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Artikel „Düringer, Philipp Jakob“ von Egon von Komorzynski in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 210–212, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:D%C3%BCringer,_Philipp_Jakob&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 17:56 Uhr UTC)
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Düringer: Philipp Jakob D., Schauspieler und Dichter, wurde am 23. Juli 1809 in Mannheim geboren. Seine unbezwingliche Vorliebe für das Theater ließ ihn gar bald die Hörsäle der Universität Heidelberg, wo er sich auf den Wunsch seiner Eltern als Student der Medicin hatte inscribiren lassen, mit der Bühne vertauschen. Bereits 1826 trat er in Mannheim auf; von 1828 ab führte ihn ein ungebundenes Wanderleben nach Freiburg i. Br., Frankfurt a. M., Düsseldorf, Wien, Hamburg, München und Nürnberg; 1835 wurde er am Leipziger Stadttheater engagirt und war 1836 bis 1843 Regisseur daselbst. 1843 bis 1853 war er Oberregisseur des großherzogl. Hof- und Nationaltheaters zu Mannheim. Schon als Mitglied des Theaters in Leipzig hatte D. 1839 ein Gastspiel am königl. Schauspielhaus zu Berlin absolvirt; 1853 berief ihn Herr v. Hülsen, der seit 1851 als Nachfolger C. Th. v. Küstner’s Intendant der königl. Schauspiele in Berlin war, an das königl. Schauspielhaus, wo er von 1853 bis 1870 als artistisch-technischer Director des Schauspiels wirkte. Anfang 1870 pensionirt, starb er am 12. Mai 1870 in Coburg.

Eine außergewöhnliche natürliche Begabung, nicht minder aber auch rastloser Fleiß und die reiche Erfahrung eines von Anfang an durchaus thätigen Lebens haben D. bald zu einem trefflichen Darsteller, zu einem noch trefflicheren Regisseur und auch Dramaturgen gemacht. Schon in Leipzig verstand er es wie Wenige außer ihm, den schwierigen Beruf eines Regisseurs mit Leichtigkeit und Sicherheit auszuüben; dabei traf er in jeder Hinsicht stets das Richtige und wußte das Dramatische wohl vom Theatralischen zu unterscheiden – eine Eigenschaft, die sich später an ihm noch vervollkommnete, und die leider zahlreichen modernen Regisseuren nur zu sehr mangelt. In Mannheim kam ihm das Studium des dortigen Theater-Archivs sehr zu statten; welches Interesse er auch der Regiekunst früherer Zeiten entgegenbrachte, zeigt ein von ihm zusammengestellter Band „Interessante Berichte und praktische Bemerkungen des Directors Beck mit Randglossen Dalbergs 1797–1803“. Kein Geringerer als Gustav Freytag hielt auf Düringer’s dramaturgische Rathschläge sehr viel; Freytag arbeitete seine „Valentine“ genau nach Düringer’s Vorschlägen um und wußte diesem noch Dank dafür. Seine dramaturgische [211] Thätigkeit setzte D. auch während der Berliner Zeit in ausgedehnterem Maaße fort. Das kgl. Schauspielhaus gab den „Hamlet“ von 1855 bis 1874 nach einer Bearbeitung der Schlegel’schen Uebersetzung durch D., in der das Stück auf vier Acte zusammengezogen wurde; 1856 bearbeitete D. mit Dessoir zusammen Emil Brachvogel’s „Narziß“, er lieferte hiebei geradezu eine Umdichtung, und den erst durch D. wirksam gestalteten Actschlüssen verdankte das Drama großentheils seinen Erfolg. 1857 richtete D. Calderon’s Trauerspiel „Der Maler seiner Schmach“ für die Bühne ein. Auch Uebersetzungen und freie Bearbeitungen von französischen Stücken hat er geschrieben („Die Tochter einer Mutter“ nach Dumanoir, gedr. Leipzig 1842; „Maurice oder Der Helfer in der Noth“ nach Melesville u. a. m.). In allen diesen theils durch Rathschläge angeregten, theils selbst verfaßten Bühnenbearbeitungen kommen Düringer’s unfehlbare Sicherheit im Erfassen der Hauptsache, seine stete Berücksichtigung der lebendigen Bühnenwirkung und seine völlige Vertrautheit mit allem zur Bühne Gehörigen zum schönsten Ausdruck. Er hat auch seine Kenntnisse und Erfahrungen in dem gemeinsam mit dem Theaterinspector H. Bartels verfaßten Werk: „Theaterlexikon, ein theoretisch-praktisches Handbuch“, gedr. Leipzig 1841, zusammengefaßt.

