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Artikel „Everardi, Nicolaus“ von Alphonse Rivier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 433–434, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Everardi,_Nicolaus&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 03:57 Uhr UTC)
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Everardi: Dr. Nicolaus E. (Klaas Everts, Evertsen, Evertszoon oder Everaerts), niederländischer Rechtsgelehrter, geb. zu Grypskerke, unweit Middelburg, daher man ihn auch Nicolaus de Middleburgo nannte, um das J. 1462, † zu Mecheln am 9. August 1532. Sein Vater soll ein einfacher Schiffer gewesen sein, dem man aber nachträglich edle Abstammung von einem freiherrlichen Geschlechte in Baiern zuschrieb. Von seiner Jugend ist weniges bekannt. Er studirte die Rechte spät, in Löwen, unter Lehrern von der alten Schule, Arnold van Beeck (de Beka) und Peter van Thienen (de Thenis). Nachdem er am 11. Juni 1493 promovirt war, wurde er Official für Brabant des Bischofs von Kamryck, welcher damals der hochgebildete Heinrich v. Berghen war. Wir sehen Dr. Nicolaus in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts (1498) als Decan des Capitels Sanct Guido in Anderlecht bei Brüssel, dann (1506) als Decan von Sanct Gudula in Brüssel. Nachdem er dem geistlichen Stande entsagt hatte, vermählte er sich mit Elisabeth van Bladele oder du Blioul, aus einem angesehenen und bekannten Hause. Philipp der Schöne ernannte ihn 1505 zum Mitgliede des großen Rathes in Mecheln, und schon vier Jahre später, 1509, zum Präsidenten des höchsten Gerichtshofs für Holland, Seeland und Friesland, in welcher hervorragenden Stellung er neunzehn Jahre lang verblieb. 1528 wurde er von Karl V. nach Mecheln zurückgerufen, als Präsident und Nachfolger des bekannten Jodocus Lauwereys, jenes homo plus quam capitaliter infensus bonis literis, wie Erasmus denselben bezeichnet. Everardi’s Thätigkeit an der Spitze des höchsten Gerichtshofes war in den südlichen, wie in den nördlichen Niederlanden eine glänzende; leider wurde er schon nach vier Jahren in voller Kraft und Arbeitslust hinweggerafft. Sein würdiger Nachfolger war Lambert von Briaerde. Das hohe Ansehen, in welchem E. stand, wird von den Zeitgenossen vielfach bezeugt. Erasmus unterhielt mit ihm ein freundschaftliches Verhältniß; drei Briefe des großen Humanisten an den hervorragenden Rechtsgelehrten, aus den J. 1521 und 1524, sind erhalten; der eine namentlich, von 1521, ist bedeutend, auch für die Stellung Everardi’s zu den politisch-religiösen Zeitfragen. In einem Schreiben an den Decan Bernhard Bucho im Haag nennt Erasmus den Präsidenten einen virum eximium, rei publicae natum, si quis alius sit. Cantiuncula rühmt Everardi’s vorzügliche Gelehrsamkeit und seltenes Gedächtniß. Sein Charakter wird als durchaus ehrenwerth geschildert; nach seinem Tode hieß es von ihm, nihil umquam ad quaestum, nihil ad gloriam, nihil ad amicorum quantumvis potentiorum gratiam respondisse; nullius neque legis neque interpretis verba ad suam sententiam obtinendo causae studio detorsisse; nihil etiam [434] citasse, quod non penitus excusisset. Sein Bild kommt mehrfach vor, z. B. bei Freher; es muß ähnlich sein: ein mächtiger, in hohem Maße charakteristischer Kopf mit starkem Nacken und Kinnbacken. E. hinterließ mehrere Kinder, welche sich sämmtlich ausgezeichnet haben, drei von ihnen auch als Dichter: der jüngste und berühmteste ist Johannes Secundus, der liebliche Sänger der Küsse. Everardi’s schriftstellerischer Ruf ist durch zwei Werke begründet, von denen das eine mehr in der Schule, das andere in der Praxis während längerer Zeit in hohem Ansehen stand. I. „Topica sive de locis legalibus.