Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten (5)

Textdaten
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Autor: Udo Brachvogel
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Titel: Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 760–764
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Leben im „Wilden Westen“ und in Salt Lake City
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Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten.[1]

Von Udo Brachvogel.00Mit Illustrationen von Rudolf Cronau.
V.
Das Rückgrat des nordamerikanischen Continents. – Pacificbahn-Städte. – Allerlei Felsengebirgsvolk. – Das Mormonenreich von heute. – Am Grabe Brigham Young’s.

Man hat die Rocky Mountains die Wirbelsäule des nordamerikanischen Continents genannt. Und ein solches Erdtheilsrückgrat sind sie in der That.

In einer eigenthümlichen Nebeneinander- und Uebereinanderfügung von Hochplateau- und Hochgebirgsformationen bedeckt das eigentliche Felsengebirgsgebiet die Territorien von Montana, Ost-Idaho, Wyoming, Colorado, Ost-Utah, Ost-Arizona und Neu-Mexico – Alles in Allem ein 650,000 englische Quadratmeilen messendes Areal. Viele der Naturwunder, welche in diesen Bergen das Auge des Beschauers entzücken, haben wir schon in unsern frühern Schilderungen kennen gelernt; heute führt uns der Maler eine zerklüftete Felsenlandschaft vor, die zu den großartigen Ansichten des Yellowstoneparks den grellsten Gegensatz bildet. In solche Gegenden sind die ersten Einwanderer gedrungen, und auf Grund ihrer Berichte hielt man das ganze Felsengebirge wohl mit Unrecht für ein ödes, unfruchtbares Gebiet. Interessanter jedoch als die Schilderung dieser hier und dort wiederkehrenden endlosen Reihen kahlaufragender Felsen ist die Geschichte der Bevölkerung dieses Landstriches, deren Anfang und Ende auf der obenstehenden Vignette sinnreich angedeutet wird.

Einst war der Indianer der ausschließliche Gebieter dieser weiten Länderstrecken, und die Pionniere der Cultur, die sich in diese Wildniß hineinwagten, mußten mit der Waffe in der Hand ihr dürftiges Dasein sichern. Ihnen folgten dann die Anhänger des wunderlichen Mormonenheiligen Brigham Young, und schließlich erschien der Culturträger Dampf in jenen Einöden.

Die seitdem erfolgte völlige Umgestaltung in den Bevölkerungsverhältnissen des Felsengebirgswestens gehört zu jenen Entwickelungsmirakeln, wie sie nur Amerika kennt, und die man bei der Rapidität, mit der sie sich – in diesem Falle buchstäblich auf den Flügeln des Dampfes! – vollziehen, selbst hier unmöglich mehr lange wird beobachten können. Es lohnt sich daher wohl der Mühe, einen Blick auf diese junge Felsengebirgsbevölkerung und die eigenartig-ursprüngliche Civilisation zu werfen, in welcher sich hier eine regelrechte Zukunftscultur vorbereitet, wie sie selbst der größte Rocky Mountains-Enthusiast sich vor zehn Jahren noch nicht hätte träumen lassen.

Bret Harte hat in seinen californischen Goldgräbergeschichten mit der ganzen poetischen und charakterisirenden Kraft des Culturnovellisten von Gottes Gnaden blutsverwandte, in den nämlichen Grundbedingungen wurzelnde Erscheinungen geschildert. Schade nur, daß, als dieser amerikanische Poesiegoldfinder noch selbst Californier war, von der auf die Goldinvasion des fernsten Westens so bald folgenden Dampferoberung desselben noch keine Rede war; er wäre sonst der Welt neben seinen mustergültigen Schilderungen der Goldlager und Minenplätze sicherlich nicht die verwandte Meisterschilderung des für das Werden des Großen Westens ebenso typischen Pionniergemeinwesens der jungen Eisenbahnstadt schuldig geblieben.

