ADB:Wintzingerode, Ferdinand Freiherr von

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Artikel „Wintzingerode, Ferdinand Freiherr von“ von Bernhard von Poten in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 503–505, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wintzingerode,_Ferdinand_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 4. Oktober 2024, 21:38 Uhr UTC)
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Wintzingerode: Ferdinand Freiherr von W., kaiserlich russischer General der Cavallerie, am 15. Februar 1770 zu Allendorf an der Werra, wo sein Vater als Oberstlieutenant im landgräflich Hessen-Kasselschen Cürassierregimente v. Wolf in Garnison stand, geboren, kam 1778 in das Cadettencorps zu Kassel und aus diesem, seit 1782 vater- und mutterlose Waise, 1785 als Fähnrich in die Fußgarde. Wegen eines Vergehens gegen die Subordination zu einem Garnisonregimente in Schmalkalden versetzt und in der Ueberzeugung, daß er ungerecht behandelt worden sei, bat er um seinen Abschied. Als dieser ihm verweigert wurde, ging er, ohne ihn erhalten zu haben, fort und ließ sich von österreichischen Werbern als Gemeiner für den k. k. Dienst anwerben. Auf dem Marsche fiel er, als der Rekrutentransport durch Coburg kam, dem Prinzen Josias von Sachsen-Coburg-Saalfeld auf, welchem er erzählte, was ihm widerfahren war und der daraufhin veranlaßte, daß er als Lieutenant in coburgischen Diensten angestellt wurde. Als Freiwilliger bei den österreichen Truppen nahm er alsdann 1790 an der Bekämpfung der Aufständischen in den Niederlanden theil, wurde auf das ihm dort ausgestellte Zeugniß des Wohlverhaltens von neuem in den Dienst des Landgrafen von Hessen-Kassel aufgenommen, machte als Lieutenant im Feldjägercorps 1792 und 1793 die Feldzüge gegen die Franzosen mit, verließ jenen Dienst nach der Heimkehr zum zweiten Male, ward Kammerherr des Prinzen Ferdinand von Preußen, gab die Stellung, weil das Hofleben ihm nicht zusagte, nach einigen Monaten wieder auf und trat als Lieutenant beim Dragonerregimente Prinz von Sachsen-Coburg in die österreichische Armee.

Als solcher wohnte er den Feldzügen von 1795 und 1796 in Deutschland bei und zeichnete sich bei Amberg aus. Als aber am 17. October 1797 der Friede von Campo-Formio geschlossen war, vertauschte er den österreichischen Dienst mit dem russischen, in welchen er als Major eintrat. Hier wurde er Adjutant des Großfürsten Constantin, nachher des Großfürsten Alexander (später Kaiser Alexander I.) und stand beim Zar Paul in hohen Gnaden, konnte aber nicht erlangen, daß er mit Suworow nach Italien gesandt wurde. Dagegen erhielt er die [504] Erlaubniß mit dem österreichischen Heere am Kriege theilzunehmen, ward als Oberstlieutenant beim Regimente Erzherzog Ferdinand-Dragoner angestellt, kam mit einer durch eine schwere Wunde verstümmelten Hand, aber mit großem Ruhme und voller Anerkennung seiner Tüchtigkeit aus dem Felde zurück, wurde Regimentscommandant, verheirathete sich in Galizien mit Gräfin Helene Rostworowska, ward vom Zaren Alexander im J. 1802 als Generaladjutant in seine Umgebung berufen, von diesem im Herbst 1805 nach Berlin gesandt, um Abmachungen inbetreff der Theilnahme Preußens am Kriege gegen Frankreich zu treffen, die, als er damit nach Wien kam, durch den Gang der Ereignisse hinfällig geworden waren, nahm dann am Feldzuge dieses Jahres theil, erwarb am 11. November bei Dürrenstein den russischen Sanct-Georgsorden, befand sich bei Austerlitz im Gefolge des Zaren und machte nach der Schlacht zum ersten Male die persönliche Bekanntschaft des Kaisers Napoleon, zu welchem er als Parlamentär entsandt war. Als im J. 1809 von neuem Krieg mit Frankreich in Aussicht stand, trat er wiederum in das österreichische Heer, bei welchem er aber erst im zweiten Zeitabschnitte eintraf. Am ersten Tage der Schlacht von Aspern, am 20. Mai, führte er als Generalmajor die Avantgardenbrigade des 1., vom General Grafen Bellegarde befehligten Armeecorps. Beim Sturme auf das gleichnamige Dorf zerschmettette ihm eine Kartätschenkugel den rechten Fuß, Erzherzog Karl beförderte ihn am 24. zum Feldmarschalllieutenant und am 17. Mai 1811 erkannte ihm das Ordenscapitel die höchste militärische Auszeichnung zu, den Maria-Theresia-Orden. (J. Hirtenfeld, Der Militär-Maria-Theresia-Orden, Wien 1857.)

