Textdaten
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Autor: Friedrich Schiller
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Titel: Vom Erhabenen
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aus: Neue Thalia. 1792–93. 1793, Dritter Band, S. 320–394
Herausgeber: Friedrich Schiller
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: G. J. Göschen'sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe die Fortgesetzte Entwicklung des Erhabenen
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[320]
VI.
Vom Erhabenen.

(Zur weitern Ausführung einiger Kantischen Ideen.)

Erhaben nennen wir ein Objekt, bey dessen Vorstellung unsre sinnliche Natur ihre Schranken, unsre vernünftige Natur aber ihre Ueberlegenheit, ihre Freyheit von Schranken fühlt; gegen das wir also physisch den Kürzern ziehen, über welches wir uns aber moralisch d. i. durch Ideen erheben.

Nur als Sinnenwesen sind wir abhängig, als Vernunftwesen sind wir frey.

Der erhabene Gegenstand giebt uns erstlich: als Naturwesen unsre Abhängigkeit zu empfinden, indem er uns zweytens: mit der Unabhängigkeit [321] bekannt macht, die wir als Vernunftwesen über die Natur, sowohl in uns als ausser uns behaupten.

Wir sind abhängig, insofern etwas ausser uns den Grund enthält, warum etwas in uns möglich wird.

Solange die Natur ausser uns den Bedingungen conform ist, unter welchen in uns etwas möglich wird, solange können wir unsre Abhängigkeit nicht fühlen. Sollen wir uns derselben bewußt werden, so muß die Natur mit dem was uns Bedürfniß, und doch nur durch ihre Mitwirkung möglich ist, als streitend vorgestellt werden, oder, was eben soviel sagt, sie muß sich mit unsern Trieben im Widerspruch befinden.

Nun lassen sich alle Triebe, die in uns, als Sinnenwesen, wirksam sind, auf zwey Grundtriebe zurück führen. Erstlich besitzen wir einen Trieb unsern Zustand zu verändern, unsre Existenz zu äußern, wirksam zu seyn, welches alles darauf hinausläuft, uns Vorstellungen zu erwerben, also Vorstellungstrieb, Erkenntnißtrieb heißen kann. Zweytens besitzen wir einen Trieb unsern Zustand zu erhalten, unsere Existenz fortzusetzen, [322] welches Trieb der Selbsterhaltung genannt wird.

Der Vorstellungstrieb geht auf Erkenntniß, der Selbsterhaltungstrieb auf Gefühle, also auf innre Wahrnehmungen der Existenz.

Wir stehen also durch diese zweyerley Triebe in zweyfacher Abhängigkeit von der Natur. Die erste wird uns fühlbar, wenn es die Natur an den Bedingungen fehlen läßt, unter welchen wir zu Erkenntnissen gelangen; die zweyte wird uns fühlbar, wenn sie den Bedingungen widerspricht, unter welchen es uns möglich ist, unsre Existenz fortzusetzen. Eben so behaupten wir durch unsere Vernunft eine zweyfache Unabhängigkeit von der Natur: erstlich: indem wir (im theoretischen) über Naturbedingungen hinausgehen, und uns mehr denken können, als wir erkennen; zweytens: indem wir (im praktischen) uns über Naturbedingungen hinwegsetzen, und durch unsern Willen unsrer Begierde widersprechen können. Ein Gegenstand, bey dessen Wahrnehmung wir das erste erfahren, ist theoretisch groß, ein Erhabenes der Erkenntniß. Ein Gegenstand, der uns die Unabhängigkeit unsers Willen zu empfinden giebt, ist praktisch groß, ein Erhabenes der Gesinnung.

[323] Bey dem Theoretischerhabenen steht die Natur als Objekt der Erkenntniß, im Widerspruch mit dem Vorstellungstriebe. Bey dem Praktischerhabenen steht sie als Objekt der Empfindung, im Widerspruch mit dem Erhaltungstrieb. Dort wurde sie bloß als ein Gegenstand betrachtet, der unsre Erkenntniß erweitern sollte; hier wird sie als eine Macht vorgestellt, die unsern eigenen Zustand bestimmen kann. Kant nennt daher das Praktischerhabene das Erhabene der Macht oder das Dynamischerhabene, im Gegensatz von dem Mathematischerhabenen. Weil aber aus den Begriffen dynamisch und mathematisch gar nicht erhellen kann, ob die Sphäre des Erhabenen durch diese Eintheilung erschöpft sey oder nicht, so habe ich die Eintheilung in das Theoretisch- und Praktisch-Erhabene vorgezogen.

Auf was Art wir in Erkenntnissen von Naturbedingungen abhängig sind, und dieser Abhängigkeit uns bewußt werden, wird bey Entwicklung des Theoretischerhabenen hinreichend ausgeführt werden. Daß unsre Existenz als Sinnenwesen, von Naturbedingungen ausser uns abhängig gemacht ist, wird wohl kaum eines eigenen Beweises bedürfen. Sobald die Natur ausser uns das bestimmte Verhältniß zu uns ändert, auf [324] welches unser physischer Wohlstand gegründet ist, so wird auch sogleich unsre Existenz in der Sinnenwelt, die an diesem physischen Wohlstande haftet, angefochten und in Gefahr gesetzt. Die Natur hat also die Bedingungen in ihrer Gewalt, unter denen wir existiren, und damit wir dieses, zu unserm Daseyn so unentbehrliche Naturverhältniß in Acht nehmen sollten, so ist unserm physischen Leben an dem Selbsterhaltungstriebe ein wachsamer Hüter, diesen Triebe aber an dem Schmerz ein Warner gegeben worden. Sobald daher unser physischer Zustand eine Veränderung erleidet, die ihn zu seinem Gegentheil zu bestimmen droht, so erinnert der Schmerz an die Gefahr, und der Trieb der Selbsterhaltung wird durch ihn zum Widerstand aufgefordert.

Ist die Gefahr von der Art, daß unser Widerstand vergeblich seyn würde, so muß Furcht entstehen. Ein Objekt also, dessen Existenz den Bedingungen der unsrigen widerstreitet, ist, wenn wir uns ihm an Macht nicht gewachsen fühlen, ein Gegenstand der Furcht, furchtbar.

Aber es ist nur furchtbar für uns, als Sinnenwesen, denn nur als solche hängen wir ab von der Natur. Dasjenige in uns, was nicht Natur, [325] was dem Naturgesetz nicht unterworfen ist, hat von der Natur ausser uns, als Macht betrachtet, nichts zu befahren. Die Natur, vorgestellt als eine Macht, die zwar unsern physischen Zustand bestimmen kann, aber auf unsern Willen keine Gewalt hat, ist dynamisch oder praktisch erhaben.

Das Praktischerhabene unterscheidet sich also darinn von dem Theoretischerhabenen, daß es den Bedingungen unsrer Existenz, dieses nur den Bedingungen der Erkenntniß widerstreitet. Theoretischerhaben ist ein Gegenstand, insofern er die Vorstellung der Unendlichkeit mit sich führet, deren Darstellung sich die Einbildungskraft nicht gewachsen fühlt. Praktischerhaben ist ein Gegenstand, insofern er die Vorstellung einer Gefahr mit sich führt, welche zu besiegen sich unsre physische Kraft nicht vermögend fühlt. Wir erliegen an dem Versuch, uns von dem ersten eine Vorstellung zu machen. Wir erliegen an dem Versuch, uns der Gewalt des zweyten zu widersetzen. Ein Beyspiel des ersten ist der Ocean in Ruhe, der Ocean im Sturm ein Beyspiel des zweyten. Ein ungeheuer hoher Thurm oder Berg kann ein Erhabenes der Erkenntniß abgeben. Bückt er sich zu uns herab, so wird er sich in ein Erhabenes der Gesinnung verwandeln. Beide haben aber wieder das mit [326] einander gemein, daß sie gerade durch ihren Widerspruch mit den Bedingungen unsers Daseyns und Wirkens, diejenige Kraft in uns aufdecken, die an keine dieser Bedingungen sich gebunden fühlt; eine Kraft also, die einerseits sich mehr denken kann als der Sinn faßt, und die andrer Seits für ihre Unabhängigkeit nichts fürchtet und in ihren Aeußerungen keine Gewalt erleidet, wenn auch ihr sinnlicher Gefährte unter der furchtbaren Naturmacht erliegen sollte.

Ob aber gleich beide Arten des Erhabenen ein gleiches Verhältniß zu unserer Vernunftkraft haben, so stehen sie doch in einem ganz verschiednen Verhältniß zu unsrer Sinnlichkeit, welches einen wichtigen Unterschied, sowohl der Stärke als des Interesse, zwischen ihnen begründet.

Das Theoretischerhabene widerspricht dem Vorstellungstrieb, das Praktischerhabene dem Erhaltungstrieb. Bey dem ersten wird nur eine einzelne Aeußerung der sinnlichen Vorstellungskraft, bey dem zweyten aber wird der letzte Grund aller möglichen Aeußerungen desselben, nehmlich die Existenz, angefochten.

Nun ist zwar jedes mißlingende Bestreben nach Erkenntniß mit Unlust verbunden, weil [327] einem thätigen Trieb dadurch widersprochen wird. Aber bis zum Schmerz kann diese Unlust nie steigen, solange wir unsere Existenz von dem Gelingen oder Mißlingen einer solchen Erkenntniß unabhängig wissen, und unsere Selbstachtung nicht dabey leidet.

Ein Gegenstand aber, der den Bedingungen unsers Daseyns widerstreitet, der in der unmittelbaren Empfindung Schmerz erregen würde, erregt in der Vorstellung Schrecken; denn die Natur mußte zu Erhaltung der Kraft selbst ganz andere Anstalten treffen, als sie zu Unterhaltung der Thätigkeit nöthig fand. Unsre Sinnlichkeit ist also bey dem furchtbaren Gegenstand ganz anders interessirt, als bey dem Unendlichen; denn der Trieb der Selbsterhaltung erhebt eine viel lautere Stimme als der Vorstellungstrieb. Es ist ganz etwas anders, ob wir um den Besitz einer einzelnen Vorstellung, oder ob wir um den Grund aller möglichen Vorstellungen, unsre Existenz in der Sinnenwelt, ob wir für das Daseyn selbst oder für eine einzelne Aeußerung desselben zu fürchten haben.

Eben deßwegen aber, weil der furchtbare Gegenstand unsere sinnliche Natur gewaltsamer angreift, als der unendliche, so wird auch [328] der Abstand zwischen dem sinnlichen und übersinnlichen Vermögen dabey um so lebhafter gefühlt, so wird die Ueberlegenheit der Vernunft und die innere Freyheit des Gemüths desto hervorstechender. Da nun das ganze Wesen des Erhabenen auf dem Bewußtseyn dieser unsrer Vernunftfreyheit beruht, und alle Lust am Erhabenen gerade nur auf dieses Bewußtseyn sich gründet, so folgt von selbst (was auch die Erfahrung lehrt) daß das Furchtbare in der aesthetischen Vorstellung lebhafter und angenehmer rühren müsse, als das Unendliche, und daß also das Praktischerhabene, der Stärke der Empfindung nach, einen sehr großen Vorzug vor dem theoretischen voraus habe.

