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Artikel „Christian der Jüngere“ von Ferdinand Spehr in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 677–683, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Christian_der_J%C3%BCngere&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 00:48 Uhr UTC)
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Nachtrag *).

Christian der Jüngere, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, in der Geschichte unter dem Namen „der tolle Halberstädter“ bekannt, geboren am 10./20.[WS 1] September 1599, † 1626, ist der dritte Sohn des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel und der Herzogin Elisabeth, Tochter des [678] Königs Friedrich II. von Dänemark. Am Hofe seines gelehrten Vaters, namentlich unter der Aufsicht seiner edelen und frommen Mutter, erhielt er eine standesgemäße Bildung. Zu früh für den lebhaften feurigen Knaben starb der Vater als Christian das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Fortan leitete der Oheim, König Christian IV. von Dänemark, nach welchem der Neffe den Namen führte, die Erziehung desselben, welcher nach längerem Aufenthalte in Kopenhagen die Universität Helmstedt besuchte und schon hier Beweise eines hellen kräftigen Geistes und geweckten Sinnes gab. Er sprach fertig Französisch und Italienisch und verstand Lateinisch, Holländisch und Deutsch. Nach dem Tode seines Bruders, postulirten Bischofs von Halberstadt, Rudolf von Braunschweig, welcher am 13. Juni 1616 während seines Aufenthalts zu Tübingen starb, wurde er an dessen Stelle zum Bischof von Halberstadt erwählt und am 1. Mai 1617 feierlich eingeführt. Durch den Tod seines Bruders Julius August erhielt er die Würde eines Abts des Klosters Michaelstein bei Blankenburg und eines Propstes des St. Blasiusstiftes zu Braunschweig. Die Einkünfte dieser Pfründen gaben dem 18jährigen Jünglinge reichliche Mittel, um seinen Neigungen leben zu können, denn der aufstrebende Geist suchte freiere Schranken der Wirksamkeit als die geistlichen Aemter ihm gewähren konnten. Auf Thaten und Kriegsehre, auf Waffenlust und Schlachtendrang war sein Sinn gerichtet. Er begab sich nach den Niederlanden, wo das Volk unter Moritz von Oranien für Religion und Freiheit kämpfte. Schon hier zeigte er sich, wie sein Lehrmeister Moritz von ihm rühmte, als Herr von der Faust, nicht von der Feder. In der Lust am blutigen Spiel ergriff er jede Gelegenheit, um seinem Thatendrange ein würdiges Ziel zu geben. Er trat als Dragonerhauptmann in holländische Dienste, hatte aber, da ein Waffenstillstand geschlossen war, wenig Gelegenheit, sich im Kampfe umher tummeln zu können. Diese wurde ihm in seinem Vaterlande geboten. Geschlagen war die Schlacht am weißen Berge bei Prag und hatte über die bömische Königskrone des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz entschieden. Der vertriebene König mußte länderlos in der Fremde umherirren, verlassen von allen Freunden, welche im Unglücke ihn im Stiche ließen. Da erstand ihm in Ch. von Braunschweig unerwartet ein Helfer, der von herzlichem Mitleid und kriegerischem Muth bewegt, in ritterlicher Verehrung für die Gemahlin des Kurfürsten, die unglückliche Elisabeth von der Pfalz, welche er zur Dame seines Herzens erkoren, das Schwert zog, um ein Retter in der Noth zu werden. In jugendlicher warmer Liebe zu der schönen Tochter König Jakobs I. von England, welche flüchtig hab- und gutlos von einem fürstlichen Hofe zum andern wanderte, ohne