Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Frauenstädt, Julius“ von Max Heinze in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 731–733, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Frauenst%C3%A4dt,_Julius&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 17:42 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Fredegund
Band 48 (1904), S. 731–733 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Julius Frauenstädt in der Wikipedia
Julius Frauenstädt in Wikidata
GND-Nummer 116722142
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|48|731|733|Frauenstädt, Julius|Max Heinze|ADB:Frauenstädt, Julius}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116722142}}    

Frauenstädt: Christian Martin Julius F., philosophischer Schriftsteller, war geboren am 17. April 1813 zu Bojanowo in der Provinz Posen; studirte seit 1833 in Berlin zunächst Theologie, dann Philosophie und nahm 1841 eine Hauslehrerstelle bei dem Baron von Meyendorff, damaligem russischen Gesandten in Berlin, an, die er bis 1844 bekleidete. Hierauf ging er in gleicher Eigenschaft mit dem Fürsten Ludwig von Sayn-Wittgenstein nach Rußland, wo er auf dessen Gütern bei Wilna bis 1846 lebte. In diesem Jahre machte er mit der fürstlichen Familie eine Reise nach Deutschland, berührte dabei auch ganz kurze Zeit Frankfurt, wo er Arthur Schopenhauer aufsuchte, hielt sich einige Zeit in Schwalbach und in Bingen auf und kam mit eben dieser Familie nach Frankfurt im October desselben Jahres zurück, wo er den Winter bis zur Vermählung der Prinzessin Marie, die er unterrichtet hatte, mit dem Fürsten Chlodwig Hohenlohe-Schillingsfürst, dem späteren deutschen Reichskanzler, d. h. bis Ende Februar 1847, zubrachte. Während dieser Zeit verkehrte er viel mit Schopenhauer. Mit den beiden ältesten Prinzen hielt er sich später einige Monate in Kreuznach auf, war aber den ganzen September wieder in Frankfurt, bis er auf einige Zeit nach Paris [732] ging. Im Jahre 1848 bewarb er sich mit Empfehlungen des Gemahls seiner Schülerin bei dem Herzog von Ratibor um die erledigte Stelle eines Bibliothekars zu Corvey, hatte auch das Versprechen, sie zu erhalten, bekommen, und fühlte sich bitter getäuscht, als die Anstellung infolge der Märzrevolution nicht erfolgte. Später rieth ihm, wie er an Schopenhauer schrieb, sein Dämon ab, nach Corvey zu gehen. Kurz nach der Revolution gründete er nach Pariser Erfahrungen ein Lesecabinet in Berlin, das, in der Werderstraße gelegen, bis zum November-Ministerium sehr stark besucht war. Nebenbei unterrichtete er, z. B. die Söhne des Hamburgischen Minister-Residenten Godefroy, von 1848 bis 1852, machte auch mit diesen und ihrer Mutter im J. 1850 eine Reise nach Holstein. Er brachte die übrige Zeit seines Lebens in Berlin zu, litterarisch sehr thätig, bis er am 17. Januar[1] 1879 daselbst starb. Lange Zeit hatte er an einem Augenübel zu leiden.

Während er in seinen ersten Schriften: „Die Freiheit des Menschen und die Persönlichkeit Gottes“ (mit einem Brief des Hegelianers Gabler an F. als Vorwort), Berlin 1838, und „Die Menschwerdung Gottes nach ihrer Wirklichkeit, Möglichkeit und Nothwendigkeit, mit Rücksicht auf Strauß, Schaller und Göschel“, Berlin 1839, Hegel nahe stand, trotzdem, daß er schon 1836 Schopenhauer’s Hauptschrift kennen gelernt hatte, widmete er 1848 eben diesem seine Schrift: „Ueber das wahre Verhältniß der Vernunft zur Offenbarung“ und trat zunächst als Interpret der Schopenhauer’schen Schriften auf. Diese waren nach dem Ausdruck Schopenhauer’s selbst lange Jahre „secretirt“ worden, und man kann es als ein Verdienst, ja als Hauptverdienst Frauenstädt’s betrachten, daß er wesentlich zum Bekanntwerden der Schopenhauer’schen Lehre beigetragen hat, besonders durch seine Schriften: „Aesthetische Fragen“, Dessau 1853, und „Briefe über die Schopenhauer’sche Philosophie“, Leipzig 1854, aber auch durch Aufsätze in den Blättern für litterarische Unterhaltung, namentlich durch den Artikel: „Stimmen über Arthur Schopenhauer“ 1849, und in der Vossischen Zeitung. An beiden Blättern war Frauenstädt eifriger Mitarbeiter. Für die Lehre, wie für die Person Schopenhauer’s hegte er eine große Verehrung, die besonders gesteigert worden war durch den persönlichen Verkehr mit dem misanthropischen Frankfurter Philosophen und später Nahrung erhielt durch einen ziemlich regen Briefwechsel. In Gesprächen wie in den Briefen zeigt sich der Denker dem jüngeren Freunde dankbar für die Anerkennung und besonders für die Verbreitung, auch Erklärung seiner Ansichten. So nennt er ihn nebst einem neuen seiner Anhänger „aktive Apostel“, weil sie öffentlich in Druckschriften für ihn aufgetreten waren, redet ihn „Apostole primarie“, „Werther Freund“, „Alter Treu-Freund“ und sonstwie an, geht auch mit einiger Geduld auf Einwendungen, die der Schüler gegen einzelne Ansichten des Meisters vorbringt, ein. Freilich zu stark dürfen die Abweichungen des Jüngers nicht sein, sonst weist ihn Schopenhauer gröblichst zurecht. So hatte er Frauenstädt einmal dahin verstanden, daß dieser die „Nutzmoral der Materialisten entschuldige“, und schreibt ihm darüber u. a. : „Meine Philosophie ist tief, sie ist aber auch hoch; das sollten Sie nicht vergessen. Sie gelten jetzt als mein erster Schüler, mein Haupt-Evangelist, und werden einst Ruhm davon ernten: aber irrlichteliren Sie nicht hin und her!

