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Artikel „Heim, Ernst Ludwig“ von August Hirsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 319–325, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heim,_Ernst_Ludwig&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 11:08 Uhr UTC)
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Band 11 (1880), S. 319–325 (Quelle).
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Heim: Ernst Ludwig H., Arzt, ist den 22. Juli 1747 in Solz (einem Dorfe in dem zu Sachsen-Meiningen gehörigen Theile der Grafschaft Henneberg) geboren, wo sein Vater die Pfarrstelle bekleidete. – Den ersten Unterricht erhielt er im elterlichen Hause, vorzugsweise von dem Vater selbst, erst im J. 1764 kam er behufs Vollendung seiner wissenschaftlichen Vorbildung auf das Lyceum zu Meiningen, das er in zwei Jahren absolvirte, so daß er bereits 1766 die Universität in Halle beziehen konnte, um sich dem Studium der Medicin zu widmen. Hier trat er in ein inniges Freundschaftsverhältniß zu dem Sohne des königl. Leibarztes Muzel in Berlin, und machte mit demselben, nachdem Beide, H. unter Einreichung seiner Dissertation „De origine calculi in viis urinariis quatenus est arthritidis effectus,“ zu Doctoren der Medicin promovirt worden waren, eine mehrjährige wissenschaftliche Reise, zuerst durch Deutschland und Holland, sodann nach London, wo H. zu Hunter, Fordyce und Pringle in nähere Beziehungen trat, nach Paris, wo er in dem Hause von Desault freundliche Aufnahme fand, und endlich nach Straßburg. Im J. 1775 in die Heimath zurückgekehrt, ging er nach Berlin, um sich hier auf dringenden Wunsch seines Jugendgefährten zu habilitiren, allein schon im folgenden Jahre siedelte er, nachdem er in Berlin das Physikats-Examen abgelegt hatte, nach Spandau über, um hier seinen schwer erkrankten Universitätsfreund, den Physikus Dr. Jetzke, in seiner ärztlichen Praxis und seinem Amte zu vertreten. Nachdem Jetzke ein halbes Jahr später seiner Krankheit erlegen war, wurde H. zum Stadtphysicus erwählt und später (1778) zum Physicus des havelländischen Kreises ernannt. Als der einzige in Spandau lebende Arzt gewann er alsbald in der Stadt und in der ganzen Umgegend derselben eine sehr umfangreiche und einträgliche Praxis, die sich im Laufe der nächsten Jahre so sehr steigerte, daß H. trotz der angestrengtesten Thätigkeit den an seine ärztliche Hülfe gemachten Ansprüchen nicht mehr zu genügen vermochte, und so führte er den lange gehegten Plan, nach Berlin überzusiedeln, wovon ihn bis dahin die ihm in seinem Wirkungskreise lieb gewordene Beschäftigung und die Freude an dem ihm von seiner großen Clientelschaft entgegen getragenen Vertrauen zurückgehalten hatte, im J. 1783, und zwar mit um so größerer Zuversicht auf die Gestaltung seiner Zukunft aus, da der Ruf seiner ärztlichen Tüchtigkeit bereits nach Berlin gedrungen, seine Hülfe schon vielfach von Berliner Familien in Anspruch genommen worden und ihm somit ein Feld gedeihlicher Thätigkeit gesichert war. Die Hoffnung, welche H. auf einen Erfolg in Berlin gesetzt hatte, erfüllte sich trotz der Schwierigkeiten, welche ihm hier entgegentraten und ihm anfangs namentlich von Seiten mancher einflußreicher Collegen bereitet worden waren, alsbald in [320] der glänzendsten Weise. Seine Gegner versöhnte er schnell durch sein