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Artikel „Dillenburger, Wilhelm“ von Ferdinand Sander in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 696–699, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dillenburger,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 09:12 Uhr UTC)
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Dillenburger: Wilhelm D., Schulmann und Altphilolog, starb 1882 am 23. April. – Wilhelm Kasimir Ferdinand D. wurde am 7. Juli 1810 in Essen a. d. Ruhr als Sohn des dortigen Schneidermeisters Wilhelm D. († 1829) geboren. Im J. 1819 begann er im sog. Franciscanergymnasium (gegründet 1642, damals Progymnasium) zu Dorsten a. d. Lippe, wohin seine Eltern verzogen waren, die höheren Schulstudien, kehrte indeß bald mit den Eltern nach dem alten Wohnsitze zurück und besuchte von 1820 bis Herbst 1828 das Gymnasium zu Essen. Seine Schulzeugnisse und besonders ein offenes Schreiben des Gymnasialdirectors Dr. Paulssen zu Essen vom 10. December 1828, mitunterzeichnet von dem katholischen Pfarrer Scheier und dem Bürgermeister Kopstedt, bekunden, daß W. D. auf der Schule „durch Fähigkeit, Fleiß, Aufmerksamkeit, Fortschritte und gutes Betragen sich stets rühmlich ausgezeichnet [697] und daher bei seiner Abgangsprüfung – – das Zeugniß unbedingter Tüchtigkeit Nr. I erhalten hat“. Er wird der Förderung durch Stipendien als ebenso benöthigt bei der dürftigen Lage der Eltern wie würdig ganz vorzüglich empfohlen. In Bonn, wohin der Jüngling sich wandte und wo er das akademische Studium bis zum Ende des Sommersemesters 1831 fortsetzte, wurde er am 20. October 1828 (Rectore Heffter) immatriculirt und am 22. October d. J. (Decano Naeke) bei der philosophischen Facultät inscribirt. Als Fachstudium wählte D. classische Philologie, in der Karl Friedrich Heinrich, Friedrich Gottlieb Welcker und August Ferdinand Naeke seine fleißig in zahlreichen Collegien gehörten Lehrer waren. Außer den im engsten Sinne philologischen Vorlesungen folgte er noch den Vorträgen von B. G. Niebuhr über römische Geschichte und römische Alterthümer, A. W. v. Schlegel über deutsche Sprache, J. W. Löbell über Litteraturgeschichte der Deutschen, Ch. A. Brandis über Geschichte der Philosophie, auch der Erklärung der Psalmen durch den Protestanten Fr. Bleek und zwei mathematischen Vorlesungen von Diesterweg über ebene und sphärische Trigonometrie und über geometrische Analysis. Nimmt man dazu, daß der junge Student nebenher seinen Unterhalt selbst durch Privatstunden und dgl. Arbeiten zu erwerben hatte – erst in den späteren Semestern erhielt er als ordentliches Mitglied des Philologischen Seminars ein regelmäßiges Jahreseinkommen von 100 Thalern –, so gewinnt man den Eindruck, daß auch bei dem Studenten D. ernstes Pflichtgefühl und gewissenhafte Arbeit dem Leben das Gepräge gaben. In Bonn erwarb er am 14. December 1831 vor der wissenschaftlichen Prüfungscommission das Zeugniß pro facultate docendi mit der Lehrbefugniß in Griechisch und Latein für alle Classen. Das Probejahr legte er am heimischen Gymnasium zu Essen unter dem Director Dr. Savels 1831–32 ab und blieb an dieser Anstalt als Hülfslehrer bis Ostern 1834; sein Unterricht erstreckte sich auf Latein in Sexta, Odyssee in Secunda, Deutsch und Geographie in den Mittelclassen. Von Ostern 1834 bis Pfingsten 1835 fungirte D. als Hauslehrer bei einem Herrn v. Bongart, mit dem er Belgien und einen Theil Nordfrankreichs bereiste. Dann wurde er erst Hülfslehrer und stellvertretender Ordinarius der Tertia und am 15. December 1835 ordentlicher Lehrer am Gymnasium zu Münstereifel unter dem Director Dr. Katzfey. Sein Unterricht umfaßte damals Latein, Griechisch, Geschichte in Tertia, Horaz, Platon und griechische Grammatik in Prima. Das Gehalt betrug 300 Thaler neben freier Wohnung, bestehend in zwei Stuben und einer Kammer. In dieser Stellung verheirathete D. sich am 16. September 1837 mit Wilhelmine Wichterich, Tochter des Steuereinnehmers W. zu Münstereifel. Nach 45jährigem, glücklichem Ehestande überlebte ihn diese Gattin noch um fünf Jahre († 1887). Ein Jahr darauf wurde er zweiter Oberlehrer zu Münstereifel und trat Ostern 1841 in gleicher Eigenschaft an das Gymnasium zu Aachen über. Von dort aus erwarb er bei der philosophischen Facultät