Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände

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Autor: Friedrich Schiller
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Titel: Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände.
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aus: Neue Thalia. 1792–93. 1793, Vierter Band, S. 115–180
Herausgeber: Friedrich Schiller
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Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: G. J. Göschen'sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
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[115]
I.
Zerstreute Betrachtungen
über
verschiedene
ästhetische Gegenstände.


Alle Eigenschaften der Dinge, wodurch sie ästhetisch werden können, lassen sich unter viererley Klassen bringen, die sowohl nach ihrer objectiven Verschiedenheit, als nach ihrer verschiednen subjectiven Beziehung auf unser leidendes oder thätiges Vermögen ein nicht bloß der Stärke sondern auch dem Werth nach verschiedenes Wohlgefallen wirken, und für den Zweck der schönen Künste auch von ungleicher Brauchbarkeit sind; nämlich das Angenehme, das Gute, das Erhabene [116] und das Schöne. Unter diesen ist das Erhabene und Schöne allein der Kunst eigen. Das Angenehme ist ihrer nicht würdig, und das Gute ist wenigstens nicht ihr Zweck; denn der Zweck der Kunst ist zu vergnügen, und das Gute, sey es theoretisch oder practisch, kann und darf der Sinnlichkeit nicht als Mittel dienen.

Das Angenehme vergnügt bloß die Sinne, und unterscheidet sich darinn von dem Guten, welches der bloßen Vernunft gefällt. Es gefällt durch seine Materie, denn nur der Stoff kann den Sinn afficieren, und alles, was Form ist, nur der Vernunft gefallen.

Das Schöne gefällt zwar durch das Medium der Sinne, wodurch es sich vom Guten unterscheidet, aber es gefällt durch seine Form der Vernunft, wodurch es sich vom Angenehmen unterscheidet. Das Gute, kann man sagen, gefällt durch die bloße vernunftgemäße Form, das [117] Schöne durch vernunftähnliche Form, das Angenehme durch gar keine Form. Das Gute wird gedacht, das Schöne betrachtet, das Angenehme bloß gefühlt. Jenes gefällt im Begriff, das zweyte in der Anschauung, das dritte in der materiellen Empfindung.

Der Abstand zwischen dem Guten und dem Angenehmen fällt am meisten in die Augen. Das Gute erweitert unsre Erkenntniß, weil es einen Begriff von seinem Object verschafft, und voraussetzt: der Grund unsers Wohlgefallens liegt in dem Gegenstand, wenn gleich das Wohlgefallen selbst ein Zustand ist, in dem wir uns befinden. Das Angenehme hingegen bringt gar kein Erkenntniß seines Objectes hervor und gründet sich auch auf keines. Es ist bloß dadurch angenehm, daß es empfunden wird, und sein Begriff verschwindet gänzlich, sobald wir uns die Affectibilität der Sinne hinwegdenken, oder sie auch nur verändern. Einem Menschen, der Frost empfindet, ist eine warme [118] Luft angenehm; eben dieser Mensch aber wird in der Sommerhitze einen kühlenden Schatten suchen. In beyden Fällen aber wird man gestehen, hat er richtig geurtheilt. Das Objective ist von uns völlig unabhängig, und was uns heute wahr, zweckmäßig, vernünftig vorkommt, wird uns (vorausgesetzt, daß wir heute richtig geurtheilt haben) auch in zwanzig Jahren eben so erscheinen. Unser Urtheil über das Angenehme ändert sich ab, so wie sich unsere Lage gegen sein Object verändert. Es ist also keine Eigenschaft des Objects, sondern entsteht erst aus dem Verhältniß eines Objects zu unsern Sinnen – denn die Beschaffenheit des Sinns ist eine nothwendige Bedingung desselben.

Das Gute hingegen ist schon gut, ehe es vorgestellt und empfunden wird. Die Eigenschaft, durch die es gefällt, besteht vollkommen für sich selbst, ohne unser Subject nöthig zu haben, wenn gleich unser Wohlgefallen an demselben auf einer Empfänglichkeit unsers Wesens ruht. Das Angenehme, kann man daher sagen, ist nur, [119] weil es empfunden wird; das Gute hingegen wird empfunden, weil es ist.

Der Abstand des Schönen von dem Angenehmen fällt, so groß er auch übrigens ist, weniger in die Augen. Es ist darinn dem Angenehmen gleich, daß es immer den Sinnen muß vorgehalten werden, daß es nur in der Erscheinung gefällt. Es ist ihm ferner darinnen gleich, daß es keine Erkenntniß von seinen Object verschafft, noch voraus setzt. Es unterscheidet sich aber wieder sehr von dem Angenehmen, weil es durch die Form seiner Erscheinung, nicht durch die materielle Empfindung gefällt. Es gefällt zwar dem vernünftigen Subject bloß insofern dasselbe zugleich sinnlich ist, aber es gefällt auch dem sinnlichen nur, insofern dasselbe zugleich vernünftig ist. Es gefällt nicht bloß dem Individuum, sondern der Gattung, und ob es gleich nur durch seine Beziehung auf sinnlich-vernünftige Wesen Existenz erhält, so ist es doch von allen empirischen Bestimmungen der Sinnlichkeit unabhängig und [120] es bleibt dasselbe, auch wenn sich die Privatbeschaffenheit der Subjecte verändert. Das Schöne hat also eben das mit dem Guten gemein, worinn es von dem Angenehmen abweicht, und geht eben da von dem Guten ab, wo es sich dem Angenehmen nähert.

Unter dem Guten ist dasjenige zu verstehen, worinn die Vernunft eine Angemessenheit zu ihren, theoretischen oder practischen Gesetzen erkennt. Es kann aber der nämliche Gegenstand mit der theoretischen Vernunft vollkommen zusammenstimmen, und doch der practischen im höchsten Grad widersprechend seyn. Wir können den Zweck einer Unternehmung mißbilligen und doch die Zweckmäßigkeit in derselben bewundern. Wir können die Genüße verachten, die der Wollüstling zum Ziel seines Lebens macht, und doch seine Klugheit in der Wahl der Mittel und die Konsequenz seiner Grundsätze loben. Was uns bloß durch seine Form gefällt ist gut, und es ist absolut und [121] ohne Bedingung gut, wenn seine Form zugleich auch sein Innhalt ist. Auch das Gute ist ein Object der Empfindung, aber keiner unmittelbaren, wie das Angenehme, und auch keiner gemischten wie das Schöne. Es erregt nicht Begierde, wie das erste, und nicht Neigung wie das zweyte. Die reine Vorstellung des Guten kann nur Achtung einflößen.

Nach Festsetzung des Unterschiedes zwischen dem Angenehmen, dem Guten und dem Schönen leuchtet ein, daß ein Gegenstand häßlich, unvollkommen, ja sogar moralisch verwerflich und doch angenehm seyn, doch den Sinnen gefallen könne; daß ein Gegenstand die Sinne empören und doch gut seyn, doch der Vernunft gefallen könne; daß ein Gegenstand seinem innern Wesen nach das moralische Gefühl empören, und doch in der Betrachtung gefallen, doch schön seyn könne. Die Ursache ist, weil bey allen diesen verschiedenen Vorstellungen ein anderes Vermögen des Gemüths und auf eine andere Art interessiert ist.

[122] Aber hiermit ist die Klassifikation der ästhetischen Prädikate noch nicht erschöpft; denn es giebt Gegenstände, die zugleich häßlich, den Sinnen widrig und schrecklich, unbefriedigend für den Verstand und in der moralischen Schätzung gleichgültig sind, und die doch gefallen, ja die in so hohem Grad gefallen, daß wir gerne das Vergnügen der Sinne, und des Verstandes aufopfern, um uns den Genuß derselben zu verschaffen.

Nichts ist reizender in der Natur als eine schöne Landschaft in der Abendröthe. Die reiche Mannichfaltigkeit und der milde Umriß der Gestalten, das unendlich wechselnde Spiel des Lichts, der leichte Flor der die fernen Objecte umkleidet, alles wirkt zusammen, unsere Sinne zu ergötzen. Das sanfte Geräusch eines Wasserfalls, das Schlagen der Nachtigallen, eine angenehme Musik soll dazu kommen, unser Vergnügen zu vermehren. Wir sind aufgelöst in süße Empfindungen von Ruhe, und indem unsere Sinne von der [123] Harmonie der Farben, der Gestalten und Töne auf das angenehmste gerührt werden, ergötzt sich das Gemüth an einem leichten und geistreichen Ideengang, und das Herz an einem Strom von Gefühlen.

