich oft nach brüderlichem Verkehr mit den Amtsgenossen gesehnt. Nur mit Seiler, dem Pastor der anderen Vorstadt von Halle, und mit Plath, der wenige Jahre am Waisenhaus thätig war, hat er näheren Verkehr gepflogen; als er solchen später reichlicher hätte haben können, stand die Rücksicht, die er auf seine Gesundheit nehmen mußte, das Bedürfniß der Ruhe nach erschöpfender Arbeit und mancherlei Beschwerde des Alters entgegen. Trotzdem hat man ihn auch außerhalb Halles schon bald geschätzt. Als im J. 1863 Wallmann sein Amt als Inspector der südafrikanischen Missionsgesellschaft in Berlin (Berlin I) niederlegte, erging an H. der dringende Ruf zu seiner Nachfolge, aber die körperliche Kraft war gerade damals besonders erschüttert, und er war bald entschlossen, in Halle zu bleiben. Später war er für die Stelle eines Consistorialraths und Dompredigers in Magdeburg in Aussicht genommen, und wer ihn kannte, verstand es ohne weiteres, daß er es vorzog, nicht darauf einzugehen. Es war sein Wunsch, seiner Gemeinde bis ans Lebensende zu dienen, und es kostete ihn einen schweren Kampf, nach mehr als vierzigjähriger Amtsführung seine Emeritirung nachzusuchen.

[409] Das vornehmste Mittel aber für Sammlung und Erbauung der Gemeinde und das Hauptstück seiner Lebensarbeit ist ihm die Predigt gewesen. Seine Leistungen als Prediger verdienen hohes Lob und zeigen so eigenthümliche Vorzüge, daß es ihrer eingehenderen Würdigung zum Schluß bedarf. Wie wenig er von Natur zum Prediger ausgestattet zu sein schien, ließen schon seine eigenen Geständnisse erkennen. In der That wirkte auch sein Auftreten als Prediger, die ganze Art des Vortrags, die Betonung und die Gesten zunächst durchaus nicht anziehend, und unter seinen dankbaren Zuhörern hat es immer auch solche gegeben, die an der Mißhandlung, die ihre ästhetischen Empfindungen, wie sie sagten, unter seiner Kanzel erfuhren, fortwährend zu tragen hatten. Dazu kam, daß die ganze theologische Stellung Hoffmann’s nicht nur bei der liberalen Bürgerschaft auf Widerspruch stieß, sondern auch vielfach Auseinandersetzungen mit seinen Freunden veranlaßte. Nach seinem eigenen Bekenntniß vereinigten sich in ihm lutherischer Confessionalismus und Pietismus. Diese vertrat er auf der Kanzel nicht selten in einer Weise, daß man überhaupt den Eindruck eines düsteren Eiferers erhalten mochte (Kähler u. Hering a. a. O. S. 29). Der Hallische Dogmatiker Jul. Müller hat ihn deshalb einen Methodisten genannt, und Tholuck hat ihm aus Anlaß seiner Predigt über das Abendmahl erklärt, er werde es vor seinen Schülern nicht verantworten können, darnach weiter bei ihm zum Abendmahl zu kommen, während Hupfeld fortan die Laurentiuskirche mied. Das war im J. 1857. Mit Tholuck kam es bald zur Verständigung. Später hat H. selbst die ersten Jahre seiner Wirksamkeit als eine Sturm- und Drangperiode bezeichnet. Im Eifer um die Kirchenlehre hat er freilich noch manches scharfe Wort von der Kanzel gesprochen, zuletzt mit kund gewordenem Aufsehen in einer Predigt gegen die christologischen Versuche in Beyschlag’s Vortrage auf dem Altenburger Kirchentage im J. 1864. Indeß ist auch das Verhältniß zu Beyschlag ein freundlicheres geworden, und dieser, der von Anfang an in der Gemeinde wohnte, ist später auch häufig ein Zuhörer von Hoffmann’s Predigten gewesen und hat der Gemeindevertretung von S. Laurentius angehört. „Gar manche Predigt – schreibt H. in seinem Tagebuche – hat die guten Seelen arg gestoßen, die für Konfessionalismus nichts übrig hatten, die wenigsten werden verstanden haben, was ich wollte.