Die Aussichten des verklärten Kleist in die Schöpfung

Textdaten
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Autor: Daniel Jenisch
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Titel: Die Aussichten des verklärten Kleists in die Schöpfung
Untertitel: achter und neunter Gesang der Borußias
aus: Neue Thalia. 1792–93.
1793, Dritter Band,
S. 286–319
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: G. J. Göschen'sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
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[286]
V.
Die
Aussichten des verklärten Kleists
in
die Schöpfung
oder
achter und neunter Gesang der Borußias[1]

Inhalt des achten Gesanges.

Ankündigung des Thema – Kleists Erwachen in’s höhere Leben – ihm erscheint einer der höhern Geister – dessen Erzählung und Aufschlüsse [287] von den verschiedenen Welten, ihren Bewohnern, und deren verschiedenen Ordnungen. – Schicksal der Guten und Bösen in der andern Welt (Himmel und Hölle).

Inhalt des neunten Gesanges.

Fernere Belehrungen des höhern Geistes. Schöpfung der Dinge. Unendlichkeit des Weltalls – Bestand und Erhaltungsgesetze desselben – Gutes und Böses nach seinem wahren Zusammenhang. Freyheit und Würde der menschlichen Natur – [288] Gott – Hymne auf Gott – Weissagung des Ausganges des Krieges, seiner wichtigen Folgen, – und künftiger Begebenheiten, (z. B. der Gründung des Nordamerikanischen Freystaats, der Größe Rußlands, der Regierung Josephs II, der Französischen Revoluzion etc.) Aussicht auf ein veredeltes Menschengeschlecht. Kleist fährt unter dem Gesange einer seiner Hymnen mit dem höhern Geist in die andere Sphäre.

Anfang des achten Gesanges.

Wenn du, ewiger Geist, in Stunden der heiligen Weihe
Dich von der niedrigen Erd’ aufschwingst, und des kleinlichen Lebens
Kinderblendenden Tand verschmähend, Unsterblichkeit denkest;
Wenn du öfters, entflohn dem Gelärme der thörichten Menschen,
Tief in dich selbsten versenkt, an den stillen grausenden Ufern
Des unendlichen Ozeanes der ewigen Schöpfung
Wandelst, wohin dir der Tod die große Reise bereitet;

[289]

Wenn du, himmelentstammt, nicht deines erhabnen Geburtlands
Ganz vergessen, wenn du der Embryonischen Seelen
Keine bist, die, im Schlamm der Erde vergraben, verhüllet
In die täuschenden Nebel der dunkeln Sinne, mit Maulwurfs-
Blicken nicht über den selbstgegrabenen Hügel hinausschaun:
Dann entschüttle dir nun von dem himmelaufstrebenden Flügel
Jeden anklebenden Staub der Erd’, und stärke das Aug dir
Aus dem mehr als kastalischen Quell [2] der ewigen Wahrheit;

[290]

Daß du mich über das unbegränzte Sternengewölbe
Ueber die Mauern der Welt,[3] durch die Höh’n und Tiefen der Schöpfung
Im seraphischen Flug auftragst.

 O Himmelgebohrne
Tochter der Sterne, Begeistrung! du, die mit tönendem Flügel
Jedes Flattergewölk der Nebellüfte zerstreuet,
Daß vor dem cherubinischen Schwunge, nichtigen Staubes,
Erd und Sonne dahinfliehn! Gieb mir des heiligen Feuers,
Das in erhabenen Seelen nur glüht, eine lodernde Flamme
In den Busen, daß ich jenseits des pierischen Berges
Jenseits der sieben Hügel [4] mich schwing’, und des Zieles nicht fehle.

