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Artikel „Beyrich, Ernst Heinrich“ von Karl Alfred von Zittel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 536–538, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Beyrich,_Ernst&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 22:16 Uhr UTC)
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Beyrich: Ernst Heinrich B., berühmter Geolog und Paläontolog, geboren am 31. August 1815 in Berlin, entstammt einer angesehenen bürgerlichen Familie, welche sich unter Friedrich dem Großen um die Seidenzucht in der Mark Brandenburg verdient gemacht hatte. Er erhielt seine Vorbildung im Gymnasium zum grauen Kloster, das er schon im 16. Lebensjahr absolvirte. Die beschreibenden Naturwissenschaften hatten den hochbegabten Jüngling frühzeitig gefesselt, doch schwankte er bei Beginn seiner Universitätsstudien noch, ob er sich der Botanik, Zoologie oder Mineralogie widmen wolle. Ausschlaggebend wurde der Einfluß des Mineralogen und Geologen Ch. Samuel Weiß. 1834 begab er sich nach Bonn, um sich von Goldfuß in die Paläontologie einführen zu lassen und bald trat das Interesse für Mineralogie gegenüber der Geologie und Paläontologie in den Hintergrund.

Nach Abschluß seiner Universitätsstudien durchwanderte er zwei Jahre lang in Begleitung seines Freundes Julius Ewald einen großen Theil von Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Oberitalien und erwarb sich 1837 mit einer ausgezeichneten, noch jetzt geschätzten Dissertation über die Goniatiten des rheinischen Schiefergebirges den philosophischen Doctorgrad. Diese Abhandlung brachte B. in Beziehung zu Leopold v. Buch, welcher sich damals ebenfalls mit fossilen Cephalopoden beschäftigte und der vielfache, bis zu Buch’s Tode nie unterbrochene Verkehr mit diesem größten Geologen Deutschlands übte auf die wissenschaftliche Thätigkeit des jungen Forschers einen großen Einfluß aus, wenn auch Beyrich’s Neigung im Gegensatz zu Leop. v. Buch mehr auf die eingehende und erschöpfende Untersuchung bestimmt begrenzter Aufgaben, als auf die Behandlung allgemeiner Fragen gerichtet war. Im J. 1841 habilitirte er sich als Privatdocent an der Universität Berlin und wurde gleichzeitig als Mitarbeiter zu der vom Handelsministerium angeordneten und von H. v. Dechen geleiteten geologischen Landesaufnahme herangezogen. Als Aufnahmsgebiet erhielt B. Schlesien zugewiesen, das bis dahin, abgesehen von einigen beschränkten Districten, wo Kohlen- und Erzbergbau getrieben wurde, geologisch fast ganz [537] unbekannt war. Nach zweijähriger Arbeit verfaßte er einen Bericht, der für die Gliederung der schlesischen Formationen und die Tektonik des ganzen Landes grundlegend wurde. Die geologische Karte von Niederschlesien ist wenigstens für die mit Sedimentärformationen bedeckten Gebiete von B. allein bearbeitet; in Oberschlesien theilte er sich mit G. Rose, Justus Roth und Runge in die Arbeit. Das Studium der schlesischen Kreidebildungen veranlaßte B. in den folgenden Jahren zu vergleichenden Untersuchungen in der Gegend von Regensburg (1849) und am Harz. Eine geologische Karte des Harzrandes zwischen Halberstadt und Quedlinburg gilt noch jetzt als Muster einer genauen und kritischen Aufnahme und hat die Kenntniß der norddeutschen Kreide sehr wesentlich gefördert. Neben seiner Thätigkeit als Feldgeologe entfaltete B. auch eine bedeutsame Wirksamkeit als Schriftsteller auf paläontologischem Gebiet. Im J. 1845 und 46 erschienen seine Abhandlungen über böhmische Trilobiten und 1853 die erste Abtheilung seiner unvollendet gebliebenen Monographie der Conchylien des norddeutschen Tertiärs. Diese Arbeiten erheben sich durch ihre kritische Schärfe, Feinheit der Beobachtung und präcise Darstellung über die Mehrzahl der zeitgenössischen paläontologischen Publicationen und sind für mehrere Generationen geradezu vorbildlich geworden.

