Wilhelm von Humboldt (Die Gartenlaube)

Textdaten
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Autor: Max Ring
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Titel: Wilhelm von Humboldt
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wilhelm von Humboldt.

An einem jener herrlichen Octobertage, an denen das letzte Jahr so reich war, stand ich vor der Begräbnißstätte der Familie von Humboldt in Tegel. Dieselbe gleicht durchaus nicht den prunkvollen Erbbegräbnissen anderer adliger Familien, welche ihr Angedenken in Marmor und Erz zu bewahren und zu verherrlichen suchen. Keine gotische Kapelle, kein griechischer Tempel erhebt sich hier stolz und anspruchsvoll und bezeichnet den Ort, wo die „Edlen“ ruhen, dennoch ergreift uns Ehrfurcht beim Anblick dieses wirklichen Friedhofes, über den sich nur Gottes blauer Himmel wölbt. Eine schattige Lindenallee führt uns von dem Schlosse Tegel zu einem höher gelegenen Tannenwäldchen, in dessen Mitte sich ein großer grüner Rasenplatz, mit Blumen und Sträuchen bepflanzt, ausbreitet. Ein eisernes Gitter schließt das Viereck ein, welches die heilige Menschensaat beschützt; nicht das Kreuz, das nur zu oft mißverstandene Symbol des Glaubens, sondern die Marmorstatue der „Hoffnung“, von Thorwaldsen’s Künstler- und Freundeshand gebildet, blickt von hoher Säule auf die theuren Gräber nieder, welche durch keine rühmenden Inschriften, sondern nur durch die Namen der großen hier ruhenden Todten hinlänglich bezeichnet und vor Vergessenheit geschützt werden. Ein unaussprechlicher Zauber ist über das Ganze ausgegossen, ein Geist des Friedens und, fast möchte ich sagen, griechischer Heiterkeit mit classischer Ruhe und Würde vereint. Eine grüne Bergwand, die den Hintergrund bildet, wehrt den rauhen Stürmen und wacht über die heilige Stille des Todes. Die Strahlen der untergehenden Sonne lassen das Marmorbild der Hoffnung in rosig goldenem Lichte glühen, während der Abendwind leise durch die Gipfel der alten Bäume des Parkes rauscht und die herbstlich gefärbten Blätter auf die epheuumrankten Gräber streut.

Das ist die Begräbnißstätte der Familie Humboldt; hier ruhen Wilhelm und Alexander, die geistesverwandten Brüder, die Dioskuren deutscher Wissenschaft.

Kehren wir von dem Friedhofe zu dem Schlosse zurück, das nach den Plänen Schinkel’s 1822 erbaut worden ist, so begegnen wir auch hier überall den Spuren des Genius und seinem unvergänglichen Walten. Griechischer Geist spricht aus der mit dorischen Säulen geschmückten Halle, aus den Reliefs und Marmorbildern an den Wänden. Wir wenden uns zunächst nach dem Studirzimmer Wilhelm’s von Humboldt, das rechts zur ebenen Erde liegt. In der Nähe des Fensters, durch welches das freundliche Grün der Bäume blickt, steht der massive Schreibtisch von Mahagoniholz, woran der Weise so manche dunkle Nacht durchwacht und des Wissens Schätze gefördert. Hier schrieb Wilhelm von Humboldt in ehrenvoller Muße seine Forschungen über die Kawi-Sprache und jene Sonette, die verschwiegenen Blüthen seines Herzens, umgeben von den schönsten und erhabensten Kunstwerken des Alterthums und der Gegenwart, antiken Statuen, Copien Rafael’s und Zeichnungen und Arbeiten von Thorwaldsen. Dicht neben diesem Arbeitszimmer befindet sich das kleine, höchst einfache Schlafcabinet, worin Wilhelm von Humboldt, der berühmte Staatsmann und Gelehrte, am 8. April 1835 starb.

Wilhelm von Humboldt, der Sohn des Majors und Kammerherrn Alexander Georg von Humboldt, aus altadeligem Geschlecht, wurde am 22. Juni 1767 in Potsdam geboren. Seine Mutter war Marie Elisabeth Colomb, verwitwete Frau von Hollwede, welche die Güter Riegenwalde in der Neumark, Falkenberg und Tegel erbte. Da der Vater frühzeitig starb, ruhte die Last der Erziehung ihrer beiden Söhne allein auf den Schultern der Wittwe. