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Artikel „Genelli, Buonaventura“ von Friedrich Pecht in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 562–566, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Genelli,_Buonaventura&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 05:37 Uhr UTC)
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Genelli: Buonaventura G., Historienmaler, geb. in Berlin 28. Sept. 1798, † in Weimar 13. Nov. 1868. Einer alten aus Italien eingewanderten Künstlerfamilie angehörend, Sohn eines mittelmäßigen Malers und Neffe des vielgenannten Architekten Hans Christian G., theilt er mit diesem die Eigenschaft durch eine in jedem Sinne bedeutende Persönlichkeit noch mächtiger auf die Zeitgenossen gewirkt zu haben, als durch seine Leistungen. – In diesen gehört er jenem absoluten Idealismus an, der dadurch, daß er den Menschen von allen Bedingungen der Zeit, Nationalität, Geschichte und Tradition loslöst, ihn der Eintönigkeit, dem Mangel an eigentlicher Individualität verfallen, jeden Boden verlieren läßt, da die Sterblichen ja gerade das Produkt dieser Factoren, keine abstrakte Wesen sind. – Diese Anschauung, welche sich bald an ein selbst zurecht gemachtes Griechen- oder Römerthum anschließt, bald von einer idealen Zeit träumt, und nach Art der Antike Götter und Menschen, personificirte Begriffe und historische Personen mengt, hängt eben mit dem Idealismus aufs genaueste zusammen, der die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts beherrscht. Erzeugte sie doch in David und Flaxmann ganz ähnliche Erscheinungen, wie in Mengs, Thorwaldsen und Canova oder Carstens, diesem absoluten Vorbilde unseres G. Man ist bekanntlich übereingekommen, sie im Gegensatz zur nazarenischen des Overbeck und nationalen des Cornelius die antikisirende zu nennen, eine Bezeichnung, die allerdings nur in sehr bescheidenem Maße auf dieselbe paßt, da sie durchaus subjectiv, dem Geist der Antike im Grunde weit weniger verwandt ist als die Renaissance. – So ist denn auch ihr geistiger Vater ganz und gar nicht Homer, sondern Rousseau. – Ihr Eintreten in der Kunst war die nothwendige Folge der Uebertreibung des malerischen Princips, welches die Seele des Barok- und Rococostiles gewesen und sich im Zopf ausgelebt hatte, wie sie nun ihrerseits durch die Uebertragung des plastischen in die Malerei noch weit mehr sündigte, welches den eigentlich formal greifbaren Kern ihres Wesens ausmacht, während der Inhalt, der in diese Form gegossen ward, ein sehr vorschiedener war. Bei G. nun ist derselbe im wesentlichen eine Art Vergötterung der eigenen schönen Persönlichkeit, die, wie die Goethe’s, durch dessen Dichtungen, sich durch seine Compositionen zieht, und von ihm in eine Art Herkules umgewandelt wird, in all seinen Bildern bald als solcher oder Jupiter, bald als Odysseus oder als „Wüstling“ auftritt. – An der Berliner Akademie unter dem Einfluß seines Oheims gebildet, der denselben Cultus der eigenen Persönlichkeit trieb, welcher für das Ende des vorigen, wie den Anfang des jetzigen Jahrhunderts so bezeichnend ist, dann 1820 mit dem Stipendium einer preußischen Prinzessin nach Rom gehend, entfaltet er dort unter dem Einflusse des Carstens, der ihn schon in Berlin durchaus beherrschte, dann Koch’s und Thorwaldsen’s alsbald diese Art von Anschauung, die bei ihm dadurch einigermaßen gerechtfertigt [563] erscheint, daß diese Persönlichkeit eine in jeder Beziehung geistig und körperlich hochbegabte war. – Nichtsdestoweniger hat es gerade dieser Cultus, den er mit sich selber trieb, verschuldet, daß G., dem es weder an Phantasie, noch an Gestaltungskraft fehlte, um den höchsten Aufgaben der Kunst gewachsen zu sein, so gut wie gar keine Entwicklung und Vertiefung des Talents im Laufe der Jahre zeigt, in seinen letzten Arbeiten genau derselbe erscheint, der er in seinen ersten ist, hinter all seinen berühmten Zeitgenossen, Cornelius und Overbeck, Kaulbach und Führich, Preller und Hähnel