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Artikel „George, Johann Friedrich Leopold“ von Adolf Häckermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 710–712, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:George,_Leopold&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 18:40 Uhr UTC)
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George: Johann Friedrich Leopold G., verdienter Pädagog und Philosoph, geboren zu Berlin am 14. August 1811, † am 24. Mai 1873, war der Sohn eines geschickten Kupferstechers. Den ersten Unterricht erhielt er in einer Parochialschule seiner Vaterstadt, trat 1821 in die Quinta des Friedrich-Werder’schen Gymnasiums ein, welches damals unter der Leitung des Director Zimmermann stand, und verließ dasselbe nach achtjährigem Besuche mit den vortrefflichsten Zeugnissen als primus omnium, um in Berlin Theologie zu studiren. Auf die Universität brachte er einen durch das Lesen der alten Autoren für alles Schöne geöffneten Sinn und einen durch das Studium der Mathematik freigewordenen und[WS 1] geschärften Verstand mit, der nur klar und deutlich Bewiesenes anerkennen wollte, während die damalige Theologie, wie sie im Interesse frommer Rechtgläubigkeit gelehrt ward, vor Allem unbedingte Unterwerfung des Geistes unter das Dogma verlangte und auf das classische Alterthum mißachtend herabsah. Er hörte vornehmlich Schleiermacher und Neander; von nachhaltigem Einfluß auf seine geistig sittliche Entwickelung, welche schweren inneren Kämpfen zutrieb, war die innige Vertrautheit mit dem Hoßbach’schen Hause. Durch die ungebührliche Zumuthung einer zelotischen Orthodoxie abgestoßen, ward der strebsame Geist zum andern Extrem hingedrängt, wenn auch die in der Jugend geweckte Frömmigkeit nicht ganz in Unglauben umschlug; aber endlose Zweifel stiegen in ihm auf, und es gab Zeiten, in welchen das zerrissene Gemüth unterliegen zu wollen schien. Deshalb gedachte er der Theologie zu entsagen, wandte sich auf Grund des Hebräischen, welches er auf der Schule mit Vorliebe und Erfolg betrieben, dem Studium der orientalischen Sprachen zu und verband mit dem Arabischen, Syrischen, Persischen und Armenischen das Sanskrit. Auch die Geschichte des Morgenlandes zog er in den Kreis seiner Studien und trieb vergleichende Grammatik, um auch auf dem Gebiete der Linguistik den orientalischen Geist im Gegensatz zu dem occidentalischen insonderheit dem classischen zu erfassen. Dies führte ihn zur sorgsamen Lecture der alten Classiker zurück und auch Privatstunden im Griechischen und Lateinischen machte er diesem Zwecke dienstbar. Sein wissenschaftlicher Eifer bestimmte ihn bald nach Ablauf des akademischen Trienniums zu promoviren: er erwarb durch Vertheidigung der Inauguraldissertation: „De Aethiopum imperio in Arabia felici“ am 14. August 1833 die Doctorwürde und habilitirte sich am 25. Juni 1834 in der philosophischen Facultät zu Berlin. Mittlerweile vollzog sich in ihm mehr und mehr eine geistige Umwandlung. Hatte ihn Schleiermacher, dem er sich mit der ganzen Gluth jugendlicher Begeisterung angeschlossen und dessen philosophische und theologische Vorlesungen er nie versäumt, in den Hafen des Seelenfriedens gerettet, so trat ihm immer klarer und bestimmter die Selbstaufgabe vor Augen, der Versöhnung von Wissen und Glauben alle seine Kräfte zu widmen und auch Anderen ein Führer auf diesem Wege zu werden. Nun wandte er sich dem alten Testamente zu, um das Verhältniß desselben zum neuen ins Licht zu setzen: [711] aus diesen Studien ging die Schrift: „Die alten jüdischen Feste“ hervor. Das eben damals erscheinende Strauß’sche Werk: „Das Leben Jesu“ veranlaßte die Abfassung der Broschüre: „Mythus und Sage“ (1837), in welcher er die Begriffe des Mythus und der Sage wissenschaftlich zu entwickeln und auf ihr Verhältniß zum christlichen Glauben hinzuweisen suchte, in der festen Ueberzeugung, daß der wahre christliche Glaube nicht hindere, selbst in dem neuen Testamente Mythisches im richtigen Sinne des Wortes anzunehmen. Weil ihm jedoch Sicherung seiner äußeren Lage an der Universität in sehr ferner Aussicht stand, beschloß