Textdaten
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Titel: Zum Andreasabend
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 813, 819
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[813]

Andreasnacht.
Nach einer Zeichnung von Fritz Bergen.

[819] Zum Andreasabend. (Zu dem Bilde S. 813.) Es ist noch nicht ausgemacht, an die Stelle welches germanischen Gottes der heilige Andreas, der Bruder des heiligen Petrus, der in Scythien, Galatien, Bithynien und Kappadocien das Christenthum gepredigt haben soll, getreten ist. Aber eines ist sicher: jener germani[s]chen Gottheit muß die Liebe und die Ehe geweiht gewesen sein. Die weitaus größte Mehrzahl der Volksbräuche der Zwölfnächte, mittels deren man die Zukunft zu erforschen sucht, gilt der großen Frage nach dem künftigen Verlobten oder der künftigen Braut. In tausendfachem Wechsel klingt doch immer dieselbe Weise wieder.

Aber an keinem Tage tritt das so hervor wie am Andreasabend. Dort holt das heirathslustige Mädchen im Dunkel der Andreasnacht Kirsch- und Fliederzweige und pflegt sie sorgsam in lauwarmem Wasser, bis Weihnachten herankommt. Dann müssen sie in voller Blüthe stehen, wenn die Hochzeit nahe sein soll. Soviel Tage vergehen, bis die erste Blüthe aufbricht, soviel Wochen oder Monde muß man noch warten, bis der erste Freier sich meldet. Auch aus der Zahl und Stellung der Blüthen weiß man Schlüsse auf die Nähe oder Ferne des ersehnten Eheglücks zu ziehen.

Auch sitzt wohl ein Mägdlein schweigend neben dem Herde und betet ein Vaterunser rückwärts. Denn dann erscheint ihr sicher der künftige Gatte. Einstens wollte, so erzählt Franziscus im „Höllischen Proteus“, ein zwölfjähriges Mädchen dies nicht glauben. Da rieth ihm die Magd, es doch einmal selbst zu versuchen. Das Mädchen that es. Da trat aus der Küche eine weiße Gestalt mit bleichem Antlitz herein. Das Kind schrie auf, und die Gestalt verschwand. Es wurde nachmals siebzig Jahre alt und starb als Jungfrau, denn so oft es auch umworben ward, immer zerschlugen sich die Verlöbnisse wieder. So wurde der Tod wirklich sein Bräutigam. – Hier kann man auf einem Kreuzwege, dort im Brunnen den künftigen Liebsten sehen, und wieder anderorts erscheint seine Gestalt nachts in der Schlafkammer und trinkt aus einem Wasser- oder Weinglas, je nachdem er arm oder reich ist.

Eine eigenthümliche Rolle spielt bei diesen Versuchen, in die Nacht der Zukunft zu schauen, vielfach der sogenannte „Erbzaun“. In Schlesien und im Harz, in Bayern und am Rheine zieht man ihn in den Bereich des Andreaszaubers. Nachts, wenn es bald die zwölfte Stunde schlägt, geht das Mädchen hinaus an den Erbzaun, der das Gehöft ihres Vaters von dem Nachbargute scheidet. Sobald die Glocke zum Schlage aushebt, schüttelt sie den Zaun kräftig und spricht:

„Erbzaun, ich schüttle dich,
Erbzaun, ich rüttle dich,
Wo mein Liebchen wohnt, da regt es sich.
Kann er sich nicht selber melden,
So laß er nur ein Hündchen bellen.“

Dann wartet sie, bis irgendwo ein Hund bellt, und in dieser Richtung wohnt dann ihr künftiger Schatz.

Anderwärts schüttelt sie den Erbzaun so lange, bis eine Planke losgeht. Diese nimmt sie sorglich mit sich und bewahrt sie an einem verborgenen Orte auf. Am ersten Weihnachtsfeiertage steckt sie dieselbe dann beim ersten Läuten in den Ofen, beim zweiten schiebt sie sie noch ein Stück weiter hinein und beim dritten stellt sie sich ans Fenster und sieht, wer