Auf einmal erhebt sich ein Sturm, der den Himmel und die ganze Landschaft verfinstert, der alle andere Töne überstimmt oder schweigen macht, und uns alle jene Vergnügungen plötzlich raubt. Pechschwarze Wolken umziehen den Horizont, betäubende Donnerschläge fallen nieder, Blitz folgt auf Blitz, und unser Gesicht wie unser Gehör wird auf das widrigste gerührt. Der Blitz leuchtet nur, um uns das schreckliche der Nacht desto sichtbarer zu machen; wir sehen wie er einschlägt, ja wir fangen an zu fürchten, daß er auch uns treffen möchte. Nichts destoweniger werden wir glauben, bey dem Tausch eher gewonnen als verloren zu haben, diejenigen Personen ausgenommen, denen die Furcht alle Freyheit des Urtheils raubt. Wir werden von diesem furchtbaren [124] Schauspiel, das unsere Sinne zurückstößt, von einer Seite mit Macht angezogen, und verweilen uns bey demselben mit einem Gefühl, das man zwar nicht eigentliche Lust nennen kann, aber der Lust oft weit vorzieht. Nun ist aber dieses Schauspiel der Natur eher verderblich als gut (wenigstens hat man gar nicht nöthig an die Nutzbarkeit eines Gewitters zu denken, um an dieser Naturerscheinung Gefallen zu finden) es ist eher häßlich als schön, denn Finsterniß kann als Beraubung aller Vorstellungen die das Licht verschafft, nie gefallen, und die plötzliche Lufterschütterung durch den Donner, so wie die plötzliche Lufterleuchtung durch den Blitz widersprechen einer nothwendigen Bedingung aller Schönheit, die nichts abruptes, nichts gewaltsames verträgt. Ferner ist diese Naturerscheinung den bloßen Sinnen eher schmerzhaft als annehmlich, weil die Nerven des Gesichts und des Gehörs durch die plötzliche Abwechselung von Dunkelheit und Licht, von dem Knallen des Donners zur Stille [125] peinlich angespannt und dann eben so gewaltsam wieder erschlafft werden. Und trotz allen diesen Ursachen des Mißfallens ist ein Gewitter, für den, der es nicht fürchtet, eine anziehende Erscheinung.

Ferner. Mitten in einer grünen und lachenden Ebene soll ein unbewachsener wilder Hügel hervorragen, der dem Auge einen Theil der Aussicht entzieht. Jeder wird diesen Erdhaufen hinweg wünschen, als etwas, das die Schönheit der ganzen Landschaft verunstaltet. Nun lasse man in Gedanken diesen Hügel immer höher und höher werden, ohne das geringste an seiner übrigen Form zu verändern, so daß dasselbe Verhältniß zwischen seiner Breite und Höhe auch noch im Großen beybehalten wird. Anfangs wird das Mißvergnügen über ihn zunehmen, weil ihn seine zunehmende Größe nur bemerkbarer, nur störender macht. Man fahre aber fort ihn bis über die doppelte Höhe eines Thurmes zu vergrößern, so wird das Mißvergnügen über ihn sich unmerklich verlieren, und einem [126] ganz andern Gefühle Platz machen. Ist er endlich so hoch hinaufgestiegen, daß es dem Auge beynahe unmöglich wird, ihn in ein einziges Bild zusammen zu faßen, so ist er uns mehr werth, als die ganze schöne Ebene um ihn her, und wir würden den Eindruck, den er auf uns macht, ungern mit einem andern noch so schönen vertauschen. Nun gebe man in Gedanken diesem Berg eine solche Neigung, daß es aussieht, als wenn er alle Augenblicke herabstürzen wollte, so wird das vorige Gefühl sich mit einem andern vermischen; Schrecken wird sich damit verbinden, aber der Gegenstand selbst wird nur desto anziehender seyn. Gesetzt aber man könnte diesen sich neigenden Berg durch einen andern unterstützen, so würde sich der Schrecken und mit ihm ein großer Theil unsers Wohlgefallens verlieren. Gesetzt ferner, man stellte dicht an diesen Berg vier bis fünf andere, davon jeder um den vierten oder fünften Theil niedriger wäre als der zunächst auf ihn folgende, so würde das erste Gefühl, das uns seine Größe einflößte [127] merklich geschwächt werden – etwas ähnliches würde geschehen, wenn man den Berg selbst in zehn oder zwölf gleichförmige Absätze theilte; auch wenn man ihn durch künstliche Anlagen verzierte. Mit diesem Berge haben wir nun anfangs keine andere Operation vorgenommen, als daß wir ihn, ganz wie er war, ohne seine Form zu verändern, größer machten, und durch diesen einzigen Umstand wurde er aus einem gleichgültigen, ja sogar widerwärtigen Gegenstand in einen Gegenstand des Wohlgefallens verwandelt. Bey der zweyten Operation haben wir diesen großen Gegenstand zugleich in ein Object des Schreckens verwandelt, und dadurch das Wohlgefallen an seinem Anblick vermehrt. Bey den übrigen damit vorgenommenen Operationen haben wir das Schreckenerregende seines Anblicks vermindert und dadurch das Vergnügen geschwächt. Wir haben die Vorstellung seiner Größe subjectiv verringert, theils dadurch, daß wir die Aufmerksamkeit des Auges zertheilten, theils dadurch, daß wir [128] demselben in den daneben gestellten kleineren Bergen ein Maaß verschafften, womit es die Größe des Berges desto leichter beherrschen konnte. Größe und Schreckbarkeit können also in gewissen Fällen für sich allein eine Quelle von Vergnügen abgeben.

Es giebt in der griechischen Fabellehre kein fürchterlicheres und zugleich häßlicheres Bild als die Furien oder Erinnyen, wenn sie aus dem Orcus hervorsteigen, einen Verbrecher zu verfolgen. Ein scheußlich verzerrtes Gesicht, hagre Figuren, ein Kopf der statt der Haare mit Schlangen bedeckt ist, empören unsre Sinne eben so sehr, als sie unsern Geschmack beleidigen. Wenn aber diese Ungeheuer vorgestellt werden, wie sie den Muttermörder Orestes verfolgen, wie sie die Fakel in ihren Händen schwingen, und ihn rastlos von einem Orte zum andern jagen, bis sie endlich, wenn die zürnende Gerechtigkeit versöhnt ist, in den Abgrund der Hölle verschwinden, so verweilen wir mit einem angenehmen [129] Grausen bey dieser Vorstellung. Aber nicht bloß die Gewissensangst eines Verbrechers, welche durch die Furien versinnlicht wird, selbst seine pflichtwidrige Handlungen, der wirkliche Aktus eines Verbrechens, kann uns in der Darstellung gefallen. Die Medea des griechischen Trauerspiels, Clytemnestra die ihren Gemahl ermordet, Orest der seine Mutter tödet, erfüllen unser Gemüth mit einer schauerlichen Lust. Selbst im gemeinen Leben entdecken wir, daß uns gleichgültige, ja selbst widrige und abschreckende Gegenstände zu interessieren anfangen, sobald sie sich entweder dem ungeheuren oder dem schrecklichen nähern. Ein ganz gemeiner und unbedeutender Mensch fängt an, uns zu gefallen, sobald eine heftige Leidenschaft, die seinen Werth nicht im geringsten erhöht, ihn zu einem Gegenstand der Furcht und des Schreckens macht; so wie ein gemeiner nichts sagender Gegenstand für uns eine Quelle der Lust wird, sobald wir ihn so vergrößern, daß er unser Fassungsvermögen zu überschreiten [130] droht. Ein häßlicher Mensch wird noch häßlicher durch den Zorn, und doch kann er im Ausbruch dieser Leidenschaft, sobald sie nicht ins Lächerliche, sondern ins Furchtbare verfällt, gerade noch den meisten Reiz für uns haben. Selbst bis zu den Thieren herab gilt diese Bemerkung. Ein Stier am Pfluge, ein Pferd am Karren, ein Hund, sind gemeine Gegenstände; reizen wir aber den Stier zum Kampfe, setzen wir das ruhige Pferd in Wuth, oder sehen wir einen wüthenden Hund, so erheben sich diese Thiere zu ästhetischen Gegenständen, und wir fangen an, sie mit einem Gefühle zu betrachten, das an Vergnügen und Achtung grenzt. Der allen Menschen gemeinschaftliche Hang zum Leidenschaftlichen, die Macht der sympathetischen Gefühle, die uns in der Natur zum Anblick des Leidens, des Schreckens, des Entsetzens hintreibt, die in der Kunst soviel Reiz für uns hat, die uns in das Schauspielhaus lockt, die uns an den Schilderungen großer Unglücksfälle soviel Geschmack finden [131] läßt, alles dieß beweißt für eine vierte Quelle von Lust, die weder das Angenehme, noch das Gute, noch das Schöne zu erzeugen im Stand sind.

Alle bisher angeführten Beyspiele haben etwas objectives in der Empfindung, die sie bey uns erregen, mit einander gemein. In allen empfangen wir eine Vorstellung von Etwas „das entweder unsere sinnliche Fassungskraft oder unsere sinnliche Widerstehungskraft überschreitet“, oder zu überschreiten droht, jedoch ohne diese Überlegenheit, biß zur Unterdrückung jener beyden Kräfte zu treiben, und ohne die Bestrebung zum Erkenntniß oder zum Widerstand in uns niederzuschlagen. Ein Mannichfaltiges wird uns dort gegeben, welches in Einheit zusammen zu fassen unser anschauendes Vermögen bis an seine Grenzen treibt. Eine Kraft wird uns hier vorgestellt, gegen welche die unsrige verschwindet, die wir aber doch damit zu vergleichen genöthigt werden. [132] Entweder ist es ein Gegenstand, der sich unserm Anschauungsvermögen zugleich darbietet und entzieht, und das Bestreben zur Vorstellung weckt, ohne es Befriedigung hoffen zu lassen, oder es ist ein Gegenstand, der gegen unser Daseyn selbst feindlich aufzustehen scheint, uns gleichsam zum Kampf herausfodert und für den Ausgang besorgt macht. Eben so ist in allen angeführten Fällen die nämliche Wirkung auf das Empfindungsvermögen sichtbar. Alle setzen das Gemüth in eine unruhige Bewegung und spannen es an. Ein gewisser Ernst, der bis zur Feyerlichkeit steigen kann, bemächtigt sich unserer Seele, und indem sich in den sinnlichen Organen deutliche Spuren von Beängstigung zeigen, sinkt der nachdenkende Geist in sich selbst zurück, und scheint sich auf ein erhöhtes Bewußtseyn seiner selbständigen Kraft und Würde zu stützen. Dieses Bewußtseyn muß schlechterdings überwiegend seyn, wenn das Große oder das Schreckliche einen ästhetischen Werth für uns haben soll. Weil sich nun das Gemüth bey solchen [133] Vorstellungen begeistert und über sich selbst gehoben fühlt, so bezeichnet man sie mit dem Namen des Erhabenen, ob gleich den Gegenständen selbst objektiv nichts Erhabenes zukommt, und es also wohl schicklicher wäre, sie erhebend zu nennen.

Wenn ein Objekt erhaben heißen soll, so muß es sich unseren sinnlichen Vermögen entgegensetzen. Es lassen sich aber überhaupt zwey verschiedene Verhältnisse denken, in welchen die Dinge zu unsrer Sinnlichkeit stehen können, und diesen gemäß muß es auch zwey verschiedene Arten des Widerstandes geben. Entweder werden sie als Objecte betrachtet, von denen wir uns ein Erkenntniß verschaffen wollen, oder sie werden als eine Macht angesehen, mit der wir die unsrige vergleichen. Nach dieser Eintheilung giebt es auch zwey Gattungen des Erhabenen das Erhabene der Erkenntniß und das Erhabene der Kraft [1]

[134] Nun tragen aber die sinnlichen Vermögen nichts weiter zur Erkenntniß bey, als daß sie den gegebenen Stoff auffassen und das Mannichfaltige desselben im Raum und in der Zeit aneinander setzen. Dieses Mannichfaltige zu unterscheiden, und zu sortieren ist das Geschäft des Verstandes, nicht der Einbildungskraft. Für den Verstand allein giebt es ein Verschiedenes, für die Einbildungskraft (als Sinn) bloß ein Gleichartiges, und es ist also bloß die Menge des Gleichartigen (die Quantität nicht die Qualität) was bey der sinnlichen Auffassung der Erscheinungen einen Unterschied machen kann. Soll also das sinnliche Vorstellungsvermögen an einem Gegenstand erliegen, so muß dieser Gegenstand durch seine Quantität für die Einbildungskraft übersteigend seyn. Das Erhabene der Erkenntniß beruht demnach auf der Zahl oder der Größe, und kann darum auch das mathematische heißen [2].

[135]
Von der ästhetischen Größenschätzung.

Ich kann mir von der Quantität eines Gegenstandes vier, von einander ganz verschiedene, Vorstellungen machen.

Der Thurm, den ich vor mir sehe, ist eine Größe.

Er ist zweyhundert Ellen hoch.

Er ist hoch.

Er ist ein hoher (erhabener) Gegenstand.

Es leuchtet in die Augen, daß durch jedes dieser viererley Urtheile, welche sich doch sämmtlich auf die Quantität des Thurms beziehen, etwas ganz verschiedenes ausgesagt wird. In den beyden ersten Urtheilen wird der Thurm bloß als ein Quantum (als eine Größe) in den zwey übrigen wird er als ein magnum (als etwas Großes) betrachtet.

Alles, was Theile hat, ist ein Quantum. Jede Anschauung, jeder Verstandesbegriff [136] hat eine Größe, so gewiß dieser eine Sphäre und jene einen Innhalt hat. Die Quantität überhaupt kann also nicht gemeint seyn, wenn man von einem Größenunterschied unter den Objekten redet. Die Rede ist hier von einer solchen Quantität, die einem Gegenstande vorzugsweise zukommt, d. h. die nicht bloß ein quantum sondern zugleich ein magnum ist.

Bey jeder Größe denkt man sich eine Einheit, zu welcher mehrere gleichartige Theile verbunden sind. Soll also ein Unterschied zwischen Größe und Größe statt finden, so kann er nur darinn liegen, daß in der Einen mehr, in der andern weniger Theile zur Einheit verbunden sind, oder, daß die Eine nur einen Theil in der andern ausmacht. Dasjenige Quantum, welches ein anderes Quantum als Theil in sich enthält, ist gegen dieses Quantum ein magnum.

Untersuchen, wie oft ein bestimmtes Quantum in einem andern enthalten ist, [137] heißt dieses Quantum messen (wenn es stetig) oder es zählen (wenn es nicht stetig ist). Auf die zum Maaß genommene Einheit kommt es also jederzeit an, ob wir einen Gegenstand als ein Magnum betrachten sollen, d. h. alle Größe ist ein Verhältnißbegriff.

Gegen ihr Maaß gehalten ist jede Größe ein Magnum, und noch mehr ist sie es gegen das Maaß ihres Maaßes, mit welchem verglichen dieses selbst wieder ein Magnum ist. Aber so wie es herabwärts geht, geht es auch aufwärts. Jedes Magnum ist wieder klein, sobald wir es uns in einem andern enthalten denken, und wo gibt es hier eine Grenze, da wir jede noch so große Zahlreyhe mit sich selbst wieder multiplizieren können?

Auf dem Wege der Messung können wir also zwar auf die komparative aber nie auf die absolute Größe stoßen, auf diejenige nämlich, welche in keinem andern Quantum mehr enthalten seyn kann, [138] sondern alle andre Größen unter sich befaßet. Nichts würde uns ja hindern, daß dieselbe Verstandeshandlung, die uns eine solche Größe lieferte, uns auch das Duplum derselben lieferte, weil der Verstand successiv verfährt, und von Zahlbegriffen geleitet seine Synthese ins Unendliche fortsetzen kann. So lange sich noch bestimmen läßt, wie groß ein Gegenstand sey, ist er noch nicht (schlechthin) groß, und kann durch dieselbe Operation der Vergleichung zu einem sehr kleinen herabgewürdiget werden. Diesem nach könnte es in der Natur nur eine einzige Größe per excellentiam geben, nämlich das unendliche Ganze der Natur selbst, dem aber nie eine Anschauung entsprechen, und dessen Synthesis in keiner Zeit vollendet werden kann. Da sich das Reich der Zahl nie erschöpfen läßt, so müßte es der Verstand seyn, der seine Synthesis endigt. Er selbst müßte irgend eine Einheit als höchstes und äusserstes Maaß aufstellen, und was darüber hinausragt, schlechthin für groß erklären.

[139] Dieß geschieht auch wirklich, wenn ich von dem Thurm der vor mir steht, sage er sey hoch, ohne seine Höhe zu bestimmen. Ich gebe hier kein Maaß der Vergleichung, und doch kann ich dem Thurm die absolute Größe nicht zuschreiben, da mich gar nichts hindert, ihn noch größer anzunehmen. Mir muß also schon durch den bloßen Anblick des Thurmes ein äusserstes Maaß gegeben seyn, und ich muß mir einbilden können, durch meinen Ausdruck: dieser Thurm ist hoch, auch jedem andern dieses äusserste Maaß vorgeschrieben zu haben. Dieses Maaß liegt also schon in dem Begriffe eines Thurmes, und es ist kein andres, als der Begriff seiner Gattungsgröße.

