ADB:Bentinck, Wilhelm Graf von

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Artikel „Bentinck, Wilhelm Gustav Friedrich, Reichsgraf v.“ von Johann Friedrich Ludwig Theodor Merzdorf in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 344–346, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bentinck,_Wilhelm_Graf_von&oldid=- (Version vom 14. Oktober 2024, 22:03 Uhr UTC)
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Bentinck: Wilhelm Gustav Friedrich, Reichsgraf v. B., Erb- u. Landesherr der Herrschaft Kniphausen, Edler Herr zu Varel, Herr zu Doorwerth, Rhoon und Pendrecht, geb. am 21. Juli 1762, † 22. Oct. 1835. Der älteste Sohn des Grafen Christian Friedrich Anton, erhielt er nach dem am 1. April 1768 erfolgten Tode seines Vaters den Besitz der großen Güter, welche bis zu seiner Volljährigkeit 1787 vormundschaftlich verwaltet wurden. Seine Erziehung, die ein Schweizer, der nachmalige Legationsrath Thomann, leitete, ward durch mehrjährige Studien zu Leyden, Lausanne und Göttingen sowie durch größere Reisen in Deutschland, Frankreich unnd England vollendet. Seine politische Laufbahn war nicht ohne Glanz, denn noch sehr jung finden wir ihn in Holland als einen der Edeln der holländischen Ritterschaft, Mitglied der Admiralität und Schout und Bailli der Stadt Haag. Als Anhänger der gemäßigten, dem Hause Oranien anhängigen Partei, erhielt er nach der Dämpfung der Unruhen durch die Preußen 1788 den Auftrag, die alten Regierungen in den Städten der Provinz Holland wieder einzusetzen. Im Kriege der Franzosen gegen Holland befehligte er eine Flotille, welche zum Entsatz der Festung Wilhelmstadt dienen sollte, und vermittelte im Winter 1793–94 die Flucht des Erbstatthalters von Holland mit seiner Familie nach England, während er selbst in Holland blieb und für das Wohl desselben zu wirken suchte. Doch ward er von der französischen Partei gefangen genommen und fast vier Jahre lang auf der Feste Woerde in enger Haft gehalten, bis er Ende des Jahres 1798 seine Freiheit erhielt. Er eilte nun nach Varel, 1799, blieb dort jedoch nur wenige Monate, ging nach Berlin, um mit dem Erbprinzen von Oranien Rücksprache zu nehmen und begab sich dann nach England, um an der Expedition nach dem Texel sich zu betheiligen. Die Expedition verfehlte ihren Zweck, und Graf B. ging nach Varel zurück, machte aber bald mehrere Reisen nach den ihm befreundeten sächsischen Höfen von Koburg und Meiningen, wo er zugleich die in der Familie Donop befindlichen, den Bentinck’s gehörigen Familienpapiere – aber vergeblich – zu erlangen suchte. Im Jahre 1806 unternahm er eine Reise nach St. Petersburg, um Reclamationen gegen einen zum Nachtheil des Fideicommisses mit Anhalt-Zerbst, welches die damals russische Erbherrschaft Jever früher besessen hatte, geschlossenen Vergleich zu erheben, konnte aber nichts erlangen, als eine lebenslängliche Pension von 5000 Rubel Banco und das Groß-Kreuz des St. Annen-Ordens. Am 1. November 1806 wurden Varel und Kniphausen für den König Ludwig von Holland in Besitz genommen, jedoch bald wieder mit voller Souveränität zurückgegeben, dem Grafen der Union-Orden verliehen, an dessen Stelle später Napoleon den französischen für die mit Frankreich vereinigten Länder gestifteten Reunion-Orden setzte. In diesem und dem folgenden Jahre ließ er auch Gold- und Silbermünzen schlagen, was hier nur deshalb erwähnt wird, weil dieselben zu den numismatischen Seltenheiten gehören (Merzdorf, Jeverl. Münzen, S. 75 ff.). Aber schon am 30. Januar 1808 wurden beide Herrschaften definitv Holland einverleibt, Kniphausen jedoch nebst Holland am 9. Juli 1810 dem französischen Reiche zugeschlagen. Varel war 1808, als der Herzog von Oldenburg dem Rheinbunde beitrat, wieder unter dessen Oberbefehl gestellt, kam aber 13. Dec. 1810 mit Oldenburg ebenfalls unter französische Botmäßigkeit. Da durch die französischen Gesetze das