Beyrich’s Einfluß auf die Entwicklung der Geologie und Paläontologie wuchs stetig mit seiner äußeren Lebensstellung. 1853 wählte ihn die preuß. Akademie der Wissenschaften zum Mitglied; 1855 wurde er Custos der Mineraliensammlung der Ministerialabtheilung für Berg-, Hütten- und Salinenwesen, 1857 erhielt er den Lehrauftrag für Geologie und Paläontologie an der Bergakademie und wurde gleichzeitig zweiter Custos an der mineralogischen Universitätssammlung; 1865 ordentlicher Professor der Geologie und Paläontologie an der Universität und 1875 Director der vereinigten Museen für Naturkunde. Seit 1868 hatte er überdies die wissenschaftliche Leitung der geologischen Aufnahmen des preußischen Staates übernommen und wurde 1878 zweiter Director der neu gegründeten geologischen Landesanstalt für Preußen und die thüringischen Länder. In letzterer Eigenschaft war Beyrich’s Eingreifen geradezu bahnbrechend. Er führte für die Darstellung der geologischen Verhältnisse statt der bisher üblichen topographischen Karten im Maßstab 1 : 50 000 oder 1 : 100 000 Meßtischblätter im Maßstab von 1 : 25 000 ein, auf welchen sich auch kleinere tektonische Störungen und die feineren Details des geologischen Baus eintragen ließen. Damit trat nicht nur für Preußen, sondern auch für das übrige Deutschland ein Umschwung in den geologischen Aufnahmen ein, dem man die vorzüglichen, jetzt fast überall existirenden geologischen Karten verdankt. B. selbst hatte sich an der Aufnahme von mehreren Blättern des Harzes persönlich betheiligt und dabei seine Ideen der Darstellung durchgeführt; später widmete er sich ausschließlich der Leitung und Revision der Aufnahms-Geologen, weihte letztere in seine Arbeitsmethode ein und verschaffte dadurch den Karten jenes einheitliche wissenschaftliche Gepräge und jenes hohe Ansehen, dessen sie sich in den weitesten Kreisen zu erfreuen haben. War Beyrich’s Einfluß für die Entwicklung der Feldgeologie und geologische Kartirung in Deutschland durchaus maßgebend, so herrschte sein Geist auch in der deutschen geologischen Gesellschaft. Er zählte zu den Gründern dieser einflußreichen, seit 1848 bestehenden Corporation, gehörte ihr anfänglich als Schriftführer und Herausgeber der Zeitschrift und seit 1874–1896 als erster Vorstand an. Die Blüthe und zielbewußte Thätigkeit der deutschen geologischen Gesellschaft ist großentheils das Verdienst Beyrich’s. Daß neben einer so ausgedehnten geschäftlichen Thätigkeit die litterarische Production keine sehr umfangreiche sein konnte, ist begreiflich, und in der That steht die Menge der wissenschaftlichen Publicationen Beyrich’s in keinem Verhältniß zu seiner [538] Bedeutung und seinem hohen Ansehen. Aber alle seine geologischen und paläontologischen Arbeiten tragen den Stempel der Meisterschaft. Sein Detailwissen im Gebiete der Paläontologie und Formationslehre war geradezu erstaunlich, seine Litteraturkenntniß umfassend und seine Beobachtung eine so scharfe, daß ihm nichts wesentliches entging. Durch seine scharfe, aber stets wohlbegründete Kritik hat er viele Irrthümer hinweggeräumt. Zu den wichtigsten Arbeiten Beyrich’s auf stratigraphischem Gebiet gehört seine bahnbrechende Begründung des Oligocaens (1854), wodurch die Gliederung der Tertiärformation erst ihre definitive Ausgestaltung erhielt, sodann seine Beiträge zur Kenntniß der Kreideformation und des Rothliegenden.

In der Paläontologie fesselten, abgesehen von den bereits erwähnten Arbeiten über Goniatiten, Trilobiten und Tertiärconchylien, hauptsächlich die triasischen Ammoniten und die Crinoideen sein Interesse; aber auch über die Wirbelthiere, namentlich über den Semnopithecus von Pikermi und über fossile paläozoische Fische hat B. belangvolle Abhandlungen veröffentlicht. In späteren Jahren beschäftigte er sich mit Vorliebe in den Alpen. Eine kurze Abhandlung über die Gegend von Vils und Füssen ist reich an neuen Gesichtspunkten und auch in den vicentinischen Alpen hat B. mehrere Jahre hindurch Aufnahmen und großartige Aufsammlungen von Versteinerungen gemacht, über welche leider nichts veröffentlicht wurde. Als Lehrer hatte B. eine bedeutende Wirksamkeit, wenngleich sein leiser, rein fachlicher und im ganzen wenig fesselnder Vortrag nur für Specialisten berechnet war; allein im persönlichen Umgang mit seinen Schülern und in der Art, wie er deren Arbeiten lenkte, zeigte sich sein überlegener Geist, sodaß die Mehrzahl der jetzt in Norddeutschland thätigen Professoren der Geologie zu seinen Schülern gehört. Beyrich’s Wirken fehlte die äußere Anerkennung nicht; er war correspondirendes oder Ehrenmitglied der hervorragendsten wissenschaftlichen Corporationen Deutschlands und des Auslandes, hochangesehen bei der preußischen Regierung und verehrt von seinen Fachgenossen und Schülern. In Bologna erhielt er von dem dortigen internationalen Geologencongreß den ehrenvollen Auftrag, gemeinsam mit Hauchecorne die Herausgabe der internationalen geologischen Karte von Europa zu übernehmen und im J. 1885 fungirte er als Präsident des dritten internationalen Geologencongresses in Berlin. B. erfreute sich bis in sein hohes Alter einer seltenen körperlichen und geistigen Frische; er lebte in glücklicher, kinderloser Ehe mit der als Jugendschriftstellerin bekannten Clementine Helm und starb am 9. Juli 1896 sanft und schmerzlos, in Berlin. Seine litterarischen Arbeiten sind fast alle in der Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft und in den Schriften der Berliner Akademie veröffentlicht.

Nekrolog von C. v. Fritsch i. d. Leopoldina 1896, Nr. 7. – W. Dames, Gedächtnißrede auf Ernst Beyrich i. d. Abhdlgn. d. k. preuß. Akad. d. Wiss. Berlin 1898. – E. H. Beyrich. Nekrolog, Jahrbuch d. k. preuß. geolog. Landesanstalt. 1896. XVII.