Jedem Dinge ist ein gewisses Maximum der Größe entweder durch seine Gattung (wenn es ein Werk der Natur ist) oder (wenn es ein Werk der Freyheit ist) durch die Schranken der ihm zu Grunde liegenden Ursache und durch seinen Zweck vorgeschrieben. Bey jeder Wahrnehmung [140] von Gegenständen wenden wir, mit mehr oder weniger Bewußtseyn, dieses Größenmaaß an, aber unsre Empfindungen sind sehr verschieden, je nachdem das Maaß, welches wir zum Grund legen, zufälliger oder nothwendiger ist. Überschreitet ein Objekt den Begriff seiner Gattungsgröße, so wird es uns gewissermaasen in Verwunderung setzen. Wir werden überrascht, und unsre Erfahrung erweitert sich, aber in sofern wir an dem Gegenstand selbst kein Interesse nehmen, bleibt es bloß bey diesem Gefühle einer übertroffenen Erwartung. Wir haben jenes Maaß nur aus einer Reyhe von Erfahrungen abgezogen, und es ist gar keine Nothwendigkeit vorhanden, daß es immer zutreffen muß. Überschreitet hingegen ein Erzeugniß der Freyheit den Begriff, den wir uns von den Schranken seiner Ursache machten, so werden wir schon eine gewisse Bewunderung empfinden. Es ist hier nicht bloß die übertroffene Erwartung, es ist zugleich eine Entledigung von Schranken, was uns bey einer solchen Erfahrung überrascht. Dort blieb unsre [141] Aufmerksamkeit bloß bey dem Produkte stehen, das an sich selbst gleichgültig war; hier wird sie auf die hervorbringende Kraft hingezogen, welche moralisch oder doch einem moralischen Wesen angehörig ist, und uns also nothwendig interessieren muß. Dieses Interesse wird in eben dem Grade steigen, als die Kraft, welche das wirkende Principium ausmachte, edler und wichtiger, und die Schranke, welche wir überschritten finden, schwerer zu überwinden ist. Ein Pferd von ungewöhnlicher Größe wird uns angenehm befremden, aber noch mehr der geschickte und starke Reiter, der es bändigt. Sehen wir ihn nun gar mit diesem Pferd über einen breiten und tiefen Graben setzen, so erstaunen wir, und ist es eine feindliche Fronte, gegen welche wir ihn lossprengen sehen, so gesellt sich zu diesem Erstaunen Achtung, und es geht in Bewunderung über. In dem letztern Fall behandeln wir seine Handlung als eine dynamische Größe, und wenden unsern Begriff von menschlicher Tapferkeit als Maaßstab darauf [142] an, wo es nun darauf ankommt, wie wir uns selbst fühlen, und was wir als äuserste Grenze der Herzhaftigkeit betrachten.

Ganz anders hingegen verhält es sich, wenn der Größenbegriff des Zwecks überschritten wird. Hier legen wir keinen empirischen und zufälligen, sondern einen rationalen und also nothwendigen Maaßstab zum Grunde, der nicht überschritten werden kann, ohne den Zweck des Gegenstandes zu vernichten. Die Größe eines Wohnhauses ist einzig durch seinen Zweck bestimmt, die Größe eines Thurms kann bloß durch die Schranken der Architektur bestimmt seyn. Finde ich daher das Wohnhaus für seinen Zweck zu groß, so muß es mir nothwendig misfallen. Finde ich hingegen den Thurm meine Idee von Thurmeshöhen übersteigend, so wird er mich nur desto mehr ergötzen. Warum? Jenes ist ein Widerspruch, dieses nur eine unerwartete Übereinstimmung mit dem was ich suche. Ich kann es mir sehr wohl gefallen lassen, daß eine Schranke erweitert, [143] aber nicht, daß eine Absicht verfehlt wird.

Wenn ich nun von einem Gegenstand schlechtweg sage, er sey groß, ohne hinzuzusetzen, wie groß er sey, so erkläre ich ihn dadurch gar nicht für etwas absolut großes, dem kein Maaßstab gewachsen ist; ich verschweige bloß das Maaß, dem ich ihn unterwerfe, in der Voraussetzung, daß es in seinem bloßen Begriff schon enthalten sey. Ich bestimme seine Größe zwar nicht ganz, nicht gegen alle denkbaren Dinge, aber doch zum Theil, und gegen eine gewisse Klasse von Dingen, also doch immer objektiv und logisch, weil ich ein Verhältniß aussage, und nach einem Begriffe verfahre.

Dieser Begriff kann aber empirisch, also zufällig seyn, und mein Urtheil wird in diesem Fall nur subjektive Gültigkeit haben. Ich mache vielleicht zur Gattungsgröße, was nur die Größe gewisser Arten ist, ich erkenne vielleicht für eine objektive Grenze, [144] was nur die Grenze meines Subjektes ist, ich lege vielleicht der Beurtheilung meinen Privatbegriff von dem Gebrauch und dem Zweck eines Dinges unter. Der Materie nach kann also meine Größenschätzung ganz subjektiv seyn, ob sie gleich der Form nach objektiv d. i. wirkliche Verhältnißbestimmung ist. Der Europäer hält den Patagonen für einen Riesen, und sein Urtheil hat auch volle Gültigkeit bey demjenigen Völkerstamm, von dem er seinen Begriff menschlicher Größe entlehnte; in Patagonien hingegen wird es Widerspruch finden. Nirgends wird man den Einfluß subjektiver Gründe auf die Urtheile der Menschen mehr gewahr, als bey ihrer Größenschätzung, sowohl bey körperlichen als bey unkörperlichen Dingen. Jeder Mensch kann man annehmen, hat ein gewisses Kraft- und Tugendmaaß in sich, wornach er sich bey der Größenschätzung moralischer Handlungen richtet. Der Geizhals wird das Geschenk eines Guldens für eine sehr große Anstrengung seiner Freygebigkeit halten, wenn [145] der Großmüthige mit der dreyfachen Summe noch zu wenig zu geben glaubt. Der Mensch von gemeinem Schlag hält schon das Nichtbetrügen für einen großen Beweis seiner Ehrlichkeit; ein anderer von zartem Gefühl trägt manchmal Bedenken, einen erlaubten Gewinn zu nehmen.

Obgleich in allen diesen Fällen das Maaß subjektiv ist: so ist die Messung selbst immer objektiv; denn man darf nur das Maaß allgemein machen, so wird die Größenbestimmung allgemein eintreffen. So verhält es sich wirklich mit den objektiven Maaßen, die im allgemeinen Gebrauche sind, ob sie gleich alle einen subjektiven Ursprung haben, und von dem menschlichen Körper hergenommen sind.

Alle vergleichende Größenschätzung aber, sie mag nun idealisch oder körperlich, sie mag ganz oder nur zum Theil bestimmend seyn, führt nur zur relativen und niemals zur absoluten Größe; denn wenn ein Gegenstand auch wirklich das [146] Maaß übersteigt, welches wir als ein höchstes und äuserstes annehmen, so kann ja immer noch gefragt werden, um wieviel mal er es übersteige. Er ist zwar ein Großes gegen seine Gattung, aber noch nicht das Größtmögliche, und wenn die Schranke einmal überschritten ist, so kann sie ins Unendliche fort überschritten werden. Nun suchen wir aber die absolute Größe, weil diese allein den Grund eines Vorzugs in sich enthalten kann; da alle komparativen Größen, als solche betrachtet, einander gleich sind. Weil nichts den Verstand nöthigen kann, in seinem Geschäft still zu stehen, so muß es die Einbildungskraft seyn, welche demselben eine Grenze setzt. Mit andern Worten: Die Größenschätzung muß aufhören logisch zu seyn, sie muß ästhetisch verrichtet werden. Die ganze Form dieses Geschäfts muß sich also verändern.

Wenn ich eine Größe logisch schätze, so beziehe ich sie immer auf mein Erkenntnißvermögen; wenn ich sie ästhetisch schätze, [147] so beziehe ich sie auf mein Empfindungsvermögen. Dort erfahre ich etwas von dem Gegenstand, hier hingegen erfahre ich bloß an mir selbst etwas, auf Veranlassung der vorgestellten Größe des Gegenstandes. Dort erblicke ich etwas ausser mir, hier etwas in mir. Ich messe also auch eigentlich nicht mehr, ich schätze keine Größe mehr, sondern ich selbst werde mir augenblicklich zu einer Größe, und zwar zu einer unendlichen. Derjenige Gegenstand, der mich mir selbst zu einer unendlichen Größe macht, heißt erhaben.

Die Einbildungskraft, als Spontanietät des Gemüths, verrichtet bey Vorstellung der Größen ein doppeltes Geschäft. Sie faßt erstlich jedweden Theil des gegebenen Quantums in einem empirischen Bewußtseyn auf, welches die Apprehension ist; zweytens faßt sie die nach einander aufgefaßten Theile in einem reinen Selbstbewußtseyn zusammen, in welchem letzten Geschäft, der Comprehension, sie ganz als reiner Verstand [148] wirkt. Mit jedem Theile des Quantums nämlich verbindet sich die Vorstellung meines Ich (empirisches Bewußtseyn); und durch Reflexion über diese succeßiv angestellten Synthesen erkenne ich die Identität meines Ich in der ganzen Reyhe derselben (reines Selbstbewußtseyn): dadurch erst wird das Quantum ein Gegenstand für mich. Ich reyhe A an B und B an C u. s. f. und indem ich diesem meinem Geschäft gleichsam zusehe, sage ich mir: sowohl in A als in B und in C bin Ich das handelnde Subjekt.

