Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Böhme, Franz Magnus“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 77–79, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:B%C3%B6hme,_Franz_Magnus&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 12:15 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Böhm, Joseph
Band 47 (1903), S. 77–79 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Franz Magnus Böhme in der Wikipedia
Franz Magnus Böhme in Wikidata
GND-Nummer 116220945
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|47|77|79|Böhme, Franz Magnus|Robert Eitner|ADB:Böhme, Franz Magnus}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116220945}}    

Böhme: Franz Magnus B., ein im Fache der sogenannten Volksliederkunde wohl bewanderter und fleißiger Forscher, der seine Ergebnisse in drei umfangreichen Liedersammlungen niedergelegt hat. Geboren am 11. März 1827 zu Willerstedt bei Weimar, wo seine Eltern nicht unbemittelte Landleute waren, † am 17. October 1898 in Dresden. Bis zu seinem 10. Jahre besuchte er die Dorfschule, und da er einiges Talent für Musik zeigte, wurde er in den Kirchenchor aufgenommen und erhielt vom Ortscantor Thieme Clavier- und Violinunterricht. Von hier kam er in das Institut des Pfarrers G. Thölden, um fürs Gymnasium vorbereitet zu werden, doch auf Wunsch der Eltern, denen die Geldausgaben doch zu hoch erschienen, mußte er sich auf dem Lehrerseminare [78] in Weimar zum Schullehrer vorbereiten. Vom Jahre 1846 ab bekleidete er als Dorfschulmeister bis zum Jahre 1857 in verschiedenen Ortschaften Weimars die Cantorstelle, d. h. er war der einzige Lehrer der Dorfschüler, Organist und oft auch noch Küster. 1851 verheirathete er sich mit einer Predigerstochter aus Sachsen. Nebenbei beschäftigte er sich noch mit Choralstudien und schwärmte für den rhythmischen Choral, schrieb auch Artikel für die Sächs. Schulzeitung und zu Dr. Konrad Kocher’s Zionsharfe. 1854 wurde er in das große Dorf Riethnordhausen bei Erfurt versetzt. Hier gab es noch für jeden Sonntag eine Kirchenmusik mit der Schuljugend und dem Sänger- und Instrumentenchore einzuüben, sogar oft noch die Stimmen aus der Partitur auszuschreiben. Sein Gehalt betrug bei wöchentlich 32 Schulstunden jährlich 180 Thaler! Trotz alledem fühlte er sich im Kreise seiner Familie und in seinen Amtspflichten behaglich und wäre wol zeitlebens dort geblieben, wenn ihm nicht der Tod 1857 seine Frau entrissen hätte. Er sehnte sich fort, fort aus seinem Berufskreise, der ihn nicht mehr befriedigte und zog mit seinen drei kleinen Söhnen nach Leipzig. Hier betrat er als Dreißigjähriger einen neuen Lebensweg. Bei Moritz Hauptmann studirte er Contrapunkt und Fuge und bei Julius Rietz Formenlehre und Instrumentation und begann auf der Stadtbibliothek fleißig historische Musikstudien zu machen. Durch Hoffmann’s von Fallersleben Anregung hatte er schon im J. 1854 begonnen Volkslieder zu sammeln. Dieses Feld nach allen Seiten hin bis zur ältesten Zeit auszudehnen, war nun sein vornehmstes Bestreben und jede freie Zeit, neben dem Erwerb des täglichen Brotes durch das Ertheilen von Musikunterricht, benützte er zu Quellenstudien. Wenn Böhme’s Werke auch manche Schwächen zeigen, besonders in der Art der Verarbeitung des Materials, so muß man ihm doch das Verdienst lassen, daß er ein Sammler par excellence war, nicht nur im Fache der Musikgeschichte, sondern ebenso auf dem litterarischen Felde im Fache des Volksliedes und Volksgesanges. Um nun dies massenhaft angesammelte Material zu ordnen und wissenschaftlich zu bearbeiten, wären philologische und musikhistorische Studien als Grundlage nöthig gewesen, da ihm die aber fehlten, so machte er sich vielfacher Mißgriffe schuldig, die noch durch sein confuses Wesen sich steigerten. Doch kehren wir zu seinem äußeren Leben zurück. Um Ostern 1859 siedelte er nach Dresden über und verheirathete sich 1860 zum zweiten Male. Den Lebensunterhalt erwarb er auch hier durch Musikunterricht, und wie der mir vorliegende Abriß seines Lebens, zum Theil nach eigener Angabe, sagt, wurden ihm diese Stunden recht schlecht bezahlt, da er weder als Claviervirtuose noch als Contrapunktiker und Harmonielehrer je etwas geleistet