Das schöne Limonadenmädchen

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Autor: E. M. Vacano
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Titel: Das schöne Limonadenmädchen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36–38, S. 605–610, 621–623, 643–647
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das schöne Limonadenmädchen.

Erzählung von E. M. Vacano.[1]0 Mit Illustrationen von Fritz Bergen.

Die Geschichte, die ich heute erzählen will, ist keine erdachte, keine Kunstnovelle. Lieber als die Gestalten, die ganz aus der Phantasie entstanden sind, die sich bewegen und reden nach der Stimmung des Verfassers, wie der sich’s erträumt hat – schildere ich Personen, die wirklich gelebt, deren Herzen wirklich geschlagen, deren Lippen wirklich gelächelt haben. So erzähle ich denn auch dieses Geschichtlein nur nach, wie’s etwa ein alter deutscher Sänger gemacht hat, wenn er vor den Bildern in der Halle seiner Burg auf und abschritt an Wintertagen, während der „schriber“ in der tiefen Fenstermulde das Diktierte mit kunstvollen Buchstaben in das Pergament einzeichnete.

Von der Heldin dieser Erzählung las ich zum ersten Mal in dem Tagebuch, das der russische Generalstabsoffizier Moritz von Kotzebue während seiner französischen Gefangenschaft in den Jahren 1812 bis 1814 nieberschrieb. Mit bewundernden Worten schildert er da, wie er in dem „café des mille colonnes“, so genannt nach den Säulen, die sich endlos vervielfältigten in den reichen Spiegelwänden des Kaffeehauses, die schönste Frau getroffen habe, die er je in seinem Leben gesehen – das „schöne Limonadenmädchen“, von dem ganz Paris spreche, zu dem ganz Paris wallfahre. Meine Neugier war erregt. Die schönste Frau, die ein Offizier, der die ganze Welt durchwandert hatte, je gesehen! In meinem Geiste stellte sich ihr Bild mit dem berühmten Gemälde des „Chokoladenmädchens“ von Liotard zusammen und ward gleichsam eins mit demselben. Und ich gab nicht nach, bis ich die wirkliche Geschichte dieser wunderbaren Frau aus der Napoleonischen Zeit aufgestöbert hatte, die Geschichte, die ich nun erzählen will.

1. 0Das Rubenshaus.

Das Haus, das einst Peter Paul Rubens in Antwerpen bewohnt hat, ist heute durch eine breite Mauer in zwei Theile getheilt. Der eine davon wurde in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts von einem Banquier bewohnt, der den guten Geschmack besaß, dem Gebäude jenes Aussehen zu lassen, das es noch aus der Zeit des Königs aller vlämischen Maler sich bewahrt hatte; nur die Ateliers waren verschwunden. Der Hintergrund des Gartens aber wies noch die kleine Hütte auf, in welcher einst Helene Fourment kühlen Schatten suchte, während Rubens inmitten seiner Schüler unter freiem Himmel malte und auf seinen Gemälden mit dem Licht und dem Glanz des hellen Tages wetteiferte.

In dem Flügel des Gebäudes, in dem der Banquier wohnte, herrschte der Reichthum und jene Behaglichkeit Flanderns, die sich seit Jahrhunderten so erhalten hat, wie sie uns aus den wohlthuenden Stimmungsbildern der holländischen und vlämischen Malerschule entgegentritt. Auf den Treppen lagen weiche Teppiche, an den Thüren hingen dunkelgetönte dicke Vorhänge herab; Wärmeöffnungen strömten eine behagliche Temperatur aus. Vorzüglich aber war das Wohnzimmer der Dame des Hauses ein wahres Nest von Behaglichkeit und Glanz. Ein Künstler hatte den Marmor des Kaminmantels gemeißelt. Das Spiegelglas über demselben ließ in einen wundervollen Wintergarten blicken, dessen grüne fremdländische Blattpflanzen gar hübsch abstachen gegen den wirbelnden Schnee des Wintertages draußen. Zugleich war dieser große Raum das Kleinodienkästchen für die schönsten Kunstwerke des Hauses; unter den kostbaren Bildern berühmter Mater der Blüthezeeit sah man da auch verschiedene Familienporträts aus dem Stamme der Rubens.

Wer in dieses Zimmer trat, mußte sich wohl fragen: wie kommt der Bewohner dieser Räume zu all den Familienstücken hier? Und der Fremde, der die Fassade des Hauses in Begleitung seines Antwerpener Führers betrachtete, fragte den letzteren sicherlich: „Wie kommt es, daß man den Herrn Banquier van Eyckens in einem Hause wohnen läßt, das eigentlich ein Heiligthum der alten Künstlerstadt und in öffentlichem Besitz sein sollte?“ Und die Antwort würde gelautet haben: „Weil dieses Haus und diese Bilder ein Erbtheil der jungen schönen Gattin des reichen und stattlichen Geldfürsten sind. Denn sie hieß als Mädchen Pauline Rubens und ist eine Ur-Urenkelin des Malerfürsten.“

Madame van Eyckens war wirklich werth, ein Nachkomme des Künstlers zu sein, dessen Ideal die Schönheit und die Lebensfreude war. Wie sie jetzt am Kamin ihres winterdunklen prächtigen Zimmers stand, glich sie ganz den Heldinnen jener Bilder aus der Zeit der vlämischen Kunstblüthe. Ihr gelblichweißes Atlaskleid, die purpurrothe, mit weichem weißen Pelzwerk besetzte Jacke, der wunderbar schöne Kopf mit den sammetschwarzen sanften mandelförmigen Augen, den schöngeschwungenen Lippen, dem reichen dunkelglänzenden Haar – das alles wirkte zusammen zu der überwältigenden Schönheit dieser Erscheinung. In die knisternden Falten des Atlaskleides hatte sich ein kleiner vierjähriger Knabe geschmiegt, mit den langen Seidenlocken der deutschen Märchenprinzen. Auch der Gatte der schönen Frau, der Großhändler und Geldmann van Eyckens, war da – ein noch junger Mann, in seiner Stattlichkeit der bewunderten Gattin wohl ebenbürtig. Aber sein wohlgebildetes Antlitz war jetzt verstört und gleich dem seiner Gattin totenbleich.

„Unmöglich!“ rief Pauline van Eyckens mit zitternder Stimme. „Alles soll verloren sein? Alles? So plötzlich?“

Er rang die Hände und warf sich in die Damastkissen des Sofas, als lasse er sich in einen Abgrund fallen – so erschöpft, so außer sich, so ohne Fassung. „Plötzlich? Ach, ich hatte Dir den langsamen Weg abwärts verschwiegen, Pauline! Ich habe gekämpft und gekämpft, bis endlich das ganze unterwühlte Gebäude unseres Glanzes, unseres Reichthums und – meiner Ehre über uns zusammengebrochen ist!“

[606] „Deiner Ehre? Das darf, das kann nicht sein!“ rief sie heiser, sich stolz aufrichtend, ihre Hand wie in gebieterischer Abwehr ausgestreckt, die schwarzen Augen flammend.

„Ach, was versteht Ihr Frauen davon!“ entgegnete er mit der Rücksichtslosigkeit, welche das Unglück in schwachen verwöhnten Glückskindern wachruft. Und Herr van Eyckens war ein Schwächling trotz all seiner glänzenden Eigenschaften; er war es in demselben Grade, in dem seine zarte junge Frau stark und tapfer war. „Verlust über Verlust hat mich getroffen,“ fuhr er grollend fort. „Ein Unglück zieht da das andere nach sich – wo sich erst ein Mörtelstückchen loslöst, klafft bald eine Lücke. Dann kam das Schreckliche – die Handelsschiffe, die mir zu Grunde gingen. Ich mußte suchen, die Lücke wieder auszufüllen, ich spekulierte – spekulierte gewagt, tollkühn, wie eben ein sinkender Mann spekulieren muß. Ich setzte die Gelder anderer dran, um mich, um uns vielleicht dennoch zu retten – nun ist alles verloren! Nur schleunige Flucht kann mich vor dem Gefängniß, vor einer entehrenden Verurtheilung retten. Flucht! Was rede ich von Flucht! Sterben muß ich!“ Und er vergrub sein Gesicht in die verschlungenen Arme, in die Polster des Sofas, und ein lautes Stöhnen schien ihm die Brust zersprengen zu wollen.

Jetzt aber lag sie auch schon neben ihm auf den Knien; ihre weißen Arme umklammerten ihn und hielten ihn fest, fest, als wollte sie einen Versinkenden aus brandenden Fluthen emporhalten mit Aufwendung aller ihrer Kräfte. „Sterben?“ keuchte sie. „Du, Du, Georg? Dein Weib verlassen und Dein Kind? Unseren Adrian? Das kannst Du nicht wollen, das wäre feig, und Du bist nicht feig, Du bist es nicht, wie könnte ich Dich sonst so lieb haben!“ Und auch ihr Schmerz zerfloß jetzt in Thränen. Aber sie besaß ein tapferes muthiges Herz, diese mädchenhafte Frau von zwanzig Jahren, die man fast noch für ein Kind hätte halten können; sie richtete sich entschlossen auf. „Es muß einen Ausweg geben, eine Rettung!“

„Es giebt keine!“ erwiderte ihr Gatte tonlos. „Kaum daß es mir geglückt ist, Deine Mitgift zu retten aus dem allgemeinen Zusammenbruch. Du brauchst nur die Schriften zu unterzeichnen, die ich hier mitgebracht habe, und Dich auf unseren Heirathsvertrag zu berufen ...“

„Wie, Georg? Ich sollte wohlhabend bleiben, während Du in Schande und Tod getrieben wirst? So also verstehst Du unsere Vereinigung, die Treue, die wir einander gelobt haben? Du redest von meiner Mitgift – Gott gebe, daß die halbe Million genügt, um die Gelder, die Dir anvertraut waren, zu decken, Deinen Namen rein zu erhalten! Warum willst Du diesen Ausweg nicht? Ich habe Deinen Reichthum getheilt und werde fortan Dein Elend theilen. Du darfst nicht sterben, Georg! Wir geben den Gläubigern, was wir besitzen, und sagen ihnen, daß wir arbeiten wollen – arbeiten ohne Unterlaß, Tag und Nacht, bis wir die letzte Schuld getilgt haben. Der Himmel wird uns Muth und Kraft dazu verleihen, Geliebter!“

„Aber das Elend, die Armuth, die Schande, Pauline . . .“

„Armuth ist noch nicht Schande!“

„Und unser Kind?“

„Unser Kind? Wir werden ihm einen ehrlichen Namen hinterlassen, das wird mehr sein als Gold. Wir werden ihn arbeiten lehren, an ein stilles fleißiges Leben gewöhnen. Das übrige ist Gottes Sache!“

„Aber ich kann dieses Opfer nicht von Dir annehmen! Ich allein bin der Schuldige, ich allein muß die Folgen meines Leichtsinns oder meines Irrthums tragen! Du darfst es nicht. Du nicht!“

Sie lächelte – eine rasche Bewegung und die Schriften, die sie vom Tische genommen hatte, flatterten zerrissen in das Feuer des Kamins, in diese ruhige behagliche Flamme, umrahmt von dem künstlerischen Marmorgewinde.

„Pauline!“ rief er.

Sie antwortete nicht, sondern klingelte.

Frau Hinrik, ihre Kammerzofe, trat ein, eine echte vlämische Erscheinung: groß und stark, nichts weniger als anmuthig; alles bei ihr ging in die Breite. Die Haare hatte sie so straff nach hinten gestrichen, daß es schien, als hätten sie die Augenbrauen in die Höhe gezogen – wenn man die blonden Schatten über den rehbraunen runden Augen überhaupt so nennen konnte. Ihr Stumpfnäschen schaute aus dem weißen Gesicht munter und zugleich erstaunt in die Welt. Ihre Schürze, ihr Krägelchen, ihre Manschetten waren immer so blendend weiß, daß es den Eindruck machte, als rieche die ganze Person nach Waschtag und Plätteisen.