“ Die erste Ausgabe, enthaltend hundert loci, erschien Löwen 1516 bei Maertens, mit einer langen Vorrede an den Kanzler Le Sauvaige von dem als Dichter bekannten Remacle d’Ardenne aus Florenne und mit Epigrammen, Nachwort und Inhaltsverzeichniß von Johannes De Muntere aus Gent. Eine neue, von E. selbst vorbereitete, vermehrte und verbesserte Ausgabe (Löwen, bei Sassen) wurde 1552 von seinen Söhnen besorgt; sie enthält 131 loci. Andere Ausgaben sind Lyon 1547 (?), 1568, 1579; Venedig 1539 (?); Frankfurt 1591, 1604, 1624; in dieser letzten findet man eine Vorrede von Dionys Gothofred, die Epistel von Matthäus Wesenbeeck an Monau über den Rechtsunterricht, synoptische Inhaltsangaben und einen Anhang De vitiosis argumentis von Matthäus Stephanus. Es ist nicht leicht, über dieses Werk ein sicheres Urtheil zu fällen. Gleich bei seinem Erscheinen machte es großes Aufsehen. Cantiuncula, welcher seine eigene Topik drei Jahre später veröffentlichte, erwähnt des Everardi’schen Buchs mit besonderer Hochachtung; noch Dionys Gothofred empfiehlt den Anfängern dessen Studium dringend; er stellt zwischen E. und Oldendorp einen Vergleich an, der offenbar zu Gunsten des ersteren ausfällt: E. schöpft seine exempla argumentorum stets ex intimo ipsumoque jure, während Oldendorp aus der Glosse schöpft. Cantiuncula schöpft vielfach aus den classischen Schriftstellern und aus der Geschichte des Alterthums und macht auf uns einen weit moderneren Eindruck als E. Denn E. steckt noch, was die Autoritäten betrifft, die er in Masse allegirt, im tiefen Mittelalter, mitten unter den Commentatoren und Scolastikern; man staunt über dessen Belesenheit, allein man empfindet eine Art Genugthuung, wenn er seine eigene Erfahrung und Fälle aus seiner Praxis erwähnt. In der Ausgabe von 1552 sind die Citationen einigermaßen modernisirt; Cantiuncula wird ehrenvoll genannt. Savigny’s Urtheil über die loci ist bekannt; zu prüfen, inwieweit es als endgültig bezeichnet werden darf, scheint hier nicht der geeignete Ort zu sein. II. „Consilia sive Responsa juris.“ Mehrere Ausgaben: zuerst Löwen 1554; vermehrt von Molengravius 1577; zuletzt Antwerpen 1643, enthaltend 247 Consilia nebst einer Synopsis der Topik. Die Consilia LXXVIII und CV, die von Münzangelegenheiten handeln, sind in Budel’s Sammelwerk (Köln 1591) aufgenommen worden. Everardi’s „Responsa“ gehören zu dem besten, was in[WS 1] diesem Fach geleistet worden ist; sie zeichnen sich namentlich aus durch Bündigkeit, Schärfe, praktische Erfahrung; Form und Inhalt sind gleich trefflich. Die allegirte Litteratur ist selbstverständlich die der Commentatoren und der Consiliatoren. E. gebührt die Ehre, der erste belgische Consiliator zu sein; ihm folgte Briaerde, dessen Consilien nie gedruckt worden sind; dann wurde dieses in den Niederlanden neue Feld von Leonin, Wamesius und mehreren Anderen in fruchtbringender Weise weiter bebaut.

Außer den gangbaren Sammelwerken von Paquot, Sweert, Driessens, Foppens u. A.: Peter de la Rue, Geletterd Zeeland, 2. Ausgabe, Middelburg 1741, S. 274–280, und die dort Angeführten. Foppens, Handschriftliche Geschichte des großen Raths von Mecheln, auf der Brüsseler Bibliothek. Britz, Mémoires couronnés de l’Académie de Belgique, XX. p. 67–69.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: in in