Daß Theoretischgroße erweitert eigentlich nur unsre Sphäre, das Praktischgroße, das Dynamischerhabene unsre Kraft. – Unsre wahre und vollkommene Unabhängigkeit von der Natur erfahren wir eigentlich nur durch das letztere; denn es ist ganz etwas anders in der bloßen Handlung des Vorstellens und in seinem ganzen innern Daseyn sich von Naturbedingungen unabhängig fühlen, als sich über das Schicksal, über alle Zufälle, über die ganze Naturnothwendigkeit hinweggesetzt und erhaben fühlen. Nichts liegt dem Menschen als Sinnenwesen näher an, [329] als die Sorge für seine Existenz und keine Abhängigkeit ist ihm drückender als diese, die Natur als diejenige Macht zu betrachten, die über sein Daseyn zu gebieten hat. Und von dieser Abhängigkeit fühlt er sich frey bey Betrachtung des Praktischerhabenen. „Die unwiderstehliche Macht der Natur, sagt Kant, giebt uns, als Sinnenwesen betrachtet, zwar unsre Ohnmacht zu erkennen, aber entdeckt zugleich in uns ein Vermögen, uns als von ihr unabhängig zu beurtheilen, und eine Ueberlegenheit über die Natur, worauf sich eine Selbsterhaltung von ganz andrer Art gründet, als diejenige ist, die von der Natur ausser uns angefochten und in Gefahr gebracht werden kann – dabey die Menschheit in unserer Person unerniedrigt bleibt obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte. Auf solche Weise – fährt er fort – wird die furchtbare Macht der Natur, aesthetisch von uns als Erhaben beurtheilt, weil sie unsre Kraft, die nicht Natur ist, in uns aufruft, um alles dasjenige, wofür wir als Sinnenwesen besorgt sind, Güter, Gesundheit und Leben, als klein anzusehen, und deswegen auch jene Macht der Natur – der wir in Ansehung dieser Güter allerdings unterworfen sind – für uns und unsre Persönlichkeit dennoch als keine Gewalt zu betrachten, unter [330] die wir uns zu beugen hätten, wenn es auf unsre höchsten Grundsätze und deren Behauptung oder Verlassung ankäme. Also, endigt er, heißt die Natur hier erhaben, weil sie die Einbildungskraft zu Darstellung derjenigen Fälle erhebt, in denen das Gemüth sich die eigene Erhabenheit seiner Bestimmung fühlbar machen kann.“

Diese Erhabenheit unserer Vernunftbestimmung – diese unsre praktische Unabhängigkeit von der Natur, muß von derjenigen Ueberlegenheit wohl unterschieden werden, die wir entweder durch unsere körperlichen Kräfte oder durch unsern Verstand über sie, als Macht, in einzelnen Fällen zu behaupten wissen, und welche zwar auch etwas großes aber gar nichts erhabenes an sich hat. Ein Mensch z. B. der mit einem wilden Thiere streitet und es durch die Stärke seines Arms oder auch durch List überwindet; ein reissender Strom, wie der Nil, dessen Macht durch Dämme gebrochen wird, und den der menschliche Verstand aus einem schädlichen Gegenstand sogar in einen nützlichen verwandelt, indem er seinen Ueberfluß in Kanälen auffängt, und dürre Felder damit wässert; ein Schiff auf dem Meere, das durch seine künstliche Einrichtung im Stand ist, allem Ungestüm des wilden Elements zu [331] trotzen: kurz alle diejenigen Fälle, wo der Mensch durch seinen erfinderischen Verstand die Natur auch da, wo sie ihm als Macht überlegen und zu seinem Untergange bewaffnet ist, gezwungen hat, ihm zu gehorchen und seinen Zwecken zu dienen – alle diese Fälle, sage ich, erwecken kein Gefühl des Erhabenen, ob sie gleich etwas analoges damit haben und deßwegen auch in der aesthetischen Beurtheilung gefallen. Warum sind sie aber nicht erhaben, da sie doch die Ueberlegenheit des Menschen über die Natur vorstellig machen?

Wir müssen hier zum Begriff des Erhabenen zurückgehen, worinn sich der Grund leicht entdecken lassen wird. Zufolge dieses Begriffs ist nur derjenige Gegenstand erhaben, gegen den wir als Naturwesen erliegen, von dem wir uns aber als Vernunftwesen, als nicht zur Natur gehörige Wesen, absolut unabhängig fühlen. Alle natürliche Mittel also, die der Mensch anwendet, um der Naturmacht zu widerstehen, sind durch diesen Begriff des Erhabenen ausgeschlossen; denn dieser Begriff verlangt schlechterdings, daß wir dem Gegenstande als Naturwesen nicht gewachsen seyn sollen, daß wir uns aber durch das, was in uns nicht Natur ist, (und dieß ist nichts anders als reine Vernunft) [332] als von ihm unabhängig fühlen sollen. Nun sind aber alle jene angeführten Mittel, durch welche der Mensch der Natur überlegen wird, (Geschicklichkeit, List und physische Stärke), aus der Natur genommen, kommen ihm also als Naturwesen zu; er widersteht also diesen Gegenständen nicht als Intelligenz, sondern als Sinnenwesen, nicht moralisch durch seine innre Freyheit, sondern physisch durch Anwendung natürlicher Kräfte. Er unterliegt auch deßwegen diesen Gegenständen nicht, sondern er ist ihnen schon als Sinnenwesen überlegen. Wo er aber mit seinen physischen Kräften ausreicht, da ist nichts da, was ihn nöthigen könnte, zu seinem intelligenten Selbst, zu der innern Selbstständigkeit seiner Vernunftkraft seine Zuflucht zu nehmen.

Zum Gefühl des Erhabenen wird also schlechterdings erfordert, daß wir uns von jedem physischen Widerstehungsmittel völlig verlassen sehen, und in unserm nichtphysischen Selbst dagegen Hülfe suchen. Furchtbar muß also ein solcher Gegenstand für unsre Sinnlichkeit seyn, und das ist er nicht mehr, sobald wir uns ihm durch natürliche Kräfte gewachsen fühlen.

Auch wird dieses von der Erfahrung bestätigt. Die mächtigste Naturkraft ist in eben dem Grad [333] weniger erhaben, als sie von dem Menschen gebändigt erscheint, und sie wird wieder schnell erhaben, sobald sie die Kunst des Menschen zu Schanden macht. Ein Pferd, das noch frey und ungebändigt in den Wäldern herumläuft, ist uns als eine uns überlegene Naturkraft furchtbar, und kann einen Gegenstand für eine erhabene Schilderung abgeben. Eben dieses Pferd, gezähmt, an das Joch oder vor den Wagen gespannt, verliert seine Furchtbarkeit, und mit ihr auch alles Erhabene. Zerreißt aber dieses gebändigte Pferd seine Zügel, bäumt es sich entrüstet unter seinem Reiter, giebt es sich seine Freyheit gewaltsam wieder, so ist seine Furchtbarkeit wieder da, und es wird aufs neue erhaben.

Die physische Ueberlegenheit des Menschen über die Naturkräfte ist also so wenig ein Grund des Erhabenen, daß sie fast überall, wo sie angetroffen wird, die Erhabenheit des Gegenstandes schwächt oder ganz vernichtet. Zwar können wir uns mit merklichem Vergnügen bey der Betrachtung der menschlichen Geschicklichkeit verweilen, die sich die wildesten Naturkräfte zu unterwerfen gewußt hat, aber die Quelle dieses Vergnügens ist logisch und nicht aesthetisch; es ist eine Wirkung des Nachdenkens [334] und wird nicht durch die unmittelbare Vorstellung eingeflößt.

Praktisch erhaben ist also die Natur nirgends, als wo sie furchtbar ist. Aber nun entsteht die Frage: ist dieß auch umgekehrt so? Ist sie überall, wo sie furchtbar ist, auch praktisch erhaben?

Hier müssen wir abermals zum Begriff des Erhabenen zurückgehen. So eine wesentliche Erfoderniß es dazu ist, daß wir uns als Sinnenwesen von dem Gegenstand abhängig fühlen, so wesentlich gehört auf der andern Seite dazu, daß wir uns als Vernunftwesen von demselben unabhängig fühlen. Wo das erste nicht ist, wo der Gegenstand gar nichts furchtbares für unsre Sinnlichkeit hat, da ist keine Erhabenheit möglich. Wo das zweyte fehlt, wo er bloß furchtbar ist, wo wir uns ihm als Vernunftwesen nicht überlegen fühlen, da ist sie eben so wenig möglich.

Innre Gemüthsfreyheit gehört schlechterdings dazu, um das Furchtbare erhaben zu finden, und Wohlgefallen daran zu haben; denn es kann ja bloß dadurch erhaben seyn, daß es unsre Unabhängigkeit, unsre Gemüthsfreyheit zu empfinden [335] giebt. Nun hebt aber die wirkliche und ernstliche Furcht alle Gemüthsfreyheit auf.

Das erhabene Objekt muß also zwar furchtbar seyn, aber wirkliche Furcht darf es nicht erregen. Furcht ist ein Zustand des Leidens und der Gewalt; das Erhabene kann allein in der freyen Betrachtung und durch das Gefühl innrer Thätigkeit gefallen. Entweder darf also das furchtbare Objekt seine Macht gar nicht gegen uns richten, oder wenn dieß geschieht, so muß unser Geist frey bleiben, indem unsere Sinnlichkeit überwältigt wird. Dieser letztere Fall ist aber höchst selten und erfodert eine Erhebung der menschlichen Natur, die kaum in einem Subjekt als möglich gedacht werden kann. Denn da, wo wir uns wirklich in Gefahr befinden, wo wir selbst der Gegenstand einer feindseligen Naturmacht sind, da ist es um die aesthetische Beurtheilung geschehen. So erhaben ein Meersturm, vom Ufer aus betrachtet, seyn mag, so wenig mögen die, welche sich auf dem Schiff befinden, das von demselben zertrümmert wird, aufgelegt seyn, dieses aesthetische Urtheil darüber zu fällen.

Wir haben es also bloß mit dem ersten Fall zu thun, wo das furchtbare Objekt uns zwar [336] seine Macht sehen läßt, aber sie nicht gegen uns richtet, wo wir uns vor demselben sicher wissen. Wir versetzen uns alsdann bloß in der Einbildung in den Fall, wo diese Macht uns selbst treffen könnte und aller Widerstand vergeblich seyn würde. Das Schreckliche ist also bloß in der Vorstellung, aber auch schon die bloße Vorstellung der Gefahr, bringt, wenn sie einigermaaßen lebhaft ist, den Erhaltungstrieb in Bewegung, und es erfolgt etwas dem analoges, was die wirkliche Empfindung hervorbringen würde. Ein Schauer ergreift uns, ein Gefühl von Bangigkeit regt sich, unsre Sinnlichkeit wird empört. Und ohne diesen Anfang des wirklichen Leidens, ohne diesen ernstlichen Angriff auf unsre Existenz würden wir bloß mit dem Gegenstande spielen; und es muß Ernst seyn, wenigstens in der Empfindung, wenn die Vernunft zur Idee ihrer Freyheit ihre Zuflucht nehmen soll. Auch kann das Bewußtseyn unsrer innern Freyheit nur insofern einen Werth haben und etwas gelten, als es damit Ernst ist, es kann aber nicht damit Ernst seyn, wenn wir mit der Vorstellung der Gefahr bloß spielen.

Ich habe gesagt, daß wir uns in Sicherheit befinden müssen, wenn das Furchtbare uns gefallen soll. Nun giebt es aber Unglücksfälle und [337] Gefahren, vor denen sich der Mensch niemals sicher wissen kann, und die in der Vorstellung doch erhaben seyn können und es auch wirklich sind. Der Begriff der Sicherheit kann also nicht darauf eingeschränkt werden, daß man sich der Gefahr physisch entzogen weiß, wie z. B. wenn man von einem hohen und wohlbefestigten Geländer in eine große Tiefe, oder von einer Anhöhe auf die stürmende See hinab sieht. Hier freylich gründet sich die Furchtlosigkeit auf die Ueberzeugung von der Unmöglichkeit, daß man getroffen werden kann. Aber worauf wollte man seine Sicherheit vor dem Schicksal, vor der allgegenwärtigen Macht der Gottheit, vor schmerzhaften Krankheiten, vor empfindlichen Verlusten, vor dem Tode gründen. Hier ist gar kein physischer Grund der Beruhigung vorhanden; und wenn wir uns das Schicksal in seiner Furchtbarkeit denken, so müssen wir uns zugleich sagen, daß wir derselben nichtsweniger als entzogen sind.

Es gibt also einen zweyfachen Grund der Sicherheit. Vor solchen Uebeln, denen zu entfliehen in unserm physischen Vermögen steht, können wir äußere physische Sicherheit haben; vor solchen Uebeln aber, denen wir auf natürlichem Weg nicht zu widerstehen noch auszuweichen im Stande sind, können wir bloß innre oder moralische Sicherheit [338] haben. Dieser Unterschied ist, besonders in Beziehung auf das Erhabene, wichtig.

Die physische Sicherheit ist ein unmittelbarer Beruhigungsgrund für unsre Sinnlichkeit ohne alle Beziehung auf unsern innern oder moralischen Zustand. Es wird daher auch gar nichts dazu erfodert, ein Objekt ohne Furcht zu betrachten, vor welchem man sich in dieser physischen Sicherheit befindet. Daher bemerkt man auch unter den Menschen eine bey weitem größere Einstimmigkeit der Urtheile über das Erhabene solcher Objekte, deren Anblick mit dieser physischen Sicherheit verbunden ist, als derjenigen, vor denen man nur moralische Sicherheit hat. Die Ursache ist in die Augen fallend. Physische Sicherheit kommt jedem auf gleiche Art zu gut; moralische hingegen setzt einen Gemüthszustand voraus, der nicht in allen Subjekten sich findet. Aber weil diese physische Sicherheit bloß für die Sinnlichkeit gilt, so hat sie für sich selbst nichts, was der Vernunft gefallen könnte, und ihr Einfluß ist bloß negativ, indem sie bloß verhindert, daß der Selbsterhaltungstrieb nicht aufgeschreckt und die Gemüthsfreyheit aufgehoben wird.