[291]

     Ich will singen die grabentstandenen Seelen der Todten.
Und den Lohn und die Strafe der allentscheidenden Wagschaal,
Welche vom Throne des Richters der Welt auf die Gräber herabhängt; –
Singen die allerzeugenden Saamen der werdenden Dinge,
Euch hellstrahlende Welten des unermeßlichen Raumes,
Und der aetherischen Wohner unzähliche Myriaden,
Aller Wandlung und Fortschritt durch unendliche Zeiten.
Dich, o große Charte der Weltenplane, dich will ich
Vor die Augen der Menschen hinbreiten, wie dich die Allmacht

[292]

Durch die Himmel der Himmel herabhing, – wie nur geweihte
Hohe Seelen dich sehn, die, vom Aetherstrahle durchglühet,
Ueber die wirbelnden Pol’ und Wendezirkel der Schöpfung,
Weithinsegeln, und dich, o unergründliches Weltall,
Kühn umschiffen. Ein neuer Prometheus, steig ich zum Himmel,
Und entzünde mir dort an einer der funkelnden Sonnen
Einen himmlischen Strahl, in sterbliche Busen zu werfen,
Daß sie von hohem Gefühl des angebohrenen Adels
Und des aetherischen Theils, den ein Gott in ihnen verschlossen,
Neues Leben pochen, und höh’re Bestimmungen ahnden.[5]

[293]

     Ha! schon: steig’ ich: der Flügel strebt! es wehet die Schwinge.
Schon entweichen die Schatten der Erde: nun – sind sie verschwunden;
Wie der wirbelnde Staub am Fuße des eilenden Wandrers,
Sehet! so sind mir Erden und Sonnen und Weltensysteme.

     Schon eröffnen sich mir die Pforten des ewigen Lichtes.
Nacht wird Tag mir: Der Ewigkeit undurchdringlicher Vorhang
Rollet sich auf: ich sehe die Sonnenwenden der Schöpfung.
Gräber! Urnen! wo seyd ihr? ich sehe mit Augen des Himmels,
Höre mit Ohren der Engel: nichts sterbliches tönet die Lippe.
Ambrosialischer Duft des Himmels umkühlt mir die Stirne.
Seh’t! es leben die Todten! Horchet! es sprechen die Geister!

[294]

     Als der entbundene Geist des weisen Helden und Dichters
Nun den Körper von Erde verlassen, und jenseits der rauhen
Dornenbesäeten Pfade des labyrinthischen Lebens
Froh entbundene Fittige schwang: da etc.

Von diesen überirdischen Scenen des achten und neunten Gesanges geschieht der Uebergang zu dem gewöhnlichen Inhalt des Gedichts durch folgenden

Anfang des zehnten Gesanges.

     Hah! ich sehe dich wieder, du Lampe der heimischen Erde,
Sey mir, o Sonne! gegrüßt.[6] Wie der irregegangene Wandrer,
Der sich in unermeßlichen Hainen, unendlichen Steppen,

[295]

Hundert Meilen seitab vom Ziel des Weges verlohren,
Endlich das flimmernde Licht des kleinen Hüttchens erblicket,
Das ihm Vaterland ist: so schau ich des irdischen Tages
Strahlende Urne, die mich der unermeßlichen Irrniß
Mahnt, wohin mich der Flug des kühnbeschwingeten Geistes
Fern von den staubigten Ufern des Mutterlandes verschlagen;
Daß ich die Tiefen und Breiten und Höh’n der Schöpfung ermessen,
Daß die letzte der Sonnen mir hinter’m Fittig erblaßte.

     Wie erröthet das Antliz mir von den tausendmal tausend
Flammenden Welten, die ich auf dem unbepfadeten Wege
Sah! wie taumelt das Herz von den tausendmal tausend Gestalten,

[296]

Von den erhabnen Begriffen und hohen Empfindungen allen,
Welche dem staunenden Blick des Geistes vorübergegangen.