Die Auffassung geschieht succesiv, und ich ergreife eine Theilvorstellung nach der andern. Da nun nach jedem Zeitmoment stets wieder ein anderes folgt, und so fort bis ins Unendliche, so ist auf diesem Weg keine Gefahr, daß ich nicht auch das zahlreichste Quantum zu Ende bringen könnte. Man gebe mir bloß Zeit, so soll keine Zahl für mich, in der Apprehension, überschwenglich seyn. Die Zusammenfassung hingegen geschieht simultan, [149] und durch die Vorstellung der Identität meines Ichs in allen vorhergegangenen Synthesen hebe ich die Zeitbedingung wieder auf, unter welcher sie vor sich gegangen waren. Alle jene verschiedenen empirischen Vorstellungen meines Ich verlieren sich in das einzige reine Selbstbewußtseyn: das Subjekt, welches in A und B und C u. s. f. gehandelt hat, bin Ich, das ewig identische Selbst.

Für diese zweyte Handlung, nämlich für die Reduktion der verschiedenen empirischen Apperceptionen auf das reine Selbstbewußtseyn ist es nun ganz und gar nicht gleichgültig, wie viele solcher empirischer Apperceptionen es sind, die in das reine Selbstbewußtseyn sich auflösen sollen. Die Erfahrung wenigstens lehrt: daß die Einbildungskraft hier eine Grenze hat, wie schwer auch der nothwendige Grund derselben sich möchte auffinden lassen. Diese Grenze kann in verschiedenen Subjekten verschieden, und vielleicht durch Übung und Anstrengung zu [150] erweitern seyn, aber nie wird sie aufgehoben werden. Wenn das Reflexionsvermögen diese Grenze überschreitet, und Vorstellungen, welche schon darüber hinausliegen, in Ein Selbstbewußtseyn versammeln will, so verliert es eben soviel an Klarheit als es an Ausbreitung gewinnt. Zwischen dem Umfang des Ganzen einer Vorstellung und der Deutlichkeit ihrer Theile ist ein ewig unüberschreitbares bestimmtes Verhältniß, daher wir bey jeder Aufnehmung eines großen Quantums in die Einbildungskraft eben soviel rückwärts verlieren, als wir vorwärts gewinnen, und, wenn wir nun das Ende erreicht haben, den Anfang verschwunden sehen.

Diejenige Anzahl von Vorstellungen, mit welcher die Deutlichkeit der einzelnen Theile noch vollkommen bestehen kann, wäre also das Maximum des menschlichen Comprehensionsvermögens. Es kann, und zwar sehr beträchtlich, von der Einbildungskraft überschritten werden, aber jederzeit auf Kosten der Deutlichkeit; und [151] zum Nachtheile des Verstandes, der sich streng darinn halten muß. Weniger als drey kann diese Zahl nicht wohl seyn, weil der ursprüngliche Akt des Entgegensetzens, auf dem doch alles bestimmte Denken ruht, diese Dreyheit nothwendig macht. Ob es über diese Dreyheit hinausgehe, läßt sich bezweifeln, und die Erfahrung liefert wenigstens nichts, woraus es bewiesen werden könnte. Und so könnte denn allerdings die Zahl drey die heilige Zahl genannt werden, weil uns durch sie unser ganzer Denkkreis bestimmt seyn würde.

Nach diesem logischen Grundmaaße richtet sich nun auch das ästhetische, in Schätzung der Größen, welches zwar nicht ganz so eng kann angenommen werden. Es ist ausgemacht, daß wir wenigstens mehr als drey Einheiten zugleich übersehen und unterscheiden können, wenn gleich, je weiter wir die Zusammenfassung treiben, je mehr und mehr die Deutlichkeit abnimmt. Weil aber bey der Größenschätzung alle Theile als gleichartig angenommen [152] werden, so ist hier die Foderung der Deutlichkeit auch schon etwas weniger strenge. Wir werden vielleicht mit einem Blick zwanzig Personen übersehen können, aber mehr als drey darunter in Einem Zeitmoment zu erkennen wird schwer seyn. Überhaupt müssen wir uns hier in Acht nehmen, daß wir das nicht für simultan halten, was bloß eine schnelle Succeßion ist. Die Rapidität, womit der Verstand aus dreymal drey Neune macht, läßt uns nicht mehr unterscheiden, ob diese Neun Einheiten auf einmal oder in einer Folge von drey Momenten vor unserer Seele schweben. Wir bilden uns oft ein, mit dem Sinn zu fassen, wo wir bloß mit dem Verstande begreifen. Aber wir dürfen nur das Experiment machen, ob das, was wir bey einer geschickten Anordnung auf einmal übersehen, auch noch dann, wenn es in Unordnung ist, diese Wirkung thut. Eintheilung und Ordnung können nur den Verstand, aber nie die Einbildungskraft, unterstützen; was wir also nur unter dieser Bedingung [153] leicht übersehen, das haben wir nicht auf einmal angeschaut, sondern gezählt oder gemessen.

Dieses durch die Schranken unsers Subjekts bestimmte Maximum der Comprehension ist es, was uns bey aller Größenschätzung, auch der mathematischen, als letztes Grundmaaß leitet. Weil jede Größe nur komparativ zu bestimmen ist, so würde es dem Verstand ohne ein solches äuserstes Grundmaaß an einem festen Punkte fehlen, auf welchem er zuletzt nothwendig ruhen muß, um nur irgend eine Größe bestimmen zu können. Nach diesem subjektiven Grundmaaße nun wird jedes Quantum in der Natur geschätzt, und die Einerleyheit desselben in allen Menschen ist auch allein Ursache, daß in den Urtheilen der Menschen über Größe eine Übereinstimmung statt finden kann. Würde dieses Grundmaaß erweitert, so würden alle Gegenstände, wenigstens ästhetisch, in ein anderes Größenverhältniß zu uns treten, Berechnungen, die jetzt nur diskursiv [154] nach Begriffen von Statten gehen, würden das Werk eines Blickes seyn, und Objekte die uns jetzt durch Erhabenheit rühren, würden ihren ganzen Zauber ablegen, und in der gemeinen Klasse verschwinden.

Man nehme einstweilen an, daß dieses Maximum der sinnlichen Zusammenfassung zehen sey. Zehen Einheiten kann also die Einbildungskraft in Eine begreifen, ohne daß eine einzige darunter fehle. Nun sind aber in einer gegebenen Größe tausend solcher Einheiten enthalten, und das ganze tausend soll in das Bewußtseyn aufgenommen werden. Das Quantum zu apprehendiren, d. h. jede dieser tausend Einheiten ins Bewußtseyn einzeln aufzunehmen, hat ganz und gar keine Schwierigkeit, weil dazu nichts als Zeit erfodert wird; aber es zu comprehendieren, d. h. das in allen diesen tausend vorgestellten Einheiten zerstreute Bewußtseyn als identisch zu erkennen, tausend verschiedene Apperceptionen in einer einzigen zu begreifen, das ist die schwere Aufgabe, die [155] gelößt werden soll. Nun giebt es dazu keinen andern Ausweg, als diesen, diese tausend Einheiten auf zehen zu reducieren, weil zehen das höchste ist, was die Einbildungskraft zusammen fassen kann.

Wie können aber tausend Einheiten durch zehen repräsentiert werden? Nicht anders als durch Begriffe, welche die einzigen und beständigen Repräsentanten der Anschauungen sind. Die Einbildungskraft legt also ihr intuitives Geschäft nieder, und der Verstand fängt sein diskursives (hier eigentlich symbolisches) an. Die Zahl muß aushelfen, wo die Anschaung nicht mehr zureicht, und der Gedanke sich unterwerfen, worüber der Blick nicht mehr Meister werden kann.

Aus jenen zehen Einheiten, welche das Maximum sinnlicher Zusammenfassung sind, bildet der Verstand eine neue logische Einheit, den Zahlbegriff 10. Nun kann aber, wie wir annehmen, die Einbildungskraft zehen Einheiten zugleich zusammenfassen; [156] jener Zahlbegriff 10, als Einheit gedacht, kann also, zehenmal genommen, in Eine Intuition der Einbildungskraft zusammenfließen. Freilich werden jene logischen Einheiten, die der Verstand bildet, in dieser zweyten Comprehension nicht als Vielheiten sondern als Einheiten aufgenommen, und die zehen Einheiten, welche jede derselben in sich begreift, kommen einzeln nicht mehr in Betrachtung. Bloß der Begriff als Repräsentant gilt, und das repräsentierte verliert sich in Dunkelheit oder verschwindet. Diese zehen logische Einheiten faßt nun der Verstand in eine neue Einheit, die Zahl 100, zusammen, welche, zehenmal wiederhohlt, von der Einbildungskraft abermals zugleich vorgestellt werden kann, und die Zahl 1000 giebt, die das gegebene Quantum vollständig ausmißt. Bey diesem dritten Akt der Comprehension müssen nun jene ursprünglichen Einheiten noch weit mehr erlöschen, weil selbst ihre unmittelbaren Repräsentanten, die Zahlbegriffe zehen durch andere repräsentirt worden [157] sind, und selbst in Dunkelheit verschwinden.