Aldenburg-Bentinck’sche Familienfideicommiß aufgehoben war, so suchte der Graf ein nach französischem Rechte gültiges Majorat zu stiften, [345] was bei längerer Dauer der französischen Herrschaft wol auch gelungen wäre. Im Jahre 1813, als es sich im Volke zu regen begann, suchte er durch eine Proclamation vom 20. März sich in seine alten Rechte wieder einzusetzen, damit er bei Wiederkehr der alten Ordnung im Besitz gefunden würde, aber vergeblich. Er selbst ging nach Bremen zu Vandamme um sich zu rechtfertigen, wurde jedoch gefangen genommen, nach Wesel gebracht und vor ein Kriegsgericht gestellt, welches Deportation und Vermögensconfiscation wider ihn aussprach; denn nur der Reunion-Orden soll ihn vom Tode gerettet haben. Erst im März 1814 erlangte er seine Freiheit wieder, nicht aber seine Güter; denn der General Winzigerode hatte im November 1813 die Herrschaft Kniphausen für seinen Hof in Besitz genommen, und dieser hatte sie an Oldenburg abgetreten, welches Kniphausen und Varel im provisorischen Besitz behielt, bis endlich nach vielen Verhandlungen am 9. März 1826 das sogenannte Berliner Abkommen getroffen wurde, nach welchem dem Besitzer Kniphausens der Besitz und Genuß der Landeshoheit ganz in der früheren Weise zugesichert wurde, doch so, daß an die Stelle des vormaligen deutschen Kaisers und Reichs der Herzog von Oldenburg und an die Stelle des Reichsgerichts das oldenburgische Oberappellationsgericht trat. In Folge dieses Abkommens ward Kniphausen am 31. Juli 1826 wieder übergeben. Ueber Varel dauerte der Besitz provisorisch von oldenburgischer Seite bis 1830 fort, wo eine besondere Vereinbarung getroffen wurde, welche dem Grafen die Verwaltung und niedere Gerichtsbarkeit, wie er sie früher besessen, zurückgab. Außer einigen Reisen, darunter eine nach dem Haag, wo er sogar einer früher gemachten Anleihe halber verhaftet und nur durch List befreit wurde, verlebte er die übrige Zeit in Varel, wo er am 22. October 1835 an einem Lungenschlage starb. Der Graf war zweimal verheirathet: 1) mit Ottoline Friederike Luise von Reede, 20. October 1791, welche ihm zwei Töchter und einen Sohn gebar, der aber schon im März 1813 starb, nachdem die Mutter bald nach seiner Geburt am 21. Nov. 1799 schon mit Tode abgegangen war; 2) mit Sara Margaretha Gerdes, eines Landmanns Tochter aus Bockhorn. Von dieser zweiten Frau – mit welcher er seit August 1800 in Gewissensehe zu leben behauptete, seit 8. September 1816 kirchlich verbunden war, – stammen drei Söhne: 1) Wilhelm Friedrich, geb. 9. Juli 1801, 2) Gustav Adolf, geb. 21. November 1809 und 3) Friedrich Anton, geb. 9. August 1812. An diese Söhne knüpft sich nun der in der Juristenwelt Aufsehen erregende sogenannte Bentinck’sche Erbfolgestreit, dessen erste Fäden bis ins Jahr 1827 reichen, der aber erst nach dem Tode des Grafen Wilhelm 1835 zum Ausbruch kam und endlich 1854 durch Vergleich geschlichtet wurde. Als der alte Graf Wilhelm seinen ältesten Sohn Wilhelm zum Mitregenten annahm und auf ihn die Güter übertrug, trat der Graf Johann Karl, der Bruder des alten Grafen, mit einer Protestation beim Bundestage auf, worin er seine Rechte als nächster Agnat gegen die sucessionsunfähigen Kinder gewahrt wissen wollte. Der Bundestag wies die Sache ab als nicht zu seiner Competenz gehörig. Darauf klagte Johann Karl beim Oberappellationsgerichte zu Oldenburg und verlangte, sich auf den Mangel der Successionsfähigkeit und Ebenbürtigkeit der mit Sara Gerdes erzeugten Söhne stützend, die Aberkennung der vermeintlich zustehenden und eingeräumten Successions- und Besitzgerechtsame, als Titel, Rang und Würde der Familie, sowie die Erklärung, daß die fragliche Besitzeinräumung recht- und wirkungslos sei. Dagegen behauptete der Beklagte, wie die Successionsfähigkeit und Ebenbürtigkeit durch die Abstammung aus einer Gewissensehe, die als eine Mißheirath nicht angesehen werden