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Artikel „Boehm, Joseph“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 75–77, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:B%C3%B6hm,_Joseph&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 09:08 Uhr UTC)
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Boehm: Joseph Anton B., Botaniker, geboren zu Groß-Gerungs in Niederösterreich am 13. März 1831, † in Wien am 2. December 1893. B. absolvirte seine akademischen Studien, anfänglich seiner geringen Mittel wegen, unter großen Entbehrungen in Wien und widmete sich zunächst der Medicin, daneben aber auch mit besonderem Fleiße der Botanik, in welcher Fenzl und Unger seine Lehrer waren. Als Assistent Unger’s vertrat er diesen auch gelegentlich auf dem Katheder und zeigte hier, sowie bei der Abhaltung botanischer Repetitorien für Mediciner ein so ausgesprochenes Lehrtalent, daß selbst berühmte Gelehrte wie Hyrtl, Oppolzer, Rokitansky es nicht verschmähten, bei ihm zuweilen zu hospitiren. Die Ferien verbrachte B. zumeist mit Unger in Graz zwecks botanischer Untersuchungen und erwarb sich hier auch 1856 die philosophische Doctorwürde. In demselben Jahre erschien in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie seine erste botanische Arbeit: „Beiträge zur näheren Kenntniß des Chlorophylls“, womit sein späteres Forschungsgebiet schon vorgezeichnet war und auf Grund deren sowie einer zweiten im folgenden Jahre an derselben Stelle veröffentlichten Arbeit: „Physiologische Untersuchungen über blaue Passiflorenbeeren“ er sich 1857 an der Universität Wien für Botanik habilitirte. Seine medicinischen Studien fanden 1858 mit der Erlangung des medicinischen Doctortitels ihren Abschluß. Praktischen Nutzen zog er nicht daraus, sondern ließ sich durch seine Neigung zur Botanik dazu bestimmen, an der eben gegründeten Wiener Handelsakademie die bescheidene Stelle eines Lehrers der Naturwissenschaften und der Waarenkunde und zwar zunächst nur provisorisch zu übernehmen. Vier Jahre später wurde ihm dies Amt definitiv übertragen, das er bis 1874, also 16 Jahre lang, neben seinen Universitätsvorlesungen und zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen, treu ausgefüllt hat. In Anerkennung [76] seiner wissenschaftlichen Leistungen wurde B. 1869 zum außerordentlichen Professor ernannt, wodurch seine Stellung an der Handelsakademie aber nicht weiter berührt wurde. Einen im Winter 1870/71 erhaltenen Urlaub benutzte er zu einem längeren Aufenthalte in Heidelberg, um außer dem Botaniker Hofmeister auch andere dort lehrende Berühmtheiten, wie Bunsen, Kirchhoff, Helmholtz kennen zu lernen. Sehr befriedigt von den empfangenen Eindrücken, kehrte er über Tübingen, wo er Hugo v. Mohl aufsuchte, nach Wien zurück. Im Jahre 1874 endlich wurde B. in eine seiner wissenschaftlichen Bedeutung entsprechende Stelle als Professor der Naturgeschichte und Pflanzenphysiologie an die Forstakademie Mariabrunn berufen, siedelte aber, als ein Jahr später der höhere forstliche Unterricht der Hochschule für Bodencultur in Wien übertragen wurde, dorthin über. 1878 erfolgte sodann auch seine Ernennung zum ordentlichen Universitätsprofessor. Boehm’s bisher ungetrübte Gesundheit erlitt im Frühjahr 1886 infolge einer Lungenentzündung einen ersten Stoß, der zwar zunächst noch keine unmittelbar gefahrdrohende Folge hatte, aber Boehm’s Constitution dennoch erschütterte. Alsbald zeigten sich die Anzeichen einer ernsten Gesundheitsstörung, vielleicht auch die Wirkungen einer allmählichen Vergiftung durch Quecksilber, womit B. bei seinen Versuchen viel zu hantiren hatte. Mit ungewöhnlicher Energie überwand B. seine immer stärker auftretenden Leiden, bis er ihnen schließlich nach heldenmüthigem Kampfe noch vor vollendetem 63. Lebensjahre erlag. Boehm’s Forschungsgebiet war die Pflanzenphysiologie. Aus seinen zahlreichen Schriften, die in dem unten verzeichneten Nachruf in chronologischer Ordnung angeführt sind, seien als seine bedeutendsten seine Arbeiten über Chlorophyll und Stärkebildung, über das Saftsteigen im Pflanzenkörper und über die Bedeutung der Kalksalze für das Pflanzenwachsthum hervorgehoben. In der schon angeführten Erstlingsarbeit über das Chlorophyll gab B. zunächst einen Ueberblick über Geschichte und Litteratur, unterschied dann scharf zwischen dem Farbstoffe und seinem Träger und brachte die ersten Mittheilungen über die Lageveränderung der Chlorophyllkörner in der lebenden Pflanze als Folge unmittelbarer Besonnung. Von seinen Untersuchungen über Stärkebildung im Chlorophyll gab die erste Kunde seine 1874 in den Abhandlungen der Wiener Akademie veröffentlichte Arbeit: „Ueber die Stärkebildung in den Keimlingen der Kresse, des Rettigs und Leines“, worin er zuerst die vom Lichte unabhängige Bildung der Stärke aus den im Protoplasma vorhandenen Reservestoffen behauptete und die Entdeckung machte, daß durch Verdunklung entstärkte Blätter der Feuerbohne im Lichte wieder stärkehaltig werden. Da indessen fortgesetzte Versuche gegenüber seiner ersten Behauptung negative Resultate ergaben, so hielt er sich zu einem Widerrufe verpflichtet, den er 1877 in der Oesterr. bot. Zeitschrift veröffentlichte. Später jedoch kam er auf Grund neuer Versuche an geeigneterem Pflanzenmaterial auf seine erste Ansicht zurück und zeigte namentlich in einer interessanten Schrift: „Ueber Stärkebildung aus Zucker“ (Bot. Zeitung 1883), wie in den Chlorophyllkörnern entstärkter Blätter, die in Zuckerlösung getaucht wurden, wieder Stärke entstehen könne, also in diesem Falle durch von außen zugeführte Reservestoffe. Auch in der 1889 im Bot. Centralblatt erschienenen Arbeit: „Stärkebildung in den Blättern von Sedum spectabile“ wies er nach, daß in stärkelosen Blättern, welche in kohlensäurefreier Luft belichtet werden, Stärke entstehen könne, so daß letztere also nicht, wie man bisher annahm, immer nur ein unmittelbares Assimilationsproduct sein müsse. Einen größeren Umfang und eine größere Bedeutung bei allerdings auch größerem Widerspruch seitens der Fachgenossen, nahmen Boehm’s Arbeiten über die Bewegung des Wassers im Pflanzenkörper an. Die Reihe seiner zahlreichen Abhandlungen über diese Frage eröffnete ein 1862 in den Sitzungsberichten der [77] Wiener Akademie erschienener Aufsatz: „Ueber die Ursache des Saftsteigens in den Pflanzen“, worin er als Ursache des aufsteigenden Wasserstromes den Luftdruck bezeichnete und das Phänomen als Saugewirkung hinstellte, indem er die herrschende Ansicht von der Capillarität der Zellwandmolecule in dieser, sowie in einer zweiten Arbeit vom Jahre 1864 ausdrücklich bekämpfte. Noch in den 1877, 1878 und 1881 erschienenen Schriften über den nämlichen Gegenstand verharrte B. bei seiner Auffassung, und bezeichnete als Weg für die Wasserzufuhr die Gefäße des Holzkörpers. Erst 1889 trat ein Umschwung in seinen Ansichten ein. Neue Versuche an bewurzelten und an abgeschnittenen Stecklingen von Holzgewächsen, welche zeigten, daß auch bei Ausschluß des Luftdrucks die Transpiration nicht aufhöre, ferner die Erfahrung, daß gebrühte Stengeltheile, also todte Zellen, die Verdunstung nicht hinderten, brachten ihn zu dem Endergebniß: die Wasserversorgung durch die Wurzeln und das Saftsteigen werden durch Capillarität, die Wasseraufnahme des Blattparenchyms wird durch den Luftdruck bewirkt. (Berichte d. Deutschen bot. Gesellschaft 1889.) Von einigem Interesse sind noch die kleineren Arbeiten Boehm’s: „Ueber den vegetabilischen Werth der Kalksalze“ (Abhdl. d. Wiener Akad. 1875) und „Ueber Aufnahme von Kalksalzen und Wasser durch die Blätter der Feuerbohne“ (Wiener Landwirthsch. Versuchsstation 1877), worin er den Kalksalzen bei der Umbildung organischer Baustoffe in Bestandtheile des Pflanzenkörpers eine ähnliche Rolle zuweist wie die, welche sie im Thierleben bei Verwandlung des Knorpels in Knochen besitzen.

In der gesammten wissenschaftlichen Thätigkeit Boehm’s spiegelt sich seine besondere Eigenart als die einer kraftvollen, durchaus selbständigen Persönlichkeit wieder. Unablässig bemüht, bei seinen Untersuchungen zur Erreichung seines Zieles alle Schwierigkeiten zu überwinden, zögerte er nicht, denselben Versuch, sobald er ihm nicht resultatreich genug schien, immer und immer zu wiederholen. In der Verfechtung eigner Meinungen aber konnte sich sein Eifer bis zur Leidenschaftlichkeit steigern, wiewol er erkannte Irrthümer stets willig zugestand. In einem gewissen Gegensatz zu der breiten Anstellung seiner Versuche, war B. bemüht, im schriftlichen Ausdrucke seiner Gedanken möglichst zu sparen. Dadurch erhielten seine Schriften, besonders in der ersten Zeit, nicht selten eine zu knappe Fassung im Ausdruck, welche ihr Studium erschwerte, worin mit ein Grund liegen mag, daß sie bei den Fachgenossen vielfach nicht die Würdigung erfahren haben, die sie verdienten. Ueber Boehm’s Vortrefflichkeit als Lehrer aber herrschte nur eine Stimme. Sein temperamentvoller, von Humor gewürzter Vortrag zog zahlreiche Schüler an und wirkte auch anregend auf weitere, für wissenschaftliche Fragen interessirte Kreise. Sein joviales, wohlwollendes Wesen hatte ihm viele anhängliche persönliche Freunde erworben.

Nekrolog von K. Wilhelm in: Berichte d. Deutschen bot. Gesellsch. in Berlin XII. 1895 und in Verhandl. d. zool. bot. Gesellsch. in Wien 1893.