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Artikel „Held, Adolf“ von Adolph Wagner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 494–498, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Held,_Adolf&oldid=- (Version vom 26. April 2024, 13:36 Uhr UTC)
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Held *): Adolf H., Nationalökonom, geb. am 10. Mai 1844 zu Würzburg, ertrunken auf einer Vergnügungsfahrt in Folge Kentern des Kahns in den Stromschnellen der Aar bei deren Ausfluß aus dem Thuner See in der Schweiz, am 25. August 1880. Einziger Sohn des noch lebenden hervorragenden Lehrers des öffentlichen Rechts an der Universität zu Würzburg, Josef v. H.

H. besuchte die Schulen seines Geburtsorts mit solchem Erfolge, daß ihm bei seiner Entlassung aus dem Gymnasium die in Baiern für solche Fälle gestiftete goldene Medaille, eine sehr seltene Auszeichnung, zu Theil wurde. Er studirte dann Rechts- und Staatswissenschaften in Würzburg (bei seinem Vater namentlich die staatsrechtlichen Disciplinen) und in München, wo er in das Maximilianeum aufgenommen wurde. Hier zogen ihn Herrmann und Windscheid am meisten an. Im J. 1865 bestand er das juristische Staatsexamen in München mit bestem Erfolge und arbeitete dann etwa ein Jahr lang als Verwaltungspraktikant im königlichen Bezirksamt zu Würzburg. In dieser Zeit verfaßte er seine kritisch-litterargeschichtliche Dissertation über „Carey’s Socialwissenschaft und das Mercantilsystem“, auf Grund deren er 1866 bei der damaligen besonderen staatswirthschaftlichen Facultät zu Würzburg den Doctorgrad erwarb. Er entschied sich gleichzeitig für den Uebertritt in die akademische Laufbahn für das Fach der Nationalökonomie. Die Anregungen der Herrmann’schen Collegien mögen dazu beigetragen haben, obgleich ein specieller Einfluß dieses Nationalökonomen auf Held’s Richtung und Arbeiten nicht hervortritt. Zur weiteren Ausbildung begab er sich, auch seinen politischen Sympathieen für Preußen [495] folgend, im Herbst 1866 nach Berlin, um namentlich in E. Engel’s statistischem Seminar statistische und verwandte Studien zu treiben. Der Berliner Aufenthalt, die sich daran knüpfenden persönlichen Beziehungen waren von nachhaltiger Bedeutung für H., der hier wie überall Dank seiner Liebenswürdigkeit, Fähigkeit und Tüchtigkeit leicht Boden faßte. Auf Engel’s Empfehlung wurde ihm schon im J. 1867 der nationalökonomische Unterricht an der landwirthschaftlichen Akademie zu Poppelsdorf bei Bonn übertragen. Gleich darauf habilitirte sich H. mit der Schrift „Zur Lehre von der Ueberwälzung der Steuern“ (Tüb. Ztschr. 1868) an der Bonner Universität. Seine günstigen Lehrerfolge, später besonders als Leiter von Seminarübungen, seine rege wissenschaftliche und publicistische Schriftstellerei, seine seltene Gabe des Verkehrs mit den Menschen, seine lebhafte Betheiligung am Vereinswesen verschafften ihm rasch eine angesehene Stellung. Bald traten Berufungen nach auswärts an ihn heran oder bereiteten sich vor (nach Innsbruck, Wien, Freiburg, Tübingen). Er wurde aber in Bonn gehalten und rasch befördert, schon 1869 zum außerordentlichen, 1872 zum ordentlichen Professor: ein zweiter Ordinarius für das Fach, neben Nasse, den der Landtag viel nach Berlin zog. Nachdem H. sich im J. 1869 verheirathet hatte, fand ihn, den eifrigen Patrioten und durchaus national gesinnten Mann, der Krieg von 1870 im Dienste des rothen Kreuzes. Die späteren politischen und kirchlichen Streitfragen beschäftigten H., der freisinniger Katholik war und sich dem Altkatholicismus anschloß, aufs Eifrigste, er wurde eines der thätigsten Mitglieder und Schriftführer des „Deutschen