könne, vorhanden sei, daß durch die Aufhebung der Familienfideicommißeigenschaft während der französischen Zeit und Vernichtung des Adelstandes die Nothwendigkeit einer ebenbürtigen Ehe überhaupt wegfalle, und daß die Successionsfähigkeit der Kinder [346] aus ihrer Eigenschaft als sogenannte Braut- und Mantelkinder genugsam hervorgehe. Während dieser Proceß noch schwebte, ging 1833 der Mitregent nach Amerika und cedirte seine Rechte seinem Bruder Gustav Adolf, welcher am 23. Mai 1834 vom Vater ebenso wie der älteste Sohn behandelt wurde. Als aber am 1. December 1834 der Kläger Johann Karl und am 22. October 1835 der Beklagte Wilhelm starb, so traten an die Stelle des Klägers dessen drei Söhne, die sogar am 16. October 1836 sich durch Gewalt und Ueberfall in den Besitz der Burg Kniphausen zu setzen suchten, aber unverrichteter Sache abziehen mußten. Von diesen drei Söhnen trat nun der zweite, Karl, als Hauptkläger auf, da der ältere am 2. October 1836 ihm seine Rechte übertragen hatte. Durch einen provisorischen Vergleich vom 28. März 1838 erhielt der Besitzstreit ein Ende und wurde bestimmt, daß der Kläger während der Dauer des an Stelle des possessorischen, am 20. April 1837 beim oldenburgischen Oberappellationsgerichte neu eingeleiteten petitorischen Rechtsmittel verzichten, daß beide Theile bis zum Endurtheil ohne Verpflichtung der Wiedererstattung eine gewisse Rente ziehen, der dann noch bleibende Ueberschuß der Einnahmen gerichtlich deponirt werden sollte. Der Proceß wurde nun weiter geführt, und in demselben von beiden Parteien die umfangreichsten Parteischriften der größten Juristen Deutschlands (vgl. Zeitschrift für deutsches Recht, Band 3) gewechselt und im Jahre 1842 von der Juristenfacultät in Jena das erste Urtheil gefällt, nach welchem der Kläger abgewiesen und der Beklagte in allen seinen Rechten bestätigt wurde. Obgleich nun die Kläger den Rechtsweg weiter beschritten, so wußten sie doch beim Bundestage einen Beschluß unterm 12. Juni 1845 zu erwirken, durch welchen die Anerkennung des hohen Adels der Familie Bentinck ausgesprochen wurde, wodurch sie das jenaische Urtheil, welches die Bentinck’s als nicht zum hohen Adel gehörig angesehen hatte, umzustoßen gedachten. Dessenohngeachtet und trotz erneuerter Beschlüsse des Bundes (1847), der provisorischen Centralgewalt (1849) und der Bundescentralcommission (1850) blieb der Graf Gustav in factischem Besitz, so viel auch der Graf Karl sich bei den großen Höfen bemühete, den factischen Besitzer zu exmittiren. Diese Bundesbeschlüsse wurden als Stücke der Cabinetsjustiz angesehen, und der Proceß ging seinen Gang weiter und lag bei der Juristenfacultät zu Gießen zum Spruche reif (1852) und wäre (nach des Referenten Professor Wasserschleben juristischen Abhandlungen) zu Gunsten des Beklagten entschieden worden, wenn derselbe nicht um den außerjuristischen Einflüssen zu entgehen, vorgezogen hätte, sich am 30. Juni 1854 zu vergleichen. Nach diesem Vergleiche kam der ganze Aldenburg-Bentinck’sche Familienfideicommiß, soweit er aus Liegenschaften besteht, an Oldenburg; die Kläger, welche als Aldenburg-Bentinck anerkannt, während die Beklagten als in rechter Ehe geborene Nachkommen und Grafen B. angesehen wurden, erhielten sehr große Geldentschädigungen. So endete dieser berühmte Rechtsstreit, durch welchen die von dem Grafen Anton Günther dem Oldenburger Lande entzogenen Stücke wieder mit demselben vereinigt wurden.

(Köhler) Kurze Biographie d. Reichsgraf. Wilhelm Gustav Friedrich Bentinck. Oldenburg 1836. Streitschriften über den Proceß von v. Berg, G. Claus, C. F. Dieck, Th. v. Kobbe, K. A. Tabor, A. W. Heffter, F. G. Eckenberg, W. E. Wilda, Ad. Michaelis, Chr. Fr. Mühlenbruch, G. A. Barnstedt, Chr. Martin, C. F. Brettschneider, S. Bensen, A. Boden., C. Welcker, O. E. Morstadt, C. F. Rheinwald, H. Zöpfl u. a. Oldenb. Gesetzsamml. Bd. XIV., S. 217 ff.