Ganz anders ist es mit der innern oder moralischen Sicherheit. Diese ist zwar auch ein [339] Beruhigungsgrund für die Sinnlichkeit (sonst wäre sie selbst erhaben) aber sie ist es nur mittelbar durch Ideen der Vernunft. Wir sehen das Furchtbare ohne Furcht an, weil wir uns der Macht desselben über uns, als Naturwesen, entweder durch das Bewußtseyn unserer Unschuld oder durch den Gedanken an die Unzerstörbarkeit unsers Wesens entzogen fühlen. Diese moralische Sicherheit postulirt also, wie wir sehen, Religionsideen, denn nur die Religion nicht aber die Moral stellt Beruhigungsgründe für unsere Sinnlichkeit auf. Die Moral verfolgt die Vorschrift der Vernunft unerbittlich und ohne alle Rüksicht auf das Interesse unserer Sinnlichkeit; die Religion aber ist es, die zwischen den Foderungen der Vernunft und dem Anliegen der Sinnlichkeit eine Aussöhnung eine Uebereinkunft zu stiften sucht. Zur moralischen Sicherheit reicht es also gar nicht hin, daß wir eine moralische Gesinnung besitzen, sondern es wird noch dazu erfodert, daß wir die Natur in Einstimmung mit dem Moralgesetz, oder was hier einerley ist, daß wir sie uns unter dem Einfluß eines reinen Vernunftwesens denken. Der Tod z. B. ist ein solcher Gegenstand, vor dem wir nur moralische Sicherheit haben. Die lebhafte Vorstellung aller Schreknisse des Todes, verbunden [340] mit der Gewißheit, ihm nicht entfliehen zu können, würde es den meisten Menschen, weil die meisten doch weit mehr Sinnenwesen als Vernunftwesen sind, durchaus unmöglich machen, mit dieser Vorstellung soviel Ruhe zu verbinden, als zu einem aesthetischen Urtheil erfodert wird – wenn nicht der Vernunftglaube an eine Unsterblichkeit, auch noch selbst für die Sinnlichkeit, eine leidliche Auskunft wüßte.

Aber man muß dieß nicht so verstehen, als ob die Vorstellung des Todes, wenn sie mit Erhabenheit verbunden ist, diese Erhabenheit durch die Idee der Unsterblichkeit erhielte. – Nichtsweniger! – Die Idee der Unsterblichkeit, so wie ich sie hier annehme, ist ein Beruhigungsgrund für unsern Trieb nach Fortdauer, also für unsere Sinnlichkeit, und ich muß einmal für allemal bemerken, daß bey allem, was einen erhabenen Eindruck machen soll, die Sinnlichkeit mit ihren Foderungen schlechterdings abgewiesen worden seyn, und aller Beruhigungsgrund nur in der Vernunft zu suchen seyn müsse. Diejenige Idee der Unsterblichkeit also, wobey die Sinnlichkeit gewissermaßen noch ihre Rechnung findet (wie sie in allen positiven Religionen aufgestellt ist) kann gar nichts dazu beytragen, die Vorstellung des Todes zu einem erhabenen Gegenstand [341] zu machen. Vielmehr muß diese Idee nur gleichsam im Hintergrunde stehen, um bloß der Sinnlichkeit zu Hülfe zu kommen, wenn diese sich allen Schrecknissen der Zernichtung trost- und wehrlos bloß gestellt fühlte und unter diesem heftigen Angriff zu erliegen drohte. Wird diese Idee der Unsterblichkeit aber die herrschende im Gemüth, so verliert der Tod das Furchtbare, und das Erhabene verschwindet.

Die Gottheit, vorgestellt in ihrer Allwissenheit, die alle Krümmungen des menschlichen Herzens durchleuchtet, in ihrer Heiligkeit, die keine unreine Regung duldet, und in ihrer Macht, die unser physisches Schicksal in ihrer Gewalt hat, ist eine furchtbare Vorstellung, und kann deßwegen zu einer erhabenen Vorstellung werden. Vor den Wirkungen dieser Macht können wir keine physische Sicherheit haben, weil es uns gleich unmöglich ist, derselben auszuweichen und Widerstand zu thun. Also bleibt uns nur moralische Sicherheit übrig, die wir auf die Gerechtigkeit dieses Wesens und auf unsre Unschuld gründen. Wir sehen die schreckhaften Erscheinungen, durch welche sie ihre Macht zu erkennen giebt, ohne Schrecken an, weil das Bewußtseyn unserer Schuldlosigkeit [342] uns davor sicher stellt. Diese moralische Sicherheit macht es uns möglich, bey der Vorstellung dieser grenzenlosen, unwiderstehlichen und allgegenwärtigen Macht unsre Gemüthsfreyheit nicht völlig zu verlieren, denn wo diese dahin ist, da ist das Gemüth zu keiner aesthetischen Beurtheilung aufgelegt. Sie kann aber die Ursache des Erhabenen nicht seyn, weil dieses Gefühl der Sicherheit, ob es gleich auf moralischen Gründen beruht, doch zuletzt nur einen Beruhigungsgrund für die Sinnlichkeit abgiebt, und den Trieb der Selbsterhaltung befriedigt; das Erhabene aber niemals auf Befriedigung unsrer Triebe sich gründet. Soll die Vorstellung der Gottheit praktisch (dynamisch) erhaben werden, so dürfen wir das Gefühl unserer Sicherheit nicht auf unser Daseyn sondern auf unsre Grundsätze beziehen. Es muß uns gleichgültig seyn, wie wir als Naturwesen dabey fahren, wenn wir uns nur als Intelligenzen von den Wirkungen ihrer Macht unabhängig fühlen. Wir fühlen uns aber als Vernunftwesen selbst von der Allmacht unabhängig, insofern selbst die Allmacht unsre Avtonomie nicht aufheben, unsern Willen nicht gegen unsre Grundsätze bestimmen kann. Nur insofern also, als wir der Gottheit allen Natureinfluß auf unsre Willensbestimmungen [343] absprechen, ist die Vorstellung ihrer Macht dynamischerhaben.

In seinen Willensbestimmungen sich von der Gottheit unabhängig fühlen, heißt aber nichts anders als sich bewußt seyn, daß die Gottheit nie als eine Macht auf unsern Willen wirken könne. Weil aber der reine Wille jederzeit mit dem Willen der Gottheit coincidiren muß, so kann der Fall nie eintreten, daß wir uns aus reiner Vernunft gegen den Willen der Gottheit bestimmen. Wir sprechen ihr also bloß in sofern den Einfluß auf unsern Willen ab, als wir uns bewußt sind, daß sie durch nichts anders als durch ihre Einstimmigkeit mit dem reinen Vernunftgesetz in uns, also nicht durch Autorität, nicht durch Belohnung oder Strafe, nicht durch Hinsicht auf ihre Macht, in unsre Willensbestimmungen einfliessen könne. Unsre Vernunft verehrt in der Gottheit nichts als ihre Heiligkeit, und fürchtet auch nichts von ihr, als ihre Mißbilligung – und auch diese nur in so fern, als sie in der göttlichen Vernunft ihre eigenen Gesetze erkennt. Es steht aber nicht in der göttlichen Willkühr, unsre Gesinnungen zu mißbilligen oder zu billigen, sondern das wird durch unser Betragen bestimmt. In dem einzigen Falle also, wo die Gottheit für uns furchtbar werden könnte, nehmlich in ihrer [344] Mißbilligung, hängen wir nicht von ihr ab. Die Gottheit also, vorgestellt als eine Macht, die unsre Existenz zwar aufheben, aber solange wir diese Existenz noch haben, auf die Handlungen unsrer Vernunft keinen Einfluß haben kann, ist dynamischerhaben – und auch nur diejenige Religion, welche uns diese Vorstellung von der Gottheit giebt, trägt das Siegel der Erhabenheit in sich. [1] [345] Der Gegenstand des Praktischerhabenen muß für die Sinnlichkeit furchtbar seyn; unserm physischen Zustand muß ein Uebel drohen, und die Vorstellung der Gefahr muß den Selbsterhaltungstrieb in Bewegung setzen.

[346] Unser intelligibles Selbst, dasjenige in uns, was nicht Natur ist, muß sich bey jener Affektion des Erhaltungstriebs von dem sinnlichen Theil unsers Wesens unterscheiden, und seiner Selbstständigkeit, seiner Unabhängigkeit von allem, was die physische Natur treffen kann, kurz, seiner Freyheit sich bewußt werden.

Diese Freyheit ist aber schlechterdings nur moralisch, nicht physisch. Nicht durch unsre natürliche Kräfte, nicht durch unsern Verstand, nicht als Sinnenwesen, dürfen wir uns dem furchtbaren Gegenstand überlegen fühlen; denn da würde unsre Sicherheit immer nur durch physische Ursachen, also empirisch, bedingt seyn, und also immer noch eine Abhängigkeit von der Natur übrig bleiben. Sondern es muß uns völlig gleichgültig seyn, wie wir als Sinnenwesen dabey fahren, und bloß darinn muß unsre Freyheit bestehen, daß wir unsern physischen Zustand, der durch die Natur bestimmt werden kann, gar nicht zu unserm Selbst rechnen, sondern als etwas auswärtiges und fremdes betrachten, was auf unsre moralische Person keinen Einfluß hat.

Groß ist, wer das Furchtbare überwindet. Erhaben ist, wer es, auch selbst unterliegend, nicht fürchtet.

[347] Hannibal war theoretischgroß, da er sich über die unwegsamen Alpen den Durchgang nach Italien bahnte; praktischgroß oder erhaben war er nur im Unglück.

Groß war Herkules da er seine zwölf Arbeiten unternahm und beendigte.

Erhaben war Prometheus, da er am Kaukasus angeschmiedet, seine That nicht bereute und sein Unrecht nicht eingestand.

Groß kann man sich im Glück, erhaben nur im Unglück zeigen.

Praktischerhaben ist also jedweder Gegenstand, der uns zwar unsre Ohnmacht, als Naturwesen, zu bemerken giebt – zugleich aber ein Widerstehungsvermögen von ganz andrer Art in uns aufdeckt, welches zwar von unsrer physischen Existenz die Gefahr nicht entfernt, aber (welches unendlich mehr ist) unsre physische Existenz selbst von unsrer Persönlichkeit absondert. Es ist also keine materiale und bloß einen einzelnen Fall betreffende, sondern eine idealische und über alle möglichen Fälle sich erstreckende Sicherheit, deren wir uns bey Vorstellung des Erhabenen bewußt werden. Dieses gründet sich [348] also ganz und gar nicht auf Ueberwindung oder Aufhebung einer uns drohenden Gefahr, sondern auf Wegräumung der lezten Bedingung, unter der es allein Gefahr für uns geben kann, indem es uns den sinnlichen Theil unsers Wesens, der allein der Gefahr unterworfen ist, als ein auswärtiges Naturding betrachten lehrt, das unsre wahre Person, unser moralisches Selbst, gar nichts angeht.




Nach Festsetzung des Begriffs vom Praktischerhabenen sind wir im Stande, es nach Verschiedenheit der Gegenstände, durch die es erregt wird, und nach Verschiedenheit der Verhältnisse, in welchen wir zu diesen Gegenständen stehen, unter Klassen zu bringen.

In der Vorstellung des Erhabenen unterscheiden wir dreyerley. Erstlich: einen Gegenstand der Natur, als Macht: Zweytens: eine Beziehung dieser Macht auf unser physisches Widerstehungsvermögen: Drittens: eine Beziehung derselben auf unsre moralische Person. Das Erhabene ist also die Wirkung dreyer auf einander folgender Vorstellungen: 1) einer objektiven physischen Macht, 2) unsrer subjektiven physischen Ohnmacht 3) unsrer subjektiven moralischen Uebermacht. Ob aber gleich bey jeder Vorstellung [349] des Erhabenen diese drey Bestandstücke wesentlich und nothwendig sich vereinigen müssen, so ist es dennoch zufällig, wie wir zu der Vorstellung derselben gelangen, und darauf gründet sich nun ein zweyfacher Hauptunterschied des Erhabenen der Macht.

1.

Entweder wird bloß ein Gegenstand als Macht, die objektive Ursache des Leidens, aber nicht das Leiden selbst in der Anschauung gegeben, und es ist das urtheilende Subjekt, welches die Vorstellung des Leidens in sich erzeugt, und den gegebenen Gegenstand, durch Beziehung auf den Erhaltungstrieb, in ein Objekt der Furcht, und, durch Beziehung auf seine moralische Person, in ein Erhabnes verwandelt.