zurückbleibt, obwol er durch angeborene Begabung den meisten gleichsteht, und auch von ihnen so geachtet wird. Ja daß er jenes gründliche Studium der Natur, durch das sie allein zu gewinnen, verschmähend, nicht einmal eine eigenthümliche Formensprache erringt, sondern die des Carstens, die er sich in früher Jugend angeeignet, beibehält, ohne sie irgend erheblich weiter auszubilden. Wie diese, ist sie ein Gemisch von Reminiscenzen an die Antike, noch weit mehr aber an Michel Angelo und bisweilen auch Rafael, wie wir ihn in der Farnesina treffen, ohne aber jemals die Feinheit des Studiums dieser Meister zu zeigen, sondern vielmehr in nur zu vielen Dingen in eine eintönige Manier ausartend. Denn G. übertreibt noch Carstens und begnügt sich meist mit dem bloßen Contour, verschmäht jedes ernsthafte Studium der Malerei nicht nur, deren Technik er sich niemals bemächtigt, sondern selbst der Schatten- und Lichtwirkungen, der Gewänder etc. Er individualisirt niemals seine Köpfe, die sich auf ein Dutzend immer wiederkehrender Typen, bei den Frauen eigentlich auf eine einzige Maske beschränken, die in allen möglichen Variationen beständig wiederkehrt. – Wie sehr seine Anschauung der Kunst sich vom Leben losgelöst, zeigt sich am besten in seiner Aeußerung: „der Fisch gehört ins Wasser, der Künstler nach Rom!“ Und obwol er nur zehn Jahre dort verweilte, so ist er doch mit seiner Gedankenwelt auch wirklich den ganzen übrigen Rest seines Lebens ausschließlich dort geblieben, das seine geistige Heimath geworden. – Dieser vollständigen inneren Entfremdung halber hat er auch in seiner Nation niemals Boden fassen können, hat nur auf einzelne Künstler, wie Hähnel, Rahl, Berdelle, Brugger u. A. gewirkt, einen eigentlichen Schüler aber niemals gehabt. Und das, obwol seine überaus zahlreichen Compositionen innerhalb des Rahmens jener Einschränkungen, die man übertreibender Bewunderung gegenüber festhalten muß, in der durchaus idealen Welt, in die sie uns führen, allerdings eine Fülle von Schönheiten, eine große, freie und edle, einfache Art menschliche Geschicke und Verhältnisse, das Leben überhaupt anzusehen entwickeln, die an die antike Simplicität gar oft hinstreift, wenn auch G. niemals naiv, sondern im Gegentheil durchaus reflectirend und bewußt ist. – Da er seine cyclischen Compositionen und berühmtesten Einzelbilder fast alle in jener frühesten römischen Zeit schuf oder doch concipirte, in der zweiten größeren Hälfte seines Lebens, die er nachher in Leipzig, München, Weimar verbrachte, nur wenig eigentlich Neues producirte, sondern meist das Alte nur wiederholte, so kann man bei Aufzählung seiner Arbeiten nur annähernd chronologisch verfahren. Seine Stoffkreise suchte er fast alle innerhalb des Homer, der Bibel und bei Dante, die er aber ganz selbständig behandelt, speciell die antike Göttermythe um eine Menge neuer Combinationen bereichert, Allegorien aller Art und endlich ein ihm ganz eigenthümliches romantisch dämonisches Genre schafft. Alle aber werden genau in derselben, jeder Art von Gewandung, die ihm selten gelingt, aus dem Wege gehenden, nur das Nackte mit wirklicher Virtuosität und großartigem Stilgefühl handhabenden Carstens’schen Formensprache behandelt. Zu den frühesten und schönsten antiker Mythe angehörigen zählt jene Geschichte des Ganymed, die anfangs für den Speisesaal eines für Dr. Härtel in Leipzig erbauten römischen Hauses bestimmt war, und die mit ihrer dem Leben der Psyche [564] in der Farnesina entnommenen Art der Eintheilung, an Schönheit der Erfindung und Rhythmik der Linie sehr wohl sich neben jenen göttlichen Compositionen sehen lassen darf. Mit der Einschränkung freilich, daß uns Rafael mit großartiger Naivität wirkliche lebendige Menschen, durchgebildete Charaktere gibt, während die Genelli’schen, wie alle blos reflectirte Kunst, immer etwas schemenhaftes behalten, und die Wahrheit des Ausdrucks nur zu oft der Schönheit der Linie, einer plastisch wohlgefälligen Stellung aufgeopfert