ein bleibendes Obdach finden zu können, verpflichtete sich der junge Held ihrem Dienste, steckte ihren Handschuh auf seinen Hut und schwur das Schwert nicht eher in die Scheide zu stecken, als bis er der Vertriebenen die böhmische Krone wieder auf das Haupt gesetzt. Seine Devise war fortan „Tout avec Dieu et pour elle“. Zu dieser ritterlichen Begeisterung kam die nicht minder glühende für den in Gefahr schwebenden Protestantismus. Auf Einladung des Königs Christian IV. von Dänemark hatten sich die Stände des niedersächsischen Kreises im J. 1621 in Segeberg versammelt und beschlossen, den Kreis durch ernstliche Rüstungen gegen die Anmaßungen der kaiserlichen Feldherren Spinola und Cordova zu schützen. Diesen Beschluß erfaßte der junge Ch. mit ganzer Seele. Der Sage nach mit zehn Thalern in der Tasche, der Wirklichkeit zufolge aber durch eine bei dem Grafen Ernst von Schauenburg gemachte Anleihe von 10000 Thlrn. und durch eine ihm von der Mutter gewährte Unterstützung in den Stand gesetzt, ließ er in Niedersachsen und Westfalen die Werbetrommel ertönen und bald schaarte sich die kampflustige, beutegierige Jugend um seine Fahnen. Zwar stellten die ängstlichen Kreisstände ihre Rüstungen bald wieder [679] ein und forderten auch Ch. auf, die geworbenen Truppen zu entlassen, allein dieser, voll Muth und Vertrauen, sich auf das Schwert verlassend, war nicht der Mann, der vor einem Wagstück zurückbebte. Seine Absicht ging dahin, mit dem Grafen Ernst von Mansfeld, welcher ebenfalls für Friedrich von der Pfalz ein Heer geworben und plündernd das lüneburgische Land, das Eichsfeld und die braunschweigischen Aemter an der Weser durchgezogen hatte, zu vereinigen. Vergeblich mahnten der schwache ältere Bruder, der regierende Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, und die Mutter Herzogin Elisabeth von dem Unternehmen abzulassen. Mit einem Heere von etwa 12000 Mann zu Fuß und 13 Fähnlein Reitern brach Ch. durch das Fürstenthum Grubenhagen, das Eichsfeld und das Hessenland in das Erzbisthum Mainz ein, um den Rhein und die Pfalz zu erreichen. Landgraf Ludwig von Hessen widersetzte sich dem Durchzuge und zwang, unterstützt von einem kaiserlichen Heere unter dem Befehle des Grafen Jakob von Anholt, den Halberstädter sich im December 1621 in den westfälischen Kreis zu werfen. Hier fanden Ch. und sein Heer ein ergiebiges Feld für ihre Beutelust. Die reichen Stifter und Klöster mußten den Sold für die Truppen liefern; am 2. Jan. 1622 fiel die Stadt Lippstadt durch die Hülfe der Bürger in seine Gewalt, am 21. Januar wurde das feste Soest durch Sturm genommen. Hamm, Münster und Paderborn mußten sich gleichfalls ergeben. Aus dem Dome in letzter Stadt, welche überdem eine bedeutende Brandschatzung erlegen mußte, ließ Ch. die kunstreich aus reinem Silber verfertigten Statuetten der zwölf Apostel, so wie den mit Goldblech überzogenen silbernen Sarg des Schutzpatrons des Stifts, des heiligen Liborius, in die Münze wandern und aus denselben den jetzt selten gewordenen sogen. Pfaffenthaler, mit der Umschrift auf der einen Seite: „Tout avec Dieu“ und auf der anderen: „Gottes Freundt der Pfaffen Feindt“ prägen und seine Truppen damit besolden. Bis zum Mai verblieb Ch. in Paderborn. Am 16. Mai aber brach er auf, um sich mit Mansfeld, den er aufgefordert hatte, „er möge in dem vorgesetzten Eyffer standhaftig fortfahren, deß Juraments unvergessen bleiben, in Wiederbringung des Königreichs Böheimb keine Mühe, Folg noch Unkosten schewen“, in