Schon bei dem Bau der ersten Pacificbahnen in den sechsziger Jahren waren diese Eisenbahnstädte der Prairien und Felsengebirge eine Erscheinung, denen noch jetzt in den Namen Julesburg, Sydney, Rawlins und namentlich demjenigen von Promontory Point eine Art legendenhaften Interesses anhaftet. Gestern „an der Front“ des in die Wildniß hineingeschobenen Bahnbaues, Heer- und Kriegslagern gleich, aus der Erde gesprungen, hatten sie heute eine Bevölkerung von Tausenden mit dem zügellosen Treiben von Zehntausenden, um schon morgen ihre Schuldigkeit als zeitweilige Bahnendpunkte gethan zu haben, und übermorgen nach kurzem Todeskampf für immer zu verschwinden.

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Gebirgslandschaft am oberen Colorado.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.

[762] Nur in wenigen Ausnahmefällen sind gerade aus ihnen dauernde Städte geworden, welche zur Erreichung dieses würdigen Zieles sich dann jedesmal noch durch eine zweite Jugend und einen zweiten Gährungsproceß hindurch zu arbeiten hatten.

Um diese Vielseitigkeit und das sonstige Wesen einer derartigen Pacificbahnstadt auf den ersten Blick würdigen und verstehen zu lernen, ist es wünschenswerth, daß man daselbst Abends oder zur Nachtzeit ankomme. Während die Zelte und Plankenbaulichkeiten des eigentlichen Hauptquartiers mit den Bureaux und Wohnungen des Ingenieur- und Beamtenstabes gewissermaßen seitab in feierabendlichem, discretem Dunkel liegen, strahlt das Uebrige der bretternen und leinwandenen Eintagsstadt in einer Beleuchtung, welche den ganzen marktschreierischen Glanz einer nächtlichen Meßscene heraufbeschwört. Damit aber auch der von einer solchen unzertrennliche Lärm nicht fehle, tönt aus jeder dritten weitgeöffneten Thür Musik, zu deren aufdringlichen Weisen die in dem Vortrab einer nagelneuen Cultur hierher verschlagenen schwieligen Arbeiter und Träger dieser Cultur ihrem Bedürfniß, den in ungewöhnlicher Weise gemachten Erwerb auch in ungewöhnlicher Weise wieder an den Mann, beziehungsweise die Frau zu bringen, die vollsten Ziegel schießen lassen. Trink-, Spiel- und Tanzhäuser reihen sich an Tanz-, Spiel- und Trinkhäuser, mit Ausnahme jener Etablissements, die alle diese erlesenen Bestimmungen in einer und derselben Zelt- oder Holzumwandung vereinigen. In allen aber halten die männlichen Geier und weiblichen Ratten des Ueberland-Bahnbaues ähnliche Ernten, wie ihre allerdings noch auf ergiebigeren Feldern hausenden Vettern und Cousinen der Goldlager und sonstigen Baracken-Gemeinwesen fernstwestlicher Edelmetall-Regionen.

Sehr manierlich und geordnet geht es in diesen Tempeln des auf die Prairien und in das Weichbild der Felsengebirge hinausgeschobenen großstädtischen Nachttreibens freilich nicht zu. Es ist sogar nichts Ungewöhnliches, daß dabei gelegentlich der Revolver ein Wort mitspricht, wiewohl das lange nicht so häufig der Fall ist, wie man im Osten der Vereinigten Staaten oder gar in Europa anzunehmen geneigt ist. Um so stehendere Regel ist es dafür, daß es immer erst die sieghafte Frühsonne in eigenster Glanzmajestät ist, welche die grellen Lichter dieser Vergnügungstempel auslöscht und die primitiven Bretterverschläge und Zeltgefüge derselben auch ihrer letzten Tempelglorien entkleidet. Diese Gründlichkeit, diese Ausdauer im Genießen, namentlich am Spieltisch, erklären sich leicht genug. Abgelebtheit und schnell wieder in ihre alte Erschöpfung zurückfallende Uebersättigung haben mit der wilden Jagd nach tollster und derbster Zerstreuung, die hier auf der scheinbaren Grenze alles dessen, was man Leben und Lebensgenuß nennen möchte, souverain herrscht, noch nichts zu thun. Maß und Ziel sind diesen Grenzlebemännern ebenso unbekannte Dinge, wie ein Faro-Verbot, wie eine städtische Polizeistunde oder ein Gesetz der Sonntagsheiligung.