2.

Oder ausser dem Gegenstand als Macht wird zugleich seine Furchtbarkeit für den Menschen das Leiden selbst objektiv vorgestellt, und dem beurtheilenden Subjekt bleibt nichts übrig, als die Anwendung davon auf seinen moralischen Zustand zu machen, und aus dem Furchtbaren das Erhabene zu erzeugen.

Ein Objekt der ersten Klasse ist kontemplativ- ein Objekt der zweyten pathetischerhaben.


[350]
I.
Das Kontemplativerhabene der Macht.

Gegenstände welche uns weiter nichts als eine Macht der Natur zeigen, die der unsrigen weit überlegen ist, im übrigen aber es uns selbst anheim stellen, ob wir eine Anwendung davon auf unsern physischen Zustand oder auf unsre moralische Person machen wollen, sind bloß kontemplativerhaben. Ich nenne sie deßwegen so, weil sie das Gemüth nicht so gewaltsam ergreifen, daß es nicht in einem Zustand ruhiger Betrachtung dabey verharren könnte. Bey dem Kontemplativerhabenen kommt auf die Selbstthätigkeit des Gemüths das meiste an, weil von aussen nur Eine Bedingung gegeben wird, die zwey andern aber von dem Subjekt selbst erfüllt werden müssen. Aus diesem Grund ist das Kontemplativerhabene weder von so intensivstarker noch von so ausgebreiteter Wirkung als das Pathetischerhabene. Nicht von so ausgebreiteter: weil nicht alle Menschen Einbildungskraft genug haben, um eine lebhafte Vorstellung der Gefahr in sich hervorzubringen, nicht alle selbstständige moralische Kraft genug haben, um einer solchen Vorstellung nicht lieber auszuweichen. Nicht von so starker Wirkung: weil die Vorstellung der Gefahr, auch [351] wenn sie noch so lebhaft erweckt wird, in diesem Falle doch immer freywillig ist, und das Gemüth leichter über eine Vorstellung Meister bleibt, die es selbstthätig erzeugte. Das Kontemplativerhabene verschafft daher einen geringern, aber auch weniger gemischten Genuß.

Die Natur giebt zum Kontemplativerhabenen nichts her, als einen Gegenstand als Macht, aus dem etwas furchtbares für die Menschheit zu machen, der Einbildungskraft überlassen bleibt. Je nachdem nun der Antheil groß oder klein ist, den die Phantasie an Hervorbringung dieses Furchtbaren hat, je nachdem sie ihr Geschäft aufrichtiger oder verdeckter verwaltet, muß auch das Erhabene verschieden ausfallen.

Ein Abgrund, der sich zu unsern Füßen aufthut, ein Gewitter, ein brennender Vulkan, eine Felsenmasse, die über uns herabhängt, als wenn sie eben niederstürzen wollte, ein Sturm auf dem Meere, ein rauher Winter der Polargegend, ein Sommer der heißen Zone, reissende oder giftige Thiere, eine Ueberschwemmung u. d. gl. sind solche Mächte der Natur, gegen welche unser Widerstehendes Vermögen für nichts zu rechnen ist, und die mit unsrer physischen Existenz doch im Widerspruche stehen. Selbst gewisse idealische [352] Gegenstände wie z. B. die Zeit, als eine Macht betrachtet, die still aber unerbittlich wirkt, die Nothwendigkeit, deren strengem Gesetze kein Naturwesen sich entziehen kann, selbst die moralische Idee der Pflicht, die sich nicht selten gegen unsre physische Existenz als eine feindliche Macht verhält, sind furchtbare Gegenstände, sobald die Einbildungskraft sie auf den Erhaltungstrieb bezieht; und sie werden erhaben, sobald die Vernunft sie auf ihre höchsten Gesetze anwendet. Weil aber in allen diesen Fällen die Phantasie erst das Furchtbare hinzuthut, und es ganz bey uns steht eine Idee zu unterdrücken, die unser eigenes Werk ist, so gehören diese Gegenstände in die Klasse des Kontemplativerhabenen.

Aber die Vorstellung der Gefahr hat hier doch einen realen Grund, und es bedarf bloß der einfachen Operation: die Existenz dieser Dinge mit unserer physischen Existenz in eine Vorstellung zu verknüpfen, so ist das Furchtbare da. Die Phantasie braucht aus ihrem eigenen Mittel nichts hinein zu legen, sondern sie hält sich nur an das, was ihr gegeben ist.

Aber nicht selten werden an sich gleichgültige Gegenstände der Natur, durch Dazwischenkunft [353] der Phantasie, subjektiv in furchtbare Mächte verwandelt, und es ist die Phantasie selbst, die das Furchtbare nicht bloß durch Vergleichung entdeckt, sondern es ohne einen hinreichenden objektiven Grund dazu zu haben, eigenmächtig erschafft. Dieß ist der Fall beym Ausserordentlichen und beym Unbestimmten.

Dem Menschen, im Zustand der Kindheit, wo die Einbildungskraft am ungebundensten wirkt, ist alles schreckhaft was ungewöhnlich ist. In jeder unerwarteten Erscheinung der Natur glaubt er einen Feind zu erblicken, der gegen sein Daseyn gerüstet ist, und der Erhaltungstrieb ist sogleich geschäftig, dem Angriff zu begegnen. Der Erhaltungstrieb ist in dieser Periode sein unumschränkter Gebieter, und weil dieser Trieb ängstlich und feig ist, so ist die Herrschaft desselben ein Reich des Schreckens und der Furcht. Der Aberglaube, der in dieser Epoche sich bildet, ist daher schwarz und fürchterlich, und auch die Sitten tragen diesen feindseligen finstern Karakter. Man findet den Menschen früher bewaffnet als bekleidet, und sein erster Griff ist an das Schwerdt, wenn er einem Fremdling begegnet. Die Gewohnheit der alten Taurier, jeden Ankömmling, den das Unglück an ihre Küste führte, [354] der Diana zu opfern, hat schwerlich einen andern Ursprung als die Furcht: denn so verwildert ist nur der schiefgebildete nicht der ungebildete Mensch, daß er gegen dasjenige wüthete, was ihm nicht schaden kann.

Diese Furcht vor allem, was ausserordentlich ist, verliert sich nun zwar im Zustand der Kultur, aber nicht so ganz, daß in der aesthetischen Betrachtung der Natur, wo sich der Mensch dem Spiel der Phantasie freywillig hingiebt, nicht eine Spur davon übrig bleiben sollte. Das wissen die Dichter sehr gut, und unterlassen daher nicht, das ausserordentliche wenigstens als ein Ingrediens des Furchtbaren zu gebrauchen. Eine tiefe Stille, eine große Leere, eine plötzliche Erhellung der Dunkelheit sind an sich sehr gleichgültige Dinge, die sich durch nichts als das Ausserordentliche und Ungewöhnliche auszeichnen. Dennoch erregen sie ein Gefühl des Schreckens, oder verstärken wenigstens den Eindruck desselben, und sind daher tauglich zum Erhabenen.

Wenn uns Virgil mit Grausen über das Höllenreich erfüllen will, so macht er uns vorzüglich auf die Leerheit und Stille desselben aufmerksam. Er nennt es loca nocte late tacentia [355] weitschweigende Gefilde der Nacht, domos vacuas Ditis et inania regna leere Behausungen und hohle Reiche des Pluto.

Bey den Einweihungen in die Mysterien der Alten wurde vorzüglich auf einen furchtbaren feyerlichen Eindruck gesehen, und dazu bediente man sich besonders auch des Stillschweigens. Eine tiefe Stille giebt der Einbildungskraft einen freyen Spielraum, und spannt die Erwartung auf etwas Furchtbares, welches kommen soll. Bey Uebungen der Andacht ist das Stillschweigen einer ganzen versammelten Gemeine ein sehr wirksames Mittel, der Phantasie einen Schwung zu geben und das Gemüth in eine feyerliche Stimmung zu setzen. Selbst der Volksaberglaube macht bey seinen Träumereyen davon Gebrauch, denn bekanntlich muß eine tiefe Stille beobachtet werden, wenn man einen Schatz zu erheben hat. In den bezauberten Pallästen, die in Feenmährchen vorkommen, herrscht ein todtes Schweigen, welches Grauen erweckt, und es gehört zur Naturgeschichte der bezauberten Wälder, daß nichts lebendiges sich darinn regt. Auch die Einsamkeit ist etwas furchtbares, sobald sie anhaltend und unfreiwillig ist, wie z. B. die Verbannung in eine unbewohnte Insel. Eine weitausgebreitete Wüste, ein einsamer, viele [356] Meilen langer Wald, das Herumirren auf der gränzenlosen See, sind lauter Vorstellungen, welche Grauen erregen, und in der Dichtkunst zum Erhabenen zu gebrauchen sind. Hier aber (bey der Einsamkeit) ist doch schon ein objektiver Grund der Furcht, weil die Idee einer großen Einsamkeit auch die Idee der Hülflosigkeit mit sich führt.

Noch weit geschäftiger beweißt sich die Phantasie, aus dem geheimen unbestimmten und undurchdringlichen einen Gegenstand des Schreckens zu machen. Hier ist sie eigentlich in ihrem Element, denn da ihr die Wirklichkeit keine Gränzen setzt, und ihre Operationen auf keinen besondern Fall eingeschränkt werden, so steht ihr das weite Reich der Möglichkeiten offen. Daß sie sich aber gerade zum Schrecklichen hinneigt und von dem unbekannten mehr fürchtet als hofft, liegt in der Natur des Erhaltungstriebs, der sie leitet. Die Verabscheuung wirkt ungleich schneller und mächtiger als die Begierde, und daher kommt es, daß wir hinter dem Unbekannten mehr Schlimmes vermuthen, als Gutes erwarten.

Die Finsterniß ist schrecklich und eben darum zum Erhabenen tauglich. Sie ist aber nicht [357] an sich selbst schrecklich, sondern weil sie uns die Gegenstände verbirgt, und uns also der ganzen Gewalt der Einbildungskraft überliefert. Sobald die Gefahr deutlich ist, verschwindet ein großer Theil der Furcht. Der Sinn des Gesichts, der erste Wächter unsers Daseyns, versagt uns in der Dunkelheit seine Dienste, und wir fühlen uns der verborgenen Gefahr wehrlos bloß gestellt. Darum setzt der Aberglaube alle Geistererscheinungen in die Mitternachtstunde, und das Reich des Todes wird vorgestellt als ein Reich der ewigen Nacht. In den Dichtungen Homers, wo die Menschheit noch ihre natürlichste Sprache redet, wird die Dunkelheit als eins der größten Uebel dargestellt.


Allda liegt das Land und die Stadt der cimmerischen Männer.
Diese tappen beständig in Nacht und Nebel, und niemals
Schauet stralend auf sie der Gott der leuchtenden Sonne,
Sondern schreckliche Nacht umhüllt die elenden Menschen.

 Odyßee eilfter Gesang.


„Jupiter, ruft der tapfre Ajax im Dunkel der Schlacht aus, befreye die Griechen von dieser Finsterniß. Laß es Tag werden, laß diese Augen [358] sehen, und dann, wenn du willst, laß mich im Lichte fallen.“

Ilias.     

Auch das unbestimmte ist ein Ingrediens des Schrecklichen, und aus keinem andern Grunde, als weil es der Einbildungskraft Freyheit giebt, das Bild nach ihrem eigenen Gutdünken auszumahlen. Das bestimmte hingegen führt zu deutlicher Erkenntniß, und entzieht den Gegenstand dem willkührlichen Spiel der Phantasie, indem es ihn dem Verstand unterwirft.

Homers Darstellung der Unterwelt wird eben dadurch, daß sie gleichsam in einem Nebel schwimmt desto furchtbarer, und die Geistergestalten im Oßian sind nichts als luftige Wolkengebilde, denen die Phantasie nach Willkühr den Umriß giebt.

Alles was verhüllt ist, alles Geheimnißvolle, trägt zum Schrecklichen bey, und ist deßwegen der Erhabenheit fähig. Von dieser Art ist die Aufschrift, welche man zu Sais in Egypten über dem Tempel der Isis las. „Ich bin alles was ist, was gewesen ist, und was seyn wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleyer aufgehoben.“ – Eben dieses Ungewisse und Geheimnißvolle giebt den Vorstellungen [359] der Menschen von der Zukunft nach dem Tode etwas grauenvolles; diese Empfindungen sind in dem bekannten Selbstgespräch Hamlets sehr glücklich ausgedrückt.

