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Artikel „Dechen, Heinrich von“ von Karl Alfred von Zittel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 629–631, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dechen,_Heinrich_von&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 15:51 Uhr UTC)
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Dechen: Heinrich von D., königl. preußischer Ober-Berghauptmann und Wirkl. Geh. Rath, entstammt einer unter dem Großen Kurfürsten geadelten märkischen Beamtenfamilie. Er wurde am 25. März 1800 in Berlin geboren, woselbst sein Vater die Stellung eines Geh. Regierungsrathes im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten bekleidete. Seine Mutter Elisabeth Martinet gehörte der französischen Colonie an. Nach Absolvirung seiner Gymnasialstudien im Grauen Kloster, widmete er sich 1818 an der Universität Berlin dem Bergfach und wurde nach rühmlich bestandenem Examen bei den Bergämtern Bochum und Essen beschäftigt. Auf einer Reise nach Belgien, Lothringen und Elsaß sammelte D. (1823) eine Fülle wichtiger Beobachtungen für die gemeinsam mit seinem späteren Schwager v. Oeynhausen und La Roche herausgegebene Schilderung der geologischen Verhältnisse der oberrheinischen Grenzgebirge. Eine 1826 und 1827 in Gesellschaft von Oeynhausen im Auftrag der obersten Bergbehörde in Berlin ausgeführte Reise nach England brachte D. in persönliche Beziehung mit den dortigen Geologen, welche namentlich im Gebiete der Stratigraphie eine führende Stellung behaupteten. [630] Nach seiner Rückkehr vermählte sich D. mit einer Tochter des Oberberghauptmanns Gerhard, die schon nach wenigen Jahren starb. Auch drei seiner Kinder, darunter den einzigen hoffnungsvollen Sohn mußte der vom Schicksal schwer Geprüfte begraben. Im J. 1828 wurde D. als Oberbergamtsassessor nach Bonn versetzt, aber schon 1831 wieder an die oberste Bergbehörde in Berlin zurückberufen und gleichzeitig zum außerordentlichen Professor der Geologie an der Universität ernannt. 1841 kehrte D. als Berghauptmann nach Bonn zurück und blieb, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung im Jahre 1859 und 1860 23 Jahre hindurch Leiter der rheinischen Bergbehörde. Die Stelle eines Oberberghauptmanns in Berlin hatte er abgelehnt, weil er zu eng mit der Entwicklung des Bergbaus und Hüttenwesens in Rheinland und Westfalen verknüpft war und sich nicht von einem Wirkungskreis trennen mochte, in welchem er geradezu Glänzendes geleistet hat. Seine rastlose, einsichtsvolle und im höchsten Grade uneigennützige Thätigkeit verschaffte dem ausgezeichneten Beamten eine seltene Popularität und zugleich die höchste Anerkennung der Regierung. Als er im Jahre 1864 aus dem Staatsdienste schied, erhielt er den Titel eines Wirklichen Geheimen Rathes mit dem Prädicat Excellenz.