er eine Anstellung als Gymnasiallehrer zu suchen. Von allen weiteren examinibus dispensirt, trat er pietätvoll bei dem von Dr. Ribbeck geleiteten Friedrich-Werder’schen Gymnasium ein, dem er seine Schulbildung verdankte, und absolvirte sein Probejahr von Michaelis 1836–37. Das Griechische, Hebräische, Lateinische und Französische bildeten die Hauptfächer seines Unterrichtes in verschiedenen Klassen. Später trat er in das Collége français über, ertheilte hier den lateinischen Unterricht und leitete die stilistischen Uebungen darin; um sich aber in der französischen Conversation zu vervollkommnen, erhielt er ein Stipendium und damit eine Anwartschaft auf eine Studienreise nach Paris. In der französischen Hauptstadt gewann er während einjährigen Aufenthaltes (1840–41) den leichten und freien Gebrauch der Landessprache und hörte nebenbei höchst interessante naturwissenschaftliche Vorlesungen, welche ihn später zu ähnlichen Studien veranlaßten. Ueber Lyon, Marseille, Neapel, Rom, Florenz, die Schweiz kehrte er mit reichen Erfahrungen zurück, blieb jedoch auch nachher mit französischen Freunden, besonders Geistlichen, in fortlaufender Correspondenz. Nach dem Tode des Professors Ilgen am grauen Kloster unter Meinecke’s Direction, später am Joachimsthal beschäftigt, ward er schließlich am Kölnischen Gymnasium als Hülfslehrer, seit 1847 als ordentlicher Lehrer angestellt; eine Zeit lang gab er auch am Cadettenhause Unterricht. Die Befriedigung, welche ihm der Gymnasialunterricht gewährte, wirkte ermuthigend und fördernd auf die akademischen Vorlesungen ein. Den früheren alttestamentlichen Collegien gesellte er nunmehr philosophische hinzu, wie z. B. über Glauben und Wissen, über die Beweise vom Dasein Gottes, in denen er den Hegel’schen Formalismus mit Schleiermacher’scher Innigkeit und Tiefe zu durchdringen suchte. Neben der angestrengten Lehrthätigkeit im Schulfache las er regelmäßig drei Collegien privatim und eins publice und gab außerdem viele Privatstunden. Inzwischen hatte er durch Vermählung mit Auguste Bührig 1844 den eigenen Herd begründet und trat in einen reichen geselligen Verkehr. Vertrauten, wie unausgesetzten Umgang pflegte er mit dem Jonas’schen und Pischon’schen Hause, war auch mit Twesten, Trendelenburg, Lepsius u. A. eng befreundet. Der fortschreitenden Zeit ward er geistig, wie schriftstellerisch gerecht. Die evangelische Conferenz zu Berlin veranlaßte die Herausgabe der kleinen Abhandlung: „Nicht Schrift, nicht Geist, sondern der Geist der Schrift.“ Ungetheilten Beifall fanden seine tiefgehenden Forschungen über die fünf Sinne, welche durch Zusammenfassung der neueren Ergebnisse der Physik und Physiologie eine Grundlage der Psychologie zu gewinnen suchten. In weiterer Folge schrieb er 1854 seine „Psychologie und Metaphysik“, weil er jedoch in beiden einen selbständigen und neuen Weg einschlug, blieb die Beförderung aus, obwol ihm der Minister Eichhorn bei einer Berufung nach Kassel als Prinzenerzieher mit der Aussicht auf eine Professur in Marburg dieselbe zugesichert. Das herrschende Regiment war seiner freien Forschung ungünstig gestimmt, und er gelangte früher beim Gymnasium (28. Juli 1854), als an der Universität zur Professur. Nach langem Harren ward er am 10. Januar 1856 Extraordinarius und am 1. November 1858 als Ordinarius nach Greifswald berufen. Hier veröffentlichte er als Mitherausgeber [712] des Schleiermacher’schen Nachlasses dessen „Psychologie“ (1862) und gab 1868 sein Hauptwerk „Die Logik als Wissenschaftslehre“ heraus. Seit 1860 Mitglied der wissenschaftlichen Prüfungscommission für das Französische, die Philosophie und Pädagogik, bekleidete er das Decanat der philosophischen Facultät 1865–66 und war Rector Magnificus im J. 1868. Nach[WS 2] einer vielseitigen und reichgesegneten Wirksamkeit starb er in einer Heilanstalt, in welcher er Genesung von schwerer Gemüthskrankheit gesucht.

Selbstbiographie im Manuskript, durch Familienmittheilungen, sowie aus den Personalacten und dem Album der Universität Greifswald ergänzt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nnd
  2. Vorlage: Noch