Vereins“. Seine Begabung und Neigung für das Vereinsleben, seine bei aller Festigkeit der Gesinnung zur Vermittlung, besonders der persönlichen Gegensätze, so befähigte Natur kam ihm sehr zu statten. Sein socialpolitischer Standpunkt und sein besonderes Interesse für die Arbeiterverhältnisse führten zum Anschluß und zur thätigen Mitarbeit an den gutgemeinten Bestrebungen deutscher, besonders rheinischer Arbeitgeber, welche in dem schon seit länger eingegangenen Blatt „Concordia“ in den 70er Jahren ihren Mittelpunkt fanden. H. schrieb für dies Blatt zahlreiche Artikel über sociale und Arbeiterfragen und Verwandtes. Noch lebhafter und bedeutsamer war Held’s Wirksamkeit in und für den „Verein für Socialpolitik“ (der sog. „Kathedersocialisten“), dessen höchst thätiger Secretär er lange Zeit war. Dieser Verein, hervorgegangen aus dem Kreise jüngerer Universitätslehrer, welche freilich kaum in etwas Anderem als in der theoretischen und praktischen Opposition gegen den ökonomischen Individualismus des extremen Smithianismus („Manchesterthum“) einig waren, entsprach auch in seiner Gesammthaltung der wesentlich auf Vermittlung hinzielenden socialpolitischen Richtung Held’s immer mehr, so daß gerade in ihm Held’s Einfluß bedeutend wurde. Die wachsende Anerkennung, welche H. vor Allem als liebenswürdiger tüchtiger Mann, als Nationalökonom und Socialpolitiker eines mittleren, allen Extremen abholden Standpunkts, als akademischer Lehrer und doch auch als Mann der Wissenschaft fand, lenkte in immer weiteren Kreisen die Aufmerksamkeit auf den in seltenem Maße Beliebten. Man konnte von ihm einmal das alte Wort umwenden und mit Recht sagen: „viel’ Freund viel Ehr“, denn nur durch gute und edle Eigenschaften hat er sich diese Liebe erworben, auch bei seinen fachwissenschaftlichen Gegnern. Im Sommer 1879 kam es zu seiner Berufung gleichzeitig an die Universität Berlin, in das seit länger vacante zweite staatswissenschaftliche Ordinariat und an die reorganisirte landwirthschaftliche Akademie, – noch Seitens des Ministeriums Falk, nicht auf Antrag, aber mit nachträglicher bedingter Zustimmung der Berliner philosophischen Facultät. Im Herbst 1879 übersiedelnd, hat er nur zwei Semester in Berlin gewirkt und sich auch hier als guter Lehrer bewährt. Ein trauriger Zufall hat dem kaum 36jährigen trefflichen [496] Manne bei einem Ferienaufenthalte in der Schweiz ein nur zu frühes Ende bereitet, – noch bevor er auch auf wissenschaftlichem Gebiete aus einem „Werdenden“ ein ganz „fertiger“ geworden und in dem gegebenen Maße seiner Fähigkeiten das Höchste, was ihm möglich gewesen wäre, geleistet hatte. – H. erschien im Leben, im Wirken und Lehren bedeutender als in seinen Schriften. Seine schriftstellerische Thätigkeit ist eine extensiv große, der aber eine ebensolche Intensivität nicht entspricht. Seine Schriften sind alle formgewandt und leicht lesbar, sie haben auch den entschiedenen Vorzug, getragen und erfüllt zu sein von dem bon sens eines Gelehrten, der, wie H. selbst von sich sagte, nicht sowol ferne Ziele stecken, als sichere Wege für das zunächst praktisch Erreichbare aufsuchen und gehen will; – der in einem praktischen Fache auch vielfach zunächst für Praktiker und Politiker schreibt und bei diesen auch die meiste Anerkennung gefunden hat. Am strengeren wissenschaftlichen Maßstab gemessen, lassen seine Arbeiten öfters eindringende kritische Schärfe, Tiefe der Auffassung der Probleme, zwingende Kraft der Beweisführung vermissen, Mängel, welche nicht allein, wenngleich häufig, mit auf die sichtbar rasche Abfassung zurückzuführen sind. Das vermuthlich reifste und gediegenste Werk seiner