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Über die Industrie-Anstalten im Wirzburgischen.
Sie legen mir die Frage vor: „Warum es bey den besten landesväterlichen Absichten des über alles Lob erhabenen Fürstbischoffs zu Wirzburg und bey dem rastlosen Eifer der Armencommission demungeachtet mit den Industrie-Anstalten keinen gedeihlichen Fortgang gewinnen wolle?“
Ich muß Ihnen gestehen, daß sie schwer zu beantworten ist; wenigstens ist es noch um einige Decennien zu früh, alle Hindernisse anzugeben. Im allgemeinen merken Sie sich zur Befriedigung Ihrer Neugierde nur so viel:
1) Nicht alle diejenigen, welchen die Ausführung dieser gemeinnützigen Einrichtung aufgetragen ist, haben die gehörige Erkenntniß von der Landesverfassung und dem in jedem Orte verschiedenen Zustande der Einwohner. Man kann ein gelehrter, abgeschliffener und religiöser Mann seyn, ohne daß man hievon gehörig unterrichtet ist. Das lernt man nicht auf der Studirstube und vom Katheder herab.
| 2) Manche dieser sonst wahrhaft achtungswehrten Männer fühlen diesen Mangel selbst und suchen ihn zu ersetzen. Sie kommen aber nicht immer an reine und ungetrübte Quellen, aus welchen sie zu schöpfen suchen. Einer und der andere ist durch Heuchler und Schreyer gegen bessere und aufrichtigere Belehrungen betäubt worden. Die Einsichtsvollen, da sie merkten, daß man sich tief bücken und recht schreyen müsse, gingen stillschweigend davon und dachten mit dem Franzmann:
un tonneau vuide rend plus de son, qu’un tonneau plein..
3) Man hat die Ausführung der von der Hauptcommission entworfenen Plane zur Einführung der Industrie den Pfarrern und Beamten auf dem Lande aufgegeben. Im allgemeinen sollte freylich die Erwartung gegründet seyn, daß unter der Handhabung dieser Männer, die zu Beamten und Pfarrern bestellt wurden, diese Unternehmungen am vorzüglichsten gedeihen müßten. Wie sichs aber abändert, wenn man viele dieser Herren nach ihren Fähigkeiten, nach ihren Lieblingsneigungen und Beschäfftigungen kennt, werden Sie von selbst erachten können, da Sie im Bisthum Wirzburg nicht fremd sind. Aus dem Stegreif wollte ich
| Ihnen von beyden Classen ein Dutzend nennen, denen man schlechterdings bey der Ausführung solcher Anstalten
exclusivam geben muß, wenn man mit den Befehlen eines so verehrungswürdigen Bischoffs, als Franz Ludwig ist, nicht spielen will; um ihn, der wirklich ernstlich Gutes stiften möchte, bloß mit Projecten zu amüsiren. Ein anderes Hinderniß ist der Eigennutz, den der Landmann vielleicht nicht ohne hinreichenden Grund, wenn nicht bey der fürstl. Kammer, doch bey manchem Pfarrer und Beamten vermuthet, und die linke Art, mit der man die Befehle oft zu vollziehen sucht. Ein Beyspiel liefert
Ihr Journal 1 Bd 2tes St. S. 212. etc. Die gar nicht ungegründete Vermuthung des Erstern benimmt dem Landmann gegen die Anführer dieser neuen Einrichtung oft alles Zutrauen; und die Erkenntniß der letztern vernichtet vollends, was vom Zutrauen noch übrig blieb, wenn der erstere Fall nicht eintritt. Urtheilen Sie selbst, was der Bauer zu solchen Verbesserern für ein Zutrauen fassen kann. Im nördlichen Theil des Hochstiftes sollte jüngst auf einem schlechten, seit undenklichen Zeiten ungebauten Boden ein Stück Landes von ungefähr 100 Morgen mit Holzsaamen besäet werden!
| Auf ausdrücklichen Befehl des Stubenökonomen, der als Beamter bey diesem Geschäffte die Oberaufsicht hatte, wurde der Saame ohne alle Vorbereitung des Bodens hingestreuet, also, wie leicht zu erachten ist, vergeblich. Wer mags dem Landmanne wehren, bey solchen augenscheinlichen Ungereimtheiten von einem aufs andere zu schließen? Nicht weit von dem Orte, wo dieses geschah, legte ein anderer Beamter, der für das Industrie-Wesen sehr geschäfftig ist, und die Besorgung des Forstes, wegen seiner vorzüglichen Einsichten in dergleichen Sachen, bekommen haben will, seinen Amtsuntergebenen solche Forsteinsichten jüngst zu Tage, daß er mit dem besten Vortrage der gemeinnützigsten Sachen ihr Zutrauen kaum wieder gewinnen wird. Die Sache war diese. Auf Befehl der Fürstl. Hofkammer mußte der Beamte, als Oberaufseher des Forstes, einige 100 Tannen fällen lassen; weil das Holz in ungemein hohem Preise steht: so melden sich verschiedene Gemeinden dringend um die Erlaubniß, für einen gewissen zu bestimmenden Preis die Wurzeln dieser gefällten Tannen ausgraben zu dürfen. Eine wie die andere bekam von dem Herrn Forst-Inspector zur Antwort:
„das hieße schön im Forste| wirthschaften. Sie sollten doch bedenken, daß es über 6 Jahre neu nachtriebe.“ Auch der Bauer satyrisirt nach seiner Art und über diesen Forstmann jetzt nicht selten. Wird einmahl ein Vorgesetzter, er sey Beamter oder Geistlicher, auf solchen Schwächen ertappt, dann ist er zur Einführung neuer Einrichtungen aller Art bey den herrlichsten Einsichten und dem besten Willen auf viele Jahre hinaus verdorben.