ebenso bescheidenes, den strengsten Gesetzen der Collegialität entsprechendes, wie sicheres Auftreten, die Gunst des Publicums errang er durch seine Liebenswürdigkeit, Uneigennützigkeit, unermüdliche Thätigkeit und durch die glücklichen Kuren, welche er ausführte, und so gewann er bald in allen, hohen und niederen, Kreisen der Gesellschaft eine ärztliche Praxis, welche schließlich einen so enormen Umfang erreichte, dessen sich wol nur sehr wenige Aerzte jemals erfreut haben. Unverdrossen und unermüdet, mit einer seltenen Pflichttreue und ohne jede Rücksicht auf den pecuniären Gewinn, der ihm daraus erwuchs, widmete er den tausenden Kranken, welche bei ihm alljährlich Hülfe suchten, seine ganze Zeit, er gönnte sich nur wenige Stunden zur Erholung und zum Schlafe, den er, um Allen zu genügen, bis auf fünf Stunden täglich abzukürzen genöthigt war und erst die Abnahme seiner Kräfte, die er sich, Dank der regelmäßigen Lebensweise, bis ins hohe Alter ungeschwächt erhalten hatte, veranlaßte ihn vom J. 1829, also seinem 84. Lebensjahre an, seinen Wirkungskreis einzuschränken und endlich im J. 1832 die Praxis ganz aufzugeben. Von da an führte er ein Stillleben, das manche Beschwerden des hohen Alters, namentlich Abnahme des Sehvermögens und des Gedächtnisses, nicht zu trüben vermochten; die Verehrung und liebevolle Theilnahme, welche er bei Freunden und Bekannten von nahe und fern fand, die fortdauernde Treue und Anhänglichkeit, welche ihm die Collegen erwiesen, erheiterten die letzten Jahre seines Lebens; ungeschwächt bewahrte er sein Interesse für wissenschaftliche Dinge, besonders für die Mooskunde, die ihn seit seiner frühesten Jugend lebhaft beschäftigt hatte, während er die Abendstunden mit der Besprechung wissenschaftlicher Schriften, die er sich von jungen Collegen vorlesen ließ, ausfüllte. Bald nach der Feier seines 88. Geburtstages (Ende Juli) befiel ihn eine nicht zu beseitigende Diarrhöe, die Eßlust verlor sich, schnell trat allgemeiner Verfall ein und so erlag er am 5. September 1834 sanft und ohne Schmerz. – H. war dem Alter nach der Dritte von sechs Brüdern, von welchen der älteste, Johann Ludwig, Verfasser der „Geologischen Beschreibung des Thüringer Waldgebirges“, als sachsen-meiningischer Wirklicher Geheimrath und Excellenz im J. 1819 gestorben ist, der zweite, Johann Christoph, Pfarrer zu Gumpelstadt, sich angelegentlich mit Botanik und Mineralogie beschäftigt hat und der Verfasser einer „Flora germanica“ ist, der vierte, Anton Christoph, sachsen-meiningischer Hofrath und Advocat, sich durch seine vielseitigen Talente, seine Thätigkeit und Liebenswürdigkeit so sehr auszeichnete, daß in seinem gastfreien Hause der Fürst des Landes, der Gelehrte, der Künstler und der biedere Landmann gleich gerne gesehen waren und sich gleichmäßig heimisch fühlten, der fünfte, Friedrich Timotheus, Pfarrer zu Effelder, sich nicht allein in seiner Stellung als Seelsorger, sondern auch durch die Förderung der Obstbaumzucht verdient gemacht hat, der sechste endlich, Johann Christoph, seinem Vater im Pfarramte gefolgt ist. – Alle sechs Brüder haben also eine ehrenvolle, zum Theil hervorragende Stellung in der Gesellschaft und im öffentlichen Leben eingenommen – ein Resultat, welches gewiß nicht nur auf eine glückliche Naturbegabung derselben zurückgeführt werden darf, sondern das ohne