Hatte v. D. schon während seiner Amtsthätigkeit mit besonderer Vorliebe geologische Studien betrieben und unterstützt, so widmete er nunmehr seine ganze Kraft der wissenschaftlichen und gemeinnützigen Thätigkeit. Er war die Seele des Naturforschenden Vereins der preußischen Rheinlande und Westfalens, an dessen Spitze er nicht weniger als 40 Jahre stand. Als Stadtverordneter nahm er an allen städtischen Interessen Bonns lebhaften Antheil und bei bergmännischen und hüttenmännischen Unternehmungen war er stets bereit, seinen Rath in liberalster und uneigennützigster Weise zu ertheilen. Seine Lieblingswissenschaft war und blieb bis in das höchste Greisenalter die Geologie. Mit Leop. v. Buch, Beyrich, v. Carnall, G. Rose, Geinitz, Fraas, Schafhäutl u. A. gründete er 1848 in Regensburg die Deutsche geologische Gesellschaft, bei deren Jahresversammlungen er, so lange es seine Kräfte gestatteten, niemals fehlte und wo er regelmäßig den Vorsitz führte. Dechen’s wissenschaftliche Arbeiten beziehen sich fast ausschließlich auf die Rheinprovinz und Westfalen. Schon als 22jähriger Bergpraktikant veröffentlichte er „Bemerkungen über das Liegende des Steinkohlengebirges in der Grafschaft Mark“, worin er mit seltener Schärfe und Genauigkeit die Lagerungsverhältnisse und das Alter der fraglichen Schichten feststellte. Eine Reihe ähnlicher Arbeiten folgte diesem Erstlingsversuch und in seiner mit v. Oeynhausen und La Roche abgefaßten Schilderung der geologischen Verhältnisse der oberrheinischen Grenzgebirge (Essen 1825–29) zeigt sich bereits der schwer zu erreichende Meister präciser Darstellungskunst in Wort und Bild, als welcher D. unter seinen Zeitgenossen hervorleuchtet. Es war ihm geradezu Bedürfniß, die Ergebnisse seiner Beobachtungen auch kartographisch darzustellen, und so sehen wir denn auch viele seiner Publicationen von geologischen Karten begleitet. Neben den älteren Sedimentärformationen des rheinischen Schiefergebirgs fesselten die vulkanischen Bildungen im Siebengebirge und in der Eifel v. Dechen’s Aufmerksamkeit. Zahlreiche Abhandlungen beschäftigen sich mit ihnen und wurden schließlich in dem „Geognostischen Führer zu der Vulkanreihe der Vorder-Eifel“ und in dem „Geognostischen Führer durch das Siebengebirge“ (1861) in gemeinverständlicher Form zusammengefaßt. Alle die zahlreichen Einzelbeobachtungen über die geologischen Verhältnisse der Rheinlande sind Vorarbeiten zu Dechen’s Haupt-Lebenswerk: „Die geologische Karte der Rheinprovinz und der Provinz Westphalen in 35 Blättern im Maaßstab [631] von 1 : 80 000“ (Berlin 1852–1882) mit zwei Bänden Erläuterungen. Ferd. Roemer, der competenteste Beurtheiler dieses Riesenwerkes äußert sich folgendermaßen darüber: „Es war die erste geologische Karte eines ansehnlichen Theiles Deutschlands in einem größeren Maaßstabe. Mögen auch später noch speciellere und eingehendere, durch die fortschreitende Wissenschaft unterstützte Aufnahmen im Einzelnen viele Berichtigungen und Verbesserungen bringen, in den Hauptzügen wird das in dieser Karte gelieferte geologische Bild der Provinz Rheinland und Westfalen dauernde Geltung behalten und allen späteren Arbeiten zur Grundlage dienen. Als Werk eines Einzelnen ist diese eine große Wandfläche bedeckende Karte jedenfalls eine bewunderungswerthe Leistung. Unzählige Beobachtungsreisen waren für die Herstellung derselben nöthig. Die meisten Punkte wurden wiederholt besucht, um völlige Sicherheit in Betreff des Beobachteten zu gewinnen. Ein ausgebreiteter Briefwechsel wurde unterhalten, um von anderen Geologen Aufklärungen über einzelne Punkte zu erlangen“.

Diese auch in technischer Hinsicht musterhaft ausgeführte geologische Karte diente fast allen in Deutschland bestehenden oder neu gegründeten geologischen Anstalten als Vorbild. Eine weite Verbreitung erhielt die im J. 1866 erschienene „Geologische Uebersichtskarte der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen im Maßstab von 1 : 500 000“, worin die Ergebnisse von v. Dechen’s langjährigen mühevollen Arbeiten auch weiteren Kreisen zugänglich gemacht wurden. Schon im J. 1838 hatte D. eine geognostische Uebersichtskarte von Deutschland, Frankreich, England und den angrenzenden Ländern zusammengestellt, die wegen ihrer Anschaulichkeit und geschickten Compilation eine außerordentliche Verbreitung erlangte. Ihr folgte 1869 eine im Auftrag der deutschen geologischen Gesellschaft ausgeführte geologische Karte von Deutschland, die noch heute in der Hand jedes Geologen ist und in keiner Vorlesung über Geologie entbehrt werden kann. Als Aufnahmsgeologe hatte D. in Beyrich, Gümbel, Roemer u. A. ebenbürtige Rivalen, in der Kunst, die beobachteten Thatsachen kartographisch darzustellen ist D. nach Leopold v. Buch der Lehrmeister der deutschen Geologen geworden. Neben den langjährigen und fast ununterbrochenen Untersuchungen in den rheinischen Provinzen treten Dechen’s sonstige geologische Arbeiten über Schottland und das Riesengebirge in den Hintergrund. Wie sorgsam aber D. die ganze Entwicklung seiner Lieblingswissenschaft verfolgte, geht aus den zahlreichen Vorträgen und Referaten hervor, die er in den Verhandlungen des Naturforschenden Vereins für Rheinland veröffentlichte. v. D. war ein vorzüglicher Typus des altpreußischen Beamten, ein Mann von unbegrenzter Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit, streng gegen sich selbst und seine Untergebenen, dabei aber von großer Herzensgüte und Wohlwollen; eine angeborene Vornehmheit verhinderte bei aller persönlichen Liebenswürdigkeit allzu vertrauliche Annäherung. Durch fast spartanische Bedürfnißlosigkeit hatte er sich seine körperliche Frische bis ins hohe Greisenalter bewahrt, so daß er bei geologischen Excursionen noch als hoher Siebziger gern an der Spitze der Gesellschaft zu wandern pflegte. Er starb tief betrauert von seinen Fachgenossen und zahlreichen Unterstützungsbedürftigen, denen er mit seinen Privatmitteln geholfen hatte, am 15. Februar 1889 in Bonn.

Ferd. Roemer, Nekrolog im Neuen Jahrbuch f. Mineralogie, 1889.