der Pfalz zu vereinigen, überall seinen Weg durch Plünderung, niedergebrannte Dörfer und ausgeraubte Städte bezeichnend. Ihm rückte ein ligistisches[WS 2] Heer unter dem Befehle des kriegskundigen Tilly entgegen. Ch. versuchte bei Höchst eine Schiffbrücke über den Main zu schlagen, jedoch Tilly ließ ihm dazu nicht Zeit. Am 20. Juni 1621 kam es zum blutigen Treffen. Noch hätte der Braunschweiger sein Heer retten können, wenn er schnell über die eben nothdürftig hergestellte Schiffbrücke gegangen und solche hinter sich abgebrochen hätte. Sein tollkühner Muth ließ solche Vorsicht, welche den Schein der Feigheit auf ihn hätten werfen können, nicht zu. Er stellte sich gegen den Rath erfahrener Kriegsleute kühn mit seinen jungen Truppen dem kriegsgeübten feindlichen Heere entgegen und wurde nach sechsstündigem heißem Kampfe gänzlich geschlagen. Was von seinem Heere das feindliche Geschütz nicht vernichtet hatte, ertrank in den Fluthen des Mains und nur mit Mühe konnte Ch. mit einem kleinen Reste seiner wiedergesammelten Schaaren, unverfolgt von Tilly, bei Mannheim sich mit Mansfeld vereinigen. Zu dieser Zeit versuchte Kurfürst Friedrich von der Pfalz sich mit dem Kaiser auszusöhnen, weshalb er den beiden Heerführern zwar höflich und möglichst ehrenvoll, aber doch klar und deutlich den Dienst aufkündigte. Unter diesen Umständen mußten diese die Behauptung der Pfalz aufgeben. Da ein Versuch, in kaiserliche oder französische Dienste zu treten, fehlschlug, beschlossen Ch. und Mansfeld sich durch das Hennegau oder Brabant zu Moritz von Oranien durchzuschlagen, welcher bei Breda stand und Bergen op Zoom zu entsetzen bemüht war. Bei Fleurus stellte sich beiden ein spanisches Heer unter Gonsalvo [680] de Cordova entgegen. Am 29. August 1622 kam es zur Schlacht, welche von drei Uhr Morgens bis um zwei Uhr Nachmittags währte und mit der völligen Niederlage der Spanier endete. Letztere verloren etwa 4000 Mann und besonders viel Officiere, „also daß dieses Treffen, weilen dabei so viele Donnen[WS 3] aufgerieben worden, den Spanischen in langer Zeit in gutem Gedächtniß geblieben“. Aber auch auf Christians Seite war der Verlust nicht gering. Ihm selbst wurden drei Pferde unter dem Leibe erschossen und eine Kugel zerschmetterte ihm den linken Arm vier Finger breit über dem Ellbogen. Da er anfangs die Wunde gering achtete, wurde der Arm brandig und mußte abgenommen werden. Ohne einen Schmerzenslaut von sich zu geben, ließ er die Operation unter Pauken- und Trompetenschall im Angesicht des Heeres vollziehen und durch einen Trompeter an den General Spinola die Botschaft überbringen: der tolle Herzog habe zwar den einen Arm verloren, aber den anderen noch behalten, um sich an seinen Feinden zu rächen. Spinola erwartete diese Rache nicht. Er hob die Belagerung von Bergen op Zoom auf und vermied jedes Zusammentreffen mit Ch. –

Zu Anfang des J. 1623 verließen Ch. und Mansfeld den Dienst der Generalstaaten und näherten sich wiederum der niedersächsischen Grenze. In den Bisthümern Münster und Paderborn warb Ch. neue Truppen. In der Befürchtung, daß die Schaaren Mansfeld’s und Christians sich in den niedersächsischen Kreis werfen und auf diese Weise Tilly nach sich ziehen und das Land zwischen Weser und Elbe zum Kriegsschauplatz machen möchten, beschlossen die Stände, unter dem Befehle des Herzogs Georg von Lüneburg ein Heer von 20000 Mann aufzustellen, um die Neutralität zu behaupten. Bevor ein solches aber zusammengebracht war, ging Ch. über