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Artikel „Biese, Franz“ von August Beck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 546–548, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Biese,_Franz&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 02:24 Uhr UTC)
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Biese: Franz B. wurde zu Friedland in Mecklenburg als Sohn eines Organisten am 11. Mai 1803 geboren, studirte in Berlin und Halle Philologie und Philosophie und wurde 1829 an das Joachimsthal’sche Gymnasium berufen, das unter der Leitung Meineke’s stand. Die sieben Jahre, welche B. an der Anstalt wirkte, in engem Verkehr mit Collegen wie Ilgen, Passow, Seebeck, Classen, Mützell, inmitten reicher wissenschaftlicher Arbeit, wie sie eben nur durch eine große Bibliothek und durch den anregenden Verkehr mit gleichstrebenden Gelehrten ermöglicht wird, waren in jeder Hinsicht überaus fruchtreich. Als Adjunctus und ordentlicher Lehrer veröffentlichte er 1835 den ersten Band der „Philosophie des Aristoteles in ihrem inneren Zusammenhange und besonderer Berücksichtigung des philosophischen Sprachgebrauchs, aus dessen Schriften entwickelt“. Das Werk wirkte bahnbrechend für Philologen und Philosophen, machte aber auch den Vertretern der anderen Wissenschaften die Schätze zugänglich, welche in den Werken des größten und vielseitigsten antiken Denkers ruhen. Der König Friedrich Wilhelm III. ernannte den jungen Gelehrten zum Professor, und die Schulbehörde berief ihn zu einem überaus interessanten Wirkungskreis. In Putbus auf Rügen wurde auf Anregung des Fürsten Malte, des genialen Schöpfers des Ortes und der reichen Grafschaft, ein Pädagogium errichtet. Auf daß er die innere Einrichtung der Schule und des Alumnates [547] leite, ward B. schon ein halbes Jahr vor Eröffnung des Pädagogiums nach Putbus gesandt, im April 1836. Zum Director ward Prof. Dr. Hasenbalg in Stralsund ernannt. Am 7. October begann B. als erster Oberlehrer seine öffentliche Lehrthätigkeit. Anfangs nahm naturgemäß die junge Anstalt seine Thätigkeit ganz in Anspruch; erst als er sie immer frischer emporblühen sah, vermochte er seine früheren Studien wieder aufzunehmen. 1842 erschien der zweite Band der „Philosophie des Aristoteles“; hatte der erste die Logik und Metaphysik behandelt, so schloß dieser mit Erörterung der besonderen Wissenschaften das ganze System ab. Das bedeutsame Werk fand nicht nur seitens der philosophischen Kritik (z. B. Kopp’s in den Münch. Gel. Bl. und Ad. Stahr’s in den Halleschen Jahrbüchern), sondern auch seitens der Naturforscher die lebendigste Anerkennung. Alexander v. Humboldt, der auch wiederholt im Gefolge des Königs Friedrich Wilhelm IV. in Putbus weilte und daher in nähere persönliche Beziehungen zu B. trat, übersandte ihm seinen „Kosmos“ in Prachtband mit herzlichster und ehrendster Widmung; die Universität Greifswald ernannte ihn 1859 zum Dr. phil. honoris causa.

Nach Abschluß seines Hauptwerkes stellte B. seine wissenschaftliche Arbeit ganz in den Dienst der Schule. 1845 gab er eine „Philosophische Propädeutik“, 1846 und 48 ein zweibändiges „Handbuch der Geschichte der deutschen Nationallitteratur“ für Gymnasien und höhere Bildungsanstalten heraus, Werke, die für viele Lehrende und Lernende nützliche und anregende Wegweiser geworden sind. Vor allem aber wirkte B. durch seinen Unterricht selbst, den er besonders im Griechischen und Deutschen der Prima mit ungewöhnlichem Erfolge ertheilte. In den 42 Jahren, die er an dem Pädagogium wirkte, erntete er den reichsten Lohn, den ein Lehrer gewinnen kann, die hingebendste Liebe und Dankbarkeit seiner Schüler. Väter und Großväter, die zu seinen Füßen einst gesessen hatten, brachten ihm ihre Söhne und Enkel und versicherten ihrem alten Lehrer, mit welcher Andacht sie noch zurückdächten an die weihevollen Stunden, die sie bei ihm erhalten. Denn die große Wirkung auf seine Schüler erklärte sich – wie im Nekrolog gesagt ward – daraus, daß er nicht nur ein kluger und gelehrter Mann war, sondern daß alles, was er lehrte, ihn selbst begeisterte und veredelte; durch das, was er war, zeugte er für den Werth der höheren Bildung.

