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Artikel „Bidder, Friedrich“ von Ludwig Stieda in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 538–540, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bidder,_Friedrich&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 15:20 Uhr UTC)
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Bidder: Friedrich B., namhafter Biologe, wurde am 9. November (28. October) 1810 auf dem Gut Laudohn in Livland geboren, woselbst sein Vater Ernst Christian B. die Stelle eines Oekonomieinspectors einnahm. Später siedelte die Familie Bidder nach Kurland über, und das war der Grund, daß der junge Friedrich B. in das Gymnasium illustre zu Mitau eintrat. Nachdem er im Juli 1828 mit dem Zeugniß der Reife entlassen worden war, bezog er die Universität zu Dorpat und widmete sich dem Studium der Medicin. Während seiner Studien hatte B. sich so vortheilhaft durch seine Gaben, seinen Fleiß und sein Wissen ausgezeichnet, daß er unmittelbar nach seiner Doctorpromotion am 12./24. April 1834 zum außerordentlichen Professor und Prosector [539] gewählt wurde. Zur Vorbereitung auf die Lehrthätigkeit begab sich B. mit Unterstützung der russischen Staatsregierung auf 1½ Jahr ins Ausland. Er reiste im August 1834 nach Berlin, verbrachte daselbst das Wintersemester 1834/35 und das Sommersemester 1835, hörte Vorlesungen bei Ehrenberg, Henle, Schlemm und Joh. Müller und beschäftigte sich insbesondere mit anatomischen und mikroscopischen Studien. Vor allem wirkten anregend und fördernd auf ihn die geistvollen und gründlichen Vorträge Joh. Müller’s, dessen B. als seines geliebten und verehrten Lehrers gern und oft gedachte. Nach Abschluß der Studien in Berlin besuchte B. noch einige andere deutsche Universitäten, um deren anatomische Institute kennen zu lernen (Halle und Leipzig), betheiligte sich an der Naturforscherversammlung in Bonn (September 1835) und kehrte im December nach Dorpat zurück, um im Januar 1836 seine Lehrthätigkeit zu beginnen. Ueber ein Menschenalter, 34 Jahre lang, hat B. als Lehrer in Dorpat gewirkt – im December 1869 beschloß er seine akademische Thätigkeit. B. war ein ausgezeichneter Lehrer, seine Vorträge waren anziehend, klar und in der Form vollendet; er verstand es nicht nur, seine Zuhörer für das Vorgetragene zu interessiren, sondern ihnen dasselbe auch einzuprägen.

B. war ein sehr vielseitiger Gelehrter, seine Lehrthätigkeit war eine sehr umfassende. Zum Anatomen hatte er sich ausgebildet: er war seit seiner Anstellung zuerst als Prosector bis Ende 1842, dann als ordentlicher Professor der Anatomie bis Mitte 1843 thätig, leitete die Präparir-Uebungen und hielt Vorlesungen über menschliche und vergleichende Anatomie. Als er aber nach dem Abgang Volkmann’s im Mai 1843 zum ordentlichen Professor der Physiologie ernannt worden war, trug er nicht allein Physiologie, sondern auch allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie vor. Erst 1858 konnte er die Vorlesungen über Pathologie und pathologische Anatomie einem jüngeren Collegen, dem damaligen Privatdocenten Dr. A. Bötticher, abtreten. – B. war aber nicht nur ein ausgezeichneter Lehrer, er war auch ein vortrefflicher Forscher, reich an wissenschaftlichen Ideen und Gedanken; er wirkte außerordentlich anregend und befruchtend auf seine Schüler: die stattliche Zahl von 77 Doctordissertationen ist unter seiner Leitung veröffentlicht worden; der Ruhm, den die Dorpater Doctordissertationen jener Zeit genossen haben, ist im wesentlichen Bidder’s Arbeit zu verdanken. Aber auch als selbständiger Forscher hat B. auf dem Gebiet der anatomischen und physiologischen Wissenschaft sich einen glänzenden Namen erworben. Es ist hier kein Ort, seine zahlreichen Einzelarbeiten, wie die Abhandlungen in den Zeitschriften aufzuzählen; es seien nur einige genannt, die classische, in Verbindung mit C. Schmidt ausgeführte Arbeit: „Verdauungssäfte und Stoffwechsel“ (Mitau und Leipzig 1852), die epochemachenden „Untersuchungen über die Textur des Rückenmarks“ (Leipzig 1857), „Die Selbstständigkeit des sympathischen Nervensystems“ (Leipzig 1842). In der wissenschaftlichen Welt ist Bidder’s Name durch die Untersuchungen über die Verdauungssäfte und den Bau des Rückenmarks bekannt geworden. Sind die daraus gewonnenen Ergebnisse inbetreff des Baus des Rückenmarks heute längst überholt durch die neuen Entdeckungen der rasch vorschreitenden Wissenschaft, haben die damaligen Ergebnisse auch nur historische Bedeutung, so schmälert das den Ruhm Bidder’s nicht. Haben doch Bidder’s grundlegende Arbeiten nach allen Seiten hin anregend gewirkt!

Aber B. war auch ein gewandter Administrator: viele Jahre lang hat er als Rector das Geschick der Universität Dorpat mit sicherer Hand geleitet – in schwierigen Angelegenheiten, bei Conflicten mit der Regierung wie mit den Studirenden die richtigen Maßregeln ergriffen, um Frieden herbeizuführen und [540] zu halten. Wenn einst eine Geschichte der Universität Dorpat geschrieben werden wird, so wird Bidder’s Verwaltung im glänzendsten Lichte erscheinen.

Aeußere Ehren und Ehrenbezeugungen wurden dem berühmten Forscher und hervorragenden Beamten vielfach zu Theil: B. besaß hohe russische Orden und war Ehrenmitglied verschiedener russischer und deutscher gelehrter Gesellschaften. Er erhielt als erster die Baer-Medaille.

Nachdem B. 1869 seine Lehrthätigkeit aufgegeben hatte, widmete er sich allgemeinen Angelegenheiten. Er war viele Jahre Präsident der Dorpater Naturforscher-Gesellschaft, sowie des Kirchenraths der evangelischen Universitätsgemeinde: eine tief religiös angelegte Natur, hatte er den kirchlichen Angelegenheiten der Universitätsgemeinde eine besonders warme Fürsorge stets zugewandt, er beförderte die Gründung eines Universitätspastorats. In seinem milden Sinn bethätigte er sich auch mit aufopfernder Hingabe am Armenwesen der Stadt Dorpat; er war Präsident des Hülfsvereins und war der Gründer der Kleinkinder-Bewahranstalt. Am 12. April 1884 beging er die Feier seines 50jährigen Doctorjubiläums; am 12. April 1894, bereits schwach und krank, konnte er noch den Tag des 60jährigen Jubiläums erleben. Am 15. August 1894 schied er aus dieser Welt.

Ein Verzeichniß aller seiner Schriften findet sich in den Sapiski der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften XXVI, 285–292.