Die Beschreibung, die uns Tacitus von dem feyerlichen Aufzug der Göttin Hertha macht, wird durch das Dunkel, das er darüber verbreitet, furchtbar erhaben. Der Wagen der Göttinn verschwindet im Innersten des Waldes, und keiner von denen, die zu diesem geheimnißvollen Dienst gebraucht werden, kommt lebend zurück. Mit Schauder fragt man sich, was das wohl seyn möge, welches dem der es sieht, das Leben kostet, quod tantum morituri vident.

Alle Religionen haben ihre Mysterien, welche ein heiliges Grauen unterhalten, und so wie die Majestät der Gottheit hinter dem Vorhang im Allerheiligsten wohnet, so pflegt sich auch die Majestät der Könige mit Geheimniß zu umgeben, um die Ehrfurcht ihrer Unterthanen durch diese künstliche Unsichtbarkeit in fortdauernder Spannung zu erhalten.

Dieß sind die vorzüglichsten Unterarten des Kontemplativerhabenen der Macht, und da sie in der moralischen Bestimmung des Menschen [360] gegründet sind, welche allen Menschen gemein ist, so ist man berechtigt, eine Empfänglichkeit dafür bey allen menschlichen Subjekten vorauszusetzen, und der Mangel derselben kann nicht wie bey bloß sinnlichen Rührungen durch ein Spiel der Natur entschuldigt, sondern darf als eine Unvollkommenheit dem Subjekt zugerechnet werden. Zuweilen findet man das Erhabene der Erkenntniß mit dem Erhabenen der Macht verbunden, und die Wirkung ist um so größer, wenn nicht bloß das sinnliche Widerstehungsvermögen, sondern auch selbst das Darstellungsvermögen, an einem Objekt seine Schranken findet, und die Sinnlichkeit mit ihrer doppelten Foderung abgewiesen wird.


II.
Das Pathetischerhabene.

Wenn uns ein Gegenstand nicht bloß als Macht überhaupt, sondern zugleich als eine dem Menschen verderbliche Macht objektiv gegeben wird – wenn er also seine Gewalt nicht bloß zeigt, sondern sie wirklich feindlich äußert, so steht es der Einbildungskraft nicht mehr frey, ihn [361] auf den Erhaltungstrieb zu beziehen, sondern sie muß, sie wird objektiv dazu genöthigt. Wirkliches Leiden aber gestattet kein aesthetisches Urtheil, weil es die Freyheit des Geistes aufhebt. Also darf es nicht das urtheilende Subjekt seyn, an welchem der furchtbare Gegenstand seine zerstörende Macht beweißt d. i. wir dürfen nicht selbst sondern bloß sympathetisch leiden. Aber auch das sympathetische Leiden ist für die Sinnlichkeit schon zu angreifend, wenn das Leiden ausser uns Existenz hat. Der theilnehmende Schmerz überwiegt allen aesthetischen Genuß. Nur alsdann, wenn das Leiden entweder bloße Illusion und Erdichtung ist, oder (im Fall, daß es in der Wirklichkeit statt gefunden hätte) wenn es nicht unmittelbar den Sinnen, sondern der Einbildungskraft vorgestellt wird, kann es aesthetisch werden, und ein Gefühl des Erhabenen erregen. Die Vorstellung eines fremden Leidens, verbunden mit Affekt und mit dem Bewußtseyn unsrer innern moralischen Freyheit, ist Pathetischerhaben.

Die Sympathie oder der theilnehmende (mitgetheilte) Affekt ist keine freye Aeußerung unsers Gemüths, die wir erst selbstthätig in uns hervorbringen müßten, sondern eine unwillkührliche, durch das Naturgesetz bestimmte, Affektion [362] des Gefühlvermögens. Es kommt gar nicht auf unsern Willen an, ob wir das Leiden eines Geschöpfs mit empfinden wollen. Sobald wir eine Vorstellung davon haben, müssen wir es. Die Natur, nicht unsre Freyheit handelt, und die Gemüthsbewegung eilt dem Entschluß zuvor.

Sobald wir also objektiv die Vorstellung eines Leidens erhalten, so muß, vermöge des unveränderlichen Naturgesetzes der Sympathie, in uns selbst ein Nachgefühl dieses Leidens erfolgen. Dadurch machen wir es gleichsam zu dem unsrigen. Wir leiden mit. Nicht bloß die theilnehmende Betrübniß, das Gerührtseyn über fremdes Unglück, heißt Mitleiden, sondern jeder traurige Affekt ohne Unterschied, den wir einem andern nachempfinden; also giebt es so viele Arten des Mitleidens, als es verschiedene Arten des ursprünglichen Leidens giebt: mitleidende Furcht, mitl. Schrecken, mitl. Angst, mitl. Entrüstung, mitl. Verzweiflung.

Wenn aber das Affekt erregende (oder Pathetische) einen Grund des Erhabenen abgeben soll, so darf es nicht bis zum wirklichen Selbstleiden getrieben werden. Auch mitten im heftigsten Affekt müssen wir uns von dem selbstleidenden Subjekt unterscheiden, denn es [363] ist um die Freyheit des Geistes geschehen, sobald die Täuschung sich in völlige Wahrheit verwandelt.

Wird das Mitleiden zu einer solchen Lebhaftigkeit erhöht, daß wir uns mit dem Leidenden ernstlich verwechseln, so beherrschen wir den Affekt nicht mehr, sondern er beherrscht uns. Bleibt hingegen die Sympathie in ihren aesthetischen Gränzen, so vereinigt sie zwey Hauptbedingungen des Erhabenen: sinnlichlebhafte Vorstellung des Leidens mit dem Gefühl eigner Sicherheit verbunden.

Aber dieses Gefühl der Sicherheit bey der Vorstellung fremder Leiden ist ganz und gar nicht der Grund des Erhabenen, und überhaupt nicht die Quelle des Vergnügens, das wir aus dieser Vorstellung schöpfen. Erhaben wird das Pathetische bloß allein durch das Bewußtseyn unsrer moralischen, nicht unsrer physischen Freyheit. Nicht weil wir uns durch unser gutes Geschick diesem Leiden entzogen sehen (denn da würden wir noch immer einen sehr schlechten Gewährsmann für unsre Sicherheit haben) sondern weil wir unser moralisches Selbst der Kausalität dieses Leidens, nehmlich seinem Einfluß auf unsre Willensbestimmung entzogen fühlen, erhebt [364] es unser Gemüth und wird pathetisch erhaben.

Es ist nicht schlechterdings nöthig, daß man die Seelenstärke wirklich in sich fühle, bey ernstlich eintretender Gefahr seine moralische Freyheit zu behaupten. Nicht von dem was geschieht, sondern von dem was geschehen soll und kann, ist hier die Rede; von unsrer Bestimmung nicht von unserm wirklichen Thun, von der Kraft, nicht von Anwendung derselben. Indem wir ein schwerbeladnes Frachtschiff im Sturm untergehen sehen, so können wir uns an der Stelle des Kaufmanns, dessen ganzer Reichthum hier von dem Wasser verschlungen wird, recht sehr unglücklich fühlen. Aber zugleich fühlen wir doch auch, daß dieser Verlust nur zufällige Dinge betrifft und daß es Pflicht ist, sich darüber zu erheben. Es kann aber nichts Pflicht seyn, was unerfüllbar ist, und was geschehen soll, muß nothwendig geschehen können. Daß wir uns aber über einen Verlust hinwegsetzen können, der uns als Sinnenwesen mit Recht so empfindlich ist, beweißt ein Vermögen in uns, welches nach ganz andern Gesetzen handelt, als das sinnliche, und mit dem Naturtrieb nichts gemein hat. Erhaben aber ist alles, was dieses Vermögen in uns zum Bewußtseyn bringt.

[365] Man kann sich also recht gut sagen, daß man den Verlust dieser Güter nichts weniger als gelassen ertragen werde, dieses hindert das Gefühl des Erhabenen gar nicht – wenn man nur fühlt, daß man sich darüber hinwegsetzen sollte und daß es Pflicht ist, ihnen keinen Einfluß auf die Selbstbestimmung der Vernunft zu gestatten. Wer freylich auch nicht einmal dafür Sinn hat; an dem ist alle ästhetische Kraft des Großen und Erhabenen verloren.

Es erfodert also doch wenigstens eine Fähigkeit des Gemüths, sich seiner Vernunftbestimmung bewußt zu werden, und eine Empfänglichkeit für die Idee der Pflicht, wenn man auch gleich die Schranken erkennt, welche die schwache Menschheit ihrer Ausübung setzen dürfte. Es würde überhaupt um das Wohlgefallen am Guten sowohl als am Erhabenen mißlich stehen, wenn man nur Sinn für das haben könnte, was man selber erreicht hat oder zu erreichen sich zutraut. Aber es ist ein achtungswerther Karakterzug der Menschheit, daß sie sich wenigstens in aesthetischen Urtheilen zu der guten Sache bekennt, auch wenn sie gegen sich selbst sprechen müßte, und daß sie den reinen Ideen der Vernunft in der Empfindung wenigstens huldigt, wenn sie gleich nicht immer Stärke genug hat, wirklich darnach zu handeln.

[366] Zum Pathetischerhabenen werden also zwey Hauptbedingungen erfodert. Erstlich eine lebhafte Vorstellung des Leidens, um den mitleidenden Affekt in der gehörigen Stärke zu erregen. Zweytens eine Vorstellung des Widerstandes gegen das Leiden, um die innre Gemüthsfreyheit ins Bewußtseyn zu rufen. Nur durch das erste wird der Gegenstand pathetisch, nur durch das zweyte wird das pathetische zugleich erhaben.

Aus diesem Grundsatz fließen die beiden Fundamentalgesetze aller tragischen Kunst. Diese sind erstlich: Darstellung der leidenden Natur; zweytens: Darstellung der moralischen Selbstständigkeit im Leiden.




Darstellung des Leidens – als bloßen Leidens – ist niemals Zweck der Kunst, aber als Mittel zu ihrem Zweck ist sie derselben äusserst wichtig. Der letzte Zweck der Kunst ist die Darstellung des Uebersinnlichen und die tragische Kunst insbesondere bewerkstelligt dieses dadurch, daß sie uns die moralische Independenz von Naturgesetzen im Zustand des Affekts versinnlicht. Nur der Widerstand, den es gegen die Gewalt [367] der Gefühle äußert, macht das freye Princip in uns kenntlich; der Widerstand aber kann nur nach der Stärke des Angriffs geschätzt werden. Soll sich also die Intelligenz im Menschen als eine, von der Natur unabhängige, Kraft offenbaren, so muß die Natur ihre ganze Macht erst vor unsern Augen bewiesen haben. Das Sinnenwesen muß tief und heftig leiden; Pathos muß da seyn, damit das Vernunftwesen seine Unabhängigkeit kund thun und sich handelnd darstellen könne.

Man kann niemals wissen, ob die Fassung des Gemüths eine Wirkung seiner moralischen Kraft ist, wenn man nicht überzeugt worden ist, daß sie keine Wirkung der Unempfindlichkeit ist. Es ist keine Kunst, über Gefühle Meister zu werden, die nur die Oberfläche der Seele leicht und flüchtig bestreichen, aber in einem Sturm, der die ganze sinnliche Natur aufregt, seine Gemüthsfreyheit zu behalten, dazu gehört ein Vermögen des Widerstandes, das über alle Naturmacht unendlich erhaben ist. Man gelangt also zur Darstellung der moralischen Freyheit nur durch die lebendigste Darstellung der leidenden Natur, und der tragische Held muß sich erst als empfindendes Wesen bey uns legitimirt haben, ehe wir ihm als Vernunftwesen huldigen, und an seine Seelenstärke glauben.

[368] Pathos ist also die erste und unnachlaßliche Foderung an den tragischen Künstler, und es ist ihm erlaubt, die Darstellung des Leidens so weit zu treiben, als es, ohne Nachtheil für seinen letzten Zweck, ohne Unterdrückung der moralischen Freyheit, geschehen kann. Er muß gleichsam seinem Helden oder seinem Leser die ganze volle Ladung des Leidens geben, weil es sonst immer problematisch bleibt, ob sein Widerstand gegen dasselbe eine Gemüthshandlung (etwas positives) und nicht vielmehr bloß etwas negatives und ein Mangel ist.