Zweifel wesentlich aus den Eindrücken hervorgegangen ist, welche im elterlichen Hause auf sie eingewirkt und ihrer geistigen Entwickelung eine so günstige, zum Theil gleichmäßige Richtung gegeben haben. – Der Vater, Johann Ludwig, wird als ein ungewöhnlich begabter Mann geschildert, der nicht nur, von wahrer Frömmigkeit durchdrungen, seiner amtlichen Pflicht aufs treueste nachkam, sondern auch durch seine Charakterfestigkeit, durch seinen Fleiß und durch seine wissenschaftliche Bildung – er hat eine größere Reihe historischer Schriften, die Geschichte seines Vaterlandes betreffend, veröffentlicht – den Söhnen ein leuchtendes [321] Beispiel wurde. – Mit Strenge und in Einfachheit erzogen, war ihnen das größtmögliche Maß persönlicher Freiheit gegönnt; bis zu ihrem 16. Lebensjahre empfingen sie den Unterricht im elterlichen Hause; ihre Thätigkeit innerhalb bestimmter Stunden, welche aufs strengste eingehalten werden mußten, wurde von dem Vater überwacht, übrigens aber blieb es jedem überlassen, sich mit dem Gegenstande zu beschäftigen, der ihm gerade zusagte; andere Stunden wurden der Verrichtung häuslicher Geschäfte, dem Sägen und Kleinmachen von Holz, den Arbeiten im Garten und auf dem Felde, unter Umständen auch der Pflege der kleineren Geschwister gewidmet – dann aber kamen die Stunden der Muße, in welchem es jedem freistand, umher zu schweifen, dem Fischfang und Vogelstellen nachzugehen vom 10. Lebensjahre an sogar mit der Flinte durch Feld und Wald zu streifen. In dem Haushalte herrschte die größte Einfachheit, welche durch die äußerst beschränkten Subsistenzmittel der Familie geboten war, und über demselben waltete die trefflichste Hausfrau, „die frömmste und beste Mutter“, wie H. sagt, deren treue Ermahnungen neben der Strenge des Vaters den besten Einfluß auf die Herzen der Kinder äußerten. So wurden die Knaben von der frühesten Kindheit an Gehorsam und die sorglichste Pflichterfüllung gewöhnt, gleichzeitig aber entwickelte sich in ihnen schon früh das Gefühl der Selbständigkeit, das Vertrauen auf die eigene Kraft und ein religiöser Sinn, der in wahrer Frömmigkeit wurzelte und den sittlichen Gehalt bedingte. Ohne Zweifel trug jenes Umherschweifen in Wald und Feld wesentlich dazu bei, in den aufgeweckten, gut beanlagten Knaben die Freude an der Natur und den Sinn für Naturbeobachtung wachzurufen, und es ist gewiß kein bloßer Zufall, daß von den sechs Brüdern drei sich mit Vorliebe der Naturforschung zugewendet haben und auf diesem Gebiete selbst productiv geworden sind. Wie wenig übrigens jene den Knaben gegönnte persönliche Freiheit die wissenschaftliche Vervollkommnung derselben beeinträchtigt hat, geht daraus hervor, daß Ernst Ludwig, der, wie seine Brüder vor und nach ihm, erst im 16. Lebensjahre das elterliche Haus verließ, um seine Vorstudien für die Universität an einem Gymnasium zu vollenden, schon nach zwei Jahren die Reife erlangt hatte. – Das hier in seinen Hauptzügen geschilderte Familien-Charakterbild spiegelt sich in dem ganzen Leben und Wirken Ernst Ludwig Heim’s in unverkennbarer Weise ab und eben diese Charaktereigenthümlichkeiten sind es, die ihm die höchste Verehrung und Liebe seiner Mitbürger verschafft, die ihn – man darf wol sagen – zum Abgotte derselben gemacht haben. – Den Grundzug seines Charakters bildete absolute Wahrheit und Lauterkeit der