Ueber Gefühl
Die kalte Ruhe der Vernunft zu wärmen,
Goß Gott in uns den Funken Leidenschaft,
Nicht um in Kummer langsam uns zu härmen;
Nein, zur Empfindung unsrer Menschenkraft.
Das die Natur in unsre Seelen goß!
Es macht aus Engelherzen Ungeheuer
Und bricht der Tugend heil’ges Siegel los:
Der Mann ist elend, der mit trüben Augen
Nur Blumen bricht, um Gift daraus zu saugen,
Und feindlich in der Unglücksweisheit wühlt.
Doch elend ist auch, dessen weiche Seele
Ein kleines sterbendes Insekt entführt,
Und ein zertretner Wurm zu Thränen rührt.
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Dort fliegt im Schwunge seiner Hochgefühle,
Von Kraft und Muth die kleinste Sehne voll,
Der Jüngling nach des Ruhmes Schattenspiele,
Hier sitzt der Handelsgeist bey vollen Kasten,
Und überzählt den köstlichen Gewinnst,
Und übersinnet ohne auszurasten
Der künft’gen Unternehmung Hirngespinnst;
Und blickt verzweifelnd nach dem Mast empor,
Und jammert auf dem neugeborstnen Wracke,
Auf dem er seinen letzten Deut verlor.
Wir trinken Heil und Gift aus Einer Quelle;
Gefühl ist Himmel, und Gefühl ist Hölle,
Ist Kraft der Wahrheit und ist Dunst des Trugs.