Geh’ er nur grad’ in Teufels Namen,
Sonst, blas’ ich ihm sein Flackerleben aus.

Ich will, daß Sie mir Ehre machen und nicht das Gegentheil: möge es nie dahin kommen, daß ich sagen müßte, was Voltaire dem Spinoza in den Mund legt: J'ai de plats écoliers et de mauvais critiques. Also schwören Sie ab dem Teufel, d. h. der materialistischen Moral oder der Toleranz gegen [733] eine solche und lassen Sie es bei dem einen Lapsus bewenden“. F. schreibt hierauf, daß Schopenhauer sich sein „Brüllen“ hätte ersparen können, worauf der Briefwechsel drei Jahre lang stockte, bis F. im J. 1859 den letzten Brief von seinem Meister erhielt. Er veröffentlichte während der Lebenszeit Schopenhauer’s im Geiste desselben noch: „Die Naturwissenschaft in ihrem Einfluß auf Poesie, Moral und Philosophie“, Lpz. 1855, „Briefe über die natürliche Religion“, ebd. 1858, und nach dessen Tode, zum Erben seines Nachlasses vom Verstorbenen eingesetzt: „Lichtstrahlen aus Schopenhauers Werken“, Lpz. 1862, 7. Aufl. 1891, zusammen mit Otto Lindner: „Schopenhauer. Von ihm, über ihn“ (darin u. a. Briefe, Memorabilien, Nachlaßstücke), Berlin 1863, „Aus Schopenhauers handschriftlichem Nachlaß“, Lpz. 1864, „Das sittliche Leben“, ebd. 1866, „Blicke in die intellektuelle, physische und moralische Welt“, ebd. 1869, „Schopenhauer-Lexikon. Ein philosophisches Wörterbuch“, Lpz. 1871, „Lichtstrahlen aus Im. Kants Werken“, ebd. 1872, „Neue Briefe über die Schopenhauersche Philosophie“, ebd. 1876. Im Auftrage und nach dem Plane Schopenhauer’s veranstaltete er die erste Gesammtausgabe von dessen Werken in 6 Bdn., Leipzig 1873–74, 2. Aufl. 1877, neue Ausg. 1891; freilich ist die Ausgabe nicht sehr sorgfältig gearbeitet.

In seinen späteren Schriften, namentlich in den „Neuen Briefen“ wich er mehrfach von Schopenhauer ab, ohne aber damit anerkannte Verbesserungen oder eine wirksame Fortbildung der Schopenhauer’schen Lehre zu geben. So erkennt er zwar den Monismus nach Schopenhauer an, aber will innerhalb desselben einen „objectiv-phänomenalen Individualismus“ statuirt wissen; er macht sich vom subjectiven Idealismus Schopenhauer’s frei und glaubt sogar, den folgerichtigen Pessimismus aus Schopenhauer’s Lehre entbehren zu können und ist dem Eudämonismus keineswegs abgeneigt.

Ed. v. Hartmann, Neukantianismus, Schopenhauerianismus und Hegelianismus, Berlin 1877. – Carl Peters, Willenswelt und Weltwille, Leipzig 1883. – Ueberweg-Heinze, Grundr. der Gesch. der Philos., Bd. 4, 9. Aufl. 1902.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Frauenstädt, Jul. XLVIII 732 Z. 12 v. o. l.: 13. (statt 17.) Januar. [Bd. 56, S. 396]