zu Tübingen den Doctorgrad. Am 20. Mai 1844 zum Director des Gymnasiums in Emmerich ernannt, leitete D. diese Anstalt bis zum Schulschlusse im August 1849, um dann dem Rufe in die neugeschaffene Stelle des katholischen Provinzialschulrathes für die Provinz Preußen nach Königsberg zu folgen. Hier wartete sein ein mühsamer Dienst. Als Provinzialschulrath und Commissar des Provinzialschulcollegiums hatte er sämmtliche katholische Gymnasien und Progymnasien sowie die katholischen Lehrerseminare der damals noch ungetheilten Provinz Preußen zu beaufsichtigen und daneben als Regierungs- und Schulrath für Ostpreußen die Volksschulen seiner Confession in den Regierungen zu Königsberg und zu [698] Gumbinnen zu vertreten; und das alles in einer weit ausgedehnten Provinz, in der von Eisenbahnverkehr noch kaum die Rede war und selbst das Straßennetz sehr weite Maschen zeigte. D. erwarb sich bald Vertrauen und Anerkennung in dem neuen Wirkungskreise durch seine fachmännische Tüchtigkeit wie durch die vornehme und taktvolle Art, in der er gleicherweise die Interessen des Staates und seiner Kirche zu wahren verstand. Herzliche und dauernde Freundschaft verband ihn besonders mit dem jüngeren, protestantischen Collegen Wilhelm Schrader, dem späteren Curator der Universität Halle, seit dessen Berufung in das Königsberger Provinzialschulcollegium (1856) und mit dem gleichaltrigen Director des lutherischen Kneiphöfischen Gymnasiums zu Königsberg Rudolf Skrzeczka. Unter reichen Beweisen der erworbenen Liebe und Verehrung schied er Ostern 1866 aus Preußen, um die in vieler Hinsicht leichtere und einfachere Wirksamkeit des katholischen Schulrathes im schlesischen Provinzialschulcollegium zu Breslau mit dem Amtscharakter als Geheimer Regierungsrath zu übernehmen. Noch mehr als anderthalb Jahrzehnte hat er dem höheren Schulwesen Schlesiens in bewährter Treue und Festigkeit gedient. Die Wogen der großen geschichtlichen Ereignisse von 1866 und 1870/1 haben auch ihn bewegt und erhoben, die nachfolgende Spannung und Verstimmung zwischen dem Staat und seiner Kirche mußte ihn betrüben und bedrücken. Aber nichts konnte den innerlich längst Gefestigten, dessen charaktervolle Art sich besonders als edles Maßhalten ausprägte, aus dem Gleichgewichte und dem sicheren Fortschreiten auf klar erkannter Bahn bringen. Das Aufstreben neuerer Schulformen zur Gleichberechtigung neben dem alten Gymnasium und die Anbequemung der gymnasialen Lehrpläne an moderne Zeitforderungen, zu der das preußische Schulregiment mehr und mehr neigte, war nicht nach Dillenburger’s Sinne. Wo er als Senior des Schulcollegiums seiner Anhänglichkeit an das bewährte Hergebrachte Ausdruck geben konnte, unterließ er auch in Berichten nach Berlin nicht, die warnende Stimme zu erheben. Aber auch in diesen Dingen wußte er als gewissenhafter Beamter seine persönlichen Ansichten zurückzuhalten, wo es galt, Einzelfragen von gegebenem Standpunkt aus zu beantworten. Im Schulcollegium wie an den seiner Oberleitung anvertrauten Anstalten erfreute D. sich ungetheilter Hochachtung und Verehrung. Besonders herzlich gestaltete sich auch hier das Verhältniß zu seinem nächsten Amts- und Arbeitsgenossen, dem erst jüngst (am 6. Januar 1903) verstorbenen protestantischen Schulrathe für das höhere Schulwesen, Geheimen Rath Julius Sommerbrodt, mit dem er nebenamtlich auch die Leitung des pädagogischen Seminars theilte. In fast unversehrter Rüstigkeit trat D. unter den Glückwünschen der Seinigen, der Collegen und Freunde am 7. Juli 1880 in sein achtes Jahrzehnt. Doch schon im nächsten Jahre mehrten sich die Anzeichen eines beginnenden Gehirnleidens, besonders in Kopfschmerzen, Athemnoth und Gehörbeschwerden. Da ein längerer Landaufenthalt in dem freundlichen Lissa bei Breslau keine Besserung brachte, reichte er am 13. September 1881 sein Abschiedsgesuch ein. Noch war – so ungern sah man ihn scheiden – der erbetene Abschied nicht bewilligt, als ihm am 4. April 1882 die Feder entsank und er die Arbeit aufgeben mußte. Am 23. d. M. wurde er von seinem Siechthume durch den Tod erlöst. Sein Geist blieb bis zum Ende ungetrübt. Sein Grab schmückt ein Stein, von den Directoren der höheren Lehranstalten Schlesiens gesetzt, mit der Inschrift aus Horaz: Multis ille bonis flebilis occidit.