Gesinnung, verbunden mit einer bis zur Naivität gesteigerten Einfachheit und Harmlosigkeit und mit Bescheidenheit; seine Humanität, besonders gegen Arme, und seine Uneigennützigkeit kannte keine Grenzen, mit gleicher Gewissenhaftigkeit wirkte er in den Palästen der Fürsten wie in den Hütten der Armuth und des Elends, und gerade in der Anerkennung und dem Dankgefühl, das ihm hier wurde, fand er den höchsten Lohn seiner rastlosen Thätigkeit, so daß, wie er wiederholt in seinem Tagebuche erklärt, die geringsten Beweise von Anerkennung bei Armen ihm mehr Freude als die glänzendsten Honorare der Reichen bereitet haben. – Sein tief religiöser Sinn, der sich nicht auf den Kirchenbänken breit machte, sondern der in ihm lebte, und dem er an vielen Stellen des von ihm geführten Tagebuches Ausdruck gegeben hat, machte ihn duldsam gegen Andere, versöhnlich gegen seine Gegner, mild in seinem Urtheile über die Fehler der Menschen, und verschaffte ihm den sittlichen Halt und den inneren Frieden, der ihn auch Mißgeschick und Unglück, von dem H. nicht verschont geblieben ist, mit Fassung und Ruhe tragen lehrte. Sein hohes, wohlbegründetes Selbstbewußtsein spiegelte sich in der Sicherheit und Bestimmtheit seines Auftretens ab, und alles Das, verbunden mit der Heiterkeit [322] und Frische des Geistes, welche er sich bis ins höchste Alter bewahrt hatte, gewann ihm die Herzen seiner Mitbürger und sicherte ihm das unbegränzte Vertrauen, das er nicht blos als Arzt, sondern auch als Mensch bei denselben genossen hat. – So nahm H. in der Gesellschaft eine sehr hervorragende, eine exceptionelle Stellung ein. Trotz seiner enormen ärztlichen Thätigkeit blieb ihm noch immer Zeit, um sich an dem gesellschaftlichen Umgange mit seinen Freunden und Gönnern zu erfreuen, und diese zählte er nicht blos in bürgerlichen Kreisen, sondern auch in der ersten Beamtenwelt und in der höchsten Aristokratie. In dem Verkehre mit hochgestellten Personen fühlte er sich anfangs etwas beengt, mit seinem wenig formellen, cordialen Wesen stieß er hie und da an, später aber gewann er an Sicherheit, die Hochschätzung seiner Eigenschaften ließ seine Eigenthümlichkeiten übersehen und so bewegte er sich schließlich mit Leichtigkeit auch in der ersten Gesellschaft, wiewol er dem Umgange in streng bürgerlichem Kreise immer den Vorzug gab; so schreibt er in seinem Tagebuche aus einem der Wintermonate des J. 1805: „Beim Courtier Neumann, in Gesellschaft des Bäckers Schauß, Töpfers Höhler, seines Bruders, des Bankorendanten, des Posamentirer Barth und Mäkler Weiß gespeist; gestern wurden wol 50 Schüsseln beim *** Gesandten aufgetragen und heute nur drei, nämlich Suppe mit einer Henne, Erbsen mit Pökelfleisch und ein Puterbraten: aber wie viel vergnügter war ich in der heutigen Gesellschaft.“ Welchen Umgang H. damals übrigens hatte, geht daraus hervor, daß er in der Zeit vom 3. bis 12. Januar 1805 einmal beim Grafen Wartensleben, zweimal bei Frau v. Berg, ferner beim Fürsten Radziwill, beim Prinzen Ferdinand, beim Grafen von Lottum, beim englischen Gesandten, beim Minister von Voß und beim Minister von Hardenberg dinirt hat. – Am lautesten sprach sich die Liebe und Verehrung, welche H. genoß, bei Gelegenheit der von ihm gefeierten großen Familienfeste, besonders seines Doctorjubiläums (1822) und seiner goldenen Hochzeit (1830) aus, welche