     Athme dann auf, o du, die mich zum Fluge gestärket
Muse! ach so gern verweilet der Himmelgebohrne
Geist in der vaterländischen Heimath jenseits der Gräber,
Wo nicht Könige hadern und keine Krieger verbluten
Wo kein Dränger plaget und kein Bedrängter erseufzet,
Wo nicht Schmerz und nicht Tod, und ihr Gräber der Todten! nicht mehr seyd,
Wo Elysium blüht, und paradisische Wonnen
Dich, süßstaunendes Herz, aus der Lethe des Himmels erquicken.

     Aber dem eilenden Blitz gleich, der den umnachteten Aether
Flüchtig durchstreift, entschwindet dem erdwärtssinkenden Geiste

[297]

Jeder himmelahnende Wonnegedanken, und eh’ er
Sagen mag: Siehe! – hat ihn die Nacht der Erde verschlungen.

     Kehre dann Muse zurück von den Höhen des stolzen Gesanges,
Wo du mit himmelerhobnem Seraphischem Fittig geschwebet;
Kehre zum Hügel, wo Friederich mit Entschlüssen des Todes –
Schläft, um Leben und Ruhm nach wenigen Stunden zu enden.



Fragment
aus dem siebenten Gesange der Borußias.
Friedrichs beschlossener Selbstmord, nach der unglücklichen Schlacht bey Kunersdorf.


     Wie die Eiche, die lang’ ein Truz der rasenden Stürme
Hoch von dem Wipfel der Alpe die weite Gegend umschaute,

[298]

Endlich, von allen Winden bekämpft, den prangenden Wipfel
Erdwärts beugt, und in die stets verschmähte Ebne berühret,
Daß sie der Wandrer nun nicht mehr in der Ferne erblicket,
Und sich, des luftigen Weisers beraubt, vom Wege verirret:
Also beugt die verlohrene Schlacht die unbezwungne
Seele Friedrichs: die immerströhmende Quelle des Muthes
Scheinet versiegt; – der erfindrische Geist – durch die ehernen Banden
Unentfliehlichen Schicksals bestrickt, wie die schaffenden Kräfte
Der erhabnen Natur in dem magischen Kreise des Zaubrers.

     Er, der am Mittag [7] nur noch, Victoriens strahlende Fahne

[299]

Schwang, und das feindliche Heer furchtbar mit Vernichtung bedrohte,
Sammlet nun kaum zweymal dreytausend Brennen, am Abend
Von der Flucht. Sein theures Borußien lieget dem Feinde
Ringsher offen. Elisabeths und Theresiens Heere,
Immer bis jetzt von einander entfernt gehalten, sie werden
Bald nun vereinet auf ihn herstürzen und stürzend erdrücken.
Hah! verblüht ist sein Ruhm, verwittert die glänzenden Lorbeere!
Also dünkt’s ihm! „Und Er; er soll gefangen dann, oder
Friedebittend die stolzen so oft besiegeten Feinde,
Sieger nennen und Herrn? soll dich, sein inniggeliebtes
Volk, unglücklich nur sehn? nein, … lieber wählt er … Vernichtung.“

     Aber die Nacht umdeckt mit scharzen Flügeln die Erde,
Und der geschlagene Held zieht seine verwundeten Krieger

[300]

Mit carthagischer List aus dem Auge des Feindes vom Schlachtfeld
In das Lager, wo sie ein sichrer Schlummer erquicket.

     Er selbst heiß’t sich sein Zelt auf einem Hügel erbauen,
Der, der erhabenste seiner Brüder, die Ebne beherrschet.
Nacht in der Seele und stechende Angst im blutenden Herzen;
Rings umschwebt von den Schaaren der Geister, welche die Mörder-
Hand des Krieges für ihn ins Reich der Schatten gesendet;
Vor ihm – der Jammer der Väter, der Mütter, der Waisen, der Wittwen,
Den der unseelige Fürstenzwist der Unschuld bereitet,
Neben ihm – du, zerrissener Lorbeer des glänzenden Ruhmes,
Dessen jegliches Blatt von seinem eignen und seiner
Brennen theurem Blute trieft – des entsetzlichen schweren