In Putbus fand somit B. alle Bedingungen eines harmonischen Daseins, nicht nur in der reinen, stählenden Luft, die seiner an sich nur zarten Constitution so heilsam war, und in der schönen landschaftlichen Umgebung, nicht nur in einem reichgesegneten Wirkungskreise, sondern auch in einem überaus glücklichen Familienleben. Einer alten pommerschen Patricierfamilie (Schwing) entnahm er die treue Lebensgefährtin, und sechs Kinder (3 Töchter und 3 Söhne, die auch Philologen wurden) sah er heranblühen.

Er sah Schulräthe, Directoren, Lehrer und Schüler wechseln; er selbst aber vermochte es, trotz wiederholter lockender Anerbietungen, nicht über sich, das ihm so liebe Putbus zu verlassen. Immer gleich frisch und belebt blieb er in seinem geistigen Wesen durch alle die Jahrzehnte hindurch; es war, als ob ihn die Berührung mit der Jugend auch jung erhielte. Da das Zusammenleben in einem Alumnat so viel, viel enger ist als auf den offenen Gymnasien, so spinnen sich die Fäden zwischen Lehrer und Schüler und zwischen den Schülern selbst auch viel fester; hinzukommt, daß das Putbusser Pädagogium aus den besten Adels- und Bürgerfamilien Rügens und Pommerns seine Schülerzahl erhielt und erhält, dadurch schon auch für später ein Zusammenhalten gesicherter wird; sind doch immer in Berlin z. B., in den höheren Beamten- und Officiersstellen zahlreiche Putbusser, die durch monatliche Zusammenkünfte die alten Erinnerungen und Beziehungen stets frisch erhalten und bis zuletzt es sich nicht versagten, [548] vom „Putbusser Abend“ dem greisen Lehrer den Gruß der Verehrung und Liebe zu entbieten. So ward sein Abschied von der Schule (Herbst 1878) zu einem wahren Festtage, da eine große Zahl früherer Schüler aller Altersstufen herbeieilte, ihre Pietät ihm in jeder erdenklichen Form zu beweisen.

Und als er auch das 50jährige Jubiläum der Anstalt (Oct. 1886) erlebte, wurden ihm neue Beweise rührender Anhänglichkeit zu Theil. Wie er da beim Festmahl das Wort ergriff, da drängte sich in weitem Kreise alles um ihn, und viele würdige Herren in weißem Haar lauschten wieder seinen Worten über die unablässige Arbeit an der eigenen Vollendung, wie sie es vordem vor dem Katheder der Prima gethan. Der Anblick wirkte auf einen anwesenden Bildhauer so ergreifend, daß er die geistbelebten Züge des Greises in einem Reliefbilde fixirte, das neben der Büste des fürstlichen Stifters und einem gleichen Reliefbilde des Directors Hasenbalg eine der werthvollsten Zierden der Aula des Pädagogiums geworden ist. In voller Rüstigkeit feierte B. nicht nur seinen 80., sondern auch seinen 90. Geburtstag; zu jenem widmete ihm sein jüngster Sohn „Die Entwickelung des Naturgefühls“, zu diesem „Die Philosophie des Metaphorischen“. – Trübte sich auch das Augenlicht in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens, so blieb sein Geist doch unermüdlich rege und erschlossen für alle Fragen der Wissenschaft und der Politik, aber nicht minder auch heiter, ruhig und fest, wenn auch ihm mancher schwere Verlust (der Gattin, des ältesten Sohnes, des Schwiegersohnes u. s. w.) nicht erspart blieb; in Kindeskindern und Urenkeln sah er sein Geschlecht sich erneuen, und mit großer Ruhe ging er der Zeit „der geistigen Verklärung unseres irdischen Daseins“ entgegen. Am 19. April 1895 entschlief er, wenige Wochen vor seinem 92. Geburtstage, an den Folgen einer Lungenentzündung.