Dieß letztere ist der Fall bey dem Trauerspiel der ehemaligen Franzosen, wo wir höchst selten oder nie die leidende Natur zu Gesicht bekommen, sondern meistens nur den kalten, deklamatorischen Poeten oder auch den auf den Stelzen gehenden Komödianten sehen. Der frostige Ton der Deklamation erstickt alle wahre Natur, und den französischen Tragikern macht es ihre angebetete Dezenz vollends ganz unmöglich, die Menschheit in ihrer Wahrheit zu zeichnen. Die Dezenz verfälscht überall, auch wenn sie an ihrer rechten Stelle ist, den Ausdruck der Natur, und doch fodert diesen die Kunst unnachlaßlich. Kaum können wir es einem französischen Trauerspielhelden glauben, daß er [369] leidet, denn er läßt sich über seinen Gemüthszustand heraus wie der ruhigste Mensch, und die unaufhörliche Rücksicht auf den Eindruck, den er auf andere macht, erlaubt ihm nie, der Natur in sich ihre Freyheit zu lassen. Die Könige, Prinzeßinnen und Helden eines Corneille und Voltaire vergessen ihren Rang auch im heftigsten Leiden nie, und ziehen weit eher ihre Menschheit als ihre Würde aus. Sie gleichen den Königen und Kaisern in den alten Bilderbüchern, die sich mit samt der Krone zu Bette legen.

Wie ganz anders sind die Griechen und diejenigen unter den Neuern, die in ihrem Geiste gedichtet haben. Nie schämt sich der Grieche der Natur, er läßt der Sinnlichkeit ihre vollen Rechte, und ist dennoch sicher, daß er nie von ihr unterjocht werden wird. Sein tiefer und richtiger Verstand läßt ihn das Zufällige, das der schlechte Geschmack zum Hauptwerke macht, von dem Nothwendigen unterscheiden; alles aber, was nicht Menschheit ist, ist zufällig an dem Menschen. Der Griechische Künstler, der einen Laokoon, eine Niobe, einen Philoktet darzustellen hat, weiß von keiner Prinzeßin, keinem König und keinem Königsohn; er hält sich nur an den Menschen. Deßwegen wirft [370] der weise Bildhauer die Bekleidung weg, und zeigt uns bloß nackende Figuren; ob er gleich sehr gut weiß, daß dieß im wirklichen Leben nicht der Fall war. Kleider sind ihm etwas zufälliges, dem das nothwendige niemals nachgesetzt werden darf, und die Gesetze des Anstands oder des Bedürfnisses sind nicht die Gesetze der Kunst. Der Bildhauer soll und will uns den Menschen zeigen, und Gewänder verbergen denselben; also verwirft er sie mit Recht.

Eben so wie der griechische Bildhauer die unnütze und hinderliche Last der Gewänder hinwegwirft, um der menschlichen Natur mehr Platz zu machen, so entbindet der griechische Dichter seine Menschen von dem eben so unnützen und eben so hinderlichen Zwang der Konvenienz und von allen frostigen Anstandsgesetzen, die an dem Menschen nur künsteln und die Natur an ihm verbergen. Die leidende Natur spricht wahr, aufrichtig und tiefeindringend zu unserm Herzen in der homerischen Dichtung und in den Tragikern: alle Leidenschaften haben ein freyes Spiel, und die Regel des Schicklichen hält kein Gefühl zurück. Die Helden sind für alle Leiden der Menschheit so gut empfindlich als andere, und eben das macht sie zu Helden, daß sie das Leiden stark und innig fühlen, und [371] doch nicht davon überwältigt werden. Sie lieben das Leben so feurig wie wir andern, aber diese Empfindung beherrscht sie nicht so sehr, daß sie es nicht hingeben können, wenn die Pflichten der Ehre oder der Menschlichkeit es fodern. Philoktet erfüllt die griechische Bühne mit seinen Klagen, selbst der wüthende Herkules unterdrückt seinen Schmerz nicht. Die zum Opfer bestimmte Iphigenia gesteht mit rührender Offenheit, daß sie von dem Licht der Sonne mit Schmerzen scheide. Nirgends sucht der Grieche in der Abstumpfung und Gleichgültigkeit gegen das Leiden seinen Ruhm, sondern in Ertragung desselben bey allem Gefühl für dasselbe. Selbst die Götter der Griechen müssen der Natur einen Tribut entrichten, sobald sie der Dichter der Menschheit näher bringen will. Der verwundete Mars schreyt vor Schmerz so laut auf, wie zehentausend Mann, und die von einer Lanze gerizte Venus steigt weinend zum Olymp, und verschwört alle Gefechte.

Diese zarte Empfindlichkeit für das Leiden, diese warme, aufrichtige, wahr und offen da liegende Natur, welche uns in den griechischen Kunstwerken so tief und lebendig rührt, ist ein Muster der Nachahmung für alle Künstler, und ein Gesetz das der Griechische Genius der Kunst [372] vorgeschrieben hat. Die erste Foderung an den Menschen macht immer und ewig die Natur, welche niemals darf abgewiesen werden; denn der Mensch ist – ehe er etwas anders ist – ein empfindendes Wesen. Die zweyte Foderung an ihn macht die Vernunft, denn er ist ein vernünftig empfindendes Wesen, eine moralische Person, und für diese ist es Pflicht, die Natur nicht über sich herrschen zu lassen, sondern sie zu beherrschen. Erst alsdann, wenn erstlich der Natur ihr Recht ist angethan worden und wenn zweytens die Vernunft das ihrige behauptet hat, ist es dem Anstand erlaubt die dritte Foderung an den Menschen zu machen, und ihm, im Ausdruck, sowohl seiner Empfindungen als seiner Gesinnungen, Rücksicht gegen die Gesellschaft aufzulegen, und sich – als ein civilisirtes Wesen zu zeigen.

Das erste Gesetz der tragischen Kunst war Darstellung der leidenden Natur. Das zweyte ist Darstellung des moralischen Widerstandes gegen das Leiden.

Der Affekt, als Affekt, ist etwas gleichgültiges, und die Darstellung desselben würde, für sich allein betrachtet, ohne allen ästhetischen Werth seyn; denn, um es noch einmal zu wiederhohlen, [373] nichts was bloß die sinnliche Natur angeht, ist der Darstellung würdig. Daher sind nicht nur alle bloß erschlaffende (schmelzende) Affekte, sondern überhaupt auch alle höchsten Grade von was für Affekten es auch sey, unter der Würde tragischer Kunst.

Die schmelzenden Affekte, die bloß zärtlichen Rührungen, gehören zum Gebiet des Angenehmen, mit dem die schöne Kunst nichts zu thun hat. Sie ergötzen bloß den Sinn durch Auflösung oder Erschlaffung, und beziehen sich bloß auf den äußern, nicht auf den innern Zustand des Menschen. Viele unsrer Romane und Trauerspiele, besonders der sogenannten Dramen (Mitteldinge zwischen Lustspiel und Trauerspiel) und der beliebten Familiengemählde gehören in diese Klasse. Sie bewirken bloß Ausleerungen des Thränensacks und eine wollüstige Erleichterung der Gefäße; aber der Geist geht leer aus, und die edlere Kraft im Menschen wird ganz und gar nicht dadurch gestärkt. Eben so, sagt Kant, fühlt sich mancher durch eine Predigt erbaut, wobey doch gar nichts in ihm aufgebaut worden ist. Auch die Musik der Neuern scheint es vorzüglich nur auf die Sinnlichkeit anzulegen, und schmeichelt dadurch dem herrschenden Geschmack, der nur angenehm gekitzelt nicht ergriffen, nicht [374] kräftig gerührt nicht erhoben seyn will. Alles schmelzende wird daher vorgezogen, und wenn noch so großer Lerm in einem Concertsaal ist, so wird plötzlich alles Ohr, wenn eine schmelzende Passage vorgetragen wird. Ein bis ins thierische gehender Ausdruck der Sinnlichkeit erscheint dann gewöhnlich auf allen Gesichtern, die trunkenen Augen schwimmen, der offene Mund ist ganz Begierde, ein wollüstiges Zittern ergreift den ganzen Körper, der Athem ist schnell und schwach, kurz alle Symptome der Berauschung stellen sich ein: zum deutlichen Beweise, daß die Sinne schwelgen, der Geist aber oder das Princip der Freyheit im Menschen der Gewalt des sinnlichen Eindrucks zum Raube wird [2]. Alle diese Rührungen sage ich, sind [375] durch einen edeln und männlichen Geschmack von der Kunst ausgeschlossen, weil sie bloß allein dem Sinne gefallen, mit dem die Kunst nichts zu verkehren hat.

Auf der andern Seite sind aber auch alle diejenigen Grade des Affekts ausgeschlossen, die den Sinn bloß quälen, ohne zugleich den Geist dafür zu entschädigen. Sie unterdrücken die Gemüthsfreyheit durch Schmerz nicht weniger als jene durch Wollust und können deßwegen bloß Verabscheuung und keine Rührung bewirken, die der Kunst würdig wäre. Die Kunst muß den Geist ergötzen und der Freyheit gefallen. Der, welcher einem Schmerz zum Raube wird, ist bloß ein gequältes Thier, kein leidender Mensch mehr; denn von dem [376] Menschen wird schlechterdings ein moralischer Widerstand gegen das Leiden gefodert, durch den allein sich das Princip der Freyheit in ihm, die Intelligenz, kenntlich machen kann.

Aus diesem Grunde verstehen sich diejenigen Künstler und Dichter sehr schlecht auf ihre Kunst, welche das Pathos, durch die bloße sinnliche Kraft des Affekts und die höchstlebendigste Schilderung des Leidens, zu erreichen glauben. Sie vergessen, daß das Leiden selbst nie der lezte Zweck der Darstellung und nie die unmittelbare Quelle des Vergnügens seyn kann, das wir am tragischen empfinden. Das Pathetische ist nur aesthetisch, in so fern es erhaben ist. Wirkungen aber, welche bloß auf eine sinnliche Quelle schließen lassen, und bloß in der Affektion des Gefühlvermögens gegründet sind, sind niemals erhaben, wieviel Kraft sie auch verrathen mögen: denn alles Erhabene stammt nur aus der Vernunft.

Eine Darstellung der bloßen Paßion (sowohl der wollüstigen als der peinlichen) ohne Darstellung der übersinnlichen Widerstehungskraft heißt gemein, das Gegentheil heißt edel. Gemein und edel sind Begriffe, die überall, wo sie gebraucht werden, eine Beziehung auf den [377] Antheil oder Nichtantheil der übersinnlichen Natur des Menschen an einer Handlung oder an einem Werke bezeichnen. Nichts ist edel als was aus der Vernunft quillt; alles was die Sinnlichkeit für sich hervorbringt, ist gemein. Wir sagen von einem Menschen, er handle gemein, wenn er bloß den Eingebungen seines sinnlichen Triebes folgt, er handle anständig, wenn er seinem Trieb nur mit Rücksicht auf Gesetze folgt, er handle edel, wenn er bloß der Vernunft, ohne Rücksicht auf seine Triebe folgt. Wir nennen eine Gesichtsbildung gemein, wenn sie die Intelligenz im Menschen durch gar nichts kenntlich macht, wir nennen sie sprechend, wenn der Geist die Züge bestimmte, und edel, wenn ein reiner Geist die Züge bestimmte. Wir nennen ein Werk der Architektur gemein, wenn es uns keine andre als physische Zwecke zeigt, wir nennen es edel, wenn es, unabhängig von allen physischen Zwecken, zugleich Darstellung von Ideen ist.

Ein guter Geschmack also, sage ich, gestattet keine, wenn gleich noch so kraftvolle Darstellung des Affekts, die bloß physisches Leiden und physischen Widerstand ausdrückt, ohne zugleich die höhere Menschheit, die Gegenwart eines übersinnlichen Vermögens, sichtbar zu machen – und [378] zwar aus dem schon entwickelten Grunde, weil nie das Leiden an sich, nur der Widerstand gegen das Leiden pathetisch und der Darstellung würdig ist. Daher sind alle absolut höchsten Grade des Affekts dem Künstler sowohl als dem Dichter untersagt; denn alle unterdrücken die innerlich widerstehende Kraft, oder setzen vielmehr die Unterdrückung derselben schon voraus, weil kein Affekt seinen absolut höchsten Grad erreichen kann, solange die Intelligenz im Menschen noch einigen Widerstand leistet.