[301]

Tausendfältigen Jammers, – er, er die einzige Quelle,[8]
Steht er, die Augen jetzo starr auf den Boden geheftet,
Jetzt zum Himmel empor gehoben; nun schreitet er schnellen
Fliegenden Tritts, nun langsam, vertieft; gebrochene Laute
Stehlen bald leiser, bald heller, sich von der Lippen: ein Seufzer
Stöhnt aus dem ängstlich arbeitenden Busen herauf, und ersticket
Mitten im Stöhnen. Der blutbespritzten Wimper entzittert
Jetzt eine Thräne des Zorns, und jetzt eine Thräne der Wehmuth.

     Wie die Blätter des Baums, von streitenden Winden gerüttelt,

[302]

Diese zur Rechten und jene zur Linken, nach Osten, nach Westen,
Stäuben, und stäubend sich kreisen, und kreisend den Aether durchmessen,
Also der Taumel der tausend Gedanken und tausend Gefühle
In der zerrissenen Seele des tiefbekümmerten Helden.
Und nun kann er nicht mehr: er gehet hinaus in die Freye.
Hah! was erblikt er da mit dem trübhinschauenden Auge.
Wühlende Fluthen, seit gestern vom Sturm und Regen geschwellet,
Würbeln, schaurigbeglänzt vom halbverschleierten Vollmond,
Ueber garbenbedeckte Gefild’ und blühende Wiesen,
Ueber Garten und Zaun. Ein schäumender See ist die Eber:
Furchtbar rollen und rauschen die Wellen im Sausen der Winde,
Furchtbar tönt in das Rauschen der Jammer der Pflüger und Schnitter.

[303]

     Hah! wie wünscht er die Wiese zu seyn, die, wenn nun die Winde
Oder die Fluth ihr den blumengeflickten Busen zerfleischen,
Sinn- und fühllos die Wuth des stürmenden Schicksals erduldet.

     Hah! wie wünscht er der Sturm zu seyn, der die Wellen zerpeitschet;
Oder mit euch, ihr Fluthen, dahin zu rauschen ins Weltmeer
Seinen Jammer, sein angstbelastetes, quälendes Daseyn.

     Tiefverlohren in schrecklichen Kummer, erseufzet er also:
„Menschenleben! was bist du? Menschenleben! ein Sturwind
Ueber der Haide! ein Ozean voll tobender Wellen!
Deine Herrlichkeit, wirbelnder Sand, – dein flüchtiges Daseyn
Ein hinstäubender Tropfen, vom kreisenden Rade geschleudert.

[304]

Welcher im Fallen verdampft. Die allersehntesten Güter
Die du dem vielgeschmeichelten Schößling des lachenden Glücks beutst,
Sie verdünsten ihm in der Hand, und die dürstende Seele
Lechzet vergebens nach dem entschlüpften Labsal. Die schönsten
Freudenblüthen zerknickt, indem sie in glühender Farbe
Hochherprangen, ein Sturm, und giebt sie den sausenden Lüften.
Von dem strahlenden Ziel, wornach das verlangende Herz, ach!
Heißen Schlages geklopft, zu dem du selber uns endlich
Endlich mit eigener Hand geführt, o! tückisches Schicksal!
Stürmst du uns grausam zurück, das Ziel mit dem Pfade verwehend.

     Hah! wie bin ich herabgestürzt von der Höhe des Glückes,
Wo ich am Mittag nur noch, wie dort die Sonn an dem Himmel,

[305]

Strahlte, die Erde mit Ruhm, wie sie mit Glanze, beschimmernd.
Friedrich, der Stolz des Morgens, ist der Seufzer des Abends –
Und der Ruhm des Menschengeschlechts,[9] – sein rührendstes Mitleid.