die Weser und verlegte seine Truppen in die Bisthümer Hildesheim und Halberstadt. Die Stände des niedersächsischen Kreises machten jetzt gute Miene zum bösen Spiele und nahmen Ch. zum Kreisgeneral an, jedoch nur, „weil der Kreis noch nicht hinlänglich gerüstet sei, Ch. und dessen Heer mit Gewalt zu vertreiben“. Dieser begab sich zu seinem Bruder, dem Herzog Friedrich Ulrich, nach Wolfenbüttel. Mit diesem schloß er auf dem Schlosse Kalenberg am 24. Febr. 1623 einen am 3. März zu Rinteln bestätigten Vertrag, nach welchem er sich auf drei Monate in den Dienst seines Bruders begab und sich anheischig machte, dessen Land sowol vor der Gewalt der Kaiserlichen als auch gegen Mansfeld zu vertheidigen und den Herzog Georg als Oberbefehlshaber der Kreistruppen und als Feldobersten anerkannte. Ch. versprach gegen den Kaiser die gebührende Devotion beobachten zu wollen und sich gegen denselben „nach Standesgebühr allerunterthänigst und schiedlich, so lange ihm keine Ursache zum Gegentheil gegeben werde, zu bezeigen“, auch „nach drei Monaten seine Armee, wofern ihm und seinem vielgeliebten Herrn Bruder von Kaiserlicher Majestät und den katholischen Ständen wegen künftiger Gewalt, Ueberfall und Bcschwerniß genugsam Assecuration widerfahren werde, dimittiren zu sollen und wollen“, erklärte aber, daß er „nicht gewillt sei, auf bloße Versicherung (Synceration) des Kaisers und der katholischen Mächte seine eigene Person, sowie seine getreuen Officiere, Diener und Soldaten, ja das Stift und seine Eingesessenen selbst zu prostituiren“. Der Kaiser genehmigte den Vertrag unter der Bedingung, daß Herzog Ch. die eingegangenen Verpflichtungen streng erfülle. Darüber, daß solches geschehe, solle Tilly wachen, dessen „bekannter Discretion“ die Entscheidung, ob von Ch. ein Punkt des Vertrags verletzt sei, überlassen wurde. Wie diese Entscheidung ausfallen werde, sollte sich bald zeigen. Die Aeußerung Christians, daß er, sobald er ein tüchtiges Heer beisammen habe, durch Sachsen nach Böhmen marschiren werde, war für Tilly genug, ins Hessische einzufallen und das Land zu verwüsten. Ch. eilte ihm entgegen; in der Grafschaft [681] Plesse, nahe bei Göttingen, stieß er auf Tilly’s Vortrab unter dem Herzoge von Sachsen-Lauenburg, welchen er durch einen gelungenen Ueberfall warf, ihm 40 beladene Bagagewagen, eine beträchtliche Anzahl Pferde und 7 Standarten abnahm und etwa 100 Mann zu Gefangenen machte, wobei ihm eine nicht geringe Beute an Gold und Kleidern in die Hände fiel. Dieses glückliche Treffen erhöhte die Stimmung in Christians Heere nicht wenig, nun durfte er hoffen, daß der niedersächsische Kreis sich endlich entschließen werde. Zu Ende Juni 1623 brach er auf und lagerte sich bei Göttingen, um dem aus dem Hessischen sich nahenden Tilly entgegen zu gehen. Eine entscheidende Schlacht schien unvermeidlich; Ch. selbst suchte eifrig einen Zusammenstoß mit dem Gegner herbei zu führen. Nur den Bemühungen seines kriegserfahrenen Obersten v. Kniphausen gelang es, ihn zu bewegen, sein Heer dem Wagniß einer Schlacht nicht auszusetzen. In der Angst vor dem unversöhnlichen, rasch sich nahenden Tilly mahnten, um sich nicht der Rache desselben auszusetzen, die niedersächsischen Kreisstände den Herzog Ch., in seinen Rüstungen inne zu halten, und als dieser sich nicht beirren ließ, dankten sie, noch ehe die drei Monate verstrichen waren, denselben als ihren Kreisgeneral ab. Sie fürchteten, daß sein Versuch, Niedersachsen zu schützen, da Tilly stets neue Truppen