Als Dichter trat D. zuerst mit einer Gedichtsammlung hervor, die „Künstlerhauche. Eine Sammlung von Liedern und Gedichten“ betitelt ist und die 1834 in Mannheim gedruckt wurde. Wol sind die Poesien im allgemeinen noch etwas unreif; doch findet sich unter ihnen manch eine Perle, die von echtem dichterischen Empfinden erfüllt ist, wie das „Des Mädchens Klage“ überschriebene, heute zum Volksliede gewordene Gedicht (S. 55):

Den lieben langen Tag
Hab’ ich nur Schmerz und Plag
Und sollt’ am Abend doch nit weine!?
Wann ich am Fenster steh’
So in die Nacht h’nei seh’,
 So ganz alleine,
 Da muß ich weine! –

Viele dieser Lieder umfließt ein matter Abglanz der verschwindenden romantischen Dichtung; andere sind prächtige Gelegenheitsgedichte im Goetheschen Sinne; wieder andere sind witzig, ihr Humor erinnert lebhaft an den Humor der Lortzing’schen Operntexte. Düringer’s lyrische Ader war stark; mehrere sehr bekannt gewordene Arien aus Lortzing’s Opern sind von ihm gedichtet, so das Lied „Einst spielt’ ich mit Scepter, mit Kron’ und mit Stern“ in „Czar und Zimmermann“ und das 2. Finale und das Lied im 2. Acte (mit dem Refrain „Der Liebe Glück, das Vaterland“) in „Hans Sachs“. – Von Düringer’s dramatischen Werken lag mir bloß das dreiactige Drama „Der Araber“ (gedr. Mannheim 1847; Musik von V. Lachner) vor, das die Liebe des arabischen Scheiks Al Yezid zu einer russischen Fürstin und die Aufopferung einer jungen Russin, die unter dem Namen Laila als Yezid’s Sklavin in Cairo lebt, für den von ihr abgöttisch geliebten Scheik behandelt. Hier ist der dramatische Aufbau der Handlung ebenso zu loben wie die Schönheit des sprachlichen Ausdrucks.

D. verdient aber nicht bloß als Dramaturg und als Dichter, sondern auch als Mensch im Gedächtniß der Nachwelt fortzuleben. Seine persönliche Liebenswürdigkeit, sein echt deutsches Fühlen und Empfinden werden von all’ seinen Bekannten gelobt; Männer wie G. Freytag und Berthold Auerbach achteten ihn hoch. Das Band steter inniger Freundschaft verband D. mit dem unglücklichen Lortzing, den D. schon in Leipzig kennen lernte und dem [212] er, unbekümmert um das Verhalten der Mitwelt, immer ein treuer, hülfebereiter Herzensfreund geblieben ist. Von keinem Andern ist Lortzing so erkannt und verstanden worden wie von dem ihm geistig so nahe verwandten D. D. hat noch in Lortzing’s Todesjahr seinem Freund ein biographisches Denkmal gesetzt in dem Büchlein: „Albert Lortzing, sein Leben und Wirken“ (Leipzig 1851), und die von D. verfaßte bekannte Grabschrift (die Edwin Neruda in der Neuen Zeitschr. f. Musik 1901, Nr. 46 ohne jeden Grund Max Ring zuschreibt) enthält in ihren knappen vier Zeilen wirklich Lortzing’s ganze Lebensgeschichte und zugleich eine Weissagung von prophetischer Kraft; auch zeigt sie uns schön wie kein anderes Gedicht Düringer’s dessen herzenstiefes, echt deutsches Gefühl.

F. Walter, Archiv u. Bibliothek des Großherzogl. Hof- u. Nationaltheaters in Mannheim. Leipzig 1899. Bd. 1, S. 259, 330 f., 473. – C. Schäffer und C. Hartmann, Die kgl. Theater in Berlin. Berlin 1886. S. 39, 58, 150, 171, 207. – R. Genée, Hundert Jahre des königlichen Schauspiels in Berlin. Berlin 1886. S. 173. – Die Gartenlaube. Jahrgang 1879, S. 129 ff. – Frankfurter Zeitung v. 4. October 1900 (enthält einen wichtigen Brief Gustav Freytag’s an Düringer).