den Charakter von Volksfesten annahmen, schließlich in der Theilnahme der ganzen Bevölkerung Berlins an seinem Leichenbegängnisse. – Noch über das Grab hinaus bewahrheitete sich die Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit Heim’s, indem er seinem Freunde, dem Superintendenten Küster, während er noch im kräftigsten Mannesalter stand, eingeschärft hatte, ihm ja keine Lobrede zu halten, wenn er dereinst an seinem Grabe das Wort nehmen sollte. – Für den versöhnlichen und liebenswürdigen Charakter Heim’s ist die Stellung, welche er zu seinen Collegen eingenommen hat, nicht wenig bezeichnend. Bei seiner Uebersiedelung nach Berlin fand er bei manchen, besonders der älteren Aerzte einen nicht gerade zuvorkommenden Empfang, mit seinem freien, unbefangenen, etwas formlosen Auftreten, sowie mit seiner, nicht auf dogmatischen Schulsatzungen, sondern auf eigener Ueberzeugung beruhenden Heilmethode erregte er unter denselben Verstimmung und Opposition, verletzte auch wol mit mancher herben Kritik, die er sich über das Verfahren eines oder des andern Collegen erlaubte; sehr bald aber lernte er auch in dieser Beziehung Nachgiebigkeit und Milde im Urtheil üben und so stellte sich sehr bald das freundschaftlichste Verhältniß zwischen ihm und den meisten übrigen Aerzten Berlins her, während er die übrigen, welche sein Uebergewicht nicht verwinden konnten, schließlich doch durch seine Unparteilichkeit, Uneigennützigkeit und Offenheit für sich gewann. „Gott weiß“, sagt er an einer Stelle seines Tagebuches von seinen Gegnern, „daß ich keinem meiner Collegen das Seine beneide, ihnen vielmehr allen Segen wünsche“, und an einer andern Stelle, die einer späteren Periode seines Lebens angehört, erklärt er, er habe niemals Anstand genommen, tüchtige Aerzte, auch wenn sie seine Gegner waren, zu Consultationen bei Kranken aufzufordern, auch wenn er wußte, daß sie ihn hinter seinem Rücken bei den Patienten verkleinern würden; [323] „ich habe mich an dergleichen Reden nicht gekehrt“, fügt er hinzu, „wenn meine Kranken nur besser wurden“. So konnte der Geistliche, der die Leichenrede an seinem Grabe hielt, von H. auch in Bezug auf dessen Collegen sagen, er habe keinen Feind zurückgelassen. – Die erste Anregung, sich dem ärztlichen Stande zu widmen, fand H., wie er erzählt, in der kindischen Lust, es einem Doctor gleich zu thun, der mit einem, mit breiter Goldtresse besetzten Hute in seinem elterlichen Hause erschienen war; sehr viel mächtiger aber wirkte wol später das ihm von seinem Vater gebotene Beispiel, der sich heilkünstlerische Kenntnisse angeeignet hatte und in seinem Wirkungskreise vielfach ärztliche Kuren, und auch mit Glück, ausführte, so daß H., noch halb Knabe, sich auch in kleinen Kuren versuchte. Das eigentlich treibende Element in ihm war aber ohne Zweifel seine Freude an der Naturbeobachtung, die ihm über Alles ging, die ihm den Weg vorzeichnete, den er später im Studium der Medicin und in der ärztlichen Praxis einschlug und die sich auch in seiner Neigung zur Naturkunde, besonders zur Pflanzenkunde und zwar namentlich zum Studium der Moose aussprach. Von frühester Jugend bis an sein Lebensende hat er diesem Gegenstande lebhafte Aufmerksamkeit geschenkt, gründliche Forschungen in demselben angestellt und eine ausgezeichnete Moossammlung angelegt; ihm wurde dafür die Anerkennung