„Frau Hinrik,“ sagte Pauline gefaßt, „wissen Sie, wann vom ‚Goldenen Lamm‘ der Stellwagen nach der französischen Grenze abfährt?“

„Um sieben Uhr, Madame.“

„Dann gehen Sie sogleich hin und lassen zwei Sitze vormerken. Zwei Innensitze!“

„Zwei Innensitze?“ fragte die Hinrik erstaunt und gedehnt.

„Ja. Hören Sie denn nicht? Auf was warten Sie noch?“

Die Hinrik ging schweigend hinaus, und bald darauf sah man sie mit einem dicken Tuch über Kopf und Schultern durch das Schneegestöber der Gegend zutraben, wo sich der Gasthof zum „Goldenen Lamm“ befand.

„Unsern Adrian werde ich auf dem Schoß halten,“ sagte Frau van Eyckens lächelnd zu ihrem Gatten, als die Dienerin sich entfernt hatte. „Wir haben noch den ganzen Nachmittag Zeit. Ich packe rasch einen Koffer mit Wäsche und den nöthigsten Kleidern. In meiner Sparbüchse – ach, es ist das tönerne Büchschen, das mir Adrian vom letzten Jahrmarkt mit nach Hause brachte! – befinden sich viertausend Franken, die ich mir nach und nach von meinem Nadelgeld erspart habe. Das ist das einzige Geld, das wir mit gutem Gewissen mitnehmen dürfen. Und Du, Georg, fasse Muth! Besprich Dich mit Deinem ersten Buchhalter! Herr Goevaert ist klug und treu – er muß die ganze Lage des Geschäftes erfahren. Gieb ihm eine Generalvollmacht und laß die Urkunde aufsetzen, in der ich meine Mitgift Deinen Gläubigern überlasse. Die Veröffentlichung unseres Ruins darf uns nicht mehr hier treffen. In Frankreich, in Paris lassen sich die Ereignisse besser abwarten. Und sollte Deine Anwesenheit hier nothwendig werden, so kannst Du immer wieder zurückkehren.“

Eine wunderbare Entschlossenheit war über sie gekommen und sprach aus jedem ihrer Worte. Georg van Eycken fügte sich in allem den Anordnungen seiner Gattin. Mit dem Reichthum schien seine ganze Thatkraft, sein ganzes vornehmes Selbstbewußtsein verschwunden zu sein. Es giebt Menschen, die nur in der Treibhauswärme des Ueberflusses leben können, die nur da Halt und Ansehnlichkeit bewahren. Kommt die Armuth, so legt sie sich tödlich über sie wie Frühlingsfrost über Blüthen.

Es war schon finster und die Laternen warfen ein kümmerliches Licht über die Straßen, als der Stellwagen dem Stadtthore zu holperte. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß sich die beiden Gatten mit ihrem Kind allein in dem Gefährt befanden. Als der Wagen aus dem Thore rollte, brach der junge Banquier wie in sich selber zusammen und schluchzte auf. Seine Gattin zog ihn an sich, lehnte das Haupt des Unglücklichen an ihre Schulter und setzte den Knaben auf den Schoß dieses verzagten vernichteten Mannes mit der reckenhaften Gestalt und dem verzweifelnden Herzen.

„Der Himmel wird uns nicht verlassen,“ sagte sie mit sanfter Stimme, „denn wir haben unsere Pflicht gethan.“


2. Lebensstürme und Strandgut.

Nach langer mühseliger Fahrt kamen die Flüchtlinge in Paris an und stiegen in einem bescheidenen Gasthaus ab. Nichts vermag so sehr die Traurigkeit des Gemüthes zu vermehren als diese kleinen kahlen Miethwohnungen, die sich dem ersten Besten öffnen, die ewig ihre Bewohner wechseln und deren schäbige und gebrechliche Möbel von dem Glückswechsel früherer Besitzer erzählen, von zwangsweisen Versteigerungen, bei welchen sie gesammelt wurden. Wie traurig war da die erste Nacht für die Drei! Van Eycken hatte fast keine Antwort auf die Ermuthigungen seiner jungen Frau, der kleine Adrian schmiegte sich ängstlich, verschüchtert an die Mutter, und Pauliue mußte all’ ihre Kraft zusammennehmen, um nicht selber zu verzweifeln und in einen Strom von Thränen auszubrechen.

Ueber die nächsten Wochen kann man kurz hinweggleiten. Der Kampf mit dem Leben begann. Pauline suchte und fand in einer Vorstadt eine kleine, im vierten Stockwerk gelegene Wohnung, die nicht allzu theuer war und im Sommer wenigstens den Blick auf das Grün der benachbarten Gemüsegärten freilassen mußte. [607] Und nun, nachdem sie wieder ein nothdürftiges Heim besaßen, galt es, nach Arbeit zu schauen. Und das Glück gönnte ihnen einen bescheidenen Sonnenstrahl. Sie fanden beide Beschäftigung bei einem Kaufmann, dem Georg die Bücher führen sollte, während seine Frau Stickereien und Toilettearbeiten anzufertigen hatte. Daneben versah die muthige Frau noch die kleine Wirthschaft und that alles, was die Sorge für ihr Kind irgend erforderte.

Während das Ehepaar sich so in die Armuth einzuleben versuchte, verbreitete sich in Antwerpen erst langsam und dann mit Blitzesschnelle die Nachricht von dem Sturz des großen Handelshauses und erregte einen Sturm von Unwillen und Angst. Denn obgleich Pauline ihr großes Erbe zur Masse geschlagen hatte, verloren die zahlreichen Gläubiger doch immer noch ein Viertel ihrer Forderungen. In Paris würde die edelmüthige Entsagung der jungen Frau, die ihre ganze Habe opferte, für eine Narrheit gehalten worden sein; in Antwerpen, wo noch patriarchalische Sitten herrschten, verwunderte man sich nicht einmal darüber. Für alle Antwerpener hatte Frau van Eyckens einfach ihre Pflicht erfüllt, und nicht einmal die Schuld oder die Unvorsichtigkeit ihres Gatten erschien diesen dadurch in einem milderen Licht. Die Gläubiger theilten sich in das ganze noch vorhandene Vermögen, ohne sich viel darum zu kümmern, daß Pauline und ihr Kind an den Bettelstab geriethen. Doch gelang es den Bemühungen einiger Freunde und vor allem dem selbstlosen Eifer des ersten Buchhalters, wenigstens die Ehre des Banquiers zu retten; die Gläubiger willigten in einen Vergleich, und der Bankerott wurde nicht gerichtlich erklärt. Das waren die Nachrichten, welche die beiden Gatten in Paris ereilten, und zwar durch einen unerwarteten Boten.

Eines Morgens nämlich, als Pauline, einen Korb am Arm, mit ihren kleinen Wirthschaftseinkäufen vom Gemüsemarkt nach Hause ging, müde von der Arbeitslast, die auf ihr lag, stieß plötzlich eine Frau, die von der entgegengesetzten Seite der Straße kam, einen Ruf der Ueberraschung aus. Freude und Bestürzung mischten sich in diesem Schrei. Es war Frau Hinrik, die getreue Hinrik, die in dieser Weise ihren Gefühlen Luft machte beim Anblick ihrer einstigen Herrin, welche wie eine Dienerin gekleidet ging und den plumpen Korb schleppte; die robuste, einfältige, aber goldherzige Vlämländerin konnte sich der Thränen nicht erwehren.

„Frau Hinrik! Sie hier in Paris?“ rief Pauline erstaunt.

„Ja, ich bin heute morgen angekommen“, antwortete die Magd halb schluchzend, halb lachend. „O, und wie gut ist’s, daß ich Ihnen nachgefolgt bin! Sie brauchen doch jemand, der Sie bedient! Du himmlische Güte, ich werde flennen müssen, so oft ich dran denke, wie ich Sie da wiedergefunden habe!“

„Sie – Du bist also nur unseretwegen hergekommen?“

„Warum denn sonst? Bin ich denn nicht bei Ihnen im Dienst, seit Sie auf der Welt sind? Habe ich Sie nicht schon als kleines Kind auf den Armen gehalten? Und kann ich denn leben ohne Sie, Madame? Ich sage Ihnen, vom Morgen bis in die späte Nacht habe ich geweint, seit Sie mich in Antwerpen allein zurückgelassen haben. Das Herz war mir stets voll zum Zerspringen. Zuletzt hab’ ich’s nicht mehr aushalten können. Ich habe den Herrn Buchhalter so lange gebeten, bis er mir die Adresse des gnädigen Herrn gab und den Weg sagte, den ich bis hierher zu nehmen hätte. Da hab’ ich mich denn auf die Reise gemacht und schon die Postkutsche bezahlen wollen, als mir einfiel, wir könnten vielleicht das Geld hier besser brauchen, und so bin ich statt dessen auf eigene Faust hergewandert, manchmal zu Fuß, manchmal auf einen Leiterwagen aufsitzend, wie sich’s eben traf. Der Weg war freilich lang und ich bin oft müde genug geworden, denn ich machte tüchtige Strecken, um nur desto eher bei Ihnen, bei unserem kleinen Adi und beim gnädigen Herrn zu sein. Na, bis hierher nach Paris ging’s gut trotz allem. Aber, Du lieber Himmel, seit ich in dieser verrückten großen Stadt bin, kenne ich mich nicht mehr aus! Ich verirre mich in den Gassen, und wenn ich rechts gehen soll, gehe ich just verkehrt. Zuletzt wußte ich gar nicht mehr wo aus und ein, bis ich da auf einmal vor Ihnen stehe! Ist das eine merkwürdige Geschichte! O, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich mich erst auf den kleinen Adi freue! Ich könnte wahrhaftig mitten auf der Straße zu tanzen anfangen!“

„Daheim kannst Du tanzen, soviel Du willst – da sind wir schon!“

„Und ich lasse Sie da immer den schweren Korb tragen! Wo hab’ ich meine Gedanken! Die Freude, daß ich Sie endlich wieder habe, macht mich ganz wirbelig!“

Und Frau Hinrik nahm ihrer jungen Herrin den Korb fast mit Gewalt ab und folgte ihr in das düstere kasernenartige Wohnhaus.

Im ersten Stockweck angekommen, blieb sie stehen. Pauline lächelte traurig und sagte: „Wir sind noch nicht am Ziel, es geht noch drei Treppen hinauf.“

„Die Häuser hier in Paris scheinen wahre Kirchthürme zu sein,“ rief die Hinrik, den Korb fester fassend und lustig weiterschreitend.