Und das ist nicht nur „an der Front“ entstehender Pacificbahnen, sondern in dem ganzen ungeheuren Gebiet so, welches wir den fernen Westen nennen, und das man sich merkwürdiger Weise nicht nur in Europa, sondern auch, allen officiellen Censusaufnahmen zum Trotz, in der östlichen Union selbst noch immer als eine menschenleere, höchstens von Indianern durchschwärmte Riesenwildniß vorstellt. Dünne, äußerst dünne gesät ist freilich diese junge weiße Bevölkerung der Plains, der Felsengebirge und des hinter ihnen liegenden großen continentalen Binnenbeckens in diesem Augenblick freilich noch. Aber ebenso ist es auch in diesem Augenblick bereits eine Thatsache, daß man die Angehörigen dieser dünn gesäten Bevölkerung überall antrifft, daß dieselben über die ganze Ausdehnung dieser endlosen Bodenfläche unter einander und dadurch auch mit der großen Außenwelt im regsten Verkehr, in der unablässigsten Beziehung stehen.

Und doch, wie so ganz anders, als die große Welt da draußen, wie bunt und malerisch in ihrer Art, und wie charakteristisch zugleich ist diese ganze Menschheit der Hochsteppen und der Berge des Großen Westens! Eine kurze Aufzählung ihrer Hauptgestalten mag genügen, das oben in wenigen Strichen hingeworfene Bild der Eisenbahnstadt-Bevölkerung zu vervollständigen.

Von dem berittenen „Cow boy“ – das Wort muß bei der absoluten Unmöglichkeit einer wörtlichen Verdeutschung in „Kuhjunge“ unübersetzt bleiben – war schon gelegentlich der Viehheerden Montanas die Rede. Aber wie originell er und gleich ihm sein Berufsgenosse von Wyoming, Colorado, Neu-Mexico und Texas auch in seinem prahlerisch-malerischen Aufzuge sei, ein sehr würdiges und empfehlenswerthes Product der jungen Felsengebirgscivilisation ist er gerade nicht. Neben dem Postkutschen- und Straßenräuber, der hier den beschönigenden Namen „Heerstraßenagent“ („Road agent“) führt, gilt er in seiner bewährten Neigung zur brutalsten Gewaltthätigkeit für den einzig anrüchigen unter den mehr oder minder rauh gearteten Charakteren dieser Civilisation. Der „Miner“, der diesem auf der Suche nach Edelmetalllagern vorangehende „Prospector“, der den Farmer und Heerdenzüchter in sich vereinigende „Ranchman“, der Postwagenkutscher, der Felsengebirgspolitiker, der Jäger und der „Trapper“, das sind Leute besserer Art; mit ihnen Allen ist leicht auf guten Fuß zu kommen und, wenn nicht der gerade hier besonders mächtige Genius des Alkohol allerlei Mißverständnisse anrichtet, auch darauf zu bleiben.

Selbst der meist äußerst vierschrötige und neben seinen Flaschen auch mit dem Revolver höchst fixe Schänke der primitiven Trinkstube, ja selbst der unter dem nämlichen Dache hausende professionelle Spieler sind davon nicht ausgenommen. Sie Alle leben nicht umsonst mit einer unbegrenzten Natur in steter Berührung, und neben ihrer wilden Art besitzen sie auch die erquicklicheren Eigenschaften offenherziger und offenhändiger Naturmenschen. Es ist durchaus bezeichnend für sie, daß sie nicht nur einen meist ausgezeichneten Revolver in der Hüftentasche führen, sondern auch werthvolle Uhren tragen, deren schwere, echte Ketten mit gediegenen Gehängen sie weit sichtbar zur Schau stellen.

Im Uebrigen sind sie keine Dandies in ihrer äußeren Erscheinung, deren Hauptzüge das farbige Wollenhemd, der breitkrämpige Schlapphut und die hohen Stiefel bilden, und in ihrer Sprache sind sie noch weniger wählerisch. Aber sie werden mit einem ihrer Gewohnheitsflüche auf den Lippen auch auf Brautwerbung gehen, oder einem Nebenmenschen mit Gefahr des eigenen Halses das Leben retten, ja wohl gar zu einer doppelten Dosis dieses kräftigen Sprachgewürzes greifen, wenn der Gerettete sich nachträglich eines mehr als wünschenswerth wortreichen Dankergusses schuldig machen sollte. Sie sind nun einmal so, diese „Menschen da draußen“, rauh, ungestüm und leidenschaftlich, und die sechsläufige Taschenwehr thut unter ihnen beim Branntwein und am Spieltisch gar manches vorschnelle und bei der allgemeinen Sicherheit in ihrer Handhabung nur zu oft nie wieder gut zu machende Werk.