Bey dieser ganzen Operation hat die Einbildungskraft das Maaß ihrer Zusammenfassung keineswegs erweitert, und es war immer nur dasselbe Quantum von zehen Einheiten, welches ihr in Einem Zeitmoment vorschwebte. Dadurch aber, daß der Verstand, in drey succeßiven Operationen, jene sinnlichen Einheiten mit logischen austauschte, und diese immer wieder unter andere und höhere logische brachte, unterwarf er der Einbildungskraft das ganze Quantum jener 1000, und verbarg ihr auf diese Art ihre ästhetische Armuht in einem logischen Reichthum.

Um jedoch zu wissen, daß man nicht zehen sondern tausend zählt, und daß jede der letzten zehen Einheiten hundert andere in sich faßt, muß das Gemüth sich mit Schnelligkeit der vorhergegangenen Synthesen erinnern, durch welche es diese Einheiten erzeugt. Wenigstens eine dunkle [158] Intuition des Gehaltes, der in diesen Zahlbegriffen liegt, muß die fortschreitende Synthesis begleiten, wie auch jeder, der sich beym Rechnen beobachtet, in sich wahr nehmen kann. Nur kann es nicht fehlen, daß je mehr die Zahlbegriffe wachsen, das Verfahren des Gemüths immer mehr logisch werden, und die Anschaulichkeit abnehmen muß; daher es auch kommt, daß uns die höchsten Zahlbegriffe zuletzt weit weniger sagen, als die niedrigern, weil wir mit diesen doch noch einen Gehalt verbinden. Um von dem Begriff einer Million Goldstücke gerührt zu werden, muß man sich wenigstens dunkel erinnern, was für ein großer Gehalt schon in der Zahl tausend liegt, und wieviele Scheidemünzen schon ein einzelnes Goldstück enthalte.

Ein Regiment von 2000 Mann, stehe in langer Fronte, drey Mann hoch da, und von der Größe desselben wollen wir uns schnell eine Vorstellung machen. Ich will zu Erleichterung der Übersicht annehmen, daß alles nach der Decadik gestellt sey. Ein [159] kleiner Abschnitt a soll also nach jedem 10, und ein größerer aa nach jedem 100 angebracht seyn, und unser Auge soll durch die ganze Länge der Fronte tragen. Den ersten Abschnitt bis a werden wir also, der Annahme gemäß, in Einem simultanen Blick übersehen, worinn noch jeder einzelne Mann unterschieden werden kann. Dieser Abschnitt nun ist zugleich eine Einheit für den reflektirenden Verstand; und wenn also der Blick an zehen solchen Abschnitten hinunter gegleitet ist, und die Einbildungskraft ihre Comprehension zehenmal nach einander verrichtet hat, so versucht der Verstand abermals, sich die Identität des Bewußtseyns in diesen zehen Comprehensionen zu denken, d. h. aus diesen zehen logischen Einheiten eine neue zu machen. Es gelingt ihm auch, aber auf Kosten der ersten Intuition, welche in demselben Verhältniß ihre Theile verbirgt, als sie sich selbst, in den Theil eines andern Ganzen verwandelt. So wie die successiven Zusammenfassungen durch den reflektirenden Verstand simultan gemacht [160] werden, so verlieren die simultanen Intuitionen der Einbildungskraft ihre Deutlichkeit, und schweben nun bloß noch als Massen vor der Seele. Wird nun diese Synthesis noch höher gesteigert, und aus den erzeugten Einheiten wieder neue erzeugt, so verschwindet das einzelne ganz, und die ganze Fronte verliert sich bloß in eine stetige Länge, worinn sich nicht einmal mehr ein Abschnitt, vielweniger ein einzelner Kopf unterscheiden läßt. Es ergiebt sich also daraus, daß die Deutlichkeit der Intuition immer nur in eine bestimmte Zahl eingeschlossen bleibt, daß bey allem diskursiven Fortschritt des Verstandes die Einbildungskraft ihren realen Reichthum (was die Simultaneität der Anschauung betrift) niemals erweitert, und daß, wenn auch die Berechnung in Millionen geht, immer nur eine bestimmte Zahl darinn die herrschende seyn wird, in welcher die übrigen gleichsam untergehn. Will man nun von einem großen Quantum einen ästhetischen Eindruck erhalten, so muß man die ursprünglichen Einheiten [161] aus dem sie repräsentierenden Begriff schnell wieder herzustellen suchen, welches in dem angeführten Fall z. B. dadurch geschehen wird, daß man immer den ersten Abschnitt in dem Auge zu behalten sucht, während daß man an der ganzen Fronte hinter siehet.

Eben hier aber, bey diesem Versuche der Einbildungskraft, die Sinnlichkeit der Vorstellung aus der logischen Repräsentation durch Zahlbegriffe wieder herzustellen, und so die Länge mit der Breite, die Simultaneität mit der Succession in Eine Intuition zu begreifen, kommt die Grenze dieses Vermögens, zugleich aber auch die Stärke eines andern an das Licht, durch welche letztere Entdeckung uns jener Mangel überwiegend ersetzt wird.

Die Vernunft dringt, ihren nothwendigen Gesetzen nach, auf absolute Totalität der Anschauung, und ohne sich durch die nothwendige Begrenzung der Einbildungskraft abweisen zu lassen, fordert sie von [162] ihr eine vollständige Comprehension aller Theile des gegebenen Quantums in eine simultane Vorstellung. Die Einbildungskraft wird also genöthigt, das ganze Maaß ihres comprehensiven Vermögens auszubieten, aber weil sie mit dieser Aufgabe dennoch nicht zu Ende kommen, dennoch aller Anstrengung ungeachtet ihren Kreis nicht erweitern kann, sinkt sie erschöpft in sich selbst zurück, und der sinnliche Mensch empfindet mit peinlicher Unruhe seine Schranken.

Aber ist es eine äussere Gewalt, die ihm diese Erfahrung seiner Schranken giebt? Ist der unmeßbare Ocean, oder der sternenbesäete unendliche Himmel Schuld, daß ich mir meiner Ohnmacht bey Darstellung ihrer Größe bewußt werde? Woher weiß ich denn, daß sie für meine Darstellung überschwengliche Größen sind, und daß ich mir keine Totalität ihres Bildes verschaffen kann? Weiß ich es etwa von diesen Objekten, daß sie ein Ganzes der Vorstellung ausmachen sollten; ich könnte [163] dies ja nicht anders als durch meine Vorstellung von ihnen wissen, und doch wird vorausgesetzt, daß ich mir dieselbe nicht als ein Ganzes vorstellen kann? Sie sind mir also nicht gegeben als ein Ganzes, und ich selbst bin es, der den Begriff der Totalität zuerst in sie hineinlegt. Ich habe also diesen Begriff schon in mir, und ich selbst, das denkende Wesen, bin es, an dem ich, das darstellende Wesen, erliege. Ich erfahre zwar bey Betrachtung dieser großen Gegenstände meine Ohnmacht, aber ich erfahre sie durch meine Kraft. Ich bin nicht durch die Natur, ich bin durch mich selbst überwunden.

Indem ich alle einzelnen Theile eines aufgefaßten Quantums zumal zusammenfassen will, was will ich eigentlich thun? Ich will die Identität meines Selbstbewußtseyns in allen diesen Theilvorstellungen erkennen, ich will in allen mich Selbst finden. Ich will zu mir sagen: „Alle diese Theile sind vorgestellt worden durch mich, das immer einerley bleibende Subjekt.“ [164] Man muß sich wohl erinnern, daß die Vernunft immer nur Zusammenfassung derjenigen Theile fordert, die schon aufgefaßt, also schon im empirischen Bewußtseyn vorgestellt sind; denn nur alsdann fängt eine Größe an mich zu rühren, wenn ich sie mit meiner Einbildungskraft durchlaufen, also ihre Theile aufgefaßt habe, aber sie nicht zusammen fassen kann.

