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Artikel „Steinach, Bligger von“ von Richard Moritz Meyer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 668–670, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bligger_von_Steinach&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 23:08 Uhr UTC)
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Band 35 (1893), S. 668–670 (Quelle).
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Steinach: Bligger v. St., Minnesänger aus einem ritterlichen Geschlecht der Rheinpfalz; die Trümmer seiner Stammburg Neckarsteinach sind noch erhalten. – Der Vorname ist, wie in vielen dieser Familien, erblich (vgl. Hiltbolt v. Schwangau A. D. B. XXXIII, 184). Der Dichter erscheint in Urkunden von 1165–1209, zumeist in seiner Heimathgegend. 1194 war er mit Heinrich VI. in Italien, wie eine in Piacenza ausgestellte Urkunde beweist. Ein jüngerer Bligger, 1209 zuerst auftretend und 1228 gestorben, muß der Sohn des Dichters sein. Denn der Dichter erwähnt Saladin († 3. März 1193) als lebend, und gehört seiner ganzen Art nach in die erste Epoche des Minnesangs.

Bl. ist Lyriker und Epiker zugleich. Trotzdem seiner Epik von Gottfried [669] v. Straßburg und Rudolf v. Ems hohes Lob gespendet wird, sind doch von seiner dichterischen Thätigkeit nur geringe Spuren erhalten. Der Umstand, daß er, obwol Friedrich v. Hausen’s specieller Landsmann, nicht diesem, sondern Veldeke sich anschließt, mag die Verbreitung und Erhaltung seiner Lieder in der Heimath gehindert haben; dieser Umstand ist aber gleichzeitig ein Beweis für Bligger’s Selbständigkeit. Ein ähnlicher Grund, allzu originelle Stoffwahl, scheint seinem Epos geschadet zu haben.

Ueberliefert sind unter seinem Namen drei Gedichte. Zwei Liebesgedichte stehen in der Paris-Heidelberger und der Weingartener Sammlung, eine gnomische Strophe nur in der ersteren. Bartsch hat die letztere ohne genügenden Grund Bl. abgesprochen.

Seine Gedichte zeigen ihn als Neuerer in der Verskunst, indem er in der Strophik und der Reimwahl individuelle Neigungen zeigt. Sie bewegen sich in etwas schwerflüssiger Weise um die officiellen Minne-Termini swaere (Liebeskummer) und wân (Liebeshoffnung). Die Rücksichtnahme auf die Umgebung, welche erst bei Reinmar typisch ausgebildet wird, tritt bereits ziemlich stark hervor. Die Anlehnung an volksthümliche Art aber, welche Veldeke’s Schule im Gegensatz zu der rein höfischen Hausen’s charakterisirt, zeigt sich in alten Formeln und Sprüchen, ganz besonders jedoch in der Vorliebe für typische Zahlenangaben. – Formell dichtet Bl. ebenfalls „in Veldeke’s Ton“, doch schon in gedehnteten Perioden. Bl. bevorzugt scharfe Caesur; seine Daktylen sind eher romanischem Einfluß als volksthümlichem zuzuschreiben. Sein Stil ist ernst, nachdenklich, reich an Antithesen.