Bei Beginn des Krieges vom Jahre 1812 war er wieder in Rußland und befand sich während der ersten Periode desselben im kaiserlichen Hauptquartiere. Nach der Schlacht von Borodino wurde er an die Spitze einer Abtheilung leichter Truppen gestellt, mit welcher er die nach Petersburg führende Straße zu beobachten hatte. Auf die Nachricht von der Räumung der Stadt Moskau durch die Franzosen, begab er sich am 22. October, die für einen Parlamentär vorgeschriebenen Formen nicht streng genug beachtend, um zu unterhandeln, dorthin und wurde in völkerrechtswidriger Weise von den Franzosen für ihren Gefangenen erklärt. Napoleon, vor welchen er gebracht wurde, wollte ihn als Deutschen, der gegen seine Landsleute gefochten, erschießen lassen, besann sich aber und befahl, ihn nach Metz abzuführen. Unterwegs befreiten ihn nach Monatsfrist zwischen Minsk und Wilna Tschernychew’s umherstreifende Kasaken (Oesterreichische militärische Zeitschrift, Wien 1842, 2. Heft).

W. erhielt nun das Commando des 2. Armeecorps, trug mit demselben am 13. Februar 1813 bei Kalisch einen leichten Sieg über das aus Sachsen und Franzosen bestehende schwache 7. Corps des Generals Reynier davon und befehligte das genannte Corps während der Befreiungskriege. Seiner Theilnahme an der Schlacht bei Groß-Görschen wird zum Vorwurfe gemacht, daß er das Gelände nicht sorgsam genug erkundet und daß er es nachher an der nöthigen Thatkraft habe fehlen lassen, indem er, obgleich er über eine zahlreiche Reiterei unter tüchtigen Führern verfügte, die französische Infanterie nicht angriff, welche ohne Cavallerie über die Ebene marschirte. Im zweiten Zeitabschnitte des Krieges in Deutschland gehörte er zur Nordarmee unter dem Kronprinzen Karl Johann von Schweden, sein Corps zählte nach Beendigung des Waffenstillstandes etwa 30 000 Mann. Anfangs August war er von Meseritz in der Gegend von Berlin eingetroffen. Seine Betheiligung am Kampfe war gering. Bei Groß-Beeren und bei Dennewitz ist er gar nicht zur Thätigkeit gekommen und nur am 19. October haben seine Truppen in der Schlacht von Leipzig einige Verwendung gefunden. Es fehlte ihm der Drang, dieselben an den Feind zu bringen, welcher [505] Bülow beseelte. Daher war er bei Bernadotte besser gelitten als dieser, wenig aber paßte er zu dem Feuergeiste, von dem Blücher’s Hauptquartier durchdrungen war. Und mit diesem trat er im Feldzuge von 1814 in Berührung, er befehligte damals etwa 18 000 Mann; die Einbußen, welche seine Truppen erlitten, kamen nicht auf Rechnung des Feindes.

