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Artikel „Heinrich von Kettenbach“ von Jakob Franck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 676–678, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heinrich_von_Kettenbach&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 11:56 Uhr UTC)
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Band 15 (1882), S. 676–678 (Quelle).
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Kettenbach: Heinrich v. K., einer der ersten Anhänger Luther’s zu Ulm. Ueber den Ort und das Jahr seiner Geburt, seine Eltern, sowie sein ganzes Vorleben herrscht völlige Dunkelheit und ebenso ungewiß ist es, ob er, wie einige meinen, adelichen Geschlechts gewesen sei; vermuthlich hat er sich nur nach der Gewohnheit seiner Zeit nach seinem Geburtsorte genannt, wobei es jedoch wieder unentschieden bleibt, ob er aus einem Dorfe dieses Namens in Nassau oder einem solchen in der oberen Pfalz gebürtig war. Auch aus dem Dialecte seiner Schriften läßt sich in dieser Beziehung kein sicherer Schluß ziehen und einige Ausgaben derselben, worin der schweizerische oder oberschwäbische Ton herrscht, sind wol nur Nachdrucke. Sein Name erscheint übrigens bei der damaligen anomalen Rechtschreibung, auch als H. v. Kötenbach, H. Kettenbach, Ketenbach, H. Kettenpach und H. Kettenbacher. Da er in seinen Schriften eine große Bekanntschaft mit der Bibel, den Scholastikern und dem canonischen Rechte zeigt, so muß er in seiner Jugend nicht unfleißig gewesen sein, wenn er aber auch einmal Ovid’s Gedichte, die Lustspiele des Terenz und Aesops Fabeln nennt, so läßt sich daraus doch eine humanistische Bildung nicht folgern, weil er zu gleicher Zeit auch vom Talmud und Koran spricht, die er sicherlich nicht weiter kannte, vielmehr wollte er hiermit nur sagen, diese Bücher, in welchen so vieles Lächerliche und Unnütze stehe, habe man unbeanstandet lesen lassen, aber Luther werde wegen seiner wahrheitsvollen und gemeinverständlichen Schriften geschmäht und gehaßt. Alles, was über sein Leben und Wirken bis jetzt mit Sicherheit sich hat ermitteln lassen, umfaßt bloß die zwei Jahre 1521 und 1522, welche er zu Ulm verlebte. Hier kam er zu Anfang des ersteren Jahres in das Franziscanerkloster, wenn man nicht den Worten einer seiner 1522 erschienenen Schriften „Ich bin länger als ein Jahr bey euch verharrt bey Schrifft vnd Wahrheit“ den Sinn unterlegen will, daß er schon länger in diesem Kloster sich befunden habe. Auf dem Titel aller seiner Schriften nennt er sich „Bruder“, „Barfüsser“, auch „Barfüsser Observantz“, und Eberlin (Bd. V. S. 575), der in dem nämlichen Kloster die reine Lehre des Evangeliums öffentlich von der Kanzel vorgetragen hatte und wahrscheinlich noch vor K. hatte flüchten müssen, bezeichnet ihn in seiner „Andern Vermanung an den Rath der Stadt Ulm“ (Erf. 1523, 4, vorletzte Seite), auch als „Vater Heinrich K.“, wobei es jedoch auffallend bleibt, daß K. dieses um die Ulmische Kirche verdienten Mannes in keiner seiner Schriften und nicht einmal seiner Flucht in seinem „Valete“ gedenkt, in welch’ letzterer er doch den am 2. Juli 1522 erfolgten Widerruf des Idelhauser (Weyermann a. a. O., I, 359) erwähnt, der erst nach Entweichung erfolgte. Seine erste evangelische Predigt hielt er am ersten Sonntag in der Fasten 1522 „von den Fasten vn Feyren“ und ihr folgten noch [677] weitere in diesem und vielleicht auch dem nächsten Jahre, in allen aber läßt er sich nach der Sitte der Zeit außerordentlich grob über die Unverschämtheit der Mönche aus, die jeden Ton für Gottes Wort ausgeben, sowie über den Papst und die Prälaten, die den Sinn des Evangeliums nach Belieben verändern und Lehrsätze festsetzen können, wovon das Neue Testament nichts wisse. Es läßt sich denken, daß K. durch solche Predigten die Gunst seiner Klosterbrüder nicht werde gewonnen haben, vielmehr gaben sie ihm ihre Abneigung, die bald genug in tödtlichen Haß überging, auf mancherlei Art zu erkennen. Besonders trat der Lector im Kloster der Predigermönche, Peter Nestler (eigentlich Pater Hutz: Veesenmeyer, S. 117–126), welche ohnehin immer gegen die Ketzer dienten und gerade damals Ursache hatten, den