Ich will also Vorstellungen, die ich schon gehabt, in eine einzige auflösen, und dieses kann ich nicht, und peinlich empfinde ich, daß ich es nicht kann. Um aber zu empfinden, daß ich eine Forderung nicht erfüllen kann, muß ich zugleich die Vorstellung dieser Forderung und die meines Unvermögens haben. Diese Forderung aber ist hier: Allheit der Theile in der Comprehension, oder Einheit meines Ichs in einer gewissen Reyhe von Veränderungen meines Ichs. Ich muß mir also vorstellen, daß ich die Einheit meines Ichs in allen diesen Veränderungen nicht zur Vorstellung bringen kann; aber eben dadurch [165] stelle ich mir ja dieselbe vor. Eben dadurch denke ich mir ja schon die Totalität der ganzen Reyhe, daß ich sie denken will, da ich nichts wollen kann, als wovon ich schon eine Vorstellung habe. Ich trage also schon diese Allheit in mir die ich darzustellen suche, eben weil ich sie darzustellen suche. Das Große also ist in mir, nicht außer mir. Es ist mein ewig identisches, in jedem Wechsel bestehendes, in jeder Verwandlung sich selbst wiederfindendes Subjekt. Ich kann die Auffassung ins Unendliche fortsetzen: heißt also nichts anders, als in unendlichen Veränderungen meines Bewußtseyns ist mein Bewußtseyn identisch, die ganze Unendlichkeit liegt in der Einheit meines Ichs.

Diese Auflösung läßt sich noch in eine andere Formel fassen. Bey allen Vorstellungen von Objekten, mithin auch der Größe, ist das Gemüth nie bloß das, was bestimmt wird, sondern es ist immer zugleich das, was bestimmt. Es ist zwar das Objekt welches mich verändert, aber [166] Ich, das vorstellende Subjekt, bin es, der das Objekt zum Objekte macht, und durch sein Produkt also sich selbst verändert. In allen diesen Veränderungen aber muß etwas seyn, was sich nicht verändert, und dieses ewig unwandelbare Principium ist eben das reine und identische Ich, der Grund der Möglichkeit aller Objekte, in sofern sie vorgestellt werden. Was also nur immer in den Vorstellungen Großes liegt, liegt in uns, die wir diese Vorstellungen erzeugen. Welches Gesetz uns auch für unser Denken oder Handeln gegeben werden mag, es wird uns gegeben durch uns; und auch wenn wir als sinnlich beschränkte Wesen es unerfüllt lassen müssen wie hier im theoretischen das Gesetz der Totalität in der Größendarstellung, oder wenn wir als freye Wesen mit Willen es brechen, wie das Gesetz der Sitten im praktischen, so sind wir es doch immer, die es aufgestellt haben. Ich mag also, in der schwindelnden Vorstellung des allgegenwärtigen Raums, oder der nimmerendenden Zeit mich verlieren, oder ich mag in [167] der Vorstellung der absoluten Vollkommenheit meine eigene Nichtigkeit fühlen – ich selbst bin es doch nur, der dem Raum seine unendliche Weite und der Zeit ihre ewige Länge giebt, ich selbst bin es, der die Idee des Allheiligen in sich trägt, weil ich sie aufstelle, und die Gottheit, die ich mir vorstelle, ist meine Schöpfung, so gewiß mein Gedanke der meinige ist.

Das erhabene der Größe ist also keine objektive Eigenschaft des Gegenstandes, dem es beygelegt wird; es ist bloß die Wirkung unsers eigenen Subjekts auf Veranlassung jenes Gegenstandes. Es entspringt eines Theils aus dem vorgestellten Unvermögen der Einbildungskraft, die, von der Vernunft als Foderung aufgestellte Totalität in Darstellung der Größe zu erreichen, andern Theils aus dem vorgestellten Vermögen der Vernunft, eine solche Foderung aufstellen zu können. Auf das erste gründet sich die zurückstoßende, auf das zweyte die anziehende Kraft des Großen und des Sinnlich-unendlichen.

[168] Obgleich aber das Erhabene eine Erscheinung ist, welche erst in unserm Subjekt erzeugt wird, so muß doch in den Objekten selbst der Grund enthalten seyn, warum gerade nur diese und keine andern Objekte uns zu diesem Gebrauch Anlaß geben. Und weil wir ferner bey unserm Urtheil das Prädikat des Erhabenen in den Gegenstand legen (wodurch wir andeuten, daß wir diese Verbindung nicht bloß willkührlich vornehmen, sondern dadurch ein Gesetz für Jedermann aufzustellen meynen) so muß in unserm Subjekt ein nothwendiger Grund enthalten seyn, warum wir von einer gewissen Klasse von Gegenständen gerade diesen und keinen andern Gebrauch machen.

Es giebt demnach innere und giebt äussere nothwendige Bedingungen des Mathematisch-Erhabenen. Zu jenen gehört ein gewisses bestimmtes Verhältniß zwischen Vernunft und Einbildungskraft, zu diesen ein bestimmtes Verhältniß des angeschauten Gegenstandes zu unserm ästhetischen Größenmaaß.

[169] Sowohl die Einbildungskraft als die Vernunft müssen sich mit einem gewissen Grad von Stärke äussern, wenn das Große uns rühren soll. Von der Einbildungskraft wird verlangt, daß sie ihr ganzes Comprehensionsvermögen zu Darstellung der Idee des Absoluten aufbiete, worauf die Vernunft unnachläßlich dringt. Ist die Phantasie unthätig und träge, oder geht die Tendenz des Gemüths mehr auf Begriffe als auf Anschauungen, so bleibt auch der erhabenste Gegenstand bloß ein logisches Objekt, und wird gar nicht vor das ästhetische Forum gezogen. Dieß ist der Grund, warum Menschen von überwiegender Stärke des analytischen Verstandes für das ästhetisch große selten viel Empfänglichkeit zeigen. Ihre Einbildungskraft ist entweder nicht lebhaft genug, sich auf Darstellung des Absoluten der Vernunft auch nur einzulassen, oder ihr Verstand zu geschäftig, den Gegenstand sich zuzueignen, und ihn aus dem Felde der Intuition in sein diskursives Gebiet hinüber zu spielen.

[170] Ohne eine gewisse Stärke der Phantasie wird der große Gegenstand gar nicht ästhetisch, ohne eine gewisse Stärke der Vernunft hingegen wird der ästhetische nicht erhaben. Die Idee des Absoluten erfodert schon eine mehr als gewöhnliche Entwicklung des höhern Vernunftvermögens, einen gewissen Reichthum an Ideen, und eine genauere Bekanntschaft des Menschen mit seinem edelsten Selbst. Wessen Vernunft noch gar keine Ausbildung empfangen hat, der wird von dem Großen der Sinne nie einen übersinnlichen Gebrauch zu machen wissen. Die Vernunft wird sich in das Geschäft gar nicht mischen, und es wird der Einbildungskraft allein oder dem Verstand allein überlassen bleiben. Die Einbildungskraft für sich selbst ist aber weit entfernt, sich auf eine Zusammenfassung einzulassen, die ihr peinlich wird. Sie begnügt sich also mit der bloßen Auffassung und es fällt ihr gar nicht ein ihren Darstellungen Allheit geben zu wollen. Daher die stupide Unempfindlichkeit, mit der der Wilde im Schooß der erhabensten Natur und mitten [171] unter den Symbolen des Unendlichen wohnen kann, ohne dadurch aus seinem thierischen Schlummer geweckt zu werden, ohne auch nur von weitem den großen Naturgeist zu ahnden, der aus dem Sinnlich Unermeßlichen zu einer fühlenden Seele spricht.

Was der rohe Wilde mit dummer Gefühllosigkeit anstarrt, das flieht der entnervte Weichling als einen Gegenstand des Grauens, der ihm nicht seine Kraft nur seine Ohnmacht zeigt. Sein enges Herz fühlt sich von großen Vorstellungen peinlich auseinander gespannt. Seine Phantasie ist zwar reizbar genug, sich an der Darstellung des Sinnlich Unendlichen zu versuchen, aber seine Vernunft nicht selbstständig genug, dieses Unternehmen mit Erfolge zu endigen. Er will es erklimmen, aber auf halbem Wege sinkt er ermattet hin. Er kämpft mit dem furchtbaren Genius, aber nur mit irrdischen, nicht mit unsterblichen Waffen. Dieser Schwäche sich bewußt entzieht er sich lieber einem Anblick [172] der ihn niederschlägt, und sucht Hülfe bey der Trösterinn aller Schwachen, der Regel. Kann er sich selbst nicht aufrichten zu dem Großen der Natur, so muß die Natur zu seiner kleinen Fassungskraft herunter steigen. Ihre kühnen Formen muß sie mit künstlichen vertauschen, die ihr fremd aber seinem verzärtelten Sinne Bedürfniß sind. Ihren Willen muß sie seinem eisernen Joch unterwerfen, und in die Fesseln mathematischer Regelmäßigkeit sich schmiegen. So entsteht der ehemalige französische Geschmack in Gärten, der endlich fast allgemein dem englischen gewichen ist, aber ohne dadurch dem wahren Geschmack merklich näher zu kommen. Denn der Charakter der Natur ist eben so wenig bloße Mannichfaltigkeit als Einförmigkeit. Ihr gesetzter ruhiger Ernst verträgt sich eben so wenig mit diesen schnellen und leichtsinnigen Übergängen, mit welchen man sie in dem neuen Gartengeschmack von einer Dekoration zur andern hinüber hüpfen läßt. Sie legt, indem sie sich verwandelt, [173] ihre harmonische Einheit nicht ab, in bescheidener Einfalt verbirgt sie ihre Fülle, und auch in der üppigsten Freyheit sehen wir sie das Gesetz der Stetigkeit ehren [3].