Eine Welt für sich in der Bevölkerung und der Pionniercivilisation des Felsengebirgswestens bildet das Mormonenreich am großen Salzsee. Von ihm, seiner Hauptstadt, seinem Gründerpropheten und seiner durch ein Wunderwerk künstlicher Bewässerung in’s Leben gerufenen Ackerbau-Oase am Ostrande der Riesenwüste des großen continentalen Binnenbeckens weiß die Welt seit Jahren. Aber das Reich und die Hauptstadt sind heute nicht mehr das, was sie unter der Leitung des Propheten waren. Mit dem Tode Brigham Young’s hat auch das neue Juda jenseits der Felsengebirge seinen Tod bekommen. Als der in seiner Art so gewaltige, ja geradezu einzige Mann im Frühjahre 1877 gebrochenen Herzens über das Eindringen der Außenwelt in seine kirchlich-autokratische Sonderschöpfung starb, hat das Mormonenthum nicht nur den Kopf, es hat auch den lebendigen Theil seines Inhalts verloren. Aus der Garten- und Tempelidylle von Salt-Lake-City aber, die noch vor zehn Jahren keine Straßenbeleuchtung kannte, und in der man Wein und Branntwein nur in der Apotheke und um Apothekerpreise kaufen konnte, ist eine lärmende Felsengebirgsstadt geworden mit elektrischen Lichtern, Spielhäusern, Trinkstuben, Tingeltangels und allen sonstigen Tummelplätzen echtesten Heidenthums. Die Erschließung reicher Edelmetallminen und der Dampf haben auch hier ihre den ganzen Großen Westen revolutionirende Rolle mit stets wachsendem Ungestüme gespielt, die Regierung der Vereinigten Staaten hat gleichfalls mit immer fühlbarerem Nachdrucke ihre Hand auf das einen Staat im Staate anstrebende Gemeinwesen gelegt, und die Tage dieser ursprünglichen „Heiligenwirthschaft vom jüngsten Tage“, welche der neue Moses im Jahre 1847 auf damals noch mexicanischem Boden für immer zu begründen vermeinte, sind gezählt. Es ist in erster Reihe nur noch die Gewohnheit – die allmächtige Gewohnheit und die äußerliche Prosperität, was den merkwürdigen Bau zusammenhält. Diese äußerliche Prosperität freilich fällt in Ansehung der Stätte, an welcher, und der Mittel, [763] mit denen sie erzielt wurde, schwerer und bedeutsamer in’s Gewicht, als an irgend einer andern Stelle, über welcher das Unionsbanner weht, oder der Welt überhaupt. In dieser dem Boden einer Wüstenei abgerungenen Garten- und Ackerwelt ist der große versöhnende Zug und das dauernde Verdienst des Mormonenthums zu erblicken. Sie zeigt daher auch keine Spuren des Verfalls, wie sie von keinem Wechsel, der von außen kommen mag, bedroht ist. Und wie sie die eigentlichste Schöpfung Brigham Young’s ist, der den umliegenden Hochalpen des Wahsatch-Gebirges ihre Quellen zur Befruchtung seines ländlichen Königreichs nahm, so sichert sie in ihrer Dauerbarkeit auch ihrem Schöpfer, weit über seinen pontificalen Humbug, den Vielweiberei-Unfug und die mannigfachen autokratischen Gewaltthaten, welche vor der Hand noch das Bild dieser machtvollen Persönlichkeit entstellen, einen dauernden Platz in der Geschichte der Volksführer und Ländergründer.