Die Anwesenheit der Frau Hinrik in der Familie van Eyckens brachte freilich eine Person mehr in die Kost, enthob aber die junge Frau der gröbsten Arbeiten und gestattete ihr, desto mehr Zeit auf ihre Stickereien zu verwenden und auf diese Weise das kleine Einkommen zu vermehren, von welchem sie jetzt leben mußten. Und dank ihrer Umsicht und dem fast krankhaften Geiz der Magd kam man eben durch. Frau Hinrik machte sich jedes Stück Brod, das sie aß, zum Vorwurf; wenn sie abends in die kleine Bodenkammer trat, die man für sie gemiethet hatte, zündete sie sich nicht einmal ein Lichtstümpfchen an. Bald übernahm sie noch im Hause die Bedienung mehrerer lediger Herren und von Zeit zu Zeit ließ sie irgend ein größeres Geldstück in die Tischlade ihrer Herrschaft gleiten und leugnete dann mit eherner Stirne, etwas davon zu wissen. Nur für ihren kleinen Adi wurde sie zu einer wahren Verschwenderin; sie ging nie mit ihm aus, ohne ihm eine Näscherei oder ein kleines Spielzeug zu kaufen, denn Adrian war ihr Stolz, ihr Abgott. Wenn die vierschrötige Vlämländerin mit ihrem „Adi“ an der Hand stolz und glücklich über die Gasse schritt, da kam ihr keine Königin gleich. Und als sie im Tuileriengarten einst zwei Damen davon sprechen hörte, daß die einzige anständige Gewandung für kleine Knaben ein Sammetkleidchen sei, da wurde sie von der fixen Idee erfaßt, Adrian müsse um jeden Preis in Sammet gehen. Sie arbeitete Tag und Nacht, strickte, stickte, that Dienste für alle Nachbarparteien, kroch förmlich vor den alten Junggesellen, bei denen sie aufräumte, um Extratrinkgelder zu erschmeicheln, und warf endlich eines Abends mit mürrischer Miene und hochroth vor Verlegenheit ein Stück Sammet auf den Tisch und sagte: „Da ist nun der Sammet zu dem Kleidchen für unsern Adi.“

Frau van Eyckens schaute erstaunt, fast bestürzt von ihrer Arbeit auf und sah bald den Stoff, bald die Magd an. „Was hast Du denn nur?“ Da fuhr die Hinrik fast giftig auf. „Nun freilich – wir können doch unser Kind nicht herumgehen lassen wie einen Betteljungen! Jeder anständige Knabe hat ein Sammetkittelchen – und Sie thun mir wirklich leid, Madame, wenn Sie das noch nicht wissen!“ Damit floh sie erbost aus dem Zimmer, und als Pauline ihr nacheilte, fand sie die treue Dienerin auf der Treppe zu ihrem Dachstübchen hockend, die blüthenweiße, brettsteife Schürze über den Kopf geschlagen, in herzzerbrechendem Schluchzen.

[608] Als Frau Hinrik am nächsten Morgen ins Wohnzimmer herunterkam, traf sie das Sammetkittelchen für den kleinen Jungen bereits fertig und ihn selber darin herumstolzierend. Pauline hatte die ganze Nacht daran gearbeitet, um der guten Seele die Freude zu machen, das Kind in seinem Staatsgewand schon am nächsten Tag in den Tuileriengarten führen zu können. Und Kindermagd und Kind stiegen an diesem Tag unter den in den Anlagen promenierenden Leuten umher wie ein großer und ein kleiner Pfau. So wenig ist nöthig, um zufrieden zu sein selbst im ärmsten Dasein.

Mitten in diesen bescheidenen Anfängen eines neuen Lebens traf ein zweiter entsetzlicher Schlag die arme junge Frau. Ihr Gatte hatte sich in den so völlig veränderten Verhältnissen nie von dem Unglück erholt, das ihn niedergeworfen: finster, hoffnungslos kam er seiner mechanischen Beschäftigung nach – immer tiefer in Entmuthigung und Trübsinn verfallend, bis sich diese eines Tages zum Wahnsinn steigerten. Er mußte in eine Heilanstalt gebracht werden und starb dort nach kurzer Zeit in Tobsucht. Seine Krankheit zehrte die letzten Mittel auf, die seiner Familie von früher noch geblieben waren.

Frau van Eycken hatte sich mit Ergebung, ja fast lächelnd, in die Armuth gefügt; aber das schreckliche Ende ihres Gatten brach ihre Kraft, ihren Muth. Sie erkrankte. Ihr ganzes Nervensystem schien zerrüttet, all ihr Lebensmuth war dahin. Sie verließ das Bett nicht; jeder Lichtstrahl, jedes Geräusch verursachte ihr die heftigsten Schmerzen, und das Elend, das nackte Elend zog ein in die kleine Wohnung und in das Dasein der Armen.


3.0 Der Herr Nachbar.

Ja, das nackte Elend hatte sich in der armseligen Stube eingenistet, welche Pauline mit ihrem Kinde noch bewohnte. Und diesem Elend mußte sogar die ängstliche vlämische Reinlichkeit weichen, die früher der Stolz der Frau Hinrik gewesen war; denn da sich die Magd in der Stube kaum regen durfte, ohne der Kranken lästig zu fallen, so legte sich der Staub langsam auf alles und jedes und verlieh der ganzen Wohnung das eintönige Grau der Vernachlässigung. Frau van Eycken beschäftigte sich mit gar nichts mehr; sie blieb gleichgültig gegen alles um sie herum und vermochte nicht einmal die einfachsten Aufträge zu geben, ohne sofort wieder die heftigsten Nervenschmerzen zu fühlen. Auf der guten Hinrik ruhte also die ganze Last der Arbeit und Verantwortung, und manchmal überkam die starke Frau ein solches Gefühl der Hilflosigkeit, daß sie nicht anders konnte, als den Nachbarinnen von links und rechts ihr Herz auszuschütten. Diese Nachbarinnen zögerten natürlich nicht, sich um jede Kleinigkeit zu bekümmern, die das Hauswesen der armen jungen Witwe betraf, ja sie drangen mit ihrem zudringlichen Bedauern, mit ihren Rathschlägen und Hausmitteln bis in die Krankenstube, und Pauline, hilflos, wie ihr Zustand sie machte, mußte das alles wie einen wirren Traum über sich ergehen lassen.

Zuweilen glimmte ein bewußter Gedanke in dem matten flügellahmen Geist der Kranken auf: gesunden – gesunden und arbeiten! Aber würde sie das jemals wieder können? Ach, nicht für sich bat sie den Himmel um Rettung, um Genesung, nur für ihr armes Herzensgut, für ihren kleinen Knaben.

Doktor Destrée, der Armenarzt des Viertels, der Frau van Eyckens behandelte, hatte veranlaßt, daß Adrian in eine Kleinkinderschule der Nachbarschaft aufgenommen wurde. Er predigte auch – freilich meist vergebens – gegen die Besuche der unruhigen und klatschsüchtigen Nachbarinnen. Denn alles, was er thun konnte, war, seine Patientin zu unbedingter Ruhe zu vermahnen und von der Zeit und dem Zufall die Genesung zu erhoffen, die im Gemüthe beginnen mußte.

Unter den Nachbarn, die manchmal in die Wohnung der schönen jungen Kranken kamen, befand sich auch ein kleines dürres altes Männchen aus dem „noblen“ zweiten Stockwerk. Herr Mussault – so hieß er – wurde von den Nachbarinnen der höheren Stockwerke wie ein Ausnahmewesen bewundert und beknixt, und obwohl er nicht viel redete und lieber zuhörte, wurde doch jedes seiner Worte wie ein Orakel aufgenommen. Das Geheimniß dieser Glorie und dieses Ansehens bestand in der Rente von zehntausend Franken, deren sich der Alte angeblich erfreuen sollte. Die Brille auf der Nase, ein gesticktes Hauskäppchen auf dem kahlen Scheitel, die Hände in den tiefen Taschen seines Hausrockes, saß er wohl in Paulinens Zimmer und hörte das Gewäsch der ungebetenen Besucherinnen mit so unzerstörbarem Gleichmuth an, daß man nicht wußte, ob er mit dem gelangweilten Interesse eines beschäftigungslosen Rentiers oder mit dem feinen Spott eines klugen Mannes zuhöre. Wie dem auch sein mochte – er wurde mit der Zeit ein stetiger Besucher der Frau van Eyckens und wurde fast als Hausfreund betrachtet. Er saß oft stundenlang da, nur manchmal irgend ein gleichgültiges Wort sprechend oder aus einer goldenen Dose eine ungeheure Prise nehmend, und dabei schien es doch, als ob er gleichsam warte. Aber auf was?

Es giebt Fischer, die stunden- und tagelang nach ihrer regungslosen Angelschnur sehen und mit unergründlicher Geduld auf das Fischlein warten, das den Köder verschlingen soll. Und es giebt Spinnen, die ohne Bewegung stunden- und tagelang in einem dunklen Winkel lauern und auf das leise Zittern ihres kunstreichen Gewebes harren, das ihnen anzeigt, eine Fliege mit goldschimmernden Flügeln habe sich in demselben gefangen. Und es giebt Bettler, die in ihrer schlechten Kammer im zerlumpten Bett Haufen von Goldstücken verborgen haben und dennoch stunden- und tagelang an der Landstraße hocken, in Sonnenbrand und Regen, mit heiserer Stimme ihr Elend betheuernd, bis es einem vorüberwandernden gutherzigen Handwerksburschen einfällt, von seiner eigenen fröhlichen Armuth ein mitleidiges Scherflein in den zerknüllten Hut des anscheinend noch Aermeren zu werfen.

So geduldig schien der alte runzlige Nachbar vom zweiten Stockwerk zu warten und zu lauern bei der bleichen hoffnungslosen Kranken. Aber auf was?

„Wer ist denn dieser Herr Mussault eigentlich?“ erkundigte sich mit der Zeit Doktor Destrée, der den Alten hie und da am Bett seiner Patientin getroffen hatte, bei einem in der Nähe wohnenden Bekannten, der stets über alles unterrichtet war.

„Wie, das wissen Sie nicht, Doktor?“ entgegnete der Allwissende verwundert. „Herr Mussault ist ja der Besitzer des Hauses.“

„Welches Hauses?“

„Nun, des Hauses, in dem er wohnt. Aber er will nicht dafür gelten. Er meint, es lebe sich ruhiger als ‚Partei‘.“

„Also ein Sonderling?“

„Etwas dergleichen, aber ein ganz vernünftiger und pfiffiger Sonderling. Er ist sehr reich und hat sich nach einem thätigen rastlosen Leben jetzt zur Ruhe gesetzt. Er ist, wie gesagt, Eigenthümer des großen Zinshauses, überläßt aber alle Geschäfte darin seinem verläßlichen ‚Intendanten‘ und lebt nur noch seinen Liebhabereien.“

„Was für Liebhabereien kann der Mann haben, der aussieht wie die verkörperte Langeweile!“

„Sie verkennen ihn, Doktor! Herr Mussault war in seinen jüngeren Jahren einer der bekanntesten und glücklichsten ‚Unternehmer‘. Er versuchte sich in allem, was Geld einträgt, war Spekulant, Impresario, Theaterdirektor, Cirkusbesitzer, Schaubudeninhaber, Hotelier, Straßenbauer – kurz er ist ein geschäftliches Universalgenie. Er hat eine Zeitlang neuentdeckte Diamantengruben in Brasilien ausgebeutet und mit Glück. Als dieselben zu versiegen begannen, schlug er sie mit Hilfe einer großartigen Reklame sehr zu seinem Vortheil an eine Aktiengesellschaft los. Dann ging er mit einer berühmten, aber alternden Sängerin auf Reisen und wußte aus ihrem verblassenden Ruhm in den Provinzen noch viel Geld zu schlagen. Dann wieder zeigte er im ‚Cirkus Guillaume‘ dressierte Hirsche und richtete eine Kompagnie Hasen dazu ab, in Soldatenuniform sich Schlachten zu liefern. Er besaß eine Zeitlang das Theater der Mademoiselle Malaga, der Equilibristin, die sich hundertmal nacheinander auf der rechten Fußspitze drehte, ohne schwindlig zu werden – und so weiter und so weiter! Als er endlich alt und steif wurde, hinterließ er die laufenden Geschäfte seinem Sohn, Mussault dem Jüngeren, der ganz in die Fußstapfen seines Vaters tritt und dessen ‚Genie‘ geerbt hat, während der Alte ruhig von seinen Renten lebt. Aber sein immer reger Geist läßt ihm keine Ruhe. Er muß stets neue ‚Spekulationen‘ ersinnen, die sein Sohn in Scene setzt. Das ist Herr Mussault!“

„Was Sie da sagen, ist merkwürdig genug,“ meinte der Doktor sinnend. „Aber was kann die kleine Mumie so Anziehendes an meiner Patientin finden?“

[610] „Ist die Dame früher vielleicht Seiltänzerin gewesen?“

„Gewiß nicht.“

„Oder ist sie etwa ein Abkömmling von Oliver Cromwell oder sonst einer geschichtlichen Größe?“

„Nein, aber warten Sie – sie ist eine Ur-Urenkelin von Peter Paul Rubens, und ...“

Der Allwissende ließ einen schrillen Pfiff hören.