Jetzt entsteht die Frage: wodurch macht sich diese übersinnliche Widerstehungskraft in einem Affekte kenntlich? Durch nichts anders, als durch Beherrschung oder, allgemeiner, durch Bekämpfung des Affekts. Ich sage des Affekts, denn auch die Sinnlichkeit kann kämpfen, aber das ist kein Kampf mit dem Affekt, sondern mit der Ursache, die ihn hervorbringt – kein moralischer sondern ein physischer Widerstand, den auch der Wurm äußert, wenn man ihn tritt, und der Stier, wenn man ihn verwundet, ohne deßwegen Pathos zu erregen. Daß der leidende Mensch seinen Gefühlen einen Ausdruck zu geben, daß er seinen Feind zu entfernen, daß er das leidende Glied in Sicherheit zu bringen sucht, hat er mit jedem Thiere gemein, und schon der Instinkt [379] übernimmt dieses, ohne erst bey seinem Willen anzufragen. Das ist also noch kein Aktus seiner Humanität, das macht ihn als Intelligenz noch nicht kenntlich. Die Sinnlichkeit wird zwar jederzeit ihren Feind, aber niemals sich selbst bekämpfen.

Der Kampf mit dem Affekt hingegen ist ein Kampf mit der Sinnlichkeit, und setzt also etwas voraus, was von der Sinnlichkeit unterschieden ist. Gegen das Objekt, das ihn leiden macht, kann sich der Mensch mit Hülfe seines Verstandes und seiner Muskelkräfte wehren; gegen das Leiden selbst hat er keine andre Waffen als Ideen der Vernunft.

Diese müssen also in der Darstellung vorkommen, oder durch sie erweckt werden, wo Pathos statt finden soll. Nun sind aber Ideen im eigentlichen Sinn und positiv nicht darzustellen, weil ihnen nichts in der Anschauung entsprechen kann. Aber negativ und indirekt sind sie allerdings darzustellen, wenn in der Anschauung etwas gegeben wird, wozu wir die Bedingungen in der Natur vergebens aufsuchen. Jede Erscheinung, deren letzter Grund aus der Sinnenwelt nicht kann abgeleitet werden, ist eine indirekte Darstellung des Uebersinnlichen.

[380] Wie gelangt nun die Kunst dazu, etwas vorzustellen, was über der Natur ist, ohne sich übernatürlicher Mittel zu bedienen? Was für eine Erscheinung muß das seyn, die durch natürliche Kräfte vollbracht wird (denn sonst wäre sie keine Erscheinung) und dennoch ohne Widerspruch aus physischen Ursachen nicht kann hergeleitet werden? Dieß ist die Aufgabe; und wie lößt sie nun der Künstler?

Wir müssen uns erinnern, daß die Erscheinungen, welche im Zustand des Affekts an einem Menschen können wahrgenommen werden von zweyerley Gattung sind. Entweder es sind solche, die ihm bloß als Thier angehören und als solche bloß dem Naturgesetz folgen, ohne daß sein Wille sie beherrschen oder überhaupt die selbstständige Kraft in ihm unmittelbaren Einfluß darauf haben könnte. Der Instinkt erzeugt sie unmittelbar und blind gehorchen sie seinen Gesetzen. Dahin gehören z. B. die Werkzeuge des Blutumlaufs, des Athemholens, und die ganze Oberfläche der Haut. Aber auch diejenigen Werkzeuge die dem Willen unterworfen sind, warten nicht immer die Entscheidung des Willens ab; sondern der Instinkt sezt sie oft unmittelbar in Bewegung, da besonders, wo dem physischen Zustand Schmerz oder Gefahr droht. So steht [381] zwar unser Arm unter der Herrschaft des Willens, aber wenn wir unwissend etwas heisses angreifen, so ist das Zurückziehen der Hand gewiß keine Willenshandlung, sondern der Instinkt allein vollbringt sie. Ja noch mehr. Die Sprache ist gewiß etwas, was unter der Herrschaft des Willens steht, und doch kann auch der Instinkt sogar über dieses Werkzeug und Werk des Verstandes nach seinem Gutdünken disponiren, ohne erst bey dem Willen anzufragen, sobald ein großer Schmerz oder nur ein starker Affekt uns überrascht. Man lasse den gefaßtesten Stoiker auf einmal etwas höchst wunderbares oder unerwartet schreckliches erblicken; man lasse ihn dabey stehen, wenn jemand ausglitscht und in einen Abgrund fallen will, so wird ein lauter Ausruf und zwar kein bloß unartikulirter Ton, sondern ein ganz bestimmtes Wort, ihm unwillkührlich entwischen, und die Natur in ihm wird früher als der Wille gehandelt haben. Dieß dient also zum Beweis, daß es Erscheinungen an dem Menschen giebt, die nicht seiner Person als Intelligenz sondern bloß seinem Instinkt als einer Naturkraft können zugeschrieben werden.

Nun giebt es aber auch zweytens Erscheinungen an ihm, die unter dem Einfluß und unter [382] der Herrschaft des Willens stehen, oder die man wenigstens als solche betrachten kann, die der Wille hätte verhindern können; welche also die Person und nicht der Instinkt zu verantworten hat. Dem Instinkt kommt es zu, das Interesse der Sinnlichkeit mit blindem Eifer zu besorgen, aber der Person kommt es zu, den Instinkt durch Rücksicht auf Gesetze zu beschränken. Der Instinkt achtet an sich selbst auf kein Gesetz, aber die Person hat dafür zu sorgen, daß den Vorschriften der Vernunft durch keine Handlung des Instinkts Eintrag geschehe. Soviel ist also gewiß, daß der Instinkt allein nicht alle Erscheinungen am Menschen im Affekt unbedingter weise zu bestimmen hat, sondern daß ihm durch den Willen des Menschen eine Grenze gesetzt werden kann. Bestimmt der Instinkt allein alle Erscheinungen am Menschen, so ist nichts mehr vorhanden, was an die Person erinnern könnte, und es ist bloß ein Naturwesen, also ein Thier, was wir vor uns haben; denn Thier heißt jedes Naturwesen unter der Herrschaft des Instinkts. Soll also die Person dargestellt werden, so müssen einige Erscheinungen am Menschen vorkommen, die entweder gegen den Instinkt oder doch nicht durch den Instinkt bestimmt worden sind. Schon daß sie nicht durch den Instinkt bestimmt wurden, ist hinreichend, uns [383] auf eine höhere Quelle zu leiten, sobald wir nur einsehen, daß der Instinkt sie schlechterdings hätte anders bestimmen müssen, wenn seine Gewalt nicht wäre gebrochen worden.

Jetzt sind wir im Stande, die Art und Weise anzugeben, wie die übersinnliche selbstständige Kraft im Menschen, sein moralisches Selbst, im Affekt zur Darstellung gebracht werden kann. – Dadurch nehmlich, daß alle bloß der Natur gehorchende Theile, über welche der Wille entweder gar niemals oder wenigstens unter gewissen Umständen nicht disponiren kann, die Gegenwart des Leidens verrathen – diejenigen Theile aber, welche der blinden Gewalt des Instinkts entzogen sind, und dem Naturgesetz nicht nothwendig gehorchen, keine oder nur eine geringe Spur dieses Leidens zeigen, also in einem gewissen Grad frey erscheinen. An dieser Disharmonie nun zwischen denjenigen Zügen, die der animalischen Natur nach dem Gesetz der Nothwendigkeit eingeprägt werden, und zwischen denen die der selbstthätige Geist bestimmt, erkennt man die Gegenwart eines übersinnlichen Princips im Menschen, welches den Wirkungen der Natur eine Gränze setzen kann, und sich also eben dadurch als von derselben unterschieden kenntlich macht. Der bloß [384] thierische Theil des Menschen folgt dem Naturgesetz, und darf daher von der Gewalt des Affekts unterdrückt erscheinen. An diesem Theil also offenbart sich die ganze Stärke des Leidens, und dient gleichsam zum Maaß, nach welchem der Widerstand geschäzt werden kann; denn man kann die Stärke des Widerstandes, oder die moralische Macht in dem Menschen, nur nach der Stärke des Angriffs beurtheilen. Je entscheidender und gewaltsamer nun der Affekt in dem Gebiet der Thierheit sich äußert ohne doch im Gebiet der Menschheit dieselbe Macht behaupten zu können, desto mehr wird diese letztere kenntlich, desto glorreicher offenbart sich die moralische Selbstständigkeit des Menschen, desto pathetischer ist die Darstellung und desto erhabener das Pathos. [3]

[385] In den Bildsäulen der Alten findet man diesen ästhetischen Grundsatz anschaulich gemacht, aber es ist schwer, den Eindruck, den der sinnlich lebendige Anblick macht, unter Begriffe zu bringen, und durch Worte anzugeben. Die Gruppe des Laokoon und seiner Kinder ist ohngefähr ein Maaß für das, was die bildende Kunst der Alten im Pathetischen zu leisten vermochte. „Laokoon, sagt uns Winkelmann in seiner Geschichte der Kunst (Seite 699 der Wiener Quartausgabe), ist eine Natur im höchsten Schmerze, nach dem Bilde eines Mannes gemacht, der die bewußte Stärke [386] des Geistes gegen denselben zu sammeln sucht; und indem sein Leiden die Muskeln aufschwellet, und die Nerven anziehet, tritt der mit Stärke bewaffnete Geist in der aufgetriebenen Stirne hervor, und die Brust erhebt sich durch den beklemmten Odem, und durch Zurückhaltung des Ausdrucks der Empfindung, um den Schmerz in sich zu fassen und zu verschließen. Das bange Seufzen, welches er in sich und den Odem an sich ziehet, erschöpft den Unterleib, und macht die Seiten hohl, welches uns gleichsam von der Bewegung seiner Eingeweide urtheilen läßt. Sein eigenes Leiden aber scheint ihn weniger zu beängstigen, als die Pein seiner Kinder, die ihr Angesicht zum Vater wenden und um Hülfe schreyen; denn das väterliche Herz offenbart sich in den wehmüthigen Augen, und das Mitleiden scheint in einem trüben Duft auf denselben zu schwimmen. Sein Gesicht ist klagend aber nicht schreyend, seine Augen sind nach der höhern Hülfe gewandt. Der Mund ist voll von Wehmuth und die gesenkte Unterlippe schwer von derselben; in der überwärts gezogenen Oberlippe aber ist dieselbe mit Schmerz vermischet, welcher mit einer Regung von Unmuth, wie über ein unverdientes unwürdiges Leiden, in die Nase hinauftritt, dieselbe schwellen macht, und sich in den erweiterten und aufwärts gezogenen Nüßen offenbaret. [387] Unter der Stirn ist der Streit zwischen Schmerz und Widerstand, wie in einem Punkte vereinigt, mit großer Wahrheit gebildet; denn indem der Schmerz die Augenbraunen in die Höhe treibt, so drücket das Sträuben gegen denselben das obere Augenfleisch niederwärts und gegen das obere Augenlied zu, so daß dasselbe durch das übergetretene Fleisch beynahe ganz bedeckt wird. Die Natur, welche der Künstler nicht verschönern konnte, hat er ausgewickelter, angestrengter und mächtiger zu zeigen gesucht; da, wohin der größte Schmerz gelegt ist, zeigt sich auch die größte Schönheit. Die linke Seite, in welche die Schlange mit dem wüthenden Bisse ihr Gift ausgießet, ist diejenige welche durch die nächste Empfindung zum Herzen am heftigsten zu leiden scheint. Seine Beine wollen sich erheben um seinem Uebel zu entrinnen; kein Theil ist in Ruhe, ja die Meißelstriche selbst helfen zur Bedeutung einer erstarrten Haut.“

Wie wahr und fein ist in dieser Beschreibung der Kampf der Intelligenz mit dem Leiden der sinnlichen Natur entwickelt, und wie treffend die Erscheinungen angegeben, in denen sich Thierheit und Menschheit, Naturzwang und Vernunftfreyheit offenbaren! Virgil schilderte bekanntlich denselben Auftritt in seiner Aeneis, [388] aber es lag nicht in dem Plan des epischen Dichters, sich bey dem Gemüthszustand des Laokoon, wie der Bildhauer thun mußte, zu verweilen. Bey dem Virgil ist die ganze Erzählung bloß Nebenwerk, und die Absicht, wozu sie ihm dienen soll, wird hinlänglich durch die bloße Darstellung des Physischen erreicht, ohne daß er nöthig gehabt hätte, uns in die Seele des Leidenden tiefe Blicke thun zu lassen, da er uns nicht sowohl zum Mitleid bewegen als mit Schrecken durchdringen will. Die Pflicht des Dichters war also in dieser Hinsicht bloß negativ, nehmlich die Darstellung der leidenden Natur nicht soweit zu treiben, daß aller Ausdruck der Menschheit oder des moralischen Widerstandes dabey verloren gieng, weil sonst Unwille und Abscheu unausbleiblich erfolgen müßten. Er hielt sich daher lieber an Darstellung der Ursache des Leidens, und fand für gut, sich umständlicher über die Furchtbarkeit der beiden Schlangen und über die Wuth, mit der sie ihr Schlachtopfer anfallen, als über die Empfindungen desselben zu verbreiten. An diesen eilt er nur schnell vorüber, weil ihm daran liegen mußte, die Vorstellung eines göttlichen Strafgerichts und den Eindruck des Schreckens ungeschwächt zu erhalten. Hätte er uns hingegen von Laokoons Person soviel wissen lassen, als der Bildhauer, so [389] würde nicht mehr die strafende Gottheit, sondern der leidende Mensch der Held in der Handlung gewesen seyn und die Episode ihre Zweckmäßigkeit für das Ganze verloren haben.