Zu den objektiven Bedingungen des Mathematisch-Erhabenen gehört fürs erste, daß der Gegenstand, den wir dafür erkennen sollen, ein Ganzes ausmache und also Einheit zeige; fürs zweyte, daß er uns das höchste sinnliche Maaß, womit wir alle Größen zu messen pflegen, völlig [174] unbrauchbar mache. Ohne das erste würde die Einbildungskraft gar nicht aufgefodert werden, eine Darstellung seiner Totalität zu versuchen, ohne das zweyte würde[WS 1] ihr dieser Versuch nicht verunglücken können.

Der Horizont übertrift jede Größe die uns irgend vor Augen kommen kann, denn alle Raumgrößen müssen ja in demselben liegen. Nichts destoweniger bemerken wir, daß oft ein einziger Berg, der sich darinn erhebt, uns einen weit stärkern Eindruck des Erhabenen zu geben im Stand ist, als der ganze Gesichtskreis, der nicht nur diesen Berg, sondern noch tausend andere Größen in sich befaßt. Das kommt daher, weil uns der Horizont nicht als ein einziges Objekt erscheint, und wir also nicht eingeladen werden, ihn in ein Ganzes der Darstellung zusammen zu fassen. Entfernt man aber aus dem Horizont alle Gegenstände, welche den Blick insbesondere auf sich ziehen, denkt man sich auf eine weite und ununterbrochene Ebene oder [175] auf die offenbare See, so wird der Horizont selbst zu einem Objekt, und zwar zu dem erhabensten, was dem Aug je erscheinen kann. Die Kreisfigur des Horizonts trägt zu diesem Eindruck besonders viel bey, weil sie an sich selbst so leicht zu fassen ist, und die Einbildungskraft sich um so weniger erwehren kann, die Vollendung derselben zu versuchen.

Der ästhetische Eindruck der Größe beruht aber darauf, daß die Einbildungskraft die Totalität der Darstellung an dem gegebenen Gegenstande fruchtlos versucht, und dieß kann nur dadurch geschehen, daß das höchste Größenmaaß, welches sie auf einmal deutlich fassen kann, sovielmal zu sich selbst addiert, als der Verstand deutlich zusammen denken kann, für den Gegenstand zu klein ist. Daraus aber scheint zu folgen, daß Gegenstände von gleicher Größe auch einen gleich erhabenen Eindruck machen müßten, und daß der mindergroße diesen Eindruck weniger werde hervor bringen können, wogegen [176] doch die Erfahrung spricht. Denn nach dieser erscheint der Theil nicht selten erhabener als das Ganze, der Berg oder der Thurm erhabener als der Himmel in den er hinaufragt, der Fels erhabener als das Meer, dessen Wellen ihn umspühlen. Man muß sich aber hier der vorhin erwähnten Bedingung erinnern, vermöge welcher der ästhetische Eindruck nur dann erfolgt, wenn sich die Imagination auf Allheit des Gegenstandes einläßt. Unterläßt sie dieses bey dem weit größeren Gegenstand, und beobachtet es hingegen bey dem Mindergroßen, so kann sie von dem letztern ästhetisch gerührt, und doch gegen den ersten unempfindlich seyn. Denkt sie sich aber diesen als eine Größe, so denkt sie ihn zugleich als Einheit, und dann muß er nothwendig einen verhältnißmäßig stärkeren Eindruck machen, als er jenen an Größe übertrift.

Alle sinnliche Größen sind entweder im Raum (ausgedehnte Größen) oder in der Zeit (Zahlgrößen.) Ob nun gleich jede [177] ausgedehnte Größe zugleich eine Zahlgröße ist, (weil wir auch das im Raum gegebene in der Zeit auffassen müssen) so ist dennoch die Zahlgröße selbst nur in sofern als ich sie in eine Raumgröße verwandle, erhaben. Die Entfernung der Erde vom Sirius ist zwar ein ungeheures Quantum in der Zeit, und wenn ich sie in Allheit begreifen will, für meine Phantasie überschwenglich; aber ich lasse mich auch nimmermehr darauf ein, diese Zeitgröße anzuschauen, sondern helfe mir durch Zahlen, und nur alsdann, wenn ich mich erinnere, daß die höchste Raumgröße, die ich in Einheit zusammen fassen kann, z. B. ein Gebirge dennoch ein viel zu kleines und ganz unbrauchbares Maaß für diese Entfernung ist, erhalte ich den erhabenen Eindruck. Das Maaß für dieselbe nehme ich also doch von ausgedehnten Größen, und auf das Maaß kommt es ja eben an, ob ein Objekt uns groß erscheinen soll.

Das Große im Raum zeigt sich entweder in Längen oder in Höhen, (wozu [178] auch die Tiefen gehören: denn die Tiefe ist nur eine Höhe unter uns, so wie die Höhe eine Tiefe über uns genannt werden kann. Daher die Lateinischen Dichter auch keinen Anstand nehmen, den Ausdruck profundus auch von Höhen zu gebrauchen:

ni faceret, maria ac terras coelumque profundum
quippe ferant rapidi secum. –

Höhen erscheinen durchaus erhabener, als gleich große Längen, wovon der Grund zum Theil darinn liegt, daß sich das dynamischerhabene mit dem Anblick der erstern verbindet. Eine bloße Länge, wie unabsehlich sie auch sey, hat gar nichts furchtbares an sich, wohl aber eine Höhe, weil wir von dieser herab stürzen können. Aus demselben Grund ist eine Tiefe noch erhabener als eine Höhe, weil die Idee des Furchtbaren sie unmittelbarer begleitet. Soll eine große Höhe schreckhaft für uns seyn, so müssen wir uns erst hinaufdenken, und sie also in eine Tiefe verwandeln. [179] Man kann diese Erfahrung leicht machen, wenn man einen mit blau untermischten bewölkten Himmel in einem Brunnen oder sonst in einem dunkeln Wasser betrachtet, wo seine unendliche Tiefe einen ungleich schauerlicheren Anblick als seine Höhe giebt. Dasselbe geschieht in noch höherem Grade, wenn man ihn rücklings betrachtet, als wodurch er gleichfalls zu einer Tiefe wird, und, weil er das einzige Objekt ist, das in das Auge fällt, unsre Einbildungskraft zu Darstellung seiner Totalität unwiderstehlich nöthigt. Höhen und Tiefen wirken nämlich auch schon deswegen stärker auf uns, weil die Schätzung ihrer Größe durch keine Vergleichung geschwächt wird. Eine Länge hat an dem Horizont immer einen Maaßstab, unter welchem sie verliert, denn soweit sich eine Länge erstreckt, soweit erstreckt sich auch der Himmel. Zwar ist auch das höchste Gebirge gegen die Höhe des Himmels klein, aber das lehrt bloß der Verstand nicht das Auge, und es ist nicht der Himmel, der durch seine Höhe [180] die Berge niedrig macht, sondern die Berge sind es, die durch ihre Größe die Höhe des Himmels zeigen.

Es ist daher nicht bloß eine optisch richtige, sondern auch eine symbolisch wahre Vorstellung, wenn es heißt, daß der Atlas den Himmel stütze. So wie nämlich der Himmel selbst auf dem Atlas zu ruhen scheint, so ruht unsere Vorstellung von der Höhe des Himmels auf der Höhe des Atlas. Der Berg trägt also in figürlichem Sinne, wirklich den Himmel, denn er hält denselben für unsre sinnliche Vorstellung in der Höhe. Ohne den Berg würde der Himmel fallen, d. h. er würde optisch von seiner Höhe sinken und erniedriget werden.

S.
Die Fortsetzung folgt.

Anmerkungen

  1. Man sehe die Abhandlung im dritten Band, dritten Stück der neuen Thalia.
  2. Siehe Kants Kritik der ästhetischen Urtheilskraft.
  3. Die Gartenkunst und die dramatische Dichtkunst haben in neuern Zeiten ziemlich dasselbe Schicksal und zwar bey denselben Nationen, gehabt. Dieselbe Tyranney der Regel in den französischen Gärten und in den französischen Tragödien; dieselbe bunte und wilde Regellosigkeit in den Parks der Engländer und in ihrem Shakespear; und so wie der deutsche Geschmack von jeher das Gesetz von den Ausländern empfangen, so mußte er auch in diesem Stück zwischen jenen beiden Extremen hin und her schwanken.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. überflüssige Silbe in der Vorlage "de" entfernt