In den bekannten litterarhistorischen Stellen bei Gottfried v. Straßburg und Rudolf v. Ems (abgedruckt in v. d. Hagen’s Minnesingern IV, 863 f.) wird unter den Epikern Bligger v. St. mit einem Gedicht „der umbehanc“ (d. h. „der Wandteppich“) angeführt. Es liegt kein Grund vor, diesen Autor von unserem Lyriker zu trennen. Jenen zuverlässigen Gewährsmännern zufolge war das Gedicht nach einem sehr merkwürdigen Plan entworfen, bestand aus einzelnen Aventiuren, und war unvollendet. Kaum zu bezweifeln ist, daß es eine Reihe einzelner Liebesgeschichten schilderte. Docen glaubte nun, eine Anzahl Hinweise auf sonst in der mhd. Epik nicht behandelte antike Liebesepisoden (so Paris und Oenone) auf dies Gedicht zurückführen zu sollen. Dieser geistreiche Einfall hat fast allgemeinen Beifall gefunden. Aber Bligger’s Epos wird überall mit Dichtungen romanischer Herkunft zusammengestellt, wie denn auch seine Lyrik Beziehungen zur benachbarten romanischen Poesie aufweist. Immerhin könnte der antike Stoff – wie bei Veldeke – durch französische Poesie vermittelt sein; aber dagegen spricht wieder die Entschiedenheit, mit der Rudolf v. Ems die Originalität des Planes hervorhebt. Danach ergibt sich die größte Wahrscheinlichkeit für die Bearbeitung moderner französischer Liebesgeschichten durch Bligger; denn nur so wäre die Zusammenstellung mit den Artusromanen ebenso sehr wie die Selbständigkeit der Erfindung anzuerkennen. (Auch der Titel spricht dafür, da die Teppichwirkerei in Frankreich, nicht aber in Deutschland auf der Höhe stand, wie auch schon Pfeiffer hervorhob.) Der Dichter würde also in epischer Form vor den Augen der Zuhörer einen Wandteppich entstehen lassen, der eine Art „histoire amoureuse des Gaules“ darstellt. (Ueber solche Teppiche vgl. Alwin Schultz, Höfisches Leben I, 63.) Pfeiffer hat ein Bruchstück des „umbehanc“ in einem namenlos überlieferten Fragment zu finden geglaubt. Wenn sein Hauptargument, der darin vorkommende (von ihm als Oenone gedeutete) Name Aìnunê nach dem Obigen nicht beweisend ist, so behält seine Vermuthung doch die größte Wahrscheinlichkeit. Das Bruchstück behandelt die Liebesgeschichte eines Königs; da ein Ritter „Willehalm de Punt“ (noch nicht [670] nachgewiesen) darin auftritt, scheint sie in Frankreich zu spielen. Die überreich lobende Charakteristik Gottfried’s und Rudolf’s paßt sehr wol auf das reizende Fragment; die von dem ersten besonders hervorgehobene Reimgewandtheit fehlt nicht. Weitere stilistische Uebereinstimmungen aber lassen sich nicht aufweisen; im Gegentheil scheint die starke Vorliebe für drei- und mehrgliedrige Verbindungen (so lîp, liute unde lant), die in Bligger’s Lyrik fehlen, gegen die Identität der Autoren zu sprechen. Andererseits steht das Bruchstück mit seiner novellistischen Form so vereinzelt da, wie Bligger’s Epik dagestanden haben muß. Höchstens könnte das bedeutende Gedicht „Moriz v. Craon“ neben Pfeiffer’s Fragment dazu dienen, von Bligger’s verlorenem Werk eine Anschauung zu geben.

Ob nun aber wirklich Pfeiffer’s Bruchstücke oder der Moritz v. Craon zu Bligger in Beziehungen stehen oder nicht – die drei Gedichte und die Urtheile Gottfried’s und Rudolf’s genügen jedenfalls, um ihn als einen Dichter von großem Ernst, entschiedener Selbständigkeit, Originalität der Erfindung, Sorgfalt der Form erkennen zu lassen. Aristokratische Geringschätzung der Mode scheint die Schuld an dem Verschwinden seiner Dichtungen zu tragen.

Die beste Ausgabe der lyrischen Gedichte in Minnesangs Frühling, hsg. von Lachmann u. Haupt XVI, S. 118. – Pfeiffer’s Bruchstücke in seiner Freien Forschung, Wien 1867, S. 71 f. – Der anonyme Moritz v. Craon, hrsg. von M. Haupt (in den Festgaben für G. Homeyer), Berlin 1871. – Litt. über Bligger: Biographisches: v. d. Hagen’s Minnesinger IV, 254; Bartsch, Liederdichter XVII S. XXXVII; Grimme in Pfeiffer’s Germania XXXII, 416. Lyrik: Stil, Burdach, Walter und Reinmar, S. 92; Daktylen, Weißenfels, Der daktylische Rhythmus bei den Minnesängern, Halle 1886, S. 162. Zum „umbehanc“: Docen, Miscellaneen II,295; altd. Museum I, 139; Lachmann zu Iwein 6444; Pfeiffer, Freie Forschung, S. 53 f.; gegen Bligger’s Autorschaft nur (mit schwachen Gründen) J. Schmidt in Paul u. Braune’s Beiträgen III, 173 (wo auch einige weitere Litteratur). – Text und Litteratur auch bei Piper in Kürschner’s D. N.-L. IV, 1, S. 352.