heranzog, in das Gegentheil umschlagen möchte. Jetzt, wo die Entscheidung nahte, lag den Kreisständen daran, sich von dem Verdacht gegen den Kaiser zu reinigen, als ob sie insgeheim mit Ch. gemeinschaftliche Sache machten. Auch wünschten sie der Kosten der Landesvertheidigung entledigt zu sein. Sie ließen durch ihre Gesandten dem Herzog Ch. erklären, „sie könnten nicht befinden, wie er auf diese Weise die deutsche Freiheit zu retten und die Religion zu sichern vermöge“. Welche Gründe nun Ch. bewogen haben, von seiner anfänglichen Absicht, Tilly in offener Feldschlacht entgegen zu treten, zurückzukommen, ist nicht festgestellt. Möglich, daß die Gefahr des Kreises, namentlich seiner Erbländer (da sein älterer Bruder Friedrich Ulrich kinderlos war, hatte er die Hoffnung, nach dessen Tode zur Regierung zu gelangen) und seines Bisthums ihm vor Augen schwebte, oder daß sich ihm die Aussicht auf eine neue Kriegsbestallung bei einer fremden Macht eröffnet hatte, kurz er versprach den Ständen „um Niemand im Wege zu sein oder einige ombrage zu geben, seine Armee demnächst vom Reichsboden abzuführen und sich in fremde Kriegsdienste zu begeben. Dann werde ja der Effect ausweisen, an wem der Defect gewesen“. Am 11./21.[WS 1] Juli 1623 erließ Ch. aus dem „Veltlager bei Göttingen“ seine letzte geharnischte und vorwurfsvolle Mahnung an den Kreis. Er sei, schreibt er, mit dem festen Entschlusse, sich dem kaiserlichen Generalpardon zu fügen, in seines Bruders Dienste getreten; dann aber habe ihm das Nahen Tilly’s, dessen Correspondenz mit einigen niedersächsischen Ständen und die mit Brand und Raub erfolgte Ueberziehung des Fürstenthums „eine solche ombrage und diffidentz gemacht“, daß er auf Annahme einer Amnestie verzichtet und seine letzte Hoffnung auf ein muthiges und inniges Zusammenhalten der Kreisstände gesetzt habe. Dafür müsse er jetzt die Ueberzeugung gewinnen, daß die Stände kein anderes Ziel vor Augen hätten, als ihn aus dem Harnisch zu bringen und den Katholiken ihr Schwert angegürtet zu lassen. So müsse er es denn Gott und der Zeit befehlen, daß man ihn hülfslos lasse, seine Regimenter niederlege und unbekümmert um die Verheerungen des braunschweigischen Landes Alles einem feigen Frieden opfere. Gleichwol sei er entschlossen, sein Heer innerhalb dreier Tage aus dem Kreise zu führen, und dann zu entlassen, falls Tilly zu einem ähnlichen Verfahren bereit sei. – Christians Bemühungen waren von neuem darauf gerichtet, einer Schlacht auszuweichen und sein Heer möglichst ohne Niederlage nach dem Niederrhein zu führen. Ueber Hardegsen marschirte er der Weser zu, welche er am 17./27.[WS 1] Juli bei Bodenwerder ungehindert überschritt, [682] um seinen Zug in das Stift Paderborn und das Lippische zu nehmen. Um sein Bisthum Halberstadt nicht der Verwüstung seitens der Kaiserlichen auszusetzen, entsagte er am 18. Juli zu Lemgo feierlich dem Besitze desselben zu Gunsten des Herzogs Friedrich von Holstein, Coadjutors zu Bremen und Verden. Von Tilly, welcher den Grafen von Anholt an sich gezogen hatte, verfolgt, zog Ch. durch die Grafschaft Ravensberg westwärts der Ems entlang über Greven, wo ihn Tilly fast erreicht hätte, und Burgsteinfurt dem Rhein zu, sah sich aber gezwungen, im „Wüllener Esch“ bei Ahaus seinem Gegner Stand zu halten und demselben sein Fußvolk entgegen zu werfen. Vergebens suchte er den Feind durch seine Artillerie zum Weichen zu bringen. Im Lohner Bruch, unweit des Städtchens Stadtlohn an der Berkel kam es am 