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Artikel „Gernhard, Bartholomäus“ von Bernhard Anemüller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 35–37, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gernhard,_Bartholom%C3%A4us&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 00:01 Uhr UTC)
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Gernhard: Bartholomäus G., geb. 1525 in Neustadt a. O., † den 31. März 1600 als Pfarrer in Oberweimar. Spärliche Nachrichten über seine Jugend beurkunden, daß er in Eger und Leipzig studirte, sich zuerst der Rechtswissenschaft befleißigte, diese aber später mit dem Studium der Theologie vertauschte. – 1544 wurde er an der Arnstädter Schule angestellt, 1545 in ein geistliches Amt nach Königsee und 1553 in ein solches nach Stadtilm berufen. 1557 erhielt er als tüchtiger und beliebter Kanzelredner von der Gräfin Katharina von Schwarzburg, „der Heldenmüthigen“, geb. Fürstin von Henneberg, den Ruf zum Pfarrer nach Rudolstadt. Hier widmete er als eifrigster und ehrlicher Lutheraner alle Kraft seiner amtlichen Thätigkeit, wurde aber auch der Urheber und Führer des die ganze Bewohnerschaft Rudolstadts und der Umgegend aufregenden, merkwürdigen Wucherstreits, welcher hier mehr als in anderen thüringischen Ortschaften seinen Höhepunkt erreichte. Ganz die Ansicht Luther’s in [36] Bezug auf die von geliehenen Kapitalien zu entnehmenden Zinsen theilend, machte er im J. 1564 seine geistliche Strenge zuerst gegen zwei Edelleute geltend, welche er in seinem Sinne als „Wucherer“ bezeichnete und demgemäß mit unbeugsamer Härte vom Genusse des heiligen Abendmahles ausschloß. Ihm stimmten Rudolstadts und Blankenburgs Geistliche bei. Dem Wunsche der Gräfin, ein milderes Verfahren einzuschlagen und dadurch Unruhen und Spaltungen in den Gemeinden zu vermeiden, glaubten sie nicht Folge geben zu dürfen und so bildeten sich sofort Parteien für und wider die Geistlichen, durch welche der kirchliche Friede ebenso gestört ward, wie eine Unzufriedenheit zwischen den verwandten, gräflichen Herrschaften in Arnstadt und dem Rudolstädter Kirchenregimente hervorgerufen wurde. Die Versuche, auf friedlichem Wege durch Einholung von Urteln verschiedener Universitäten die Streitigkeiten beizulegen, mißlangen vollständig, da auch die eingegangenen Gutachten von Leipzig, Wittenberg, Jena, Erfurt, Marburg. Tübingen, sowie die von einzelnen hervorragenden theologischen Corporationen, wie von den Mansfelder, Eisleber, Nordhäuser, Waldeckschen Theologen, endlich Privaturtheile, wie von Merlin in Coburg, N. Amsdorf in Eisenach, Simon Musäus in Gera – das Vorgehen Gernhard’s theils billigten und gut hießen, theils als das richtige bezweifelten. Um so unbeugsamer blieb daher der Pfarrer von Rudolstadt, um so enger zog er die Grenzen seines kirchlichen Bannes, unbekümmert um die Verfügungen der weltlichen Obrigkeit. Um jedoch den ihm gegenüber sich häufenden Anfeindungen zu entgehen, bat er die Gräfin um seine Entlassung, welche ihm aber nicht gewährt wurde, da auch der Stadtrath Fürsprache für ihn einlegte. Die alten Streitigkeiten wurden somit fortgesetzt, neue brachen aus, bis Graf Günther „der Streitbare“, welcher 1565 aus Dänemark zurückgekehrt war, sämmtliche Geistliche aus Rudolstadt und Blankenburg nebst den Stadträthen auf einen Tag nach Arnstadt und später auf einen solchen nach Gehren zu endlichem Bescheide befahl. Das Resultat, nachdem die Streitigkeiten bitterer und persönlicher geworden, auch nicht ohne Einfluß auf verschiedene Verhältnisse und Rechte der Gräfin ihren Verwandten gegenüber geblieben waren, gipfelte sich in der Entlassung der Geistlichen, doch nicht in der Aenderung ihrer Ueberzeugung, namentlich nicht in der Gernhard’s. Die Stellen wurden anderweitig besetzt und die Ruhe somit wieder hergestellt. Gernhard’s Leben war nachher noch ein sehr bewegtes. Er folgte 1567 einem Rufe an den weimarischen Hof, begleitete 1568 den Herzog Johann Wilhelm als Feldprediger nach Frankreich und wohnte 1570 dem Reichstage zu Speier bei. Zufolge der von Kurfürst August angeordneten Kirchenvisitation verlor er nebst vielen des Flacianismus beschuldigten Geistlichen 1573 seine Stelle, lebte in Zellerode und Gera, bis er 1577 unter dem Schutze der Herzogin Dorothea Susanna wieder zurückberufen wurde. 1581 wiederum aus Weimar vertrieben, lebte er in Pirna und Borna als Superintendent, wurde aus Meißen durch den Calvinismus vertrieben, hielt sich dann in Eisleben, Halle, Zwickau und Naumburg auf, bis er 1591 auf Wunsch der Herzogin Dorothea Susanna als Pfarrer nach Oberweimar kam, wo er den 31. März 1600 starb. – Im Drucke erschienen von G. theologische Schriften auf den Katechismus, auf Erbauung und Kirchenzucht bezüglich.

Vgl. hierüber das Nähere in der Abhandlung: B. Anemüller, M. Bartholomäus Gernhard und der Rudolstädter Wucherstreit im 16. Jahrhundert, zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Gräfin Katharina der Heldenmüthigen etc., Schulprogramm, Rudolstadt 1861, dem die handschriftlichen Quellen der Archive von Gotha, Weimar und Rudolstadt zu Grunde liegen; Zeibig’s Katechismushistorie; Wetten, Gesch. der berühmten Residenzstadt Weimar; [37] Brückner, Beschreibung des Kirchen- und Schulenstaates im Herzogthum Gotha, 3. Theil; Hesse, Verz. schwarzb. Gelehrten aus dem Auslande, 3. St. 1833, Schulprogramm.