     Hah! wie ist es so schrecklich anders! dem grabentstandnen
Geist gleich, der als ein blühender Fürst zu den Schatten gestiegen,
Wenn er den ehernen Schlaf sich aus dem Auge gewischet,
Asch’ und Trümmer und Haidekraut an der Stelle erblicket,
Wo sein Pallast einst war; so schau ich jetzo von diesem

[306]

Hügel hinab auf die Ebne der Schlacht, wo heute Trophäen
An Trophäen mir glänzten, wo Lorbeer winkte an Lorbeer.
Die vergangene Herrlichkeit, sie fährt wie ein Blitzstral
Fürchterlich über den Schlund der Vergangenheit und der Zukunft,
Daß ich das schaurige Dunkel nur klärer sehe.

     Menschenleben! was bist du? Menschenleben! was hast du,
Daß du edle Geister mit so viel Banden umwindest?
Was ist Reichthum? ein Bissen mehr in den Mund des Verschwenders,
Mit aneckelndem Gaum verzehrt, mit Krankheit vergiftet.
Was Vergnügen? ein Honigtropf’ um die lechzende Lippe,
Welcher, noch eh er die Drüse ganz durchnetzet, vergäll’t ist.
Und der Ruhm? ein summender Laut in den Ohren des Stolzes.

[307]

Heute noch tönt er, wie hell! und morgen schon ist er verhallet,
So wie das Lüftchen, das zwischen dem Grase der Felsen dahinstirbt.

     Sie, die Tugend, sie selbst, die Tugend, der strahlende Fittig
Großer Seelen! die Götterkraft im sterblichen Busen;
Was, was ist sie? ein Lufthauch wider den brausenden Orkan, –
Eine Brücke von Stroh, die den fluthenden Ozean dämmet;
Ein sisyphischer Kampf mit dem allgewaltigen Schicksal,
Welches den Jahre lang rastlos auf und nieder gewälzten
Felsen dem Wälzer zurück auf den Kopf wirft, und ihn grausam
Drunter zerschmettert, zermalmt.
Kräfte, würdig der Götter, in langen Kämpfen geübet,
Mühen, den Schweiß und das Blut der himmelanstrebenden Seelen, –

[308]

Sie zermalmet ein augenblicklicher Ruck in des Zufalls
Allvermischendem Wirbel, und stäubt sie in ewige Trümmer.

     Menschenleben! was bist du? Menschenleben! und dennoch
Zögert ihr, Söhne der Erde! zu sterben? im Hafen
Anzulanden, nach dem ihr in Wind und Wetter geseufzet?
Hinzugießen in Schlummer die mattgequäleten Glieder?
Sich zu erlaben in ewiger Ruh von den Mühen des Lebens?

     Aber ihr wähn’t euch das Blut des Himmels, erhabene Kinder
Des erhabensten Vaters der Welten – zu groß für die Erde.
Jenseits der Sonnen strebt ihr hinaus: am strahlenden Himmel
Hängen die Palmen, nach welchen ihr kindisch haschet! Ein Gott soll

[309]

Eurer Tage jeden bewahren, jede Minute
Eures Lebens hüten, – er soll mit eigenen Händen
Jedes Lüftchen, das euch umfächelt, bilden und lenken!
Soll mit eigenem Blick der Thaten jegliche prüfen,
Die ihr auf Erden verübt, damit er sie lohn’ in den Himmel!
Soll die Würmer des Staubs zu unsterblichen Göttern verklären! …
Das, das zögert euch im Leben? Hah! darum nur wähn’t ihr’s
Tugend, geduldig zu weilen in Mitte des Jammers der Erde?

     Stolze Schwindler! eh’ wird die Mücke die Sonne erfliegen,
Eh’ der Eymer die Wellen des Meeres im Reifen befassen:
Eh’ ihr wiß’t das Woher? und Wohin? des eignen Geschlechtes,
Eh, ihr das Wesen der Wesen erfaßt, und die ewigen Plane.