zu Theil, daß Hedwig in dem Gymnostomum Heimii seinen Namen in der Pflanzenkunde verewigt hat, daß auch im J. 1777 ein Ruf als Professor der Botanik nach Frankfurt a. O. an ihn erging, den er vermuthlich aus denselben Gründen ablehnte, die ihn veranlaßt hatten, eine Aufforderung seines Gönners, des Prof. Nietzky in Halle, sich der akademischen Carriere zu widmen, zurückzuweisen, indem er erklärte: „Zu einem Professor bonae indolis wird viel erfordert und ich habe überdem keine sonderliche Lust dazu.“ – Aus der Hochschätzung der aus getreuer Naturbeobachtung gewonnenen Erfahrung erklärt sich auch, wie bemerkt, die wissenschaftliche und praktische Richtung, welche H. in der Heilkunde genommen hat. Sein Princip war, nur das für wahr zu halten, was er durch seine fünf Sinne wahrgenommen und erkannt hatte, oder doch erkannt zu haben glaubte; hieraus zog er Schlüsse, oft mehr kühn als besonnen, und darauf hin stellte er muthig Versuche an, übrigens aber verhielt er sich gegen die Meinungen Anderer, die seiner Ueberzeugung nicht entsprachen, skeptisch, am wenigsten huldigte er irgend einem Schuldogmatismus, so daß es ihm leicht wurde, sich von allen medicinischen Auswüchsen seiner Zeit, von dem Brownianismus, für den er sich eine Zeit lang lebhaft interessirt hatte, von der Naturphilosophie, dem thierischen Magnetismus u. a. vollkommen frei zu halten. Charakteristisch ist seine Vorliebe für Stoll’s Ratio medendi, die seinen streng empirischen Sinn wol ansprechen konnte und die Jahre lang vorzugsweise seine Lectüre gebildet hat, so wie sein Eifer, sich durch Leichenuntersuchungen von der Richtigkeit der von ihm gestellten Diagnosen zu vergewissern; schon während seines Aufenthaltes in Spandau scheute er kein Mittel, um auf diesem Wege seine Kenntniß zu bereichern und denselben Eifer zeigte er später und bis zum Ende seiner ärztlichen Laufbahn in Berlin; „wenn Berlins Einwohner“, sagt sein Biograph Keßler, „das Oeffnen ihrer Todten eher als die Bewohner anderer großer Städte gestatteten, so verdanken wir dies Heim’s Einflusse, dem der Wunsch, den Verstorbenen nach dem Tode öffnen zu wollen, nur selten unerfüllt blieb.“ – Zu seiner Ehre muß übrigens hinzugefügt werden, daß H. seine Augen vor begangenen Irrthümern nicht verschloß, sondern diese offen und ehrlich bekannte, sich auch für alles Neue in der Wissenschaft lebhaft interessirte und ohne Vorurtheil annahm, was sich ihm auf dem Probirsteine der eigenen Erfahrung bewährt hatte. – Mit Unrecht hat man ihm den Vorwurf gemacht, daß er wenig gelesen und von den Fortschritten der Wissenschaft wenig Notiz genommen habe; allerdings war es [324] ihm, besonders in den späteren Jahren seines Lebens, bei der überhäuften Thätigkeit, nicht möglich, Alles zu lesen, was neu erschienen war – und dabei hat er auch nicht viel verloren, denn die Zeit, in welcher er lebte, war eine an bedeutenden litterarischen Producten in der Heilkunde sehr sterile –, aber er veranlaßte seine jungen Freunde und Collegen, ihm den Inhalt solcher Schriften, die ihm wichtig erschienen, mitzutheilen, mit Aufmerksamkeit hörte er die Berichte an und betheiligte sich dann lebhaft an den daran geknüpften Discussionen. – Besondere Bewunderung zollten ihm die Collegen wegen der Schärfe und Schnelligkeit, mit welcher er Diagnosen stellte, und von der Sicherheit, mit welcher