hatte. Mehrere Male gründete er in Dresden Gesangvereine, doch nach kurzer Lebensdauer lösten sie sich wieder auf aus Mangel an Mitgliedern und auch durch Schuld des Dirigenten und Gründers, der von der Natur für dieses Fach sehr stiefmütterlich ausgestattet war. Dennoch konnte er es nicht lassen, sich immer wieder zu Dirigentenstellen bei Männergesang- und Turnvereinen zu drängen, trotzdem er stets den gleichen Erfolg erzielte. Neben diesen öffentlichen Bestrebungen hatte er seine Sammlung der ältesten deutschen Volkslieder beendet und auf Kosten des Königs von Sachsen zum Druck gebracht, betitelt: „Altdeutsches Liederbuch. Volkslieder der Deutschen nach Wort und Weise aus dem 12. bis zum 17. Jahrhundert“ (Leipzig 1877, 8°, 832 S.). Ueber die Wiedergabe der Texte erlaube ich mir kein Urtheil, doch wird sie von den Philologen zum größten Theile verworfen. Die Wiedergabe der Melodien aber leidet an dem Fehler, daß der Herausgeber nicht bedachte, oder nicht erkannte, daß dieselben zum größten Theile sich nur als cantus firmus zu vier- und mehrstimmigen Kunstsätzen des 16. Jahrhunderts erhalten haben und daß die Verfasser der Kunstsätze die Tonfolge der Melodien [79] in der willkürlichsten Weise veränderten und besonders durch Dehnung der Noten den ursprünglichen Rhythmus vollständig vernichteten. Trotzdem theilt B. die Melodien in der verzerrten Weise mit und was das schlimmste ist, zwängt dieselben in den modernen Tact. Was hierbei für Ungeheuerlichkeiten zu Tage traten, muß selbst dem Dilettanten einleuchten. Fast zur selben Zeit gab der Schreiber dieser Zeilen das Johann Ott’sche Liederbuch von 1544 in Partitur heraus und fügte dieser einen Band in 8° mit den Liedmelodien bei, in welchen auf Grund der verschiedenen vorhandenen alten Lesarten in den Tonsätzen der Versuch gemacht wurde, dieselben in ihrer muthmaßlichen Urgestalt wieder herzustellen. Ein reger schriftlicher Verkehr zwischen uns brachte B. zur Erkenntniß, daß seine Darstellung widersinnig sei, doch die Erkenntniß kam zu spät, denn das Werk lag gedruckt vor. – Endlich im J. 1878 erhielt er am Hoch’schen Conservatorium für Musik in Frankfurt a. M. eine einträgliche Stellung, wo er in Harmonie und Contrapunkt unterrichtete und Vorlesungen über Musikgeschichte hielt. Durch eine unvorsichtige Aeußerung über ein Directionsmitglied des Conservatoriums verscherzte er sich die Stellung und erhielt im J. 1886 seinen Abschied. Er ließ sich wieder in Dresden nieder und nährte sich kümmerlich, bis ihn im J. 1891 das preußische Cultusministerium auf Empfehlung Philipp Spitta’s beauftragte, Ludwig Erk’s unvollendeten „Deutschen Liederhort“ von neuem herauszugeben, mit den von Erk hinterlassenen Vorarbeiten und dem eigenen Quellenmaterial zu vermehren. Im J. 1893 erschien der erste Band unter dem früheren Titel „Deutscher Liederhort“, dem in den folgenden Jahren noch 2 Bände folgten, die nahe an 3000 Lieder, Texte und Melodien enthalten. Vor dem hatte er noch während seines Aufenthaltes in Frankfurt a. M. 1886 bei Breitkopf & Härtel eine „Geschichte des Tanzes in Deutschland“ herausgegeben, welche dieselben Vorzüge und dieselbe Verworrenheit in Hinsicht der Ausarbeitung zeigt. Hier sind aber die mitgetheilten Tänze von großem Werthe und da dieselben fertig vorlagen und nur copirt zu werden brauchten, wobei allerdings gar mancher Schreibfehler untergelaufen ist, so konnte der Verfasser nicht auf solche Irrwege gelangen, wie bei seinem Altdeutschen Liederbuche. Im Jahre 1895 folgten die „Volksthümlichen Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert“ als Fortsetzung des Liederhorts, und als sein letztes Werk erschien 1897 das „Deutsche Kinderlied und Kinderspiel“. So hat B. das volksthümliche deutsche Lied nach allen Seiten hin aus längst verschollenen Werken wieder ans Tageslicht gezogen und der Neuzeit zur Freude und Genuß zugänglich gemacht und sich selbst den unvergänglichsten Denkstein gesetzt. Noch ist eine „Geschichte des Oratoriums“ zu erwähnen, die 1887 in 2. Auflage erschien.

Urania, Musik-Zeitschrit für Orgelbau, herausgegeben von A. W. Gottschalg in Weimar, 1897, Nr. 3. Da Böhme Mitarbeiter an der Zeitschrift war, so rühren die Daten jedenfalls von ihm selbst her.