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Artikel „Hellinck, Johann Lupus“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 698–699, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hellinck,_Johann_Lupus&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 18:36 Uhr UTC)
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Hellinck: Johann Lupus H. (Hellinc, Helling oder Hellingk), ein weitberühmter und hochgeschätzter Componist des 16. Jahrhunderts, über dessen Leben wir aber vollständig im Dunkeln sind und nur durch Zusammenstellung aller uns heute bekannten Thatsachen läßt sich ermitteln, daß er im 15. Jahrhundert geboren, im Anfange des 16. auf der Höhe seines Ruhmes stand und ein Niederländer gewesen sein muß. Die folgenden Zeilen sollen in Kürze obige Combinationen mit Beweisen belegen. Fétis nennt ihn einen Deutschen, ohne irgend welche Beweise dafür anzuführen, doch hat auch van der Straeten bei seinen archivalischen Studien in den Niederlanden noch nichts über ihn entdecken können. Seine uns hinterlassenen Compositionen haben theils deutsche Texte, theils lateinische, französische, drei weltliche Lieder aber vlämische Texte. Dieser letzte Umstand weist uns mit ziemlicher Bestimmtheit nach den Niederlanden und vlämisch wird seine Muttersprache gewesen sein, wogegen das Französische die schon damalige Umgangssprache in den südlichen Niederlanden war, Lateinisch dagegen die Sprache jedes Gebildeten und in Deutschland hat er wahrscheinlich seine Stellung und sein Brod gefunden. Klöster und kleine fürstliche Höfe gab es hier so unzählige, daß er wol in gesicherter Stellung ein nur wenig bewegtes Leben geführt und mehr in der Stille gewirkt als nach Außen von sich reden gemacht hat. Seine zahlreich auf uns gekommenen Compositionen, die aus Messen, Motetten, Chansons, vlämischen Liedern und deutschen geistlichen Kirchenliedern bestehen, befinden sich nur in Sammelwerken des 16. Jahrhunderts, die Rhau und Voctus in Wittenberg, 1538–68, Ott, Forster, Petrejus, Berg und Neuber in Nürnberg von 1537 bis 59, Kriesstein und Ulhard in Augsburg um 1545, Attaingnaut und Chemin, 1533–51 in Paris, Jacob Moderne und Phalese in Löwen, 1532–72, Susato in Antwerpen von 1546–53, Petrucci (1519), Buglhat, Gardane und Scotto in Venedig und Ferrara von 1519–59 herausgegeben haben. Aus dieser Liste läßt sich auch beurtheilen, wie weit verbreitet sein Ruf war und daß er bereits 1519 unter die berühmten Männer seiner Zeit gerechnet wurde, seine Geburt daher, wie bereits oben gesagt, in das 15. Jahrhundert zu legen ist. Da der Notendruck mit beweglichen Typen erst 1501 durch Petrucci in Venedig erfunden ward und praktische Verwerthung fand, und erst um 1530 eine allgemeinere Verbreitung erhielt, so erklärt sich auch die Erscheinung, daß von einem so vielgesuchten Componisten kein selbständig von ihm herausgegebenes Werk existirt, da er um die letztere Zeit wol längst unter die Todten gerechnet wurde. Noch am Ende des 16. Jahrhunderts wurden seine Compositionen so hoch geachtet, daß Palestrina die Motette „Panis quem ego dabo“ einer seiner Messen als Thema unterlegte (fünfte Buch seiner Messen Nr. 3 von 1591 Coussemaker, Notice sur les collect. mus. de la bibl. de Cambrai, 1843, p. 77). Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß sich manche seiner Compositionen, dem damaligen Gebrauche nach, nur unter dem Vornamen Lupus befinden und man früher geneigt war, dieselben einem anderen Componisten zuzuschreiben; erst aus meiner [699] Bibliographie der Musik-Sammelwerke des 16. und 17. Jahrhunderts (Berl. 1877) läßt sich die Identität von Lupus und H. nachweisen und es bedarf nur noch des Beweises, ob nicht der Componist, der stets unter dem Namen Lupi und Joannis Lupi auftritt, auch unser H. ist, da die Zeit und die beiden Vornamen uns fast mit Gewißheit darauf hinweisen. Die Neuzeit hat noch wenig Notiz von seinen Werken genommen und sind bis jetzt nur zwei geistliche vierstimmige Lieder: „An Wasserflüssen Babylons“, „Capitan, Herre Gott Vater mein“ und die zweitheilige Motette zu fünf Stimmen „Laudate pueri dominum“ in Winterfeld’s evangelischem Kirchengesang und in dem Band I–III der Publicationen der Gesellschaft für Musikforschung (Berl. 1873) in Partitur erschienen. Diesen Gesängen wohnt eine große Strenge, man möchte sagen Härte, inne; sie liegen unserer heutigen Empfindung so fern, daß es eines liebevollen Versenkens in dieselben bedarf, ehe man erkennt, wie werth sie wol den Alten gewesen sein können. Die deutschen Sätze muthen uns mehr an, sie ruhen auf breiter Basis; kraftvoll und ernst, mit dem Cantus firmus im Tenor, schreiten sie dahin, würdige Repräsentanten einer Zeit, die ihre Gottesandacht in gothischen Kirchen verrichtete.