noch im lebhaften und unangenehmen Andenken stehenden Berner Scandal (s. Jetzer, Bd. XIV, S. 1 ff.) vergessen zu machen, wider K. auf und suchte dessen Predigten zu widerlegen, der wiederum und immer heftiger durch neue Predigten die seines Gegners beleuchtete. Allein hierdurch und weil K. seine eigenen Predigten auch drucken ließ, stieg der Haß der Ulmischen Mönche zu einer solchen Höhe, daß sie sogar Anschläge gegen sein Leben faßten, dies sagt K. selbst in seiner Schrift: „Eyn gesprech bruder Hainrichs von Kettenbach mit aim frommen altmütterlein …“, 1523, mit den Worten „Do ich wyst, das ich nit bleiben kondt, vnnd todfeynd hat, wolt ich jn nit geben vrsach ein mort an myr zu volbringen“. Er flüchtete also und wahrscheinlich noch 1522 eilends aus Ulm und zwar so schnell, daß er eine Predigt, die er bereits zum Abschiede ausgearbeitet hatte, nicht mehr halten konnte und die Handschrift später einem Ulmer Studenten schenkte, der sie 1522 im Druck herausgab. Von nun an verliert sich jede Spur des Mannes und über seinen ferneren Aufenthalt bis zu seinem Tode bestehen nur Vermuthungen, von welchen zwei die annehmbarsten sind. Die eine ist, daß er sich sogleich von Ulm aus auf die Ebernburg oder auch auf die zu Landstall (bei Kaiserslautern) zu Franz v. Sickingen begeben habe, weil er nach dessen 1523 erfolgten Tode aus der letztgenannten Burg eine förmliche Vertheidigung desselben unter dem Titel schrieb: „Ain vermanung Juncker Frantzen von Sickingen zu seynem hör (Heer) …“, 1523, und aus der Wärme, mit der er für diesen Ritter spricht, sich mehr als nur vermuthen läßt, daß er mit demselben in einem engeren Verhältniß gestanden sei. Noch wahrscheinlicher aber ist es, daß er von Ulm aus nach Wittenberg ging, wohin damals zu Luther’s und seiner Freunde nicht geringer Last die aus den Klöstern vertriebenen oder entwichenen Mönche, als einem allgemeinen Asyle, schaarenweise eilten, und wo er auch seinen ehemaligen Klosterbruder Eberlin anzutreffen hoffen konnte. Daß er aber an einem recht sicheren Orte gelebt haben müsse, dient zum Beweise, daß er nun selbst den Kaiser nicht schonte und sehr beleidigende Stellen gegen ihn in seine Schriften einrückte, weshalb man in Nürnberg für nöthig fand, sein Buch „Ein Practica practi | cirt ausz der heylger Bibel, | vff vil zukünftig jar …“, 1533, 4, zu verbieten. Dann aber sind nach Titelbuchstaben und Titeleinfassungen zu schließen, seine späteren Schriften, die für Sickingen geschriebenen allein ausgenommen, zu Wittenberg oder Erfurt gedruckt, obgleich kein Drucker, außer Nickel Schirlentz zu Wittenberg es wagte, sich zu nennen und selbst dieser lieferte von der Schrift „Verglychung des allerheiligsten herrn vnn vatter des Bapsts gegen … Jesus … Domine quo vadis. Rhomam iterum crucifigi …“, 1523, zwei Ausgaben, von deren einer er sich nannte und bei der anderen nicht. Für seinen Wittenberger Aufenthalt spricht außerdem, daß er die bereits erwähnte Handschrift seines „Valete“ einem Studenten von Ulm schenkte, welcher in Wittenberg studirte und dem ein Ulmer Kaufmann von seiner wegen der Orthodoxie ihres Sohnes besorgten Mutter Briefe brachte, in denen sie ihrem [678] Sohne räth, sich von Wittenberg wegzubegeben, weil man ehestens Luther überfallen und aufheben werde. Alle Schriften des K., neunzehn an der Zahl, sind deutsch geschrieben und wurden bei ihrer Erscheinung begierig gekauft und gern gelesen, was sich schon aus den wiederholten Auflagen und Nachdrucken und der Uebertragung freilich nur einer einzigen, der oben angezeigten „Von den Fasten vnd Feyren“ in das Niederdeutsche, schließen läßt, und sie zählen sämmtlich zu den größten Seltenheiten. Seine „Practica“ als die weitaus wichtigste, hat Böcking in den Opp. Hutt. III, 538–541 wieder abdrucken lassen.

Veesenmeyer. Beyträge zur Geschichte d. Lit. u. Reform., S. 79–117. Weyermann, Nachr. von Ulmischen Gelehrten, S. 355–359. Zeltner, Bibelversion, S. 29–30. Unschuld. Nachrichten, 1719, 576 ff. Panzer, Ann., II (Register). Scheller, Bücherkunde der Sassisch-Niederdeutschen Sprache, N. 619. Goedeke, Gr., I. 214, 246. Weller, Repert. und Supplem. (Register). Thesaurus libell. p. 108–110.