[310]

     Doch viel Glück zu Eurer Erfindung! daß ihr die schwarze
Folterkammer des Lebens, mit tausend Martergeräthen
Quälender Trübsal, und gräßlichen Schrecken, und ängstenden Zweifeln
Ringsumhänget, von keiner Lampe der Hoffnung erhellet,
Euch so lieblich bemahlt … Stets hat’s euch der Weise beneidet,
Dem es schwer ist in diesem Grabeskerker des Todes
Auch eine Spinne nur aufzufinden, mit der er die eckle
Langeweile vertändle, die Angst des Herzens zerstreue:
Dem die Fackel, Vernunft, grad so viel schreckliches Licht wirft,
Daß er die Nacht des Jammers ringsum, mit entsetzlicher Klarheit
Ohne Täuschung erkennt, und die schöne Tünche vernichtet.
Weil der unschuldigen Dulder auf eurer Erde so viele;

[311]

Weil das Laster so oft die Tugend im stolzen Triumph führt;
Darum hat euch ein Gott, und nicht der Zufall erschaffen?
Darum soll Euch dereinst ein ewiglohnender Himmel
Jenseits der Moder des Grab’s aufblühn …? o! Schwindler! o! Schwärmer!
Sehet ihn an, den ewigen Gang der kreisenden Dinge!
Wie die Blase, die bunte Schöpfung des hauchenden Knaben,
Aufschwillt, perlt, und verschwindt: so auch die Wesen der Dinge.
Alles wandelt, nichts bleibt, nichts kehrt ins Daseyn zurücke;
Schwindet ins Unermesliche hin. Die schaffende Urkraft
Bleibt die nehmliche stets, unerschöpflich, ewig, unendlich;
Alles geschaffene stirbt. Das einmal gewesene Seyn ist
Nimmer und ewig nicht mehr, und mischt sich, wenn es nun schwindet,

[312]

Ohne Spur, daß es war, der unendlichen Masse des Urseyns:
Wie sich dem Meere die Kielgespaltene Welle vermischet,
Wie die Figuren des weisen Archimedes dem Sande,
Als ihn das wilde Schwert des Siegers, den Zeichner in seine
Eigne Zeichnung hinstrekte, sein Blut mit dem Sande vermengend.

     Was ist Eure erhabene Tugend, die euch Gott nur
Droben im Himmel zu lohnen vermag? die Blätter des Baumes
Werden vom Winde geschüttelt; – die blühenden Früchte des Feldes
Jetzt vom Blitze getroffen, und jetzt vom Hagel geknicket; –
Und der Mensch von mannigfaltiger Trübsal geängstet. –
Besser nur sproßt der geschüttelte Baum, und schöner nur wächset

[313]

Der von dem Blitz getroff’ne Halm; den edleren Menschen
Bildet die Trübsal.[10] Heil ihm, wenn er nicht drunter erlieget!
Sein ist der Lohn, ein gegenwärtiger, selbstgemeß’ner,
Selbsterworbener Lohn! was brauchts der Wage des Richters
Wo die Tugend sich selber belohnt, und das Laster bestrafet?

     Diese Knospe zernaget der Wurm, und sie wittert im Staube;
Jene bleibt auf dem Stamm, und blüht, und bildet zur Frucht sich; –
Also Glück und Elend der zufallbeherrscheten Menschen.

[314]

Rechte die wurmzerfressene Knospe mit dem, der den Stamm schuf,
Und den Wurm, der sie zernagt …
Rechte der Elende mit dem Erhabenen, welcher ihn daseyn
Hieß, und mit ewiger Weisheit die Reihe der Dinge geordnet,
Daß sie sind, wie sie sind …
Wie dem Schiffer, dem, auf der Ribbe des felsenzerschellten
Schiffes, die stolzen Palläste die wolkenanragenden Thürme,
Berg’ und Alpen der Erd’, die Erde selber verschwindet;
Denn nun nimmt ihn die Fluth:
Also schwinden mir jetzt vor meinem taumelnden Blicke
Scepter, und Lorbeer, und Thron und Reich und Tugend und Nachruhm.
Alle Schimmer des Lebens, dahin, … ich versinke … vergehe …
Nein, ich zögre nicht mehr, zu sterben … sterben …

[315]

Dieses Fläschchen … es endet den langen unendlichen Jammer!