„Aha! Und? ...“

„Und dabei das schönste Wesen, das jemals aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen ist.“

„Nun, da haben Sie die schönste ‚Spekulation‘ für Herrn Mussault!“ – –

[621] Der geheimnißvolle Greis setzte seine Besuche bei Frau van Eyckens fort. Seine Gesellschaft wurde der Armen in ihrer Hilflosigkeit und Verlassenheit fast zum Bedürfniß, Sie fühlte sich weniger vereinsamt, wenn Herr Mussault neben ihrem Lager saß und ihr seine Zeitungsnachrichten und seine Beobachtungen über das Wetter und die Marktpreise vortrug. Denn merkwürdigerweise sprach dieser vielgereiste Alte nie von seinen Fahrten und Abenteuern, nie von seinem ehemaligen bunten Geschäftsleben, das doch sicher interessant genug gewesen wäre. Er schien ganz und gar Spießbürger geworden zu sein und sich glücklich zu fühlen, das Treiben der Welt und die Kämpfe des Daseins in seiner wohlerworbenen behaglichen Ruhe vergessen zu können.

Eines Tages, als er wie gewöhnlich kam, „um ein wenig nachzusehen“, fand er Frau van Eyckens aufrecht auf ihrem Lager sitzend, die Hände an ihre Stirn pressend und ein Ausgabenbuch durchblickend, das vor ihr lag. Frau Hinrik stand dabei, ganz niedergeschlagen und zerknirscht, denn seit vierzehn Tagen hatte sie die spärlichen Ausgaben des Haushaltes nur dadurch bestreiten können, daß sie ihre besten Kleidungsstücke ins Leihhaus trug, und nun hatte sie nichts mehr zum Versetzen und war gezwungen, ihrer geliebten Herrin dieses niederschmetternde Geständniß abzulegen, obwohl ihr dabei fast das Herz brach.

Aber die schlimme Wirkung, die sie von dieser neuen Unheilsbotschaft für die Kranke fürchtete, trat zu ihrem freudigen Erstaunen nicht ein. Der drohende Ausblick auf die äußerste Noth riß Pauline aus ihrer Apathie und erfüllte sie mit plötzlich wiedererwachender Lebenskraft; ein größerer Schmerz hatte den schwächeren vertilgt.

„O Gott, ich will ja arbeiten, will alles thun, was in meiner Macht ist, aber was soll ich beginnen?“ fragte sie gerade, als Herr Mussault eintrat.

Der alte Mann hatte auf den ersten Blick die ganze Lage, die ganze Rathlosigkeit der beiden Frauen übersehen. Sein verdorrtes Herz fühlte sich von seltsamem ungewohnten Mitleid bewegt angesichts der Verzweiflung, welche sich in den Zügen der jungen Witwe aussprach. Und wie geisterhaft schön sah sie dabei aus in dem Halbdunkel, das die Vorhänge ihres Bettes um sie verbreiteten!

„Nirgends Hilfe, nirgends!“ murmelte Pauline, ohne auf die Gegenwart des alten Mannes zu achten.

Herr Mussault ließ einen kleinen trockenen Husten hören, um an sein Hiersein zu erinnern.

„Ah,“ rief sie emporschauend mit aller Bitterkeit, die der Augenblick ihr eingab, „Sie sind da, Herr Mussault? Sie wollen wohl den Miethzins eintreiben? Der Doktor hat mir mitgetheilt, daß Sie der geheime Besitzer dieses Hauses seien. Aber fürchten Sie nichts! Morgen schon ziehe ich aus, wenn es sein muß, und was ich noch besitze, wird eben hinreichen, Ihre Forderungen zu befriedigen!“

„Aber, aber, liebe Frau Nachbarin!“ begütigte der Alte verlegen. „Glauben Sie doch nicht, daß es mir in den Sinn kommt, Ihre traurige Lage noch zu erschweren! Im Gegentheil! Bleiben Sie in dem Stübchen da, so lange es Ihnen gefällt! Zum Glück bin ich wohlhabend genug, um eine so kleine Miethe entbehren zu können.“

Pauline reichte ihm die Hand. „Verzeihen Sie mir! Aber wenn Sie wüßten, was ich leide! O, wie glücklich sind doch die Toten!“

„Madame, das sind schlimme Worte, die man nicht aussprechen sollte, Gedanken, die Sie nicht denken dürfen, wenn Sie sich nicht an sich selbst und an Ihrem hübschen Jungen versündigen wollen!“ unterbrach sie Herr Mussault mit tieferem Gefühl, als er sonst zur Schau zu tragen pflegte. „Die Verzweiflung führt zu nichts. Wenn Sie sich entschließen, meinen Rathschlägen zu folgen und meine Dienste nicht zurückzuweisen, so will ich sehen, wie Ihnen zu helfen ist.“

„O gewiß werde ich jeden Rath dankbar annehmen!“ rief Frau van Eyckens tief aufathmend.

„Nun, dann erlauben Sie mir, daß ich offen von der Leber weg rede! Sie müssen sich mit Gewalt aus der Theilnahmlosigkeit herausreißen, in die Sie seit dem Tode Ihres Gatten versunken sind. Ein bißchen fester Wille wird Ihnen das möglich machen. Sie sind jetzt schon fast genesen durch diesen heilsamen Schrecken, durch den Einblick in Ihre erschöpfte Kasse. Sie sind Mutter, Sie haben ein Kind – bedenken Sie, daß es Ihre Sorge, Ihre Hilfe nöthig hat. Sie müssen also an eine Beschäftigung denken, die Ihnen so viel einträgt, daß Sie Ihren Knaben erziehen lassen können. Doch nicht durch Stickereien und indem Sie Nächte hindurch nähen, werden Sie das erreichen. Aber Muth, ich habe einen Plan! Er wird Ihnen vielleicht unannehmbar erscheinen, und ich erlaube Ihnen im voraus, daß Sie sich darüber entsetzen. Aber denken Sie dann doch darüber nach. Nun also! Sie sind jung – einige Wochen der Gesundheit werden Ihrer Schönheit wieder den vorigen Glanz verleihen; und Sie haben eine gute Erziehung genossen, die es Ihnen leicht machen wird, die Pflichten zu erfüllen – die sehr einfachen und leichten Pflichten der Stellung, die ich Ihnen bieten kann. Ich will Sie als Büffettdame in ein Kaffeehaus des Palais-Royal bringen.“

Frau van Eyckens hatte Herrn Mussault mit gespannter, fast ängstlicher Aufmerksamkeit angehört. Bei seinen letzten Worten konnte sie eine Bewegung der Ueberraschung, ja der Entrüstung nicht unterdrücken.

„Bitte, bitte!“ beeilte er sich zu sagen. „Ich weiß, ich begreife, daß für eine Dame, die in der vornehmen Welt den ersten Rang einnahm, dieser Vorschlag etwas Unfaßbares, Unleidliches haben muß. Wir haben aber keine Wahl. Sie müssen sich entscheiden zwischen dem Elend oder der Nothwendigkeit, welche Ihnen die Abwehr der Noth auferlegt. Mein Sohn ist jetzt der Eigenthümer dieses Kaffeehauses, durch das ich mein Vermögen oder wenigstens einen Theil desselben erworben habe. Eine chronische Krankheit nöthigt seine Gattin, das Büffett zu verlassen, in welchem sie selber bisher glücklich und stolz gethront hat. Sie werden den Platz dieser geachteten Frau einnehmen und es wird Ihnen jede mögliche Rücksicht, alle erforderliche Achtung zu theil werden. Mein Sohn ist ein guter verträglicher Mensch, der Ihre Dienste zu schätzen wissen wird, denn ich bin überzeugt, das Ihre Erscheinung von großem Nutzen für beide Parteien sein wird. Für das erste Jahr erhalten Sie tausend Franken Gehalt, Ihre Toiletten und der Friseur werden von meinem Sohn bestritten. Und nun leben Sie wohl für jetzt – ich bitte, mir für den Augenblick keine Antwort zu geben. Ueberlegen Sie sich meinen Vorschlag wohl, ehe Sie ihn von sich weisen. Morgen hole ich mir die Antwort.“

Und das dürre alte Männchen schlüpfte aus der Stube, indem er der Dienerin ein Zeichen machte, ihm zu folgen.

„Da,“ sagte er draußen zu der Verblüfften, „da haben Sie hundert Franken für die nöthigsten Ausgaben. Es ist eine Abschlagszahlung auf das zukünftige Gehalt Ihrer Herrin. Pflegen Sie die Dame nach Kräften!“

Pauline war ganz bestürzt zurückgeblieben. Sie fühlte [622] einen unüberwindlichen Abscheu gegen den Plan des alten Mannes; denn obgleich sie sich alle Mühe gab, den Vorschlag ohne Vorurtheil zu betrachten, so empörten sich doch ihre Grundsätze, ihr Schicklichkeitsgefühl gegen den Gedanken, ein Gegenstand der Ausstellung zu werden, gleichsam eine Lockung, ein Aushängeschild. Sich in einem Büffett den Huldigungen aller rücksichtslosen Kaffeehausbesucher auszusetzen, ihre Witzeleien anzuhören, sich sogar zwingen zu müssen, deren Wohlwollen zu gewinnen, erschien ihr als eine tiefe Erniedrigung. Sie sollte sich putzen für dieses Gewerbe, lächeln wie eine Schauspielerin und sich vielleicht den Blicken von Leuten darbieten, welche sie früher in ganz anderer Stellung gekannt hatten ... nein, nie, niemals! Lieber sterben! Aber ihr Knabe, ihr Adrian, der keine andere Stütze hatte als sie! Ihr Kind, das Noth und Elend zu erwarten hatte, das ins Leben hinausgestoßen werden sollte, verlassen, schutzlos, ohne Erziehung! Was galt gegen solch’ heilige Pflichten die Welt mit ihren nichtigen Vorurtheilen! Würde sie in ihrer erzwungenen Stellung sich weniger zu achten haben vor ihrem eigenen Gewissen? Wenn sie zögerte, war das nicht ein unverzeihliches Unrecht gegen ihr Kind, eine Feigheit gegenüber der nichtigen Meinung der Menge? Nein, sie wollte sich dessen nicht schuldig machen, sie wollte alles unternehmen für ihren Sohn, alles dulden und wenn ihr der Muth sank, dann wollte sie sich in den Armen ihres Knaben neue Kraft, neue Entschlossenheit holen!

Während sie sich solchen Gedanken hingab, solche Kämpfe durchkämpfte, kam Doktor Destrée und war ganz überrascht über die Veränderung in ihrem Zustande. Sie erzählte ihm alles: ihre Noth, das Anerbieten des alten Herrn und ihren Entschluß, trotz ihres innerlichen Widerstrebens dasselbe anzunehmen.

