Zum Gedächtniß eines deutschen Fürsten
Zum Gedächtniß eines deutschen Fürsten.
Ja, ein deutscher Fürst im echten Sinne ist es gewesen, der in den späten Abendstunden des 22. August auf seinem Schlosse zu Reinhardsbrunn seinem Land, unserem ganzen Volke entrissen wurde! Wer immer die Männer zählt, die in den letzten fünfzig Jahren an die große Wendung in den Geschicken unseres Vaterlandes ihre beste Kraft gesetzt haben, der wird den Namen des Herzogs Ernst von Koburg mit in die erste Reihe schreiben müssen. Welche Erinnerungen weckt nicht dieser Name, welche Bilder führt er herauf! Als der sechsundzwanzigjährige Herzog im Jahre 1844 seine Regierung antrat, da hatte Deutschland Dutzende von Herrschern, aber keinen Herrn, da hatten Einigkeit und Freiheit des Volkes wohl im Reiche des begeisterten Gedankens, des glühenden Wunsches eine Heimath, aber nicht in der Wirklichkeit – nun, da er an der Grenze menschlicher Jahre geschieden ist, steht unser Vaterland geeinigt und gebietend da, offen im Innern für die freie Bewegung des einzelnen, für die Mitarbeit aller am gemeinsamen Wohl. Und daß dieses letzte halbe Jahrhundert für unser Dasein nach außen wie nach innen so viel geändert und gebessert hat, das danken wir nicht zum letzten dem Wirken jenes wahrhaft deutschen und modernen Fürsten.
Ein Sohn seiner Zeit zu sein, ihre besten Regungen zu verstehen und daraus die Zukunft, den Fortschritt anzubahnen – welch’ schönere Aufgabe könnte es für einen Mann geben, sei er nun in den einfachen Wirkungskreis des Bürgers oder an einen verantwortlichen Posten im Staat, ja auf die Höhe eines Thrones gestellt. Aber welch schwerere giebt es auch für einen Regenten, der durch tausend Hindernisse der Gewohnheit und Erziehung zurückgehalten wird! Das Leben des Herzogs Ernst, das jetzt abgeschlossen vor uns liegt, zeigt, wie tief er jene Aufgabe erfaßte. Sein Entschluß von Anfang an war: im großen Kampfe der Geister sich mitten unter sein Volk zu stellen, mit ihm zu fühlen, zu sorgen, zu handeln. Er wollte als Landesfürst in demselben Sinne wie jeder andere auch zugleich ein deutscher Patriot, ein thätiger Bürger des Gesamtvaterlandes sein. Und die Natur hatte ihm zur Durchführung dieses Ziels die schönsten Gaben mit auf den Weg gegeben; einen eisernen Körper, einen frischen beweglichen Geist, ein lebhaftes Gefühl für alle Tüchtigkeit, für jedes selbständige Streben, einen muthigen Willen; sie hatte ihm auch die leichteren Talente nicht versagt, die ein Leben freundlich schmücken, besonders das der Musik. Dazu kam, daß er durch seine Verwandtschaften – sein Oheim, Leopold I., war König der Belgier, sein einziger jüngerer Bruder, Albert, wurde der Gemahl der Königin Viktoria von England – von selbst in einen weiten politischen Gesichtskreis gestellt und zu einem hervorragenden Einfluß berufen war. Das alles mußte, im Dienst der beherrschenden volksthümlichen Sache verwendet, dem Herzog ein reiches Wirken, unserem Vaterland eine zuverlässige Hilfe in seinen Nöthen sichern.
Es kann hier nicht der Ort sein, die Verdienste des Fürsten, welche die „Gartenlaube“ so oft und so gerne zu würdigen bestrebt war, im einzelnen zu verfolgen. Nur einen Kranz dankbarer Erinnerung möchten wir auf sein frisches Grab legen, indem wir im Gedächtniß unserer Leser noch einmal mit flüchtigen Umrissen jene Bilder erstehen lassen, in deren Mittelpunkt seine kernige Gestalt sich zeigt.