4) Den Gemeinden fällt es zum Theil schwer, die Gelder aufzubringen, die zu den neuen Anstalten erfordert werden. Aber auch da, wo sie es wohl vermögen, fürchten sie, daß der Ertrag dieser Einrichtungen am Ende doch nicht an sie kommen würde; und wenn der Bauer nicht sieht, daß es ihm selbst nutzen wird: so regt er sich nicht. In einem Dorfe des Wernecker Amts wollte Jemand den Platz zu einem Garten für die Industrie-Anstalt der Gemeinde schenken; auf gemeine Kosten sollte er nur umzäunt werden. Die Bauern sagten: Wir sollen einen Zaun führen auf unsere Kosten, daß des Kellers und Pfarrers Obst nicht gestohlen wird? Sie thatens nicht!
5) Baumwollenspinnen, Stricken etc. ist wohl nach der Meinung unsers gnädigsten
| Fürstens und Landesvaters nur da besonders zu empfehlen und einzuführen, wo die Bauernjugend sonst nichts zu thun hat, und aus Mangel an Beschäfftigung auf allerhand Ausschweifungen verfällt. Anders verhält sichs da, wo der Bauer seine Kinder selbst höchst nothwendig braucht. Viele Beamten und Pfarrer erschöpfen nun nicht den Geist des Gesetzes, sondern kleben an dem Buchstaben. Der Zwang, mit dem sie den Vätern und Kindern drohen, erzeugt Widerwillen. – Vieles, was in den schönen Gegenden mit gutem Erfolg geschehen kann, läßt sich im Ochsenfurter Gau nicht thun. Und umgekehrt.
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6) Einsichtsvolle und erfahrne Landgeistliche und Bauern fürchten nicht ohne Grund: daß Lehrer und Lernende über das Industrie-Wesen endlich ihren Hauptzweck zu sehr aus den Augen verlören. Belzen, Inoculiren, Spinnen, Stricken, etc. etc. beschäfftiget Lehrer und Lernende so sehr, daß man kaum daran denkt, Unterricht im Lesen, Schreiben, Rechnen, der christlichen Lehre, den Unterthanspflichten etc. zu geben oder zu nehmen. Wenigstens kommen oft beyde Theile ganz ermüdet an das Hauptgeschäfft. Ob denn nun bey so bewandten Umständen der
| Schade den Nutzen aufwiegen könne, will ich andern zu beurtheilen überlassen. So viel weiß ich gewiß: viele unserer braven Landsleute haben Belzen, Inoculiren, Spinnen, Stricken auch ohne Industrialschulen gelernt. Ich dächte, man sollte unsere Kinder vorerst zu guten Menschen bilden und ihnen zeigen, wie Betriebsamkeit belohnt, und wenn sie dahin gebracht sind, ihnen von Landesherrschafts wegen Vorschub thun, ihre Betriebsamkeit zu äussern. Ausser diesen sehr einfachen Wegen wären Belohnungen für die fleißigsten, wie in den Preußischen Staaten und in Hessen wohl das wirksamste
[1] Endlich
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7) scheint der Grund des Verderbens und der immer weiter um sich greifenden Armuth viel tiefer zu liegen, als daß er durch die gemachten Industrie-Anstalten allein gehoben werden könnte, so wenig als der so oft abgeänderte Gottesdienst bey den Studenten zu Wirzburg allein ihre Sittlichkeit zu erhöhen vermochte. Höchst bemerkenswehrt bleibt es daher immer, was jüngst P. Winter Dom-Prediger
| zu Wirzburg, auf seiner Kanzel sagte:
„Nichts als Industrie und immer mehr Ausschatzungen.“
- ↑ Das ist bereits geschehen, wie aus der Beylage zum CI. Stück der Wirzburgisch. gelehrten Anzeigen zu ersehen ist. Über N. 6. denken wir mit dem Herrn Verf. nicht ganz gleich. Der Schluß ist wohl zu übertrieben, weil einige das und jenes von selbst erlernten: so braucht man es nicht öffentlich lehren zu lassen. d. H.