     Groß und einzig ist doch der Mensch in der Reihe der Dinge.
Sonnen erlöschen sich nur in der Asche anderer Sonnen!
Welten stürzen sich nur durch andre Welten in Trümmer!
Alles zögert und schleppt sein langsamkriechendes Daseyn
Bis es ein Zufall zerstört.
Er, der Mensch nur vermags, sein Wesen mit eigenen Händen
Zu zerstören, und, wie und wenn es dem Stolzen beliebet,
Hinzugehen woher er kam, ins ewige Nichts hin.
Hah! der Erhabne beherrscht das allbezwingende Schicksal,
Aendert die ewige Schrift der diamantenen Tafeln
Und giebt Euch, ihr Götter, die überflüßigen Tage

[316]

Stolzentbehrend, zurück, die ihr gern ihm zu leben vergönntet.[11]

     Ja ich will sie verlassen die Hütte voll dampfenden Rauches,
Denn sie trübet mir Aug und Herz. Ich will mich entkleiden
Dieser Larve des Fleisches; – sie drückt den Träger zu Boden.
Andern hab’ ich gelebt, mir selber will ich nun sterben
Und freywillig ein aufgezwungenes Daseyn vernichten.
Morgen ist Friedrich nicht mehr. Ihr Thränen der Tausend und Tausend
Fließet, fließet nicht mehr. Ihr Mütter, ihr Waisen, ihr Wittwen,
Denen ich ihre Kinder und Männer und Väter erschlagen,

[317]

Jauchzet, jauchzet hoch auf! dem Mörder, dem Räuber von Preußen [12]
Löschet sich morgen die Sonne … du sollst ihn haben den Frieden,
Vaterland! er, deines Jammers einzige Quelle,
Friedrich, ist morgen nicht mehr! du sollst ihn haben den Frieden,
Den er dir lebend nicht geben kann, den läß’t er im Tod’ dir.
Dieses Fläschchen – voll heilsamen Tranks, zum ewigen Schlummer,

[318]

Dieses Fläschchen – es giebt dir Heil, mir ewige Ruhe.“[13]

[319]

     Also der Held; und mit entschlossener Seele, den Gifttrank
Morgen zu schlürfen, und dann, wie wenn das stockende Blut ihm
Plötzlich die Wege des Lebens gehemmt, in der Mitte der Diener
Hinzustürzen, legt er sich nieder, und schläfe wie der große
Utiker neben dem Schwert, das mit dem kommenden Morgen
Sein patriotisches Blut wird trinken und trinkend verströmen.