Auf dem Marsche durch Holland und Belgien nach Frankreich hatte er sich nicht beeilt, erst Anfang März traf er auf dem dortigen Kriegsschauplatze ein. Am 2. jenes Monarts stand er mit Bülow vor der Festung Soissons, welche capitulirte. Für den Kampf bei Craonne am 7. ward ihm, den man für einen tüchtigen Reitergeneral hielt, der Befehl über 10 000 Mann Cavallerie und 60 Geschütze übertragen, aber er that nichts und seine Unterlassungssünden brachten den ganzen Kriegsplan zum Scheitern. Hätte er der preußischen und nicht einer der verbündeten Armeen angehört, so würde es ihm übel ergangen sein. In der verlorenen Schlacht bei Laon am 10. befehligte er den rechten Flügel. Als am 22. in Blücher’s Hauptquartiere zu Fismes der Entschluß gefaßt ward, auf Paris zu marschiren, wurde W. mit 8000 Pferden und 46 Geschützen entsandt, um über Epernay bei Arcis sur Aube Schwarzenberg die Hand zu reichen. Am 23. kam er in Sommepuis an. Am folgenden Tage bestimmte der Kaiser Alexander Schwarzenberg ebenfalls auf Paris zu marschiren, und W. erhielt nun den Befehl, mit möglichst viel Geräusch dem auf dem Wege nach dem Rheine begriffenen Napoleon zu folgen und alle Welt glauben zu machen, daß er für die Frankreich räumenden Monarchen Quartier zu bestellen und die Bahn zu ebenen habe. Die tüchtigsten Führer der russischen leichten Truppen standen unter seinem Befehle, dazu auch schlesische Landwehrreiter unter Major v. Falkenhausen. Am 25. war er in Saint-Dizier. Am 26. mußte er hier freilich, da er nur 800 Jäger bei sich hatte, den Paß freigeben, aber der Zweck war erreicht. Durch eigene Schuld langte der Kaiser zu spät vor Paris an. Wintzingerode’s kriegerische Laufbahn war damit zu Ende. 1815 führte er nochmals ein Corps gegen Frankreich, kam aber nicht zum Schlagen. Nach der Heimkehr befehligte er zunächst das 2. Cavalleriecorps in Wolhynien, wo Schitomir seine Garnison war. Da er hier keine Gelegenheit hatte, seine Kinder unterrichten zu lassen, wurde er an die Spitze des 2. Armeecorps zuerst nach Grodno, dann nach Bialystok versetzt, starb aber schon am 17. Juni 1818 zu Wiesbaden, auf einem Spaziergange vom Schlage tödtlich getroffen. Seine beiden Söhne traten in das russische Heer.

Wintzingerode’s Verhalten in den Jahren 1813 und 1814 steht in einem auffallenden Gegensatze zu der Erscheinung, welche sein Thatendrang und sein Auftreten im Felde früher geboten hatten. Die einstige Unternehmungslust und der frische Kampfesmuth waren einer schwerfälligen Unentschlossenheit gewichen. Alle, welche während der Befreiungskriege mit ihm in Berührung kamen, stimmen in ihrer ungünstigen Beurtheilung seiner Leistungen überein. Gneisenau geht darin wol zu weit, wenn er sagt: „Es geht nicht an, Bülow unter Wintzingerode zu stellen, einen General von so wenig Entschlossenheit und selbst vielleicht wenig gutem Willen“ (Gneisenau’s Leben von H. Delbrück, IV, 154), aber er hat recht mit dem Ausspruche, „W. war nicht der Mann, ungewöhnliche Schwierigkeiten zu überwinden“ (a. a. O. IV, 106). Müffling nennt ihn in seinen Denkwürdigkeiten (S. 105) bequem und eigenwillig, einen Opponenten und Pfiffiologen ohne Energie.

E. v. Wintzingerode, Stammbaum der Familie Wintzingerode, mit biographischen Erläuterungen, Göttingen 1848 (mit Vorsicht zu gebrauchen).