“ Sein Eifer ging nicht darauf, das Dogma zu behaupten und zu beweisen; er glaubte vielmehr, durch solche Predigt feste Grundlagen für eine selbständige Gemeinde in der haltlosen Zeit schaffen zu helfen. Im Alter ist auch er milder geworden. Von dem guten Verhältniß zur theologischen Facultät, deren Glieder in den letzten Jahrzehnten ausnahmslos zu seiner Gemeinde gehörten, zeugt seine Promotion zum Ehrendoctor der Theologie beim Lutherjubiläum im J. 1883. Wenn er in dem Elogium als „ein Mann gründlicher und umfassender Bildung“ gerühmt wird, „der nicht wenigen aus der theologischen Jugend den Glauben gestärkt und für die Glaubenspredigt des Evangelii ein Vorbild geboten hat“, so hat er in seinem Dankeswort beim Doctorschmaus es ausgesprochen, wie hoch er die Arbeit der theologischen Wissenschaft hat schätzen lernen. Bescheiden und anerkennend ist auch das Scherzwort, das als ein Beispiel seines humorvollen und gesalzenen Witzes hier eingefügt sei – „Wie so mancher Schwache vom Arzt ins Seebad geschickt wird, mit der Weisung, nicht zu baden, aber die Luft zu genießen, so ist es mir an dem mare academicum ergangen, an dessen Gestade ich wohne. Den Wellenschlag von Ihren Kathedern konnte ich mir nicht über Kopf und Brust gehen lassen, aber die heilsame Luft von dieser See, wie ist sie mir zu gut gekommen! Ich habe im Anfang meiner hiesigen Amtsjahre meine Sturm- und Drangperiode gehabt, sie dauerte einige Jahre. Habe ich seitdem objectiver, maßvoller, gerechter [410] über die Dinge des christlichen Lebens und der kirchlichen Wissenschaft denken gelernt, so danke ich es sehr wesentlich jenem Einfluß. Ihre Facultät ist mir ein lebendiges Commonitorium gewesen, dem Satz nachzudenken und nachzuleben: in necessariis unitas, in reliquis (sic) libertas, in omnibus caritas.“ Daneben sind auch seine „Bibelstunden“ Zeugniß dafür, daß er mit den Ergebnissen der neusten Forschung wohl bekannt war und die Schwierigkeit der Aufgaben und Probleme der Theologie in unserer Zeit wohl zu würdigen wußte. Endlich aber ist ihm seine confessionelle Stellung nie Anlaß geworden, an irgend welcher Parteitreiberei theilzunehmen. Gegenüber den bedenklichen Sätzen von dem Recht der lutherischen Kirche in Preußen, die auf der Augustconferenz im J. 1875 beschlossen wurden, hat er seinen Austritt aus dieser erklärt. Von erfreulichster Weitherzigkeit zeugen seine späteren Aeußerungen zur confessionellen Frage. Wie er in der preußischen Landeskirche eine organische Zusammenfassung der lutherischen Gemeinden für unmöglich hält, so sieht er überhaupt mehr Anzeichen von Zersetzung als von Consolidirung des lutherischen Kirchenkörpers; er sieht die Hand Gottes beschäftigt, das Bauwerk der lutherischen Kirche abzutragen, um ein neues aufrichten. „Das Resultat meiner Gedanken ist, daß ich nicht an die Zukunft der lutherischen Kirche glaube, vielmehr glaube, daß der Herr eine neue Gestaltung mit seiner Kirche, soweit sie auf dem Grunde des Evangeliums steht, anbahnt, mag sie früher oder später, gewiß erst unter großen Welterschütterungen in die Wirklichkeit treten.“