  1. Der sechste, der achte und neunte Gesang, wie auch der eilfte des Gedichts, sind episodisch, und enthalten, der sechste eine fanatische Verschwörung, der achte und neunte die Aussichten des verklärten Kleists, der eilfte Peter III. von Holstein und Friedrichs Gesandtschaft an ihn. (Das ganze Gedicht enthält XII Gesänge.) In Rücksicht [287] der Episode, die ich „die Aussichten des verklärten Kleist“ überschrieben habe, und deren Einfügung in das Ganze am sonderbarsten scheinen möchte, kann ich hier nur erinnern, daß die Wunder der unermeßlichen Schöpfung, so wie sie uns da eine gereinigte Weltweisheit kennen lehrt, und die der Gegenstand dieser Aussichten sind, mir das wahre Wunderbare einer Epopee unsers philosophischen Jahrhunderts zu seyn geschienen. Ueber die Einfügung dieser Episode in das Ganze des Werks, wird der Vorurtheil freye Leser nicht eher, als nach der Erscheinung der Borußias, urtheilen wollen.
    Anm. des Verfassers.
  2. „Mehr als kastalischen Quell:“ so heißt den griechischen Dichtern der berühmte Musenquell. Der Dichter der Aussichten des verklärten Kleist, der nicht Fabeln sondern Lehren und Entdeckungen der gereinigten Weltweisheit schildern will, erkennet nur die ewige Wahrheit als den Quell seiner Begeisterung.
  3. Vltra flammantia moenia mundi. Manilius.
  4. Jenseits der sieben Hügel etc. durch die Erhabenheit, Würde, Umfassung, und besonders durch die Wahrheit der hier dargestellten Gegenstände, will sich der Dichter jenseits des pierischen [291] Berges, das heißt über die Fabelwelt des Homer, und jenseits der sieben Hügel, d. h. über die philosophisch-mythologischen Dichtungen des sechsten Buchs der Aeneide des Virgil, hinausschwingen.
  5. Kühne Schilderungen großer Gegenstände erweitern und erhöhen den Geist selbst zu größern Entwürfen, Wünschen, Handlungen, besonders aber überirdische Scenen.
  6. Es sollte mir schmeicheln, wenn die Leser an Milton’s:
              Hail, holy light! etc.
    erinnert würden.
  7. Bis gegen Mittag zu war der Sieg noch ganz auf Friedrichs Seite.
  8. Der Dichter entwickelt hier die geheimsten Gefühle eines erhabenen Geistes in der drängendsten Situazion des Lebens. Siehe eine der folgenden Anmerkungen.
  9. Sollte nicht mitten im Sturme der Leidenschaft dem ehrgeizigen Friedrich so etwas entschlupfen dürfen? Sagt er nicht selbst von sich in einem seiner Briefe, es habe ihm immer ein großer Gedanke geschienen, de bouleverser le systeme d’Europe.
    Anm. d. V.     
  10. Trübsal und Widerwärtigkeit sind zur Bildung des vollkommneren Menschen eben so nothwendig, als Stürme, Regen und Gewitter zur Hervorbringung der Früchte der Erde, und der Mensch muß also auch die größten Leiden, als unerlaßliche Bedingung seiner höhern Bildung ansehen, der Vortheil daraus ist sein eigner.
  11. Sophistik der Leidenschaft, die den Menschen oft sogar mit dem Schein des Erhabnen zu täuschen weiß.
  12. Friedrich empfand, wie wir wissen, sehr menschlich. Der Gedanke, daß jener sein Stolz, de bouleverser le systeme d’Europe (Siehe Histoire de mon tems) doch die letzte Ursache alles schrecklichen Elends des Krieges war, hat seinem Herzen, besonders zur Zeit des Unglücks, gewiß manchen blutigen Schmerz abgepreßt. In der Nacktheit, wie dieser Monolog sein moralisches Ich darstellt, konnte er wohl auch diese Seite blos geben, die er in seinen Schriften – freylich – fast durchaus zu verhehlen sucht.
  13. Dieser ganze Monolog sollte, (wenn man mir den Stolz verzeihen will) ein Gegenstück zu dem bekannten Monolog des Hammlet seyn:
    Seyn oder Nichtseyn etc.

    Die stärksten Gründe, die die speculative Vernunft gegen Daseyn Gottes, Vorsehung und Unsterblichkeit, mitunter auch für den Selbstmord, ergrübeln kann, sollten hier, nach der Absicht des Verfassers, zusammengestellt werden. Ein Geist – wie Friedrichs – und in diesen Situazionen, schien mir zur Entwickelung dieser Ideen und Gefühle, nicht unschicklich gewählt werden zu können. Der Monolog des Epischen Gedichts hat überdem weitere Grenzen, als der Monolog des Drama. Die in dem Gedicht gleich folgenden „Aussichten des verklärten Kleist in die Schöpfung“ machen das helle Gegenstück zu diesem schwarzen Nachtgemählde der menschlichen Angelegenheiten.