Der Arzt gab ihr recht und ermuthigte sie noch. „Glauben Sie mir, Madame, jeder, der Sie kennt, wird Ihrem Vorsatz beistimmen,“ sagte er wohlwollend, „und man wird es gewiß in keiner Weise an Achtung und Verehrung für Sie fehlen lassen. Aber vor allen Dingen kommen Sie jetzt auf einige Zeit in unser bescheidnes Landhaus zu meiner Frau – sie wird sich freuen, die Bekanntschaft einer so liebenswürdigen Dame zu machen. Und den Kleinen nehmen wir auch mit – die frische Luft wird Ihnen beiden gut thun. Geben Sie mir Ihre Hand darauf – wir können die Uebersiedlung gleich auf der Stelle wagen! Machen Sie rasch Toilette, ich will unterdesen zu Herrn Mussault hinabgehen und ihm melden, daß Sie sein Anerbieten annehmen und in vierzehn Tagen Ihre Stelle antreten werden. Dann hole ich den Kleinen aus seiner Schule. Mein Wagen steht unten und wird uns rasch vor die Stadt bringen.“


4. Der Thron.

Wenn die Krankheit die Seele zu etwas Körperlichem herabdrückt, so vergeistigt dafür die Erholung von der Krankheit gleichsam den Leib. Und man fühlt sich so glücklich in seiner Wiedergeburt, will das Leben so recht benutzen – etwas von der geheimnißvollen Freude des Himmels, dessen Schwelle man schon betreten hatte, ist in uns zurückgeblieben. Alles wird zur Freude, alles verursacht uns einen Genuß. Der blaue Himmel mit seinen weißen Wölkchen, das Vogelgezwitscher, die balsamische Luft, die unscheinbarste Blume – alles! Man hat seine Schmerzen vergessen, man erinnert sich an nichts und formt keine Pläne mehr: die Vergangenheit und die Zukunft haben für den Augenblick keine Bedeutung mehr; nur das eine große beglückende Gefühl erfüllt uns: ich lebe! ich bin!

Pauline, die sich so lange in eisernen Fesseln gefühlt hatte, die jetzt nach dem langen Gebanntsein in die dumpfe Krankenstube mit wohligem Vergessen den hellen Glanz ihres ländlichen Aufenthalts genoß, die der Gesundheit, ihrem Kinde wiedergegeben war, konnte nichts thun, als den gütigen Freunden um sie herum wortlos die Hand drücken. Sie hatte in der Gattin des Doktors, die von ihrem Mann die ganze Geschichte ihres Gastes erfahren hatte und daher doppelte Zuneigung zu der Verlassenen fühlte, eine schlichte herzliche Person gefunden und schloß sich schwesterlich an sie an. Unter diesen Umständen that der Landaufenthalt bei Pauline wahre Wunder. Schon nach wenigen Tagen begann ihre Schönheit wieder im alten Zauber zu erstrahlen. Die Blässe und die Durchsichtigkeit ihrer Züge verschwanden, die Rosen ihrer Wangen erblühten, die Augen leuchteten, das alte reizvolle Lächeln umspielte ihre Lippen.

O die glückliche Zeit und die glücklichen Tage! Diese Spaziergänge in der Morgenfrische, zur Seite die neugewonnene Freundin und den jauchzenden Jungen, der nach Faltern haschte, Blumen sammelte oder nach schillernden Eidechsen jagte! O selige Zeit, wo ein Frauenherz Mutter, nur Mutter sein darf!

Aber wie rasch diese vierzehn Tage verflogen! Vierzehn Tage ohne einen einzigen trüben Gedanken, ohne ein Zurückwandern in die Schmerzen der Vergangenheit, vierzehn Tage des Vergessens, des Glücks, wo die Natur selbst sich gütig und absichtlich in ihr schönstes Gewand zu hüllen schien.

Als Pauline am letzten Tage ihres Aufenthalts mit Frau Destrée und dem Kleinen von einem Spaziergang zurückkam, fand sie zwei Näherinnen aus dem größten Könfektionsgeschäfte von Paris auf sich warten. Sie brachten einen Brief von Herrn Mussault; derselbe lautet:

 „Madame!
Ich sende Ihnen hier einige Toiletten, von denen mein Sohn wünscht, daß Sie dieselben anprobieren möchten, damit die Näherinnen bis morgen, den 15. Juli (wo Sie Ihre Stelle anzutreten versprachen, alles fertig stellen können.
Mit besonderer Verehrung 
      Ihr Mussault.“  

Dieser Brief machte mit einem Schlag dem seligen Vergessen, das die junge Witwe umfangen hatte, ein Ende. Die Zukunft mit allen ihren herben Forderungen that sich düster vor ihr auf. „Kommen Sie!“ sagte sie leise zu den beiden Mädchen.

Sie ging mit ihnen in ihr Zimmer. Dort öffneten die Näherinnen die Schachteln, die sie mitgebracht hatten und die sechs vollständige Gewänder aus den theuersten und hellsten Stoffen enthielten.

„Das muß ein Irrthum sein,“ sagte Frau van Eyckens athemlos. „Ich befinde mich nicht in der Lage, solch überreiche Toiletten anschaffen zu können, die zudem mit ihrem Ausschnitt an Arm und Schulter nur für Bälle oder für große Gesellschaft passen. Auch trage ich Trauer um meinen Gatten, die ich vor einem Jahre nicht ablegen kann.“

Die beiden Modistinnen schauten einander überrascht, achselzuckend an. Die eine derselben beeilte sich mit einem schlechtverhehlten Lächeln zu sagen: „O, Madame können die Trauer außerhalb des Geschäftes nach Belieben tragen; aber am Büffett kann Herr Mussault doch keine Dame im Hauskleid und vollends gar in Trauer brauchen!“

„Das würde auch von dem Sessel, in dem Sie sitzen werden, schön abstechen!“ warf die andere dazwischen.

„Was für ein Sessel ist denn das?“ fragte Pauline bestürzt. „Der Thronsessel Napoleons, den Herr Mussault soeben um einen enormen Preis erstanden hat.“ – Man befand sich damals in der Periode nach den hundert Tagen, und der Riese Europas war abgethan für immer.

Pauline erbleichte und konnte sich kaum fassen. Das also war das Schicksal, das ihr bevorstand! Sie sollte wirklich als Schaustück prangen, der niedrigen gemeinen Schaulust der Menge dienen wie irgend eine andere Rarität auch! Sie brach in Thränen aus.

Da kam Frau Destrée mit dem Kleinen herbei; der Knabe eilte bestürzt auf seine Mutter zu und umfing sie unter den zärtlichsten Worten. Es war merkwürdig, welche Wirkung sein Erscheinen auf die junge Frau ausübte. Sie richtete sich entschlossen auf, trocknete ihre Thränen und dankte ihrer Freundin für den Dienst, den sie ihr eben geleistet, mit einem ausdrucksvollen Blicke. Mit einer Art ruhiger Verzweiflung, mit anscheinender Gleichgültigkeit ließ sie sich nun die übersandten Toiletten anprobieren und zurechtstecken, und als die Modistinnen sich entfernen wollten, ließ sie Herrn Mussault sagen, daß sie am nächsten Tag zu seiner Verfügung stehe.

Am folgenden Morgen wollte die mitleidige gutherzige Gattin des Doktors ihren Gast nach Paris zurückbegleiten. Pauline aber lehnte ihr Anerbieten dankbar und tapfer ab, indem sie meinte: „Das wäre nur ein doppeltes Scheiden – von diesem herrlichen Ort, der mich so froh gesehen hat, und dann noch von Ihnen. Nein, nein, ich will mit einem Mal mein ganzes Glück hier zurücklassen.“ Und als sie, neben dem Doktor und Adrian im Wagen sitzend, die letzten Grüße erwidert hatte, die ihr vom Gartenthor des Landhauses her zugewinkt wurden, ergriff sie die Händchen des Knaben, und sie krampfhaft festhaltend, lehnte sie [623] sich erschöpft in den Wagen zurück, indem sie murmelte: „Für Dich, mein Kind, für Dich!“

In Paris brachte Frau van Eyckens vor allen Dingen den Knaben in eine Pension, die der Doktor ihr empfohlen hatte und in der er selbst Hausarzt war. Sie gab dem weinenden Kind noch eine kurze zärtliche Ermahnung, fleißig zu sein und seine Mutter liebzubehalten, schnitt sich eine Locke seines seidenweichen hellblonden Haares ab, die sie in ihr Medaillon verschloß, und nahm mit einem stummen Händedruck Abschied von ihrem Gönner. Dann stieg sie in einen Fiaker und ließ sich zum Haus des alten Herrn Mussault fahren.

Dieser erwartete sie schon, führte sie aber nicht in ihre frühere Stube, sondern in ein kleines hübsch eingerichtetes Quartier, wo Frau Hinrik ihre Herrin ganz gegen ihre sonstige gelassene Art stürmisch begrüßte.

„Hoffentlich wird es Ihnen hier gefallen, Madame,“ sagte Herr Mussault freundlich, als die Hinrik sich wieder beruhigt hatte. „Morgen um zwei Uhr wird meine Schwiegertochter kommen, um Ihre Toilette zu überwachen; um vier Uhr werde ich Sie dann in das ‚Café des mille colonnes‘ begleiten.“ Darauf gab er ihr genaue Anweisungen, wie sie das Büffettbuch zu besorgen, und zugleich rücksichtsvolle Winke, wie sie sich gegen die Stammgäste und die Kaffeehausbesucher überhaupt zu verhalten habe. Endlich schloß er mit jener wahren Theilnahme, welche weder Spekulation noch Reklame an seinem alten Herzen hatte vertilgen können: „Ich will, wenn das Wetter nicht gar zu schlecht ist, alle Tage in die Pension gehen und mich nach dem Befinden des Kleinen erkundigen. Die Bewegung wird mir ganz gut thun, und Sie werden sich ruhiger fühlen, wenn ich Ihnen täglich Bericht erstatte. Leben Sie also wohl für heute! Morgen bleibe ich an Ihrer Seite, um Ihr Debüt in der neuen Stellung zu überwachen.“

„Ja, mein Debüt!“ dachte Pauline bitter, nachdem der Alte sich entfernt hatte. „O gewiß, ich werde fortan auf der Bühne stehen, jedem Gaffer ausgesetzt, eine Komödiantin, der nur Talent und Ruhm fehlen werden!“

Punkt zwei Uhr am nächsten Nachmittag trat die Schwiegertochter des Herrn Mussault bei ihrer neuen Büffettdame ein; sie brachte einen Friseur mit, dessen „Kunstwerk“ sie selber überwachen wollte. Derselbe legte die prachtvollen schwarzen Haare Paulinens in eine künstliche thurmähnliche Form, die in keiner Weise mit den feinen vornehmen Zügen der schönen Frau zusammenstimmte, und so sehr sich diese auch vorgenommen hatte, alles ohne Widerrede über sich ergehen zu lassen, fühlte sie doch bei diesen Vorbereitungen das Weib in sich erwachen und wagte einige Bemerkungen. Frau Mussault schnitt ihr aber die Rede kurz ab mit der Erklärung, das sei ihre Sache, die sie besser verstehe. Dagegen ließ sich nichts mehr einwenden, und Pauline nahm geduldig alle Prozeduren hin, denen man sie auf Geheiß ihrer neuen Gebieterin unterwarf. Nachdem der Friseur sein schwieriges Werk erledigt hatte, zog man ihr ein karmesinrothes Sammetkleid an, das die schönen Formen ihrer Arme und Schultern freiließ. Dann öffnete Frau Flora Mussault ein Schmuckkästchen, das sie mitgebracht hatte, und entnahm ihm ein kostbares, aber schwerfälliges Diamantenhalsband, das sie Pauline umlegte, indem sie zugleich deren feine Handgelenke mit gigantischen Goldspangen umschloß. Und ein paar Schritte zurücktretend, rief sie mit einem befriedigten Blick auf die ganze Toilette: „Prächtig sehen Sie so aus, meine Liebe!“

Pauline warf einen Blick in den Spiegel und fühlte sich verwirrt, gedemüthigt durch ihren ungeschickten und grotesken Aufzug. Der Gedanke an ihr Kind aber verscheuchte bald wieder diese peinliche Empfindung, die jedoch aufs neue und verstärkt in ihr aufstieg, als sie beim Gehen ein Umschlagetuch von ihrer Dienerin verlangte und Frau Flora mit ihrer tiefen Stimme dazwischenrief: „Ein Tuch? Wozu?“

„Aber ich kann doch in dieser Toilette nicht über die Straße gehen!“

„Und warum nicht? Ich habe mich fünfzehn Jahre lang so ins Geschäft begeben!“ entgegnete Frau Mussault scharf.