Aber schon vor diesen Wandlungen ist H. als Prediger geschätzt worden. D. Kähler erzählt, daß er, von einem Freunde in die Neumarktkirche geführt, nach dem Gottesdienst erklärt habe, er würde sich dort nie wieder finden lassen. Trotzdem ist er bald wiedergekommen – vierzig Jahre lang (a. a. S. 29). „Es wehte hier ein kirchlicher Zug, der zog uns mächtig an“ fügt er im Gedenken an seine Zeitgenossen hinzu, aber die Anziehungskraft versagte auch bei solchen nicht, die den „kirchlichen Zug“ nicht spürten; bedeutsamer ist unzweifelhaft die weitere Kennzeichnung: „Die Unabweisbarkeit, mit der diese Rede das Herz erfaßte, regte nicht nur den Widerwillen innerer Bequemlichkeit auf, sie warf auch Haken hinein, die man nicht los wurde. Damit verband sich überdem eine gewaltige und eigenthümliche Verkündigung Christi, und sie wußte an alle Tiefen und Höhen des Menschenlebens anzuknüpfen.“ Jene „Unabweisbarkeit“ weist auf ein subjectives Moment von außerordentlicher Wichtigkeit, welches erst die Predigt zu der Macht werden läßt, die erfolgreich an Herzen und Gewissen anzudringen weiß. Auch die nach Inhalt und Form trefflichste Predigt erlangt ohne sie nicht jene Kraft, die den Widerstand weckt, um ihn schließlich zu überwinden. Jene günstigen Vorbedingungen aber, die in der gründlichen allgemeinen und theologischen Durchbildung Hoffmann’s sowie in seiner gewissenhaften Fortarbeit und ständigen Auseinandersetzung mit den Geistesmächten der Gegenwart gegeben waren, und jene kraftvolle Wahrhaftigkeit schufen, die den Anstoß und Widerspruch nicht scheut, werden jene Wirkung erst dann verbürgen, wenn auch der einzelnen Predigt das volle Maaß eindringender und aneignender Arbeit gewidmet wird. Diese Arbeit hat er in bewundernswerther Treue geleistet, sodaß er jene seltene Freudigkeit des Zeugnisses trotz des fortgehenden Kampfes gegen die eigene Neigung und gegen die vielen Hindernisse persönlicher Verhältnisse und Zustände sowol als auch gehäufter sonstiger Amtsarbeit unablässig und mit heißem Bemühen sich zu erobern suchte. Wie ihm die Arbeit nicht leicht wurde, so hat er sie niemals sich leicht gemacht. Weder die Gewandtheit, die die Uebung gewährt, hat er sich zu nutze gemacht, noch durch Gewöhnung das Widerstreben der eigenen [411] Natur beschwichtigt. „Kostet es doch dem mehr als Sechzigjährigen noch jeden Sonnabend Ueberwindung, wenn er die Feder ansetzen und seine Predigtgedanken ordnen soll“ (Tagebuch S. 158). War die Aufzeichnung und Einprägung der Predigt bis zur späten Nachtstunde beendet, so begann in der frühesten Morgenstunde des Sonntags die Arbeit aufs neue; er konnte sich nicht genug thun, den Inhalt zu vertiefen, den Ausdruck zu verbessern und sich selbst immer mehr in den freien und vollen Besitz seiner Predigt zu bringen. Wenn er dann auch wie erschöpft und unter Seufzen den Weg zur Kanzel ging, so spürten doch alle Zuhörer jene Kraft und Unmittelbarkeit, die die Aufmerksamkeit von Anfang bis zu Ende fesselt.