26. Juli/6. August 1623 zum entscheidenden Zusammenstoß. So tapfer Christians Truppen auch anfangs fochten, sie konnten gegen Tilly’s geübte Krieger und gegen die Uebermacht nichts ausrichten. Nach mehrstündigem heißen Kampfe neigte sich das Glück auf die Seite des ligistischen[WS 2] Heeres und der Tag endete mit einer vollständigen Niederlage Christians. Mit Ausnahme von etwa 2000 Mann, welche er nach den Niederlanden rettete, wurde die ganze Infanterie vernichtet. Nach Tilly’s Berichte waren 6000 bis 7000 Braunschweiger todt oder verwundet auf dem Schlachtfelde geblieben und gegen 4000 Mann gefangen genommen. Die ganze Artillerie, die Munition, sammt 85 Fähnlein und 16 Cornet, endlich zwei Silberwagen mußte Ch. in den Händen des glücklichen Siegers zurücklassen. – Nach dieser Niederlage machte Ch. noch einige Versuche, von neuem in den niedersächsischen Kreis zu gelangen. Nachdem Moritz von Oranien die Ueberbleibsel seines Heeres gesammelt hatte, nahm Ch. abermals Dienste und faßte mit seinen Schaaren festen Fuß in Ostfriesland. Hier wurde aber seine Stellung bald unhaltbar; die Ostfriesen lieferten den unwillkommenen Gästen nur kärgliche Lebensmittel, Ch. selbst befand sich in drückendster Geldverlegenheit, die Truppen erhielten keinen Sold, murrten und drohten mit einem Aufstande. Oft hatte er keinen Heller in der Tasche und konnte nicht mehr eigene Tafel halten. Nicht einmal für seine nächste Umgebung war er im Stande, Sorge zu tragen. So mußte er endlich froh sein, daß er vom Oheim König Christian von Dänemark und dem Grafen Anton Günther von Oldenburg, sowie von Holland die erforderlichen Summen erhielt, um sein Heer ablohnen zu können. Dennoch trieb ihn sein unauslöschlicher Thatendurst sofort aufs neue dazu, an den Kämpfen der Zeit mit aller Energie thätigen Antheil zu nehmen. Nach allen Weltgegenden schickte er seine Unterhändler aus, um, wo es auch sei, militärische Verwendung zu suchen. Doch dem Kaiser, der sich zu versöhnenden Schritten geneigt zeigte, unterwarf sich Ch. trotz aller flehentlichen Bitten des Bruders Friedrich Ulrich und der geliebten Mutter nicht. In seinen Briefen an letztere bekannte er offen seine Neigung zum Kriege und gibt er Rechenschaft, weshalb er aller Ermahnungen ungeachtet die einmal ergriffene Partei nicht verlassen habe. Es war die unauslöschliche Verehrung für die Königin von Böhmen und das Streben, mit Ehren den bösen Händeln sich zu entziehen. Er wisse, schreibt er, die mütterliche Sorgfalt, die brüderliche Liebe anzuerkennen, verhoffe auch, es werde ihm der Kaiser gewogen sein, weil er den Kreis geräumt, sein Heer verabschiedet und sich seitdem in weiter keine Werbung oder Bestallung eingelassen habe und gesonnen sei, dem Kaiser den schuldigen Gehorsam eines freien Reichsstandes zu bezeigen. Nur möge man ihm keine „servile Submission“ zumuthen, die dem fürstlichen Hause, aus welchem er geboren, zum Schimpf und Spott gereiche. „Wir haben betrachtet, daß es keinem Cavalier, am wenigsten Uns reputirlich sein werde, in solchen und dergleichen Fällen, die eine Parthei mit Hintansetzung derselben Parole zu verlassen, und sich dagegen so schleunig zu der anderen zu [683] schlagen, und ohne erhebliche Ursachen des anderen Feind zu werden. Derowegen haben Wir Uns entschlossen, Unsere Fortun par la guerre zu suchen, hoffen auch auf Gott, Er werde uns sonst wohl erhalten.