Litterarisch hat D. sich besonders mit Horaz beschäftigt und um Horaz verdient gemacht. Schon 1839 mit „Quaestiones Horatianae“ und mit einigen Einzelheiten im Schulprogramme von Münstereifel hervorgetreten, gab er zuerst [699] 1843 mit lateinischem Commentare die Gedichte des Horaz selbst heraus: „Q. Horatii Flacci opera omnia. Recognovit et commentariis in usum scholarum instruxit Guil. Dillenburger. Bonnae, sumptibus Adolphi Marci 1843“. Nach der Vorrede wünscht D. besonders die durch Petrus Hofmann-Peerlkamps kritische Horazausgabe von 1834 angeregten Arbeiten für den Schulgebrauch nach kritischer Sichtung fruchtbar zu machen. Er schreibt für den Standpunkt eines guten Primaners. Dafür reichlich hoch gegriffen und schwer gerüstet, hat die Ausgabe wohl mehr als Fundgrube und Handbuch für Studenten der Philologie und für Gymnasiallehrer sich bewährt, auch im weiteren Verlaufe mehr und mehr als ebenbürtige wissenschaftliche Arbeit über den alten Dichter ihren Platz errungen. Sie erlebte sieben Auflagen (1843, 1847, 1854, 1860, 1867, 1875, 1881). Die letzte widmete D. den Arbeitsgenossen im Provinzialschulcollegium: „Collegis in munere publico optimis. Memoriae ergo“. Der Name Dillenburger’s ist durch diese in ihrer Art noch nicht übertroffene, tüchtige Arbeit für immer mit dem des Horaz ehrenvoll verbunden. – Verdienstlich hat D. ferner beigetragen zur Geschichte des rheinisch-westfälischen gelehrten Schulwesens durch zwei Programmarbeiten (1846, 1849), in denen er die wechselvolle und typisch bedeutsame Vorgeschichte des Gymnasiums zu Emmerich von den Tagen des Alexander Hegius und seiner frühhumanistischen Genossen über die erste Blüthezeit unter dem Rector Matth. Bredenbach (1525–59) bis in die zweite Blüthezeit unter den Jesuiten (seit 1590) vorführt. Ueber das von D. festgehaltene Grenzjahr 1624 bis zur Aufhebung (1811) des erst 1832 wiederhergestellten Gymnasiums hat später Klein im Programme von 1853 den Faden fortgesponnen. Ueber Alexander Hegius schrieb D. noch eigens in der Berliner Zeitschrift für das Gymnasialwesen (Bd. XXIV, S. 481 ff.). Dieser Zeitschrift, wie einigen anderen gelehrten Blättern hat er auch sonst eine Reihe gelegentlicher wissenschaftlicher Arbeiten anvertraut. – Praktischen Schulzwecken dienten die von D. herausgegebenen „Beispiele zum Uebersetzen ins Griechische“ (mit Litzinger, Koblenz 1835) und „Beispiele zu Buttmann’s Grammatik“ (Bonn 1839. 2. Auflage 1840).

Neben der Wittwe überlebten D. drei Söhne, ein Ingenieurofficier und zwei Kaufleute, sowie die einzige an den berühmten Mediciner Wilhelm Waldeyer vermählte Tochter. Im J. 1881 starb ihm der älteste Sohn Theodor, der, des Vaters berechtigter Stolz, bereits als Geheimer Oberfinanzrath dem Finanzministerium in Berlin angehörte; ein Verlust, der seiner Lebenskraft den entscheidenden letzten Stoß versetzte.

Quellen: Sommerbrodt in Bursian’s Biogr. Jahrbuch f. Alterthumskunde. V. Band. Berlin 1883; besonders aber neben persönlicher Bekanntschaft und Erinnerung Mittheilungen des Herrn Professors Dr. Waldeyer zu Berlin, die theils auf eigene Aufzeichnungen Dillenburger’s, theils auf vorliegende Documente zurückgehen.