er darauf den Heilplan gründete: von seinem diagnostischen Talente erzählten sich die Zeitgenossen Wunderdinge, die auch heute noch von Munde zu Munde gehen. Es bleibe dahin gestellt, wie viele von diesen Traditionen wahr, wie viele erfunden oder doch falsch gedeutet sind, an der bewunderungswürdigen praktischen Gewandtheit Heim’s läßt sich nicht zweifeln, und es beeinträchtigt seinen Ruhm wahrlich nicht, wenn man annimmt, daß es sich dabei um eine Art instinctives, auf reiche Erfahrung und klaren Blick gestütztes Verfahren gehandelt hat. Hat doch schon sein Zeitgenosse und College Reil geurtheilt: „H. weiß nicht, wie er die Leute kurirt. Unsereiner sieht und fragt und forscht wochenlang, ehe er zu behaupten wagt, er wisse, wo die Krankheit sitzt. Ruft man nun H., so tritt er in seiner leichten Manier hinein; sieht kaum nach dem Kranken, fragt ihn oft nicht einmal und sogleich trifft er den Punkt, auf welchen uns erst eine lange, mühsame Combination geleitet hat“ (Keßler S. 477). – Wie viel H. bei seinen glänzenden Leistungen den gründlichen Kenntnissen, die er sich angeeignet, der reichen Erfahrung, die er gewonnen, dem klaren Blicke, dessen er sich erfreute, wie viel er endlich dem Glücke, das dem Kühnen stets hold ist, verdankt hat, läßt sich heute schwer beurtheilen; man kann nur sagen: er war ein „Arzt von Gottes Gnaden“. Daß es einem solchen seltenen, als Mensch und Arzt gleich hochstehenden Manne an äußeren Ehren, Titeln und Decorationen nicht gefehlt hat, bedarf kaum der Erwähnung; im J. 1799, demselben, in welchem er, als der erste, in Berlin die Vaccination ausgeführt hat, wurde er zum Geheimrathe ernannt, 1817 erhielt er vom Könige von Preußen, der ihm bei der Erkrankung der Königin Louise das höchste Vertrauen geschenkt und ihm auch nach dem Tode derselben zahlreiche Beweise seines Wohlwollens gegeben hatte, den rothen Adlerorden dritter Klasse, und vom Könige von Schweden den Nordsternorden. Bei seinem Doctorjubiläum (1822) wurde ihm mit einem gnädigen Handschreiben des Königs der rothe Adlerorden 2. Klasse mit Eichenlaub eingehändigt und bei eben dieser Gelegenheit überreichte ihm der Botaniker Link die Beschreibung und den Abdruck einer bisher nicht beschriebenen mexikanischen Pflanze, welche, um das Andenken des „Botanikers H.“ zu verewigen, nach Link’s Bestimmung den Namen „Heimia“ erhalten hatte. – Die litterarischen Arbeiten Heim’s (ein vollständiges Verzeichniß derselben findet sich in Callisen, Med. Schriftsteller-Lexikon, Bd. VIII. S. 271–4 und Bd. XXVIII. S. 443, mehrere derselben sind, im Auftrage des Verfassers von Paetsch gesammelt, Leipzig 1836 herausgegeben worden) umfassen eine größere Reihe von Journalartikeln und Recensionen aus verschiedenen Gebieten der Heilkunde; mehrere dieser Arbeiten haben seiner Zeit aufklärend, belehrend und anregend gewirkt, ein hoher wissenschaftlicher Werth kann ihnen nicht beigelegt werden und auch dieses Urtheil kann den Ruhm eines Mannes nicht schmälern, der sich als Arzt unvergängliche Verdienste um die leidende Menschheit erworben hat.

Ueber Heim’s Leben vergl. die von seinem Schwiegersohne, dem Geheimen Rathe Geo. Wilh. Keßler, aus den hinterlassenen Briefen und Tagebüchern [325] Heim's herausgegebene Biographie: Der alte Heim. Leben und Wirken E. L. Heim's etc. Leipzig 1835. 2. sehr vermehrte Auflage ib. 1846.