Dabei hat seine Predigtweise die gesunde Entwicklung genommen, die ebenso vorbildlich ist, wie seine Predigtarbeit. Die eingehende Darlegung der Heilswahrheit, die in der feinen Unterscheidung der einzelnen Seiten und in der Behandlung der einzelnen Lehren nach den verschiedenen Bestandteilen ihresgleichen sucht, gab den Predigten der ersten Jahrzehnte einen vorwiegend lehrhaften Charakter. In den ersten kleinen Predigtsammlungen („Der Heilsweg“, 9 Pred., 3. Aufl. und „Sünde und Erhöhung“, 12 bezw. 14 Pred., 3. Aufl.) tritt dieser unverkennbar hervor. Aber er ist dazu fortgeschritten, die Wirklichkeit christlichen Glaubens und Heils zur Darstellung zu bringen und das, was er mit der Kraft freudigen Zeugnisses aussprach, als eine Lebensmacht aufzuweisen, die in allen Verhältnissen sich als ebenso unentbehrlich wie segensreich erweist. Der fruchtbare homiletische Schriftsteller ist er erst im Alter geworden. Unter der Last seiner Arbeit fand er auch nicht die Zeit, den vielfach an ihn herantretenden Wünschen nach Veröffentlichung seiner Predigten zu genügen. Erst „langwieriges persönliches Kreuz“ brachte ihm die Muße, eine größere Sammlung von Predigten druckfertig zu machen. So erschien 1884 der Band „Unterm Kreuz“, 1890 „Kreuz und Krone“, 1894 „Eins ist noth“ – jeder mit einem vollständigen Jahrgang von je 72 Predigten. Dazwischen sind zahlreiche Einzelpredigten und auch ein Heft mit 14 Predigten über die Bergpredigt veröffentlicht worden. Nach dem Rücktritt vom Amt im Herbst 1895 ließ er noch Passionsbetrachtungen: „Die letzte Nacht und der Todestag des Herrn Jesu“ folgen, und nach seinem Tode ist ein Band von „50 Beichtreden“ durch D. Kähler herausgegeben. (Die Predigten sind sämmtlich bei R. Mühlmann in Halle erschienen.) Gegenwärtig werden „Neutestamentliche Bibelstunden“ (Leipzig, A. Deichert) veröffentlicht. Von besonderem Werth sind zwei kleine Sammlungen jener Ansprachen bei der Christvesper „Christblumen“, ebenso homiletisch als schöne Muster von Ansprachen an Kinder beachtenswerth, wie sie von der Gemeinde dankbar willkommen geheißen wurden.

In jenen Jahren, wo die Entfremdung des Volkes von der Kirche so betrübend offenbar wurde, hat auch H. sich mit der Frage beschäftigt, was der Kirche fehlte, um diejenigen festzuhalten, die sich abwandten und diejenigen wiederzugewinnen, die ihr entfremdet waren. „Könnte ich noch einmal jung werden, ich wollte vor allem darauf studiren, daß die Zunge gelehrig würde, dem Einfachsten und Geringsten verständlich und ans Herz zu reden.“ (Vgl. Kähler u. Hering, S. 52 u. 107.) Wenn auch seine Predigten volksthümlich im gewöhnlichen Sinne des Worts nicht genannt werden können, weil er den Einzelheiten zu sorgfältig nach, den Gemeinplätzen und Schlagwörtern aus dem Wege geht, so gebührt ihnen doch ein Platz unter den edelsten und besten Erzeugnissen unserer evangelischen Volkslitteratur. Wie fein hat er die Regungen des Menschenherzens und die verschiedenen Lagen des Lebens beobachtet, wie überraschend weiß er sie zu beleuchten, wie prächtig die abstracten Begriffe zu [412] veranschaulichen und in eigenartigen, oft plastischen Bildern unvergeßlich einzuprägen. Trotz allen Ernstes, aller Schwere und Tiefe kann er ganze Scenen aus dem Leben der Gegenwart mit schalkhaftem Humor auf der Kanzel zeichnen und wieder weiß er den entschuldigenden und ausweichenden Gedanken des modernen Menschen mit allen erlaubten Waffen zu begegnen und nachzugehen. Für das gebildete evangelische Haus dürfte kaum ein anderes Predigtbuch sich mehr zum Gebrauch empfehlen, zumal H. auch Rom gegenüber einen klaren und entschiedenen protestantischen Standpunkt vertritt. Aber auch als Muster und Vorbilder homiletischer Kunst werden Hoffmann’s Predigten unzweifelhaft auf viele Jahre hinaus ihren Platz behaupten, um so werthvoller darum, weil sie schwerlich zur Nachahmung verführen, aber durch ihren selbständigen Charakter und durch ihre ursprüngliche Kraft zu eigener tiefgrabender Arbeit erziehen können.