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Artikel „Hirschfeld, Christian Cay Lorenz“ von Richard Moritz Meyer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 365–367, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hirschfeld,_Christian&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 15:09 Uhr UTC)
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Hirschfeld: Cristian Cay (Cajus) Lorenz H., geboren zu Nüchel bei Eutin am 16. Februar 1742, † in Kiel am 20. Februar 1792, idyllisch-moralischer Schriftsteller und Theoretiker des Gartenbaus, nimmt in beiderlei Hinsicht unter seinen Zeitgenossen eine hervorragende Stellung ein. Er hatte seit 1760 in Halle und Kiel studirt und wurde Lehrer der Prinzessin Hedwig Elisabeth Charlotte von Holstein-Gottorf und ihrer Brüder Wilhelm August [366] und Peter Friedrich Ludwig (denen er auch den „Versuch über den großen Mann“ gewidmet hat). Die Reise, die er als ihr Begleiter unternahm, führte ihn nach Bern, wo er bis 1767 seine Studien fortsetzte; der Aufenthalt in der Schweiz und der Umgang mit den feingebildeten Berner Patriciern, den Tscharner, Bonstetten u. s. w. machte augenscheinlich Epoche in seinem Leben. Nach der Heimkehr ward er 1769 als Professor der Philosophie und der schönen Wissenschaften nach Kiel berufen, wo er fortan blieb, wie es scheint, unverheirathet.

H. entwickelte seitdem eine lebhafte populär-wissenschaftliche Thätigkeit. Der Prinzenerzieher sucht in dem „Versuch über den großen Mann“ (I 1768, II 1769) oder den „Gedanken über die moralische Bildung eines jungen Prinzen“ (1768) in die herkömmlichen Declamationen über Tugend und Größe ein wenig Empirie zu bringen, ohne sich doch wesentlich über die umlaufenden Schulgeschichten von großen Männern und ein paar Citate aus La Bruyère, Bossuet, Addison und Abbt zu erheben. Auch andere Schriften („Betrachtungen über die heroischen Tugenden“ 1770, „Vom guten Geschmack in der Philosophie“ 1770 u. a.) zeigen ihn lediglich als einen Genossen jener mild zuredenden Laientheologie und Weltphilosophie, als deren bester Vertreter etwa Garve zu nennen wäre.

Aber der etwas weichliche Optimismus dieser Richtung ermöglichte es H., eine vorteilhafte Specialität zu finden. Schon 1767 erschien sein Hauptwerk, „Das Landleben“, das dann wiederholt gedruckt wurde. H. will nach seinem eigenen Zeugniß nicht Schilderungen, sondern die Moral des Landlebens geben – eine Moral, die etwa auf den Satz herausläuft, daß „für den Weisen die ganze Welt ein unermeßlicher Schauplatz von Vergnügungen ist“. Wenn aber etwa Sulzer diesen Standpunkt der Natur gegenüber mit steifer Lehrhaftigkeit durchführt, weiß H. ihn mit wirklicher Anmuth zu erfüllen. Das noch heute lesbare Büchlein bringt freilich keine neuen Gedanken – solche hat H. nie besessen –, aber es gleicht den von ihm gepriesenen Gärten mit den geschickt zu Aussichtspunkten führenden Wegen, mit dem ungezwungnen Zierrath mancher Dichterstellen aus Kleist, Hagedorn, Uz und Geßner, mit der freundlich temperirten Heiterkeit des Tons. In der Beobachtung mancher Farbennuancen zeigt sich sogar eine gewisse Modernität; auch gehört H. zu den Ersten, die eine ausführliche Schilderung des Sonnenaufgangs versuchten, später eine beliebte Uebung. – Es folgte „Der Winter“ (1769), eine schwache Vertheidigung der rauhen Jahreszeit, von der der moderne Leser sich etwa aus Lubbock’s „Pleasures of life“ und ähnlichen Lebensempfehlungen für die gutsituirten Kreise eine Vorstellung machen mag. Angenehm wirkt nur die Humanität, die auch z. B. in der „Apologie für die Menschheit“, „Von der Gastfreundschaft“ (1777) seinem Lieblingsphilosophen Home gegenüber den angeborenen Fremdenhaß des Menschen empirisch-declamatorisch leugnet.

Hirschfeld’s doppelte Neigung, den Sinn für das Schöne in der Natur zu schärfen, und praktische Pädagogie zu treiben, veranlaßte ihn seit 1773 zu seiner erfolgreichsten Specialisirung: er ließ eine Reihe von Schriften über Gartenkunst und Landhäuser erscheinen (besonders „Anmerkungen über die Landhäuser und die Gartenkunst“ 1777, „Theorie der Gartenkunst“ 1779–85). H. bezeichnet sich selbst als den ersten Theoretiker Deutschlands auf diesem Gebiet. Mit Eifer tritt er für den natürlicheren englischen Geschmack gegen französische Steifheit und italienische Ueberladung ein. Wie weit er auf die großen praktischen Leistungen der neuen deutschen Gartenkunst in Dessau, Weimar, Muskau und Branitz Einfluß geübt hat, entzieht sich meiner Kenntniß; doch scheint wenigstens Fürst Pückler direct auf die englischen Theoretiker zurückgegangen [367] zu sein, unter denen besonders der gefeierte Kritiker Home für H. Autorität ist. Jedenfalls hat H. das Verdienst, die große Wendung im Geschmack an der cultivirten Natur vorausgefühlt und befürwortet zu haben.

H. war bei Lebzeiten ein vielgelesener Autor. Die „Gartenkunst“ ward durch Fr. de Castillon, den Secretär der Berliner Akademie der Wissenschaften, ins Französische übersetzt, mehrere andere Bücher ins Holländische. Anthologien bringen Naturschilderungen von H.; aber schon die ausgezeichnete von G. Schwab kennt ihn nicht mehr. Die Biographen Bonstetten’s und Zimmermann’s nehmen keine Notiz von dem Autor, der auf die „Briefe über ein schweizerisches Hirtenland“ und die „Einsamkeit“ gewiß Einfluß ausübte. Die englischen Landsitze, die er schon recht hübsch beschreibt, mußte Pückler von neuem entdecken. Ein gewisser Nachruhm sollte dem liebenswürdigen Verfasser des „Landlebens“ und der „Anmerkungen über die Landhäuser“ billig gegönnt werden, wenn auch die süßlichen Illustrationen seiner Bücher leider nicht selten zum Text passen.

Meusel 5, 535 (mit vollständiger Bibliographie). – Goedeke, 2. Aufl. 4, 50 (Auswahl). – Für den „Versuch über den großen Mann“ vgl. Dessoir, Gesch. d. deutschen Psychologie, 1. Aufl., S. 339.