litterarischen Arbeit, eine sociale Geschichte Englands seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, war ihm leider nicht mehr zu vollenden vergönnt. Nur der erste Band dieses im großen Stil angelegten, auf vier starke Bände berechneten Werkes ist im ersten Manuscript fertig. Er sollte noch einmal vor dem Druck überarbeitet werden. Dieser Band wird jetzt durch einen Freund Helds herausgegeben werden. Held’s Anlage wie Neigung widersprach namentlich die abstract-deductive Richtung der Nationalökonomie eines Ricardo und Herrmann. Er vermochte sich, wie Nasse richtig bemerkt hat, kaum in den Gedankengang solcher Autoren recht hinein zu versetzen. Diese logische Schärfe, damit verbunden die Fähigkeit zur principiellen Erfassung der ökonomischen und socialen Probleme ging ihm ab. Nur so läßt sich seine stets wiederkehrende, schon in seiner ersten Schrift beginnende Polemik gegen Ricardo, seine kaum faßbare Bekämpfung der Productionskostentheorie, sein Verzweifeln an jeder Steuerüberwälzungstheorie verstehen. Die Resultate des haarscharfen speculativ-deductiven Denkprocesses eines Ricardo, dem dabei zugleich das große Abstractionsvermögen seiner jüdischen Race zu Gute kam, wobei unter ausdrücklich gestellten oder als selbstverständlich angenommenen Prämissen operirt wird, weist H. mit moralischer Entrüstung ab, – ein Kampf der Ethik gegen die Logik! Ein Beleg, daß Held’s Stärke nicht in der „reinen Theorie", auch nicht im logischen Raisonnement lag. Gleichwol, die Deduction stets bekämpfend und den überlegenen Werth des historisch-statistischen inductiven Verfahrens betonend, sind wenigstens seine Hauptarbeiten, seine „Einkommensteuer“, sein „Grundriß“, sein „Socialismus“ etc. doch überwiegend ebenfalls deducirend, aber sie befriedigen als Schriften solcher Methode nur theilweise.

Die Stärke von Held’s litterarischen Leistungen lag anderswo, eben da, wo sich auch im Leben seine Stärke zeigte: außer in der angenehmen Form in dem gesunden praktischen Sinn für die unmittelbaren Bedürfnisse des wirthschaftlichen und socialen Lebens, in dem Verständniß für die nothwendige Modifikation abstracter Theorien im Leben, in der so richtigen Einsicht, daß auch bei der Entscheidung wirthschaftlicher Fragen die rein ökonomischen Gesichtspunkte keineswegs immer die ersten sein können und dürfen, vor Allem socialpolitische, politische, sittliche oft vorangehen, in der richtigen Würdigung des historischen Rechts und des muthmaßlich auch inneren sachlichen Werths des einmal geschichtlich Gewordenen gegenüber radikalen Neuerungs- oder gar Umsturzbestrebungen. Gerade seine kleineren Arbeiten, Zeitungsartikel, Gutachten, Referate, Vorträge, kurz die eigentlichen Gelegenheitsschriften zeigen diese Vorzüge [497] und lassen jene Schwächen weniger hervortreten, weil es sich eben hier mit Recht um die Anpassung des Standpunkts an die Lebensverhältnisse des Orts und der Zeit, um „Compromisse“, um „Vermittlung“ handelt. H. ist im Guten und Ueblen ein Repräsentant jener socialpolitischen Richtung der deutschen Nationalökonomie, wie sie etwa in der Mittelpartei unter den „Kathedersocialisten“ im vorigen Jahrzehnt vertreten war. Von den einzelnen Schriften können hier nur einige hervorgehoben werden. Die schon genannte Dissertation (Würzb. 