Wie es zu Lebzeiten Brigham Young’s das selbstverständliche Verlangen jedes Besuchers des mormonischen Roms war, den Papst dieses Roms von Angesicht zu Angesicht zu schauen, so wird es jetzt kaum ein Fremder unterlassen, wenigstens das Grab des todten Propheten aufzusuchen. Es liegt im Norden der Stadt auf der von dem einstigen Young’schen Privatbesitz an Häusern und Grundstücken bedeckten Erhebung, zu der ihr Weichbild hier ansteigt. Im Osten ragt die Wahsatch-Kette, die hier den westlichsten Zug der Rocky-Mountains bildet, in gewaltiger Nacktheit empor. Gen Westen dehnt sich das Hochthal des Salzsees mit dem weiten Spiegel des nicht nur jenseits wieder von blauen Bergketten eingefaßten, sondern selbst von langgestreckten Felseneilanden durchsetzten Sees dahin. Nach Süden aber, unmittelbar zu Füßen des Prophetengrabes, breitet sich die jetzt über 25,000 Einwohner zählende Stadt, mit ihren rechtwinkeligen Straßen, ihren in Obstgärten verborgenen Häusern, ihrem Tempeltorso, ihren Tabernakeln und seltsam barocken öffentlichen Gebäuden aus. Es ist ein schöner, über eine ansehnliche Rundschau gebietender Platz, den sich der „Seher“ einst selbst für sich und seine Familie zur letzten Ruhestätte erwählt. Wer jedoch daselbst ein Mausoleum, oder sonst einen prächtigen, oder selbst nur würdigen Gruftbau zu finden erwartet, wird schwer und peinlich enttäuscht. Das Gefühl für Schönheit, ja nur für geziemende äußere Würde, war diesem priesterlichen Machthaber und Bauernbeherrscher ebenso wenig gegeben, wie er eine Entwickelung desselben in seinem Volk gestattete.

Ein von vier Fuß hoher Mauer umgebenes, zwei Acres großes Geviert, in dessen einer Ecke wieder ein kleineres ummauertes Quadrat von dem übrigen eher einer alten Bau- und Schuttstatt als einem Begräbnißplatz gleichenden Raum abgetrennt ist – das ist das Grab des Propheten. In dem großen Vorderraume empfängt man sogar den Eindruck der verletzendsten, brutalsten Verwahrlosung. Von Unkraut überwachsen, erheben sich an ein paar Stellen desselben unregelmäßige Kies- und Schotteranhäufungen, die eher einem Schindanger zur charakteristischen Zierde gereichen würden, und von denen man, nicht ohne von einem Schauder überrieselt zu werden, erfährt, daß darunter verschiedene – Frauen und Kinder des Propheten eingescharrt sind. Selbst das von der Straße in diesen wunderlichen Familienfriedhof führende rohe Holzthor liegt aus den Angeln gebrochen quer über dem Eingang. Tröstlicher Weise ist das einstige Haupt dieser todten Hausgemeinde von seinen Hinterbliebenen um ein Beträchtliches respectvoller behandelt worden, als er mit seinen ihm im Tode vorangegangenen Angehörigen verfahren ist. Das separate, etwa hundert Fuß im Geviert messende Mauerviereck, in dessen südöstlicher Ecke er bestattet worden, ist mit Asphaltgängen und einem unter steter Bewässerung schön grün erhaltenen Rasen ausgestattet. Das Grab selbst aber besteht aus einer kolossalen Granitplatte, die so dick und schwer ist, daß sie ihrerzeit von dreißig Maulthieren hierher geschleift werden mußte. Ein ungeschlachtes, hohes Eisengitter umgiebt sie. Daneben, ohne Einfassung und nur von einem nackten Erdhügel bedeckt, befindet sich die letzte Ruhestatt der ersten und somit nach der neuesten Mormonengesetzgebung der Unionsregierung einzig legitimen Gattin des Propheten, Mary Angel Young. Das ist die einzige unmittelbare Geleitschaft, in welcher der Mann von zweiundzwanzig Frauen und achtundsechszig ehelichen Sprößlingen hier im Tode ruht! Wohl ihm, daß man einen so wuchtigen Stein über seinen Sarg gebreitet! Könnte er ihm entsteigen und sehen, wie er im Tode wieder zum Eheherrn eines einzigen Weibes degradirt worden, seine Ruhe würde für immer dahin sein!

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Salt-Lake-City, die Hauptstadt des Mormonenreiches.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.


  1. Unter Meilen sind in diesen Artikeln stets englische Meilen verstanden, von denen 46/10 auf die deutsche Meile gehen.