Zion, die Stätte der Burg David’s

CXVII. Rouen Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CXVIII. Zion, die Stätte der Burg David’s
CXIX. München: die Glyptothek und Pinakothek
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ZION bey JERUSALEM

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CXVIII. Zion, die Stätte der Burg David’s.




So wenig das irdische Leben des einzelnen Menschen auf ewige Dauer berechnet ist, so wenig kann die runde, sich immer bewegende Erde eine Werkstätte bleibender Kunstwerke, ein Schauplatz ewiger Einrichtungen, eine Wohnung ewiger Völker seyn. Die Nationen kommen und gehen; sie entstehen und werden zu nichts und theilen alles Irdischen Loos. Wie jeder Augenblick Tausende von Menschen herbringt auf die Erde, hinwegnimmt andere Tausende, so führen Aeonen die Völker ab und zu, und die Länder wechseln ihre Bewohner wie Herbergen die ihrigen. Jedes Volk lebt sich aus und es vergeht, sobald die Ursachen seiner Fortdauer aufhören wirksam zu seyn, sobald sein Zweck im großen Reiche der Menschheit erfüllt ist. Nach diesem Gesetze sind die Nationen des Alterthums verschwunden. Verweht ist ihr Staub, und in Monumenten der Wissenschaft und Kunst blieben uns von ihnen nur schwache Erinnerungsblätter zurück.

Zwei Völker allein scheinen dieser Wahrheit zu widersprechen. Der mumienartige Chinese, welcher auf seinem Erdwinkel im Prinzip der Bewegungslosigkeit und Abgeschlossenheit das der Dauer gefunden; und der Jude, „der ewige Jude,“ der lebensmüde Wanderer durch die Welt. – Volk! Jehova’s auserwähltes, dessen Annalen mit dem Selbstfluch bezeichnet, „sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ und wie die Bücher der Propheten beschrieben sind von innen und außen mit Klagen, Trauer und Wehe – seit achtzehn Jahrhunderten sieht man dich zerstreut in alle Nationen unter der Decke des Himmels, ohne eine Heimath, ohne einen Lenker, ohne ein gemeinsames politisches Interesse; einem Fremdling überall, wohin du dich auch wendetest, streckte sich dir nie, weder bei den Christen, noch den Feueranbetern, noch bei Brahmah’s Verehrern, noch bei des Coran’s Bekennern, eine theilnehmende Hand entgegen, oder bot dir ein Willkommen gastliche Aufnahme. Ueberall verstoßen, fandest du zu allen Zeiten bei allen Völkern aller Religionen nur Feinde und Verfolger, und ward dir Druck, Erpressung und Versagung der Menschenrechte zu Theil: und dennoch sieht man dich immer und unter allen Himmelsstrichen ein abgesondert selbstständig Volk, das jedes seiner ursprünglichen Abzeichen in Religion, Sprache, Sitten, Charakter, in Gestalt und Gesichtsformen, so treu bewahrt hat, als bestände Davids königliches Reich noch heute in Herrlichkeit. – Wie du bist, bist du ein Räthsel, das aller historischen Erfahrung Hohn spricht, und dessen Auflösung der Denker vergebens versucht.

[70] Zwei Jahrtausende waren (nach der biblischen Zeitrechnung) seit der Schöpfung verflossen, als der Nomadenfürst Abraham aus Mesopotamien jenseits des Euphrats in Canaan einwanderte, um für sich und die Seinen neue Weide- und Wohnplätze zu suchen. Eber, den Mann von Jenseits, nannten die Eingebornen den Fremden; daher der Name Hebräer. Tugend, patriarchalische Würde und Reichthum machten ihn schon im Leben berühmt, und bei den Völkern weit und breit stand er in Ansehn. Eine Kette wunderbarer Begebenheiten, – in denen man die lenkende Hand der Vorsehung deutlich erkennt, – führte die Hebräer in der dritten Generation nach dem damaligen Weltreiche Aegypten, wo sie, angesiedelt im Lande Gosen, bürgerliche Beschäftigung üben lernten. Vier friedlich verlebte Jahrhunderte mehrten ein Volk gewaltig, das im Kinderreichthum ein Gnadenzeichen des Herrn sah. Die Juden wurden den Aegyptern zur Last. Hart und immer härter legten die letztern das Joch. In dieser Noth erstand den schwer Bedrückten ein Retter in Moses, einem jener begeisterten, zum Lenken der Weltgeschicke dienenden Werkzeuge Gottes, ein weiser, kraftvoller, großer Mann, dessen Ruhm ungeschmälert durch alle Zeiten und alle Völker geht. Glücklich führte er die Nation aus dem Nilthale; aber da er sich bald überzeugn mußte, daß mit dem in der langen Sklaverei gänzlich verdorbenen Volke nichts Tüchtiges anzufangen war, gab er, ein großer Entschluß! die lebende Generation auf und setzte seine Hoffnung und seine Pläne ganz auf das freigeborne kommende Geschlecht. Mit dem Schrecken Jehova’s umgürtet, führte er die Israeliten 40 Jahre lang in Arabiens Wüsten umher, und erst als die verderbte Mehrzahl vergangen war, zog er dem Lande der Verheißung, Canaan, zu, dort mit dem zum Dienste des Allmächtigen eng verbundenen, verjüngten Volke einen Staat einzurichten. Edom umgehend, drang er von Aufgang her gegen den Jordan; hier ereilte ihn jedoch der Tod, den er lange vorher geahndet hatte. Von einem Berge übersah er noch das schöne Land, dessen Eroberung er Josua auftrug, und ging dann zu den Vätern über. Sein Name lebt, wie keines Sterblichen Name, in der Verehrung der Völker. –

Bis zur Einrichtung der Monarchie führten Stammfürsten und Aelteste, unter dem überwiegenden Einfluß der Hohenpriester, das Regiment über Israel. Das Nachtheilige des Mangels an Einheit in den obersten Gewalten wurde aber in unruhiger kriegerischer Zeit bald fühlbar, und der Wunsch des Volks führte zur Errichtung der Alleinherrschaft. In Saul sah Israel seinen ersten König. Dieser von der Priesterpartei Gewählte wollte sich nicht als deren Puppe gebrauchen lassen; darum stellte jene in David einen Gegenkönig auf. Indeß erst nach Saul’s und seines Sohnes Isboseth’s Tode wurde Goliath’s Ueberwinder als Monarch allgemein anerkannt.

David’s Regierung, obschon nicht ohne manchen Wechsel, war der Silberblick des jüdischen Staats. David war ein Mann voll Kraft zum Guten, voll Geist und Herz; aber auch manchmal hingerissen durch ungestüme Leidenschaft zu schändlichen Verbrechen. Er war ein glorreicher König, ein Held in der Schlacht, ein heiliger, erhabener Dichter, ein Mann voll Vertrauen auf den alleinigen Gott; das BEAU IDEAL eines Israeliten. Er [71] gebot von den Küsten des arabischen Meerbusens an bis zum Euphrat und bis zu dem Gebirge Armeniens. Niemals, vor oder nach ihm, ist Israel so gewaltig gewesen!

Bisher war Hebron die Residenz des Königs. Auf den Trümmern der Veste der Jebusiter, auf dem Plateau des Zion, erbaute sich aus Marmor und aus Cedern des Libanon durch Tyrische Handwerker David einen herrlichen, befestigten Pallast, und gründete dadurch die Größe Jerusalems, denn die Hofhaltung des mächtigen Monarchen zog Menschen und Schätze und Pracht in seine Umgebung aus dem ganzen Reich, und der Umfang der bis dahin unberühmten Stadt breitete sich schon bei seinen Lebzeiten über mehre Hügel aus.

Salomo, der prachtliebende, üppige, führte einen zweiten Pallast mehr im Mittelpunkte der Stadt auf, und unter seinen Nachfolgern ist Zion mehr eine Cidatelle, als königliche Wohnung gewesen. Bei der nachmaligen Verwüstung Jerusalems durch die Babylonier wurde die Burg erhalten und von den neuen Herren des Landes als Zwingveste benutzt. Dieselbe Bestimmung hatte sie zur Römerzeit. Als aber Vespasian nach der zweiten Empörung der Juden die gänzliche Zerstörung Jerusalems befahl, schleifte man die Burg David’s bis auf den Grund, und wo ihre Zinnen stolz sich erhoben, da ackerte fortan die römische Pflugschaar.

Erst nach der Eroberung Palästina’s durch die Araber wurde auf Zion über dem vermeintlichen Grabe des großen Königs und Dichters, der bei den Mohamedanern in hoher Verehrung steht, eine Moschee mit einem klösterlichen Gebäude errichtet, dasselbe, von dem der Stahlstich eine Ansicht gibt. David’s Gruft, tief in den Felsen gehauen, macht den Ort zu einem der heiligsten Wallfahrtsziele der Moslims, und es ist keinem Andersgläubigen gestattet, sie zu betreten. Von der Herrlichkeit älterer Zeiten ist jedoch alles bis auf die kleinsten Trümmer verschwunden, und nur zuweilen findet man bei’m Umgraben der Felder noch Bruchstücke von Gesimsen und Säulen. Der in Aecker verwandelte Schutt bedeckt auf mehre Fuß Tiefe die ganze Oberfläche des Berges.

Die Aussicht von der Zion’schen Hochebene ist zwar beschränkt; aber von großem Interesse. Oestlich streckt sich das Thal Josaphat aus, vom Kidron bewässert, und jenseits erhebt sich der schöne, fruchtbare Oelberg. Die Thäler Hinnon und Gihon und der Hügel Golgatha liegen nach Süd und West. Nach Abend zu fällt der Zion steil ab, und in den Seiten der Felswände, auf welchen kleine Weingärten terrassenartig angelegt sind, sieht man eine Menge Grabhöhlen, aus dem Gestein gehauene kleine Todtenkammern, die für 2 bis 4 Särge Raum haben. An manchen bemerkt man hieroglyphenartige Inschriften. Nordwärts dehnt sich das heutige Jerusalem aus, ein unregelmäßiger, großer Haufen schlechter Häuser, vieler Moscheen, Kirchen, Klöster und fester Thürme über eine Welt von Ruinen. – Den niedrigsten, ungesundesten und schlechtesten Theil der Stadt bewohnen die Juden, verachtet von Christen und Türken, in Schmutz, Armuth, Elend und Verworfenheit. Der Ort, wo sie Jehova anbeten, ihre Synagoge, ist ein dunkeles, [72] niedriges Loch, – eine Höhle, in die nicht einmal das Tageslicht dringt. „Als ich,“ erzählt ein berühmter Reisender, „diesen Ort voll Schmutz, Gestank und zerlumpter Gestalten betrat, las gerade der Rabbiner, ein ehrwürdiger Greis mit langem Silberbarte, aus den heiligen Büchern die prachtvolle Beschreibung des Salomon’schen Tempels vor. – Der Gedanke an die grausame Ironie des Schicksals schüttelte mit Fieberfrost meine Seele und ich war doch nur ein Christ! Bald aber bemerkte ich, daß ich der Einzige war, der sie fühlte. Die Gleichgültigkeit, mit der man zuhörte und nicht zuhörte (denn die meisten Männer standen gruppenweise zusammen und unterhielten sich ziemlich laut über die gemeinsten Angelegenheiten des Tages!), erschloß meinen Blicken den ganzen Abgrund, in den dies Volk versunken ist, welchem einst „der Herr“ selbst ein Vaterland geschenkt hatte. Als eine parasitische Pflanze lebt es auf allen Stämmen des irdischen Völkerwaldes, zehrend nur von fremdem Safte, nirgends die eigenen Wurzeln in den Boden schlagend. Sinnreich, verschlagen, und immer geschäftig, aber allen Anstrengungen feind, ist es über die Welt hin zerstreut als ein Volk von Schacherern und Unterhändlern, das trotz der Unterdrückung und Versagung der bürgerlichen Rechte überall, nirgends sich nach Wiedervereinigung, nirgends nach eigener Ehre und Wohnung, nirgends nach einem Vaterlande sehnt: und doch hat dieß Volk, das seit fast zwei Jahrtausenden wie eine feile Münze durch alle Nationen läuft, betastet und begriffen von Allen mit rauher Hand, sein Gepräge sich erhalten glänzend, scharf und neu, wie ein Gepräge von gestern!“ –