1866) hat einen bleibenden Werth für die Litterargeschichte der Nationalökonomie und reducirt Carey’s Bedeutung richtig. Verdienstvoll sind die volkswirthschaftlichen Artikel im kleinen Bluntschli’schen Staatswörterbuch. Der „Grundriß für Vorlesungen über Nationalökonomie“ (Bonn 1876, 2. Aufl. 1878) hat formelle Vorzüge und wählt mit gutem didaktischen Takt den Stoff aus. Richtig, ähnlich wie von anderen Neueren, werden die rechtlichen und ökonomischen Momente schärfer unterschieden. Die Definitionen, die unvermeidlich dem deductiven Verfahren unterliegenden Lehren vom Preise und von der Vertheilung befriedigen aus den angedeuteten Gründen weniger. Als Ergänzung des Grundrisses ist der kritische Aufsatz über neuere Revisionsversuche betr. die Grundbegriffe der Nationalökonomie in Hildebrand’s Jahrbüchern, Bd. 27 (1876), beachtenswerth. Die im Ganzen wol bedeutendste selbständige Schrift ist die „Einkommensteuer, finanzwissenschaftliche Studien zur Reform der directen Steuern in Deutschland“ (Bonn 1872), eine Art allgemeiner Steuerlehre, mit umfassender Revision der Grundfragen, treffender Abweisung der Steuer als Tausch und Behandlung der Steuerlehre in der Weise der neueren organischen Staatslehre, sonst aber mehr in den Resultaten als in den Begründungen genügend. Manche kleinere Arbeiten, in Hildebrand’s Jahrbüchern, Tübinger Zeitschrift, den Schriften des Vereins für Socialpolitik beziehen sich auch auf Steuern. Eine weitere Hauptgruppe der litterarischen Arbeiten Held’s betrifft die sociale Frage im engeren Sinne, die Arbeiterfrage und Verwandtes. Dahin gehören die Artikel in der „Concordia“; die eigene Schrift „Die Arbeiterpresse der Gegenwart“ (Leipzig 1873), eine Aehrenlese aus der socialdemokratischen Presse; das erst nach Held’s Tode herausgekommene Gutachten über die Haftpflichtfrage, endlich und namentlich die Schrift „Socialismus, Socialdemokratie und Socialpolitik“ (Leipzig 1878), letztere Schrift zugleich ein Muster urbaner, den Gegner achtender Polemik gegen den mit H. befreundeten Unterzeichneten, welcher H. wegen seiner Neigung zu Compromissen etc. angegriffen hatte. Die kritischen und theoretischen Partieen dieser für Held’s socialpolitischen Standpunkt besonders wichtigen Schrift sind zwar auch nicht eben besonders gelungen, so die erneute Polemik gegen Ricardo, gegen einige theoretische Grundlehren des wissenschaftlichen Socialismus und die Ausführungen in Bezug auf dessen Ableitung aus dem ökonomischen Individualismus. Aber recht gut sind die positiven Forderungen und deren Begründung: nothwendige Selbstzucht des Liberalismus, Verlangen freiwilliger Leistungen und Thaten der Besitzenden für die arbeitenden und besitzlosen Klassen. In der Socialgesetzgebung: vorsichtige Ausdehnung der öffentlichen Wirthschaftsorganikation, falls die Privatwirthschaft schlecht fürsorgt oder Capitalübermacht droht; wo nöthig auch Beschränkung des Privateigenthums und der Vertragsfreiheit; besonders aber neue Organisation der gewerblichen Stände, jedoch nicht eine Zwangsorganisation von oben, sondern freigewollte, von den Betheiligten selbst durchgeführte Ordnungen innerhalb eines Rahmens staatlicher Normativbedingungen. Abweisung des Strebens nach „gerechterer“ Gütervertheilung, als theils unmöglich, theils mehr schadend als nützend. Betonung des Werths der Kirche, mehr aber in unserer Zeit des von H. hoch und ideal gefaßten nationalen Staats. – Nach Held’s tragischem frühen Tode viele Nekrologe und Notizen [498] in der öffentlichen Presse, eingehender und zum Theil mit kritischer Würdigung seiner Schriften von dreien seiner Freunde und Collegen: von E. Nasse, im Eingang zu Heft 19 der Schriften des Vereins für Socialpolitik (Haftpflichtfrage), hier zugleich eine fast vollständige Uebersicht von Held’s Schriften und Aufsätzen; von J. B. Meyer, „Zur Erinnerung an A. H.“, Bonn 1880; vom Unterzeichneten in der Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 11. und 12. September 1880.


[494] *) Zu Bd. XI, S. 679.