“ Die Politik trieb den König Jakob I. von England an, seine Hand nicht von seinem Schwiegersohne, dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, abzuziehen. Auch Frankreich war gegen den Kaiser gewonnen. Ch. sollte den Oberbefehl über die französische Reiterei in Holland erhalten. Er reiste in dieser Angelegenheit nach England, wo er als Glaubensheld mit Jubel empfangen wurde. Der Kaiser hatte nicht, wie er versprochen, seine Kriegsvölker aus Niedersachsen zurückgezogen und die Kreisstände hatten endlich erkannt, daß der Kaiser und die Liga[WS 2] Böses gegen sie im Sinne hatten. König Christian von Dänemark wurde zum Kreisobersten des niedersächsischen Kreises gewählt und dieser hatte alle Ursache, den kriegerischen Neffen an sich zu ziehen und dessen stürmische Kampflust und Popularität bei den Soldaten für seine Zwecke zu benutzen. Er berief Ch. von Braunschweig und Mansfeld nach Niedersachsen. Beide, welche mit englischem Gelde bereits wieder ein Heer von 12000 Mann Fußvolk und 2000 Reitern zusammengebracht, leisteten bereitwillig dem Rufe Folge. Ch. erhielt den rechten Flügel des Heeres an der Weser. Wo der Feind sich zeigte, griff er denselben an und hatte mit Hülfe des aufgebotenen Landvolks bald das ganze Land von ihm gesäubert. Mit frischen Hoffnungen sah er dem kommenden Sommer entgegen, allein in dem Augenblicke, in welchem er seinem Vaterlande nöthiger als je war, hemmte das Schicksal seine Thätigkeit für immer. Durch seine Wunden und durch übermäßige Anstrengungen erschöpft, hatte sich bei Ch. ein schleichendes Fieber eingestellt, welches ihn auf das Krankenlager warf, von dem er nicht wieder erstehen sollte. In Wolfenbüttel, wohin er sich hatte bringen lassen, starb er, noch nicht 27 Jahre alt, am 6./16. Juni (nicht wie wol fälschlich angegeben wird, am 6. Mai) 1626. Der nach seinem Tode mehrfach ausgesprochene Verdacht einer Vergiftung hat sich nicht erweisen lassen. – „Christians Feldherrntalent“, sagt einer seiner Biographen, „ist auch von seinen Feinden anerkannt worden. In der ärgsten Bedrängniß des Protestantismus war er es vorzüglich, der die Fortschritte der Feinde zu hemmen und größeres Unheil zu verhüten wußte. Sein Charakter verdient ebenfalls die größte Anerkennung. Im ruhigen Besitze eines schönen Landes entsagte er dem Glücke, das ihn dort umgab, um sein ganzes Leben an den Sieg der Gedankenfreiheit zu setzen, in der er das höchste Ziel seiner Zeit erkannte. Der Fahne, der er folgte, unwandelbar treu, spornte ihn jeder Schlag, der ihn traf, nur zu größerer Energie, war er oft der Einzige, der nicht verzagte. Den Wahlspruch seines Hauses: „Nec aspera terrent“ hat keiner so schön bewährt, wie er!“

Havemann, Geschichte der Lande Braunschweig und Lüneburg, Th. II. Göttingen 1855. – Mittendorff, Herzog Christians von Braunschweig Wirksamkeit während des 30jährigen Krieges, im Archiv des historischen Vereins für Niedersachsen. Jahrg. 1845. – J. O. Opel, Der niedersächsisch-dänische Krieg. Bd. I. Halle 1872; in letzterem Werke auch eine ausführliche Schilderung der Verhältnisse des Bisthums Halberstadt unter Christians Regierung.

[677] *) Obiger Artikel konnte nicht mehr an die gehörige Stelle gebracht werden.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. a b c Die gregorianische Kalenderreform von 1583, die zehn Tage übersprang, wurde in protestantischen Gebieten erst 1700 eingeführt. Die erste Datumsangabe gilt für protestantische Gebiete, die zweite für katholische.
  2. a b c Die Katholische Liga war ein Zusammenschluss katholischer Reichsstände.
  3. Donnen von Don, spanisch Herr, Adliger