Man kennt die Virgilische Erzählung schon aus Leßings vortreflichem Kommentar. Aber die Absicht, wozu Leßing sie gebrauchte, war bloß, die Gränzen der poetischen und mahlerischen Darstellung an diesem Beyspiel anschaulich zu machen, nicht den Begriff des Pathetischen daraus zu entwickeln. Zu dem letztern Zweck scheint sie mir aber nicht weniger brauchbar, und man erlaube mir, sie in dieser Hinsicht noch einmal zu durchlaufen.

Ecce autem gemini Tenedo tranquilla per alta
(horresco referens) immensis orbibus angues
incumbunt pelago, pariterque ad littora tendunt.
Pectora quorum inter fluctus arrecta, jubaeque
sanguineae exsuperant undas, pars caetera pontum
pone legit, sinuatque immensa volumine terga.
Fit sonitus spumante salo, jamque arva tenebant,
ardenteis oculos suffecti sanguine et igni,
sibila lambebant linguis vibrantibus ora.

Die erste von den drey oben angeführten Bedingungen des Erhabenen der Macht ist hier gegeben; [390] eine mächtige Naturkraft nehmlich, die zur Zerstörung bewaffnet ist, und jedes Widerstandes spottet. Daß aber dieses Mächtige zugleich furchtbar, und das Furchtbare erhaben werde, beruht auf zwey verschiedenen Operationen des Gemüths, d. i. auf zwey Vorstellungen die wir selbstthätig in uns erzeugen. Indem wir erstlich diese unwiderstehliche Naturmacht mit dem schwachen Widerstehungsvermögen des physischen Menschen zusammenhalten, erkennen wir sie als furchtbar, und indem wir sie zweytens auf unsern Willen beziehen und uns die absolute Unabhängigkeit desselben von jedem Natureinfluß ins Bewußtseyn rufen, wird sie uns zu einem erhabenen Objekt. Diese beiden Beziehungen aber stellen wir an; der Dichter gab uns weiter nichts als einen mit starker Macht bewaffneten und nach Aeusserung derselben strebenden Gegenstand. Wenn wir davor zittern, so geschieht es bloß, weil wir uns selbst oder ein uns ähnliches Geschöpf im Kampf mit demselben denken. Wenn wir uns bey diesem Zittern erhaben fühlen, so ist es, weil wir uns bewußt werden, daß wir, auch selbst als ein Opfer dieser Macht, für unser freies Selbst, für die Avtonomie unserer Willensbestimmungen nichts zu fürchten haben würden. Kurz, [391] die Darstellung ist bis hieher bloß kontemplativerhaben.

Diffugimus visu exsangues, illi agmine certo Laocoonta petunt.

Jetzt wird das Mächtige zugleich als furchtbar gegeben, und das Kontemplativerhabene geht ins Pathetische über. Wir sehen es wirklich mit der Ohnmacht des Menschen in Kampf treten. Laokoon oder wir, das wirkt bloß dem Grad nach verschieden. Der sympathetische Trieb schreckt den Erhaltungstrieb auf, die Ungeheuer schiessen los auf – uns, und alles Entrinnen ist vergebens.

Jetzt hängt es nicht mehr von uns ab, ob wir diese Macht mit der unsrigen messen und auf unsre Existenz beziehen wollen. Dieß geschieht ohne unser Zuthun in dem Objekte selbst. Unsre Furcht hat also nicht, wie im vorhergehenden Moment, einen bloß subjektiven Grund in unserm Gemüthe, sondern einen objektiven Grund in dem Gegenstand. Denn erkennen wir gleich das Ganze für eine bloße Fiction der Einbildungskraft, so unterscheiden wir doch auch in dieser Fiction eine Vorstellung, die uns von aussen mitgetheilt wird, von einer andern, die wir selbstthätig in uns hervorbringen.

[392] Das Gemüth verliert also einen Theil seiner Freyheit, weil es von aussen empfängt, was es vorher durch seine Selbstthätigkeit erzeugte. Die Vorstellung der Gefahr erhält einen Anschein objektiver Realität und es wird Ernst mit dem Affekte.

Wären wir nun nichts als Sinnenwesen, die keinem andern als dem Erhaltungstriebe folgen, so würden wir hier stille stehen, und im Zustand des bloßen Leidens verharren. Aber etwas ist in uns, was an den Affektionen der sinnlichen Natur keinen Theil nimmt, und dessen Thätigkeit sich nach keinen physischen Bedingungen richtet. Je nachdem nun dieses selbstthätige Princip (die moralische Anlage) in einem Gemüth sich entwickelt hat, wird der leidenden Natur mehr oder weniger Raum gelassen seyn, und mehr oder weniger Selbstthätigkeit im Affekt übrig bleiben.

In moralischen Gemüthern geht das Furchtbare (der Einbildungskraft) schnell und leicht ins Erhabene über. So wie die Imagination ihre Freyheit verliert, so macht die Vernunft die ihrige geltend; und das Gemüth erweitert sich nur desto mehr nach innen, indem es nach aussen Gränzen findet. [393] Herausgeschlagen aus allen Verschanzungen, die dem Sinnenwesen einen physischen Schutz verschaffen können, werfen wir uns in die unbezwingliche Burg unsrer moralischen Freyheit, und gewinnen eben dadurch eine absolute und unendliche Sicherheit, indem wir eine bloß komparative und prekäre Schutzwehre im Feld der Erscheinung verloren geben. Aber eben darum, weil es zu diesem physischen Bedrängniß gekommen seyn muß, ehe wir bey unsrer moralischen Natur Hülfe suchen, so können wir dieses hohe Freyheitsgefühl nicht anders als mit Leiden erkaufen. Die gemeine Seele bleibt bloß bey diesem Leiden stehen, und fühlt im Erhabenen des Pathos nie mehr als das Furchtbare; ein selbstständiges Gemüth hingegen nimmt gerade von diesem Leiden den Uebergang zum Gefühl seiner herrlichsten Kraftwirkung und weiß aus jedem Furchtbaren ein Erhabenes zu erzeugen.

Laocoonta petunt, ac primum parva duorum
corpora gnatorum serpens amplexus uterque
implicat, ac miseros morsu depascitur artus.

Es thut eine große Wirkung, daß der moralische Mensch (der Vater) eher als der physische angefallen wird. Alle Affekte sind aesthetischer aus der zweyten Hand und keine Sympathie ist stärker als die wir mit der Sympathie empfinden.

[394]

Post ipsum, auxilio subeuntem ac tela ferentem corripiunt.

Jetzt war der Augenblick da, den Helden als moralische Person bey uns in Achtung zu setzen, und der Dichter ergriff diesen Augenblick. Wir kennen aus seiner Beschreibung die ganze Macht und Wuth der feindlichen Ungeheuer, und wissen, wie vergeblich aller Widerstand ist. Wäre nun Laokoon bloß ein gemeiner Mensch, so würde er seines Vortheils wahrnehmen, und wie die übrigen Trojaner in einer schnellen Flucht seine Rettung suchen. Aber er hat ein Herz in seinem Busen, und die Gefahr seiner Kinder hält ihn zu seinem eigenen Verderben zurück. Schon dieser einzige Zug macht ihn unsers ganzen Mitleidens würdig. In was für einem Moment auch die Schlangen ihn ergriffen haben möchten, es würde uns immer bewegt und erschüttert haben. Daß es aber gerade in dem Momente geschieht, wo er als Vater uns achtungswürdig wird, daß sein Untergang gleichsam als unmittelbare Folge der erfüllten Vaterpflicht, der zärtlichen Bekümmerniß für seine Kinder vorgestellt wird – dieß entflammt unsre Theilnahme aufs höchste. Er ist es jetzt gleichsam selbst, der sich aus freyer Wahl dem Verderben hingiebt, und sein Tod wird eine Willenshandlung.

S. 

  1. Wider diese Auflösung des Begriffs vom Dynamischerhabenen, sagt Kant, scheint zu streiten, daß wir Gott im Ungewitter, Erdbeben u. s. f. als eine zürnende Macht und dennoch als erhaben vorzustellen pflegen, wobey es von unsrer Seite Thorheit sowohl als Frevel seyn würde, uns eine Ueberlegenheit des Gemüths über die Wirkungen einer solchen Macht einzubilden. Hier scheint kein Gefühl der Erhabenheit unsrer eignen Natur, sondern vielmehr Niedergeschlagenheit und Unterwerfung die Gemüthsstimmung zu seyn, die sich für die Erscheinung eines solchen Gegenstandes schickt. In der Religion überhaupt scheint Niederwerfen, Anbetung mit zerknirschten angstvollen Geberden das einzig schikliche Benehmen in Gegenwart der Gottheit zu seyn, welches daher auch die meisten Völker angenommen [345] haben. Aber, fährt er fort, diese Gemüthsstimmung ist mit der Idee der Erhabenheit einer Religion bey weitem nicht so nothwendig verbunden. Der Mensch, der sich seiner Schuld bewußt ist und also Ursache hat, sich zu fürchten, ist in gar keiner Gemüthsstimmung, um die göttliche Größe zu bewundern – nur alsdann, wenn sein Gewissen rein ist, dienen jene Wirkungen der göttlichen Macht dazu, ihm eine erhabene Idee von der Gottheit zu geben, sofern er durch das Gefühl seiner eigenen erhabnen Gesinnung über die Furcht vor den Wirkungen dieser Macht erhoben wird. Er hat Ehrfurcht, nicht Furcht, vor der Gottheit, da hingegen die Superstition bloße Furcht und Angst vor der Gottheit fühlt, ohne sie hochzuschätzen, woraus nie eine Religion des guten Wandels, bloß Gunstbewerbung und Einschmeichlung entstehen kann. Kants Kritik der aesthetischen Urtheilskraft. Analytik des Erhabenen.
  2. Ich kann hier nicht unbemerkt lassen (wie sehr ich es auch dadurch mit dem Modegeschmack verderben mag) daß die beliebten Zeichnungen unsrer Angelika Kaufmann zu der nehmlichen Klasse d. i. zum bloß angenehmen zu rechnen sind, und sich selten oder nie zum Schönen erheben. Weit mehr hat es die Künstlerinn auf unsern Sinn als auf unsern Geschmack angelegt, und sie verfehlt lieber die Wahrheit, vernachläßigt lieber die Zeichnung, opfert lieber [375] die Kraft auf, als daß sie dem weichlichen Sinn durch eine etwas harte oder auch nur kühne Andeutung wahrer Natur zu nahe treten sollte. Eben so ist die Magie des Kolorits und der Schattierung oft bloß angenehme Kunst, und man darf sich daher nicht wundern, wenn der erste Blick und der große Haufe vorzüglich dadurch gewonnen werden; denn der Sinn urtheilt immer zuerst, auch bey dem Kenner, und er urtheilt allein bey dem Nichtkenner.
  3. Unter dem Gebiet der Thierheit begreife ich das ganze System derjenigen Erscheinungen am Menschen, die unter der blinden Gewalt des Naturtriebes stehen und ohne Voraussetzung einer Freyheit des Willens vollkommen erklärbar sind; unter dem Gebiet der Menschheit aber diejenigen, welche ihre Gesetze von der Freyheit empfangen. Mangelt nun bey einer Darstellung der Affekt im Gebiet der Thierheit, so läßt uns dieselbe kalt; herrscht er hingegen [385] im Gebiet der Menschheit, so ekelt sie uns an und empört. Im Gebiet der Thierheit muß der Affekt jederzeit unaufgelößt bleiben, sonst fehlt das Pathetische; erst im Gebiet der Menschheit darf sich die Auflösung finden. Eine leidende Person, klagend und weinend vorgestellt, wird daher nur schwach rühren, denn Klagen und Thränen lösen den Schmerz schon im Gebiet der Thierheit auf. Weit stärker ergreift uns der verbissene stumme Schmerz, wo wir bey der Natur keine Hülfe finden, sondern zu etwas, das über alle Natur hinausliegt, unsre Zuflucht nehmen müssen; und eben in dieser Hinweisung auf das Uebersinnliche liegt das Pathos und die tragische Kraft.