Was man sich von dem jungen Herzog versprechen durfte, das bewiesen schon die ersten Jahre seiner Regierung. Statt wie die meisten seiner Standesgenossen zu erschrecken vor dem Geist der neuen Zeit, der überall in den deutschen Landen sich regte, ließ er den kräftigen Athem desselben frei auf sich einströmen. Und es bekümmerte ihn wenig, daß er damit nicht eben in den Ueberlieferungen des Koburgischen Hauses wandelte. „Wir Koburger müssen wieder ehrlich deutsch werden“, dieses goldene Wort, das er damals an seinen Oheim Leopold I. schrieb, kam aus dem tiefsten Grund seiner Seele. Zunächst zeigte er im eigenen Land, welche Bahn er sich vorgezeichnet hatte. Er fand seine Stände im Streit mit der Regierung; nachdem er erkannt hatte, daß sie in mehreren Punkten nur das Billige verlangten, stand er nicht an, zu erklären: „Ihr habt Recht und sollt es behalten!“ Und was ein offenes gerechtes Fürstenwort vermag, trat alsbald zu Tage. Die Gemüther beruhigten sich, und als sie in den stürmischen Jahren 1848 und 1849 aufs neue tiefer und nachhaltiger aufgewühlt wurden, gelang es ihm auch da, sich den Frieden mit seinem Volke zu bewahren. Wo er begründete Klagen hörte, stellte er die Mißstände ab, tumultuarischen Ausschreitungen trat er muthig entgegen. Sein persönliches Eingreifen machte den Herzog bald jedem bekannt und gewann ihm Vertrauen und Dankbarkeit. Denn die Bürger seines Landes fühlten, daß er handelte nach seinem Wort: „Ich bin frei davon, meine Person vom Volke zu trennen“, daß in seinem Herzen Blut von ihrem Blute quoll.
Und dieser Eindruck seiner Person war es auch, der seinem Wirken in der großen nationalen Sache Deutschlands von Anfang an einen ungeahnten Erfolg verlieh. Von 1848 an war des Herzogs Name überall zu treffen, wo es die freiheitliche und einige Gestaltung unseres Vaterlandes galt. Als 1849 die Bundestruppen zum Schutz der Stammesbrüder in das bedrohte Schleswig-Holstein einrückten, ließ sich Ernst II. den Oberbefehl über eine Brigade geben, und unter seinem Kommando fand am 5. April jener Kampf bei Eckernförde statt, durch welchen der [619] Landungsversuch der Dänen glänzend vereitelt, ihr bestes Schiff, Christian VIII., vernichtet wurde.
Der jubelnde Wiederhall, den dieser Sieg in ganz Deutschland hervorrief, verwandelte sich aber nur zu bald in schmerzliche Entrüstung, als die Schleswig-Holsteiner an Dänemark ausgeliefert, alle Hoffnungen betrogen wurden. Der Herzog lieh dem allgemeinen Empfinden seine gewichtige Stimme, er protestierte laut gegen das Unrecht, das man hier an einem heldenmüthigen deutschen Stamme verübte, und ließ nicht nach, für die Befreiung der Herzogthümer einzustehen, bis das Jahr 1864 ihr Schicksal zum Besseren wandte, freilich in anderem Sinne, als er es sich gedacht.
Was die schleswig-holsteinische Frage von allen Patrioten verlangte: ein langes, überlanges Kämpfen und Harren, das forderte nicht weniger der Streit um die Einheit und Freiheit des Vaterlandes. Ernst II. fühlte so lebhaft wie einer die Erbärmlichkeit der deutschen Kleinstaaterei, den Mangel einer festen Kraft nach außen und innen. Freudig begrüßte er daher das erwachende Selbstgefühl der Bürger, das sie zu politischer Macht erheben mußte, und die Frankfurter Nationalversammlung des Jahres 1848, in der endlich eine Vertretung des gesamten Volkes vorhanden war. Freilich, die Freude war auch hier nur von kurzer Dauer. Weder ein deutscher Kaiser noch ein deutsches Parlament erhob sich aus der Sturmfluth jener gährenden Zeit. Nun galt es, in den kommenden Jahren des Rückschrittes den Glauben an die höhere Bestimmung unseres Volkes, die Hoffnung auf bessere deutsche Tage nicht zu verlieren und mehr als ein Jahrzehnt lang in mühsamer Arbeit jene Kräfte zu sammeln und zu leiten, die auf das eine große Ziel unentwegt hindrängten. Und hier hat Herzog Ernst seinen schönsten Platz gefunden. Er suchte erst durch die Fürsten selbst das Werk der Einigung zustande zu bringen, er war es vor allem, der den Gedanken des deutschen Fürstenkongresses in Berlin faßte, auf welchem im Mai 1850 die Regierenden noch einmal sich daran machen sollten, den alten Bundestag zu begraben und den Grund zu legen zu einem festen deutschen Staatenbau unter Preußens Führung. Der Versuch mißlang, und der Herzog richtete nunmehr sein unermüdliches Bestreben darauf, durch die Begeisterung und Sammlung der breiten Schichten des Volks von unten her in die Bahn zu leiten, was von oben her nicht gelingen wollte. Zunächst bot er im eigenen Lande allen eine sichere Statt, die um ihrer freien Meinung willen verfolgt wurden. Koburg-Gotha war eine Oase, in der die vor den Dänen flüchtenden Holsteiner ebenso gastlich aufgenommen wurden wie die Kurhessen, welche ein schmähliches Gewaltregiment aus ihrer Heimath verjagte. Hier galt eine liberale Verfassung, hier war die Presse frei von jeder Censur. Und als 1859 von den besten Männern der Nationalverein gegründet wurde, lieh Ernst II. auch ihm Schutz und Förderung. Den Höhepunkt seiner Volksthümlichkeit aber erreichte er in den Jahren 1861 und 1862 auf jenen großen Schützenfesten zu Gotha und Frankfurt am Main, deren Urheber er selber war. Er wollte mit dem „Deutschen Schützenbund“, dessen Gründung ihm in Gotha gelang, ein neues nationales Band um die getrennten Stämme schlingen, der Fluth der Einheitsbestrebungen einen neuen gesammelten Strom zuführen.
Wir Alten können den Heutigen nur schwer eine Vorstellung geben von der Begeisterung, die sein Vorgehen entfesselte, von dem Gewicht, das es ausübte. Das Fest in Gotha vom 7. bis 11. Juli 1861 war eine That. Von 236 Städten und Ortschaften eilten die Schützen auf die Einladung der Gothaer herbei, jedes Land von Bedeutung war vertreten, jede Stadt von Königsberg und Danzig bis nach Aachen und Freiburg, von Rendsburg bis München. In Gotha war Haus für Haus bekränzt und beflaggt, das Schwarz-Roth-Gold der Fahnen stach überall bedeutungsvoll hervor. Bis in die Kleinigkeiten herab zeigte sich der große Hintergrund, der tiefere Sinn des Festes. Die Scheiben trugen die Namen der Kampfes- und Geisteshelden aus den Befreiungskriegen, viele ihrer Inschriften wiesen auf das „eine Ziel“. Am Giebel des Gabentempels prangte das Bild Barbarossas, wie er sich erhob von jahrhundertelangem Schlaf. Und als der Herzog in seiner Ansprache frei bekannte: „Das edle deutsche Volk fühlt sich in seiner Kraft. Nach Einigung drängen die Massen … Das Hauptziel des gemeinsamen Strebens sei Wahrung der Ehre und Schutz des großen deutschen Vaterlandes – in diesem Gedanken laßt uns die Bruderhand reichen!“ – da brach ein Beifall, ein Enthusiasmus ohne gleichen los, da drang weithin das Gefühl durch, daß die Zeit, in Worten zu glänzen, vorüber sei, daß man nach Thaten verlange.
Was in Gotha sich ereignete, war aber nur das kleinere Vorspiel für das erste deutsche Bundesschießen zu Frankfurt am Main im nächsten Jahre. Als Ehrenpräsident des Bundes erschien auch der Herzog, und das Bild, das er hier bot, die Gesinnung, die er zum Ausdruck brachte, gewannen ihm vollends aller Herzen. Wie seine stattliche Gestalt in der einfachen Schützenjoppe unter die Versammelten trat, ungezwungen und frei, begrüßten die Zehntausende, die herbeigeeilt waren, jubelnd in ihm die seltene Erscheinung eines Fürsten, der sich mitten im Volk als ein Theil des Volkes bewegte. Was er ihnen galt, das zeigt im kleinen jener Zuruf eines Arbeiters, der dem Herzog, als dieser auf dem Frankfurter Fürstentag von 1863 mit anderen Standesgenossen vorüberfuhr, erst ein schallendes Hoch zurief und dann die Worte folgen ließ: „Das gilt dem Koburger, daß Ihr’s wißt!“
Freilich, dieser Jubel der Feste führte auch zu einem [620] Rückschlag. Man ersehnte mit Schmerzen die lebendige Frucht, die aus dem allem erwachsen sollte und doch so lange auf sich warten ließ; man sah tausend Wege, aber keine Bahn. In einem Gedicht an den Herzog gab Friedrich Hofmann dieser Enttäuschung beredten Ausdruck. Er sprach dem Fürsten von denen,
„Die jubeln in den Tag hinein
Ob unsres Siegs vor fünfzig Jahren
Und sehen nicht den Feuerschein
Der tückisch züngelnden Gefahren.
Sie ziehen stolzerfüllt von Fest
Zu Fest mit schwarz-roth-goldnen Fahnen,
Soweit man die sie tragen läßt –
Nur was uns droht, will keiner ahnen!“
Und in seiner Antwort bestätigte Ernst II: „Ja wohl, die Zeit ist trüb! Zwietracht und Schwäche auf den Thronen, Mißgunst und Eigenliebe im Schoße der Parteien, viel hohle Phrasen und schöne Worte, wehende Fahnen und donnernde Hochs! Wo sind die Handlungen, wo die Thaten?“ Aber die Thaten sollten folgen, der Handelnde war da. In rascher gewaltiger Folge vollzog sich unter Bismarcks Leitung, was jahrzehntelang die Besten vergebens erträumt hatten: in Krieg und Sieg wurde die deutsche Kaiserkrone neu geschmiedet.
Der Herzog sah erfüllt, was er mit scharfem staatsmännischem Blicke schon lange als die einzige Rettung erkannt und doch eine Zeitlang kaum mehr zu hoffen gewagt hatte, daß Preußen „die in so viele Staaten zersplitterte Kraft Deutschlands in sich politisch, militärisch und geistig vereinige“. Und wie er sich 1866 der Sache des Königs Wilhelm von Preußen angeschlossen hatte, so war er auch 1870 und 1871 einer der Eifrigsten von denen, die zur Gründung eines deutschen Kaiserreiches drängten. Er legte schon im Oktober 1870 seinen Plan für Deutschlands Neugestaltung in einer Denkschrift dem Grafen Bismarck vor und hatte die Genugthuung, von diesem zu hören, daß alle wesentlichen Gedanken der Denkschrift von dem Kanzler seit langer Zeit als die seinigen verfolgt worden und seit dem Beginn des Kriegs fast ohne Einschränkung in der Ausführung begriffen seien. Die schönste Belohnung aber für die Treue und die Bedeutung seiner Arbeit durfte er in den Worten finden, die am 18. Januar 1871 der neue Kaiser der Deutschen an ihn richtete. „Ich vergesse nicht,“ sprach dieser, „daß ich die Hauptsache des heutigen Tages Deinen Bestrebungen mit zu danken habe.“
So war denn, doch noch früher als er gedacht, der Wunsch in Erfüllung gegangen, den Herzog Ernst bei seinem 25jährigen Regierungsjubiläum 1869 ausgesprochen hatte: „Sollte mir der Himmel bescheren, das Silberfest des heutigen Tages dereinst im Greisenalter als goldenes zu feiern, dann gebe er mir auch – das ist der Wunsch meines Lebens – daß ich Deutschland einig und mächtig sehe.“ Es war dem Fürsten vergönnt, nun, da die eine große Aufgabe gelöst war, im Schutze des Friedens, dessen mächtiger Hort das neue Reich wurde, noch lange Jahre mitzuarbeiten an einer anderen Aufgabe, die er nicht minder werth hielt: sein Land zu einer Pflanzstätte der Wissenschaft und Kunst zu machen, alles Schöne zu fördern. Das goldene Jubiläum seiner ehelichen Verbindung mit der Prinzessin Alexandrine von Baden brachte noch im vorigen Jahre ein besonderes Glück in dieses Leben, das dem Ende zugehen sollte.
Nun ist es geschlossen. Die Anstrengungen, die sich der Herzog bei den jüngsten Opernaufführungen in Gotha zumuthete, waren auch für seinen Körper zu viel.
Sehen wir zurück auf das, was er gewollt und geleistet hat und was er in einem hervorragenden schriftstellerischen Denkmal, in den Denkwürdigkeiten aus seiner Zeit und seinem Leben, selbst erzählt, so müssen wir gewiß bekennen, daß auch er zuweilen das Rechte auf dem falschen Pfad gesucht hat. Aber Täuschung und Irrthum bleiben dem Wanderer auf keinem Wege erspart. Er durfte das Bewußtsein unbeirrter Vaterlandsliebe auch in seinen Fehlgängen mit sich nehmen, das Bewußtsein, sein Bestes gethan zu haben für sein Volk.
Daß die Gegensätze, die er einst durchleben mußte und die seine Arbeit schwer
machten, für immer vernichtet und begraben sein möchten, das ist der Wunsch,
mit dem wir von diesem Bild eines echten deutschen Fürsten scheiden. Ihm selbst
aber ein dankbares Gedächtniß! M. A.