Und Pauline fügte sich schweigend.

[643] Aufbleiben bis zwei oder drei Uhr abzubringen. Sie wollte den Kometen sehen oder vielmehr, sie glaubte, daß es mich amüsieren würde, ihn zu sehen, und hatte zu diesem Zweck einen Astronomen nebst Fernrohr bestellt.“

Am andern Morgen, als Walpole die Augen öffnete, fand er schon einen Brief, den sie ihm noch vor Schlafengehen geschrieben hatte! Umsonst suchte er solche Flammen etwas einzudämmen, er entsetzte sich geradezu, daß man ihn in seinem Alter „reizend“ finde, es half alles nichts, sie ernannte ihn um seiner großen Weisheit willen zu ihrem Vormund und drohte ihm, als er nach England zurückkehrte, wo er als Herr eines schönen Landsitzes ein sehr angenehmes Leben führte, in einem scherzhaften Brief, sie werde ihm nachfolgen, in den Gassen von London ihre Liebe für ihn proklamieren, sich in seinem Hause installieren und nicht mehr fortgehen.

„Nehmen Sie schnell das Riechfläschchen, theurer Vormund, denn Sie sind nahe daran, in Ohnmacht zu fallen. Und doch steht Ihnen dies alles sicherlich bevor, wenn Sie mir nicht zweimal in der Woche schreiben.“

Und er schrieb, ja, er kam in den folgenden Jahren nochmals für längere Zeit, einzig und allein, um seine alte Freundin zu besuchen, die dann auch ohne Rücksicht auf Tages- oder Nachtzeit bei ihm erschien und mit ihrer gewohnten Bestimmtheit erklärte, es liege nichts Unschickliches darin, daß sie seiner Toilette beiwohne, da sie ja nichts davon sehen könne. Sie ward nicht müde, ihn anzustaunen und zu beneiden, daß er als gesunder natürlicher und thätiger Mensch den „ennui“ nicht kenne, und war geneigt, in ihm eine Ausnahme von dem ihr so verächtlichen Menschengeschlecht zu erblicken, während er in Wirklichkeit mit seinen englischen Gewohnheiten und Anschauungen eine Ausnahme nur unter den verweichlichten und blasierten Franzosen war. Er hatte weite Reisen gemacht und nach der Rückkehr seinen Landsitz Strawberry Hill mit den mitgebrachten Gegenständen zu einer Sehenswürdigkeit umgestaltet. Ohne jedes Stilbedenken vereinigte er hier ein Gemisch von Antike und Gothik, Renaissance und Rokoko, welches der vornehmen Welt als der Inbegriff alles Schönen erschien. Nicht der kleinste Anziehungspunkt war die Persönlichkeit des Hausherrn, der sein skeptisches Junggesellenthum aufrecht erhielt trotz aller wohlgezielten Angriffe aus schönen Augen und mit tadelloser Liebenswürdigkeit den Pflichten des Wirthes nachkam, ohne sich dabei in Fesseln schlagen zu lassen.

Es war also kein Wunder, wenn auch Madame du Deffand diesen unerhörten Mann für die größte Merkwürdigkeit des Jahrhunderts ansah und alle ihre Gedanken ihm widmete. Die sechzehn letzten Jahre ihres Lebens sind einzig von diesem Interesse bewegt; was sonst nebenher ging, war für sie bloßer Schatten. Und doch war um diese Zeit ihr Salon der einflußreichste von allen. Diplomaten, Minister, Fürsten und Könige eilten, sich der Marquise vorzustellen, Voltaire kam, nicht minder Joseph II. bei seinem Pariser Aufenthalt, was irgend auf Beachtung Anspruch machte, drängte sich um die alte blinde Frau. Ihr einziges Interesse aber war „der Mann von Eisen und Schnee“, vor dessen strengen Briefen sie zitterte, dem sie hundertmal Besserung ihrer Ausdrucksweise, Unterdrückung ihrer Zärttichkeit gelobte, um dann zum Schluß zu sagen: „Können Sie denken, welche Narrheit mir jetzt durch den Kopf schießt? Wenn es möglich wäre, daß Ihre Briefe den Klang Ihrer Stimme hätten, wie glücklich würde ich sein ...“

Am Tage seiner letzten Abreise schreibt sie dem Angebeteten: „Adieu! Das Wort ist sehr traurig. Vergessen Sie nicht, daß Sie hier ein Wesen zurücklassen, von dem Sie zärtlich geliebt werden und dessen Gtück und Unglück allein in dem besteht, was Sie von ihm denken.“

Es liegt eine wehmüthige Ironie in diesen Schlußworten eines Lebens, das für jenes ganze Zeitalter das Spiegelbild abgeben kann. Es ging zu Ende mit der alten Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Die lustige Frivolität, das schamlose Laster, die Emancipation von allen Schranken, der Hohn über das Gefühl und der ausschließliche Kultus des Geistreichthums, es hatte sich alles durchgelebt und überlebt. Und dem alten und ewigen Gesetze der Menschennatur zufolge kommt, wenn die Zustände sich ins Einseitige und Unleidliche zugespitzt haben, unversehens ein ungeheurer Rückschlag, der als Sturmfluth hereinbricht und, zurückweichend, eine völlig neue Gestaltung hinterläßt. Der Mann dieser Umwälzung war Rousseau. Sein Ruf nach Rückkehr zur Natur und Einfachheit lieh dem stillen Verlangen von Tausenden die Stimme, und urplötzlich erklangen die verpönten Worte: Empfindung, Liebe, Leidenschaft aus dem Munde einer Generation, die kaum einen Zug noch mit der vorigen gemein hatte. Die alten Gestalten verblaßten neben dem begeisterten jungen Frankreich, das mit stürmischem Herzschlag der großen Revolution entgegenstrebte. Als die letzte der Geistesvirtuosinnen einer versunkenen Zeit starb 1784 die Marquise du Deffand dreiundachtzigjährig; voll Ekel und Abscheu am Leben und doch in Furcht vor dem Tode, der sich übrigens ihrer erbarmte und sie sanft hinwegnahm.


[644] Vater nicht gescheiter gewesen wäre! Sie hätte ebensogut sechstausend Franken fordern können, und Du hättest auch zugreifen müssen! O, sie bringt unser Kaffeehaus mit einem Schlag in die Mode! Eine wahre Goldgrube, das! Wenn die Sache nur zwei Jahre so fortgeht, sind wir die reichsten Leute!“

Von diesem Augenblick an hatten die Pariser eine neue Mode, eine neue Liebhaberei, einen neuen Stern – das „schöne Limonadenmädchen“, „la belle limonadière“.


5. Die Büffettdame.

Am Tage nach Paulinens erstem Erscheinen sprach man in ganz Paris thatsächlich von nichts anderem als von dem schönen Limonadenmädchen. Die wunderbare Vollendung ihrer Züge, der Glanz ihrer Augen, ihr reiches Haar, die edle Form ihrer Hand und ihres Fußes, ihr vornehmes Wesen – das alles fand tausend Bewunderer, die von früh bis abends förmliche Hymnen über sie sangen.

Alles drängte in das mit einem Schlag berühmt gewordene Kaffeehaus, und als Pauline gegen vier Uhr nachmittags ihren Sitz am Büffet wieder einnahm, erschallte aus der dichtgedrängten Menge ein Beifallklatschen, das kein Ende nehmen wollte und sich immer wieder erneuerte. Seit Jahren hatte man die Pariser in keinem solchen Begeisterungstaumel gesehen – es war wie ein Delirium. Die Leute in der Glasgalerie draußen verlangten so stürmisch die schöne „Limonadière“ zu sehen, daß sie sich endlich vom Büffett erheben und an den großen Scheiben längs des Durchgangs zeigen mußte. Da erhob sich auch draußen ein unendlicher Beifallssturm. Die Zeitungen besprachen sämtlich am nächsten Morgen diese Vorfälle; man verglich Pauline in den Feuilletons mit allen Schönheiten, die jemals die Welt in Entzücken versetzt hatten. Aber die Erfolge der jungen Witwe beschränkten sich nicht darauf; die kleineren Theater nutzten die Begeisterung des Publikums aus und brachten die „Limonadière“ in mehreren Gelegenheitsstücken auf die Bühne; es fanden sich sogar Theaterdirektoren, die ihr den Vorschlag machten, sie unter glänzenden Bedingungen zu engagieren, wenn sie sich nur entschließen könne, in einem dieser Stücke auf der Bühne zu erscheinen, sei es auch nur in einer stummen Rolle. Ja, der Besitzer eines anderen Kaffeehauses bot ihr fünfundzwanzigtausend Franken jährlich, wenn sie bei ihm Dienste nehmen wolle. Umsonst! Pauline hatte für alle diese Vorschläge nur eine abweisende Antwort und erklärte, auch ohne Vertrag würde sie sich verpflichtet fühlen, bei der Familie Mussault auszuharren. Das wurde bekannt und erhöhte noch das allgemeine Interesse. Sie war für die Pariser nun vollends nicht nur schön wie eine Fee, sondern auch hochherzig und edeldenkend wie eine Heldin. Und Herr Mussault, der ungeheure Geschäfte machte, hingerissen von der Begeisterung ringsum, erhöhte das Gehalt Paulinens von selber auf zwölftausend Franken und bewilligte ihr einen Antheil an seinem Reingewinn.

Die Lage Paulinens war nun, wenn auch nicht glücklich, so doch tröstlich geworden. Jeder Tag benahm ihrer Stellung etwas von dem Peinlichen, das diese hatte, und sie empfand sogar – sie wäre sonst kein echtes Weib gewesen – eine Art Befriedigung über die schmeichelhafte Berühmtheit, deren sie sich zu erfreuen hatte. Und doch – wie viel sie in diesem äußerlich glänzenden Leben entbehren mußte, das kam ihr zum Bewußtsein, wenn sie alle zwei Wochen den freien Tag, den man ihr verstattet hatte, in der Familie des guten Doktor Destrée verbringen konnte, ihren Knaben auf dem Schoß, ohne Lärm, ohne Aufregung um sie her. Daß sie ihren Sohn nicht selbst erziehen durfte, war ihr bitterster Schmerz. Zwar lief sie jeden Morgen nach der Pension Adrians, um ihn zu umarmen, zu ermahnen, sich nach seinen Fortschritten zu erkundigen, und war glücklich, wenn sie erfuhr, daß der Knabe alle seine Mitschüler an Fleiß übertreffe. Aber wie wenig war doch das alles für ihr liebedürstendes Mutterherz! Nur ein Gedanke tröstete sie dabei: die Zukunft ihres Knaben würde frei von Sorgen sein. Sie legte fast ihre ganze große Einnahme auf Zinsen und entnahm ihr nur die für Adrians Erziehung nothwendigen Summen. Ihre eigene Wohnung und Verpflegung kosteten sie nichts, und auch ihrer treuen Dienerin, der Frau Hinrik, hatte sie eine auskömmliche Stelle in der Kaffeeküche verschafft. So konnte sie sicher darauf rechnen, nach den fünf Jahren, auf die ihr Vertrag lautete, ein hübsches Vermögen erspart zu haben, das die Zukunft sicherte. Diese frohe Aussicht war der unzerstörbare Halt, dessen sie in ihrer Stellung bedurfte, um nicht von Kleinmuth überwältigt zu werden. Ihre Schönheit trug ihr so manche plumpe und dreiste Aeußerung zudringlicher Bewunderung ein, und obgleich sie die mündlichen Huldigungen alle mit demselben kalten Lächeln abthat, die Briefe ungelesen verbrannte, so fühlte sie sich doch im Innersten wehrlos. Und als ihr einige Stutzer zu folgen anfingen, wenn sie abends in ihre Wohnung zurückging, begleitet von Frau Hinrik, war sie zuletzt gezwungen, eine kleine Wohnung im Kaffeehause selbst zu beziehen, um sich vor diesen Belästigungen sicherzustellen.