wird, so daß seine Figuren noch mehr als die Carstens’schen oder Michel Angelo’schen posiren, selten ganz bei dem sind, was sie thun. – Unter diesen die Lünetten füllenden Scenen findet man dann als Hauptbild Genelli selber als Herkules Musagetes unter einer Laube, deren Dach von den vier Jahreszeiten getragen wird, am Rand eines Springbrunnens gelehnt, der vor ihm sitzenden Omphale von seinen Thaten vorsingend. Neben dem Helden der ihn begeisternde Phantasus. Der Königin fächelt Zephyr mit seinen Schwingen Kühlung zu, Pan, ein Satyr und Amore umgeben sie. Aus dem hinter der Laube stehenden Baum, um den sich ein Weinstock schlingt, hat sich die Bewohnerin hervorgemacht, neben der Lauschenden ist Komus in den Zweigen. Auf der anderen Seite der Laube, Omphale gegenüber sitzt Bachus, bei ihm ein Amorin, Bachantinnen und eine Centaurin, angeblich ebenfalls dem Gesange zuhörend, in Wirklichkeit aber fast alle sich in schönen Stellungen bewundern lassend. Daß eine solche künstlich combinirte Compositionsweise, mit wie viel Talent sie auch ausgeführt sei, immer erkältend wirken müsse, leuchtet ein, um so mehr, als die Figuren wenig von jener göttlichen Naivität und Frische der Antike zeigen, sondern fast sämmtlich sehr wohl wissen, daß sie dasitzen, um betrachtet zu werden. – Innerhalb dieser engen Grenze kann man aber an dem hohen Schönheitsgefühl, dem herrlichen rhythmischen Sinn, welchen der Maler zeigt, sich um so mehr erfreuen, als er sich sichtlich so in diese mythisch allegorische Welt hineingelebt hat, daß ihre Figuren wenigstens ihm wirklich lebendig geworden sind, wenn er auch weit entfernt ist, uns diese Illusion allemal auch beibringen zu können. Letzteres ist ihm entschieden besser gelungen bei der als Predelle unter diesem Hauptbild hinlaufenden Hochzeit des Bachus mit der Ariadne, einer Composition voll sinnvoll übermüthiger Grazie, wie die prächtigen Ganymed-Scenen, obwol auch hier wie bei dieser ganzen classicistischen Schule nur zu oft der Schönheit der Linie die Wahrheit des Ausdrucks zum Opfer gebracht wird. G., der sich in den letzten 15 Jahren seines Lebens auf die Oelmalerei warf, die er bisher fast ganz vernachlässigt, hat diese Composition auch für Graf Schack ausgeführt, wo sie aber ob seiner licht- und reizlosen Färbung, wie der ungenügenden Modellirung halber weit weniger wirkt als im bloßen Contour. Unter den vielen rein allegorischen Compositionen, die er gemacht, sei hier auch eines Theatervorhangs gedacht, dessen Inhalt durch die Verse ausgedrückt wird:

„Der Leidenschaften wüstes Heer dem Schooß der alten Nacht entstammt,
„Die stille Schaar der Tugenden vom Licht geboren, Licht umflammt,
„Der Nemesis, des Fatums Walten, Ihr schaut sie hier in Traumgestalten“,

was er nun buchstäblich ausführt, die Nacht mit den Leidenschaften unten, das Licht mit den Tugenden oben, Nemesis und Fatum rechts und links stellt, und sie mit anderen Scenen einrahmt. Daß Bilder, deren Bedeutung man erst mühsam entziffern muß, niemals den Eindruck machen können, wie solche, wo der Vorgang beim ersten Blick klar wird, ist selbstverständlich, indeß hat der Künstler durch die geschickte Gruppirung und Charakteristik seiner meist schön und bedeutend gedachten Figuren nicht nur alles gethan, um uns den Gedanken deutlich zu machen, sondern auch uns mit hoher Achtung vor solch erhabener Anschauung [565] zu erfüllen. Das gleichfalls bei Schack befindliche Gemälde wirkt freilich noch weniger als das eben beschriebene durch seine triste Färbung. Unmittelbarer verständlich und darum packender sind die figurenreichen Compositionen des Raubes der Europa und die Schlacht zwischen Bachus und Lykurg, beide auch schon früh componirt und in späteren Jahren für Schack in Oel ausgeführt. Hier ist die wonnevolle Heiterkeit der Scene auf der einen, das wilde Gewühl der Kämpfenden auf der anderen mit großem Talent und an Gestalten überreicher Phantasie ausgeführt, obwol auch hier sofort auffällt, daß die Figuren weit öfter posiren, als das wirklich und glaubwürdig thun, was sie sollen. Zu seinen schönsten Einzelcompositionen gehören dann der seine Gesänge den Landsleuten vortragende Homer und der den Mitsklaven Fabeln erzählende Aesop, wo wir auch am häufigsten Wahrheit des Ausdrucks mit Schönheit der Gruppirung vereinigende Gestalten finden. – Unter den, der ihm unstreitig am meisten zusagenden griechischen Mythe entnommenen Stoffen, sind dann auch noch die Cyclen der Ilias und Odyssee aufzuführen, die ebenfalls große Schönheiten zeigen. – Auch eine Anzahl biblischer Sujets hat G. behandelt, so die bei Schack ausgeführte Vision des Ezechiel und Abraham, dem die Geburt eines Sohnes verkündet wird. Hier ist die Anlehnung an Michel Angelo sehr auffallend. Sind die vorgenannten Compositionen fast alle in Rom entstanden, welches der Künstler 1831 mit Leipzig vertauschte, um jene erstbeschriebenen für Dr. Härtel auszuführen, so gehören eine Reihe anderer späterer Zeit an, als in Folge von Streitigkeiten mit Härtel, die ihren letzten Grund wol im Unvermögen des Künstlers hatten, in der ihm gänzlich fremden Fresco-Technik fortzukommen, jene Arbeit ins Stocken gerieth und unausgeführt blieb. G. verweilte nun einige Jahre in Leipzig und zog dann, stets in Noth und Armuth lebend, wenn auch ob seines Talents, wie noch mehr ob seiner durchaus harmonischen und idealen, charaktervollen Persönlichkeit hochgeachtet, um 1837 nach München, wo es ihm indeß trotz seines Rufes und der eifrigen Verwendung so hochstehender Freunde, wie Cornelius und Rottmann, eben so wenig glückte, zu großen monumentalen Arbeiten zu gelangen, wie sie doch viel weniger Begabten in Fülle zu Theil wurden. Ja der ihm abgeneigte König Ludwig ließ die Odyssee sogar lieber nach leichtsinnigen Schwanthaler’schen Skizzen in der Residenz noch schwächer ausführen, als sie ihm zu übertragen. G. bearbeitete nun den Dante in einer Reihe von Compositionen, die er 1846–50 selber radirte und herausgab. Unter den vielen Illustrationen der göttlichen Komödie nehmen diese nach den Cornelius’schen sicherlich den ersten Platz ein. Weit bedeutender und selbständiger sind aber noch die beiden großen romantischen Bildercyclen, das Leben einer Hexe, 10 Blätter, dann des nach Art des Don Juan aufgefaßten Wüstlings in 20 Blättern, wo der Künstler eine Fülle von großartiger Erfindungskraft, manches Selbsterlebte und zugleich ein so mächtiges dämonisches Wesen zeigt, daß er in diesem fast einzig dasteht. Und das, obwol er seine Gestalten, ob er nun Homer, die Bibel oder das Mittelalter darstelle, kaum je auch nur costümlich verändert, immer vor allem er selbst bleibt, nur selten die Einwirkung der ihn umgebenden Welt zeigt. – Es ist ein vollkommenes Traumleben, das er uns vorführt, wie es nie und nirgends existirte, aber voll hohen, freien und tiefsinnigen Geistes, unverständlich und ungenießbar für die Masse und anziehend trotz seiner Einförmigkeit für den Kenner, – ob der durchaus eigenthümlichen und ungewöhnlich mächtigen künstlerischen Subjectivität, die sich darin ausspricht. Aber Genelli’s Gestalt ist und bleibt in der Kunstgeschichte der nur halbfertige Torso eines Riesen. Zuletzt hat er uns auch sein eigenes Leben in einer Reihe von Compositionen geschildert, die indeß weniger werthvoll sind als seine früheren Arbeiten, wenn sie auch interessante Einblicke in die Art gewähren, wie er dasselbe [566] auffaßt und ihm echt künstlerisch alle abstrakten Begriffe sich sofort zur lebendigen Gestalt verdichten. – Im J. 1858 ward er durch den Großherzog nach Weimar berufen, wo er sich, wie schon lange vorher, fast nur der Wiederholung seiner Jugendarbeiten widmete, aber doch wenigstens nicht mehr mit Noth und Armuth zu kämpfen hatte, wie in seinem ganzen Mannesalter, ein Kampf, den er aber mit so stoischem Heldenmuth führte, daß er nie die antike Heiterkeit und Schaffenslust des merkwürdigen Mannes zu trüben vermochte, der an echter Seelengröße seine meisten Zeitgenossen weit überbot.