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Artikel „Gundert, Hermann“ von Christoph Friedrich Eppler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 632–634, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gundert,_Hermann&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 12:05 Uhr UTC)
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Gundert: Hermann G., geboren am 4. Februar 1814 in Stuttgart, der Sohn eines charaktervollen, pietistischen Hauses, trat mit fünf Jahren in das Gymnasium seiner Vaterstadt ein, durchlief das niedere theologische Seminar in Maulbronn und studirte von 1831–1835 als „Stiftler“ zu Tübingen Theologie, wo er auch zum Dr. phil. promovirte. Ueber den begeisterten Jünger von Goethe und Schüler von D. Fr. Strauß und Hegel wurde noch in Tübingen, namentlich im Zusammenhang mit ernsten, persönlichen Lebenserfahrungen, der Geist des Bengel’schen Pietismus mächtig. Zugleich that sich ihm „eine Aussicht aus dem toll bewegten Treiben in eine stille, geordnete Thätigkeit für das Himmelreich – als Missionar, etwa in Indien auf“. Während sein Freund Mögling als Basler Missionar nach der Westküste Südindiens ging, folgte G. dem englischen Freimissionar Dr. Groves (der bei einem Besuch in Süddeutschland auf den Tübinger Candidaten aufmerksam geworden war) nach kurzem Aufenthalt in England nach der Ostküste, ließ sich von Rhenius in Tinneweli in die praktische Missionsarbeit nach deutscher Weise einführen, versuchte sich noch als Gehülfe von Groves darin, bis er sich 1838 den Baslern anschloß und 1839 die Arbeit in Malabar begann (Talatscheri und Kannanur). Bis zu seiner Rückkehr in die Heimath (1859) neben Hebich der bedeutendste Missionsarbeiter in Malabar, bemühte er sich, zu den Niedrigsten hinabzusteigen, die Denkweise und den Sprachgeist des Volkes zu ergründen und ihm das Evangelium in einer ihm faßlichen Form anzubieten, glücklich, wenn er es erlebte, daß sein Wort einen faßte, festhielt und umgestaltete. Daneben war er darauf bedacht, seinen Mitarbeitern und Nachfolgern die Sprache des Landes, das Malayalam, zu erschließen und dem Volke selbst die Bibel und eine Reihe von geistlichen und weltlichen Lehrmitteln [633] in ihrer Muttersprache zu geben. Der entstehenden Missionskirche verhalf er zu Liturgie und Gesangbuch. Sein Forschungstrieb und seine wissenschaftliche Begabung ließ ihn zugleich auch für die Wissenschaft sammeln. Wo er werthvolle Handschriften finden konnte, griff er sie auf; der Universitätsbibliothek in Tübingen hat er mehrere geschenkt. Verschiedene gelehrte Zeitschriften brachten Aufsätze aus seiner Feder (s. u.). – Einige Jahre stand er als Schulinspector von Kanara und Malabar auch in Regierungsdiensten. Sein Haus war der Mittelpunkt eines reichen, geistigen Lebens, die Mannichfaltigkeit der darin gesprochenen Sprachen (Gundert’s Frau war eine französische Schweizerin) ein Bild der vielfachen Interessen und Beziehungen.

In die Heimath zurückgekehrt, wurde G. 1860 Dr. Barth’s Mitarbeiter, 1862 sein Nachfolger in der Leitung des Calwer Verlagsvereins. Es gelang ihm, den Verein von der Unterstützung christlicher, namentlich ausländischer Freunde unabhängig zu machen und das Unternehmen geschäftlich sicher zu stellen. Vor allem war er bestrebt, die Veröffentlichungen des Vereins nach Form und Inhalt zu vervollkommnen. Mit richtigem Blick fand er die Lücken, die es auszufüllen galt; mit feinem Verständniß erkannte er, welch neuen Bedürfnissen Genüge geschehen müsse. Dabei scheute er keine Mühe, sich durch alle bedeutenderen Erscheinungen, namentlich auf dem Gebiete der Theologie, der Geschichte und der Sprachwissenschaft, durchzuarbeiten, um eine tüchtige Ausführung des Unternommenen zu sichern. Die unter seiner Leitung erschienenen neuen Werke und neuen Auflagen alter zeigen auch, daß er die Ergebnisse gesicherter theologischer und geschichtlicher Forschung dankbar anerkannte und sie in den Dienst der Aufgabe stellte, die sich der Verlagsverein gesetzt hat, wobei es freilich manche Pietisten alten Stils an herbster Kritik nicht fehlen ließen.

Neben dieser ausgedehnten Arbeit fuhr G. fort, der Mission durch sprachliche Arbeiten, Redaction von Zeitschriften und mündliches Wort zu dienen. Er unterhielt einen ausgedehnten Briefwechsel nach allen Seiten. Auch betrat er als „Vicar“ viele Kanzeln seiner schwäbischen Heimath. Er selbst bekannte sich als Lutheraner in dem Sinne, wonach jeder deutsche Theologe ein Lutheraner sei; in der Bibel unterscheidet er primäre, secundäre und tertiäre Schichten, die Schichtung ein Werk Gottes zu seiner Verherrlichung. Bei aller Festigkeit seiner eigenen Ueberzeugung beurtheilte er fremde Anschauungen mild, weil mit eindringendem Verständniß. Seinem deutschen Vaterlande, auch in Indien, treu zugethan, war er schon in den sechziger Jahren ein Verehrer Bismarck’s, dabei von weltweiten Interessen. Alles in allem ein tiefgründiges, schwäbisches Original, von reicher Begabung, ausgebreitetem Wissen; bei allem Ernst voller Witz und Humor, der hervorstechendste Zug seines Charakters eine ungeheuchelte Demuth. † am 25. April 1893.

Seine litterarischen Werke. A) Zum Studium des Malayalam: Neben einem Katechismus der Malayalam-Grammatik eine große „Grammatik des Malayalam in M. und Englisch“ (2. Aufl. Mangalur 1868), ein bahnbrechendes Werk für die Erforschung der Sprache; wenn auch manche seiner Resultate heute von urtheilsfähigen Eingeborenen beanstandet werden, so bleibt dem Werk doch schon wegen des Reichthums an Belegstellen ein hoher Werth. Noch bedeutender ist Gundert’s „Malayalam-Englisches Wörterbuch“ (Mangalur 1872). Auf der Grundlage kritisch-vergleichender Etymologie, ebenfalls mit reichlichen Belegstellen aus ca. 120 zum Theil schwer zugänglichen Malayalamwerken, kurz und präcis, Gundert’s Lieblingsarbeit. Für eine zweite Auflage hat er noch handschriftlich ein großes Material zusammengetragen. Aufsätze: „Ueber drawidische Elemente im Sanskrit“, in der Zeitschrift der deutschen [634] Morgenländischen Gesellschaft; „Ueber alte Malayalam-Inschriften“, im Journal der Madras Literary Society u. s. w.

B) Zum Dienst der Kirche und Schule in Malayalam. Da die Uebersetzung der hl. Schrift ins Malayalam von Benj. Bailey G. nicht befriedigte, ließ er schon 1844 eine nach dem kritisch gesichteten Grundtext gefertigte „Uebersetzung des Neuen Testamentes“ in Lithographie erscheinen (erste gedruckte Ausgabe Mangalur 1868). In den achtziger Jahren folgten die poetischen und prophetischen Bücher des Alten Testamentes nach. Die sprachliche Höhenlage dieser Uebersetzungen ist die der einheimischen poetischen Litteratur und der Umgangssprache der höheren Kasten; es sind Meisterwerke von eleganter, conciser Ausdrucksweise. Ueber die Grundsätze, nach denen G. dabei verfuhr, hat er sich auf der vierten continentalen Missionsconferenz in Bremen (1876) ausgesprochen (s. Verhandlungen S. 19 ff.). Neben der Bibel gab er den Gemeinden Gesangbuchlieder, eine Kirchengeschichte, ein Leben Jesu, Flugschriften und eine Reihe von Schulbüchern (Anthologie, Lesebücher u. s. w.).

C) Deutsch. Für die Basler Mission besorgte G. 1865–1874 die Redaction des Evangel. Missions-Magazins. [Wichtige Artikel: „Die Mission vor dem Richterstuhl der Immanenz“ (gegen Langhans, Pietismus und Christenthum im Spiegel der äußeren Mission) 1865, 14 ff.; „Missionsanfänge in Bengalen“ 1865, 300 ff.; „Arbeiter in der Tamilmission“ (u. a. Rhenius) 1868, 31 ff.] Für Herzog’s Realencyklopädie (2. Aufl.) verfaßte er die biographischen Artikel: Inspector F. Chr. Blumhardt und Chr. G. Barth. Seine Mitarbeiter Hebich und Mögling schilderte er in ausgeführten Biographien (Basel 1872 und Calw 1882). Im Calwer Verlag erschienen sechs Bände „Missionsbilder“ (1875 ff.) und das unentbehrliche Nachschlagewerk: „Die evangelische Mission, ihre Länder, Völker und Arbeiten“ (1. Aufl. 1881, 2. Aufl. 1886). Von 1863–1883 redigirte er das „Calwer Missionsblatt“, von 1863–1888 die „Monatsblätter für öffentliche Missionsstunden“, 1863–1892 das „Missionsblatt für Kinder“, von 1862–1882 die von Barth begründeten „Jugendblätter“. Wesentlich neue Bücher wurden unter seinen Händen die neuen Auflagen der „Christlichen Kirchengeschichte für Schulen und Familien“, „Kurze Reformationsgeschichte“, „Geschichte von Württemberg“ u. s. w., namentlich aber das „Neue Testament“ in der fünften Auflage des „Calwer Bibelwerkes“. Der Schlußband von Redenbacher’s Weltgeschichte, 1901 als „Geschichte des 19. Jahrhunderts“ besonderes erschienen, ist ganz sein eigenes Werk. Nach seinem Tode erschienen ferner: „Christianens Denkmal“ (Lebensbild seiner Mutter) Calw 1894 und „Schriftgedanken“ Calw 1900.

J. Hesse, Aus Dr. H. Gundert’s Leben, Calw u. Stuttgart 1894. – Deutsche Reichspost 1893, Nr. 113–115. – Handschriftliche Mittheilungen von Missionar W. Dilger (über die Malayalamwerke Gundert’s).