So verflossen vier Jahre – vier Jahre der Arbeit, der Hoffnung auf die Zukunft.

*               *
*

Eines Nachmittags saß Pauline wie gewöhnlich in dem Büffett, aus dem sie den Thronsessel Napoleons hatte entfernen lassen, um ihn mit einem weniger theatralischen Lehnstuhl zu vertauschen. Sie trug – wie fast stets, seit es ihr gelungen war, von den Rathschlägen der Frau Mussault sich unabhängig zu machen – ein einfaches schwarzes Kleid, das aber ihre Schönheit nur noch mehr hervorhob und zu dem melancholischen Reiz ihrer Züge vortrefflich paßte. Gedankenlos ließ sie ihre Augen durch den Saal schweifen, als sie plötzlieh im Kreise einiger Freunde einen jungen Menschen erblickte, der sie in wahrhaft taktloser Art anstarrte. Es schien dabei, als ob ihn seine Kameraden wegen einer Prahlerei verspotteten, auf der er offenbar beharrte. Endlich ließ er sich von einem Kellner Tinte und Feder bringen und schrieb auf ein Blatt seines Notizbuches einige Zeilen. Er riß das Blatt heraus, faltete es briefartig zusammen und ließ es durch den Kellner der Büffettdame überreichen. Diese glaubte, es enthalte irgend eine besondere Bestellung, entfaltete es und las: „Den schönsten Kaschmirshawl für einen Kuß!“

Es war das erste Mal, daß ihre öffentliche Stellung dazu mißbraucht wurde, sie auf so rohe Art zu beleidigen. Sie wurde brennend roth vor Entrüstung und warf den Zettel verächtlich von sich. Jetzt erhob sich der junge Mann, der schon einige Flaschen Champagner getrunken hatte, von seinem Tischchen und trat an das Büffett, um seine Rechnung persönlich zu begleichen. Er zog eine Handvoll Goldstücke aus der Tasche und legte sie vor Pauline hin, die den Betrag der Rechnung davon wegnahm, das übrige aber mit der Hand zurückschob. Der Fremde rief den Kellner und strich ihm den Rest der Goldstücke in die Schürze. „Ich habe Dir einen Brief zur Besorgung übergeben,“ sagte er, „verlange die Antwort!“

[645] Der Angeredete sah bestürzt und rathlos auf Frau von Eyckens

„Nun, Ihre Antwort, Madame?“ wendete sich der Stutzer nach einer kurzen Pause an Pauline.

Diese maß ihn nur mit einem verächtlichen Blick und fuhr anscheinend gleichgültig fort, Einträge in ihr Buch zu machen. Aber eine Thräne der Scham und des Zornes rollte langsam über ihre Wange und benetzte das Papier. Von diesem Augenblick an veränderte sich plötzlich das ganze Wesen des jungen Mannes – er machte eine höfliche Verbeugung und entfernte sich.

Am nächsten Nachmittag war er einer der ersten, die in dem Kaffeehaus erschienen; er grüßte Pauline respektvoll und nahm in einer Ecke des großen Saales Platz, von wo er unauffällig das Büffett übersehen konnte. Und das setzte er einige Wochen hindurch fast täglich fort. Dann erhielt Pauline mit einem Mal ein zweites Billett, das sie zwischen den Blättern ihres Kassenbuchs fand; es lautete: „Mein Herz, mein Vermögen und mein ganzes Leben für einen Blick!“

Während sie las, bemerkte sie in einem der Spiegel, daß die Augen des Fremden aus seiner Ecke fast ängstlich auf sie gerichtet waren, Sie zuckte die Achseln und warf das Papier, ohne es zu zerreißen, in den Papierkorb an ihrer Seite. Als der junge Mann dies bemerkte, legte er sein Gesicht in die aufgestützten Hände und schien tief betrübt.

Kurze Zeit darauf traten einige junge Gardeoffiziere, die just von einem Regimentsdiner kamen, an das Büffett und begannen, der jungen Frau Komplimente zu machen, die von Minute zu Minute zudringlicher wurden. Aber plötzlich ward der lauteste Witzler von dem jungen Mann, der hastig aus seiner Ecke herbeigeeilt war, kräftig am Arm gefaßt und aus dem Kaffeelokal hinausgezerrt. Das alles spielte sich so blitzschnell ab, daß die anderen Offiziere gar nicht eingreifen konnten.

Pauline erschrak. Was für Folgen mochte der Unbesonnene zu gewärtigen haben! Und was hatte ihn bestimmt, für die Büffettdame einzutreten, die er doch selbst durch seine Briefe beleidigt hatte? Wollte er diese Beleidigung durch seine ritterliche That vergessen machen? Denn ritterlich war sein Verhalten gewesen, das konnte Pauline nicht leugnen. Und wenn er nun von dem Offizier gefordert, verwundet, getötet wurde – ihretwegen getötet! Eine zitternde Angst ergriff sie. Sie verbrachte eine schlaflose Nacht, nur immer an die Gefahr des Mannes denkend, der so kraftvoll für sie eingetreten war.

Am nächsten Tag wartete sie voll schmerzlicher Ungeduld auf sein Erscheinen im Saal. Aber die Stunde, zu der er regelmäßig zu kommen pflegte, ging vorüber, und er blieb aus.

Er blieb aus, nicht nur an diesem Tag, sondern auch an den folgenden, eine ganze Woche hindurch. Nun konnte sie nicht mehr daran zweifeln, daß ihm sein Eintreten für ihre Ehre eine schwere Wunde, vielleicht gar den Tod eingetragen hatte. Sie erkundigte sich hoffend und fürchtend zugleich nach seinem Verbleib, allein niemand vermochte ihr Auskunft zu geben.

Zwei Monate verstrichen ihr so in Ungewißheit und Bangen, zwei Monate, während deren der Gedanke an den Fremden, wie sie sich fast mit Beschämung gestand, stets ihre Seele beschäftigte.

Da, an einem trüben Nachmittag, trat er wieder in das Lokal und begab sich sogleich an seinen gewohnten Platz am entferntesten Ende desselben. Pauline konnte nur mit Mühe einen Ausruf der Freude unterdrücken und beobachtete ihn mit steigender Bewegung. Er war sehr blaß, sehr abgemagert und schien auf nichts um sich her zu achten. Schon nach kurzer Zeit erhob er sich wieder und schritt der Thür zu, wobei er sich, wie Pauline jetzt erst bemerkte, auf einen Stock stützte.

Länger hielt es die junge Witwe nicht mehr an ihrem Platz aus. Sie verließ hastig das Büffett und trat auf ihn zu. „Ich habe Ihnen noch nicht meinen Dank aussprechen können, mein Herr,“ sagte sie mit zitternder Stimme. „Aber glauben Sie mir, ich werde es nie vergessen, daß Sie –“

„Ich habe nur meine Schuldigkeit gethan,“ unterbrach er sie abwehrend, indem er sie mit einer achtungsvollen Verbeugung begrüßte. „Jeder andere an meiner Stelle hätte gewiß ebenso gehandelt.“ Damit verneigte er sich nochmals und verließ den Saal.

Vom nächsten Tag an nahm er seine stille schweigsame Gewohnheit wieder auf; er richtete niemals mehr ein Wort an die Büffettdame und begnügte sich damit, sie beim Kommen und Gehen höflich zu grüßen wie die übrigen Stammgäste auch.

Eines Abends erschien, wie das von Zeit zu Zeit geschah, Doctor Destrée in dem Kaffeehaus. Als guter alter Bekannter trat er auf Pauline zu, setzte sich neben sie, plauderte mit ihr und verabschiedete sich nach einer halben Stunde mit einem herzlichen Händedruck.

Als er den Saal verlassen hatte und durch die Glasgalerie des Palais-Royal schritt, fühlte er plötzlich eine Hand auf seinem Arm. Er wandte sich um und sah sich einem Fremden gegenüber.

„Mein Herr,“ sagte dieser, indem er den Hut lüftete, „Sie sind, wie ich gesehen habe, ein guter Bekannter der Dame, welche das Büffett dieses Kaffeehauses verwaltet?“

„Ja, mein Herr.“

„Ich bitte Sie, setzen Sie das, was ich Sie fragen möchte, nicht auf Rechnung müßiger oder aufdringlicher Neugierde. Ich habe ernste ehrenhafte Gründe zu den Fragen, die ich an Sie richte – mein Wort darauf!“

„Gut,“ erwiderte der Arzt erstaunt, „so fragen Sie!“

„Ist das Herz der Madame Pauline – ich kenne sie nur unter diesem Namen – noch frei?“

Der Arzt schaute den Fremden mißtrauisch an. Er wußte nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Endlich sagte er langsam: „Ich glaube nicht, daß sich die junge Witwe für irgend einen Mann interessier.“

„Sie hat also niemals eine besondere Theilnahme geäußert für irgend einen der ständigen Besucher des Kaffeehauses?“

„Niemals. Das heißt, sie hat mir wohl einmal von einem jungen Herrn erzählt, der sie gegen ein paar zudringliche Gardeoffiziere in Schutz nahm. Aber dieses Interesse ist ganz natürlich, da sie fest überzeugt ist, jener junge Mann sei infolge seines Einstehens für sie im Duell schwer verwundet worden.“

„Ah! – Doch noch eine Frage – eine unbescheidene vielleicht, aber eine redlich gemeinte: in welchen Lebensverhältnissen hat sich die Dame befunden, ehe sie ihre jetzige Stellung einnahm? Antworten Sie mir offen und ohne Rückhalt, ich bitte Sie herzlich darum. Sie sehen, ich halte Sie für einen Ehrenmann – sonst würde ich diese Frage nicht an Sie stellen.“

„Die Vergangenheit der Dame ist tadellos, mein Herr. Allein ich würde durch nähere Mittheilungen darüber eine Indiskretion begehen.“

„Ich heiße Gustav Matthison – vielleicht ist Ihnen der Name dieser dänischen Familie irgendwie bekannt und erwirbt mir Ihr Vertrauen. Ein Großonkel von mir, Jakobus Matthison, hat sich in der Geschichte der medizinischen Wissenschaft einen Ruf erworben.“

„Jakabus Matthison! Seit langer Zeit schon steht dieser Name bei mir in höchster Achtung – denn ich selber bin Arzt, mein Herr – Doktor Destrée. Und jetzt bitte ich Sie, meinen Arm zu nehmen. Ich will Ihnen kurz erzählen, was ich über das traurige und tapfer getragene Schicksal der Freundin meiner Familie, der Frau Pauline van Eyckens, weiß.“

[646] Als er alles berichtet hatte – die Jugendgeschichte Paulinens, ihr Leben in Glück und Glanz, den Ruin ihres Gatten, die Hingebung, die sie ihm im Unglück gezeigt; ihre Prüfungen, den Kampf, den es ihr nach dem Tode ihres Mannes gekostet hatte, diese Stelle als Büffettdame anzunehmen; wie sie selbst heute noch leide unter der Pein ihres so berühmten und so demüthigenden Daseins und wie sie doch das alles geduldig trage in der Liebe für ihr Kind – da drückte der bis zu Thränen gerührte junge Mann dem Arzt krampfhaft die Hand und sagte mit unsicherer Stimme: „Ich danke Ihnen, Herr Doktor, ich danke Ihnen von ganzem Herzen! Und nun will ich Sie nicht länger aufhalten. Vielleicht hören Sie noch mehr von mir.“ Damit grüßte er und verschwand hastig in der Dunkelheit.

Doktor Destrée schaute ihm nach, etwas verblüfft über diese Art, kurzweg davonzugehen. Hatte er recht gethan, dem seltsamen Menschen diese Mittheilungen zu machen? Nach einigem Nachdenken hielt er es für das beste, Paulinen von dem Vorgefallenen sogleich Mittheilung zu machen.

Er hatte befürchtet, durch die Offenherzigkeit, zu der er sich hatte hinreißen lassen, ihren Unwillen zu erregen, aber zu seiner großen Ueberraschung war sie gar nicht ungehalten. Ja sie schien eher erfreut über seine Erzählung und hörte ihm mit offenbarem Antheil zu.

Pauline konnte und wollte sich keine Rechenschaft geben über die fieberhafte Aufregung, mit der sie am nächsten Tag das gewohnte Erscheinen ihres Ritters erwartete. Wie oft blickte sie nach der Thür, wie oft nach seinem gewöhnlichen Platze! Aber vergebens. Er erschien weder heute noch an den folgenden Tagen.

„Was hat nur Madame Pauline?“ fragten sich die alten Stammgäste des Lokals in den nächsten Wochen und Monaten. „Sie ist wie umgewandelt. Früher so gleichmüthig heiter – und jetzt! Sie muß einen schweren Kummer haben, die arme Frau, oder – eine tiefe Liebe!“


6. Das Glück.

So ging es sechs Monate hindurch. Selbst die Gedankenlosesten bemerkten, wie Paulinens Schönheit ihren blühenden Glanz, ihre strahlende Frische zu verlieren schien. Aber niemand, selbst Doktor Destrée nicht, kannte den Grund, niemand ahnte, wie es in ihrem Herzen aussah. Sie grollte mit sich selbst und mit dem Fremden, dem sie über sein gänzliches Verschwinden bittere Vorwürfe machte. Und doch mußte sie sich immer wieder sagen, daß sie ungerecht gegen ihn sei, daß sie ihm jenen Ritterdienst nicht so danke, wie er es verdiene. Hatte ihr der Fremde denn jemals ein Versprechen gemacht, war er jemals in nähere Berührung mit ihr getreten? Hatte er sich ihr seit jenem unglückseligen ersten und letzten Male je wieder genähert? Und daß er sich bei dem Doktor nach ihr erkundigt hatte, war eben Theilnahme gewesen, sonst nichts! Jetzt war er abgereist oder hatte sich ein anderes Stammlokal gesucht und dachte wohl gar nicht mehr an sie zurück.

Dann aber erfaßte sie wieder eine jähe Angst. Er war sicher krank – oder gestorben! Er hätte sonst nicht so für immer die Nähe einer Person meiden können, die er so wacker in Schutz genommen, die in seinen Augen so viel Achtung und – Zuneigung gelesen hatte. Ach, und auch ihm konnte es ja nicht verborgen geblieben sein, daß er der einzige Mensch sei, welcher der armen Vereinsamten inmitten dieser oberflächlichen Menge nicht gleichgültig war!

So zwischen stillen Vorwürfen und Entschuldigungen in ewiger Unruhe hin und her geworfen, sah Pauline fast mit Freude den Termin nahen, bis zu dem sie noch an das Geschäft des Herrn Mussault gebunden war; sie ersehnte mit aller Macht den Augenblick, wo sie wieder ein stilles unbeachtetes selbständiges Leben beginnen konnte. Sie wollte unter keinen Umständen etwas von einer Verlängerung ihres Vertrags wissen, auch unter den glänzendsten Bedingungen nicht.

Seit dem Tage, an dem sie zum ersten Mal ihren Platz am Büffett eingenommen, hatte sie ihre wachsenden Einnahmen mit wahrhaft geiziger Sparsamkeit zurückgelegt und verfügte nun über eine jährliche Rente von sechstausend Franken – das war übergenug für sie und ihren Knaben.

Als Herr Mussault das Vergebliche seiner Bemühungen einsah, beschloß er, wenigstens den einzigen noch übrigen Monat seiner Verbindung mit Pauline auf jede Weise auszunutzen. So fand man denn überall angekündigt, daß die schöne „Limonadière“ schon in den nächsten Wochen das Palais-Royal für immer ver1assen werde.

Man kann sich denken, daß sich nun noch einmal ganz Paris herandrängte, um die berühmte Büffettdame zu sehen, zu bewundern; das Palais-Royal konnte wie in jenen ersten Zeiten die Anzahl der Neugierigen kaum fassen, und man zerbrach sich vergeblich den Kopf, was für Beweggründe Madame Pauline haben könne, sich so plötzlich zurückzuziehen.

Eines Tages, als Frau van Eyckens aus der Pension zurückkehrte, wo sie ihren Knaben besucht hatte, fand sie einen Brief des Doktors vor, in dem er sie zum Abendessen einlud; seine Frau und er hätten Wichtiges mit ihr zu besprechen, Pauline hatte schon längst dem Publikum und Herrn Mussault gegenüber sich eine größere Freiheit gewahrt; wenn irgend ein erheblicher Grund sie abhielt, ihren Platz im Kaffeehaus einzunehmen, so ließ sie einfach absagen. Das that sie auch an diesem Tage, wo die Einladung des Doktors sie in eine unerklärliche Aufregung versetzte.

Bei Destrée fiel Paulinens erster Blick auf einen fremden alten Herrn, der seit ungefähr acht Tagen regelmäßig das Kaffeehaus besucht hatte und während dieser Zeit um so mehr von ihr bemerkt worden war, als er stets an dem Tische saß, den früher Herr Matthison einzunehmen pflegte. Kaum hatte die gute Frau des Arztes ihre Freundin gesehen, als sie mit ausgebreiteten Armen auf sie zustürzte.

„Laß Dich umarmen, liebe Pauline,“ rief sie mit bewegter Stimme, „o, wir haben heute so viel mit Dir vor! Dieser Herr hier –“ Und sie war offenbar im besten Zuge, das ganze Geheimniß, das ihre Seele bedrückte, in einem Athemzug preiszugeben. Aber der fremde alte Herr unterbrach sie. Er war einige Schritte vorgetreten und verneigte sich jetzt achtungsvoll vor Pauline.

„Verzeihen Sie, Madame,“ begann er „wenn ich Sie gleich in der ersten Minute mit meinem ganzen Anliegen überfalle, nachdem Sie nun doch schon diese geheimnißvolle Andeutung Ihrer Freundin gehört haben. Mit einem Wort, Madame – ich bin gekommen, um Ihre Hand zu erbitten; aber nicht für mich,“ fügte er rasch und lächelnd hinzu, als er ihre bestürzte Miene bemerkte, „sondern für meinen Sohn.“

Pauline unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Mein Herr,“ sagte sie mit erregter Stimme, indem sie sich vergeblich zu fassen versuchte, „ehe Sie weiter sprechen, ehe Sie mir den Namen desjenigen nennen, der mich mit diesem Antrage beehren will, muß ich Ihnen mittheilen, daß ich den festen Entschluß gefaßt habe, mich nie wieder zu verheirathen.“

„Trotzdem müssen Sie mir erlauben, fortzufahren,“ meinte der alte Herr lächelnd, „Es wäre denn, daß Ihr Herz nicht mehr frei ist!“

„Verzeihen Sie mir – darüber bin ich wohl niemand Rechenschaft schuldig,“ sagte Pauline sanft, aber in festem Tone.

„Kind, Kind,“ mahnte die Freundin, „wie kannst Du der Erinnerung an eine längst entschwundene Vergangenheit, wie kannst Du einer nutzlosen Träumerei zuliebe ein wirkliches Glück, Deine ganze Zukunft opfern!“

„O, ich hoffe doch, daß Sie nicht unerbittlich bleiben werden, Madame,“ fiel der Alte ein. „Oder sollten Sie wirklich auf Ihrem Nein beharren, wenn ich Ihnen meinen Namen und den meines Sohnes nenne? Ich bin der Graf von Matthison. Mein Sohn Gustav –“

Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Thür zum Nebenzimmer und der, welcher all diese Monate Paulinens ganzes Sinnen und Denken erfüllt hatte, lag zu ihren Füßen.

Erschrocken trat sie einen Schritt zurück, dann aber faßte sie sich und hob den Bittenden sanft empor.

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Anderthalb Monate nach dieser Begebenheit erreichte ein bequemer eleganter Reisewagen glücklich das schöne Schloß der [647] Familie Matthison in der Nähe von Kopenhagen. Die Reisenden waren der alte Graf, der kleine Adrian, Pauline und ihr Gatte, Graf Gustav.

Das Schloß, ein freundlicher Bau aus dem siebzehnten Jahrhundert, hob sich weiß und duftig von dunklen Waldmassen ab, die einen hohen Hügel überdeckten. Zwischen den Wohngebäuden und dem Waldessaume zogen sich große Parkanlagen hin mit hundertjährigen Bäumen und einem wegen seines Reichthums berühmten Wildstand. Vom Balkon des Schlosses aus erblickte man in der Ferne das schimmernde unendliche Meer.

In diesem herrlichen Heim verbrachte Pauline den Sommer mit ihrem Sohn und den neugewonnenen Lieben. Welch ein seliger Sommer war das! Ihr Kind, sie selbst umgeben von zarter Liebe, geborgen in starker Hand! Welches Glück nach so viel Kampf und Leid!

Und als der Winter kam mit seinem harten Frost und seinen endlosen Nächten, da meinte der alte Graf: „Kinder, es wird Zeit, daß wir unser Nest in Kopenhagen aufschlagen und uns nach Menschen umsehen!“ Und man bezog das Winterpalais der Familie in der Hauptstadt.

Dort traf Pauline an der Spitze der zahlreichen Dienerschaft ihre gute treue Frau Hinrik und noch eine zweite Ueberraschung, die ihr nicht minder bewies, wie sorgsam die Liebe ihres Gatten war.

Im Salon nämlich entdeckte sie gleich auf den ersten Blick fast alle jene Bilder, die einst in Amsterdam ihre Wohnung geschmückt hatten. Mit einem Ausruf innersten Glückes warf sie sich in die Arme ihres Gatten, dem Frau Hinrik verrathen hatte, was ihre Gebieterin am meisten überraschen und freuen würde.

Eine Reihe glänzender Feste begann, bei denen die Gräfin Matthison den bewunderten Mittelpunkt bildete. Alles huldigte dem Reiz ihrer Schönheit; der durch das seltsame Schicksal der Gefeierten nur erhöht wurde. Pauline fühlte sich glücklich in der Verehrung, die man ihr von allen Seiten entgegenbrachte, am glücklichsten aber daheim im Familienkreise, im stillen Geben und Nehmen einer treuen unerschütterlicheu Liebe. Wie ein Märchen war ihr der wunderbare Wechsel, den ihr der Himmel beschert hatte, und doch war alles strahlende Wirklichkeit.

Und wunderbar wie ein Märchen scheint vielleicht auch Dir, lieber Leser, diese Geschichte von dem schönen Limonadenmädchen, und doch ist sie Wahrheit – eine Wahrheit, wie die Schönheit eine ist und die Tugend auch.


  1. Es wird unsere Leser interessieren, in dieser Erzählung eine der letzten Arbeiten des namhaften Novellisten kennenzulernen, den am 9. Juni 1892 ein früher Tod ereilte und dessen Gedächtniß erst jüngst durch die Enthüllung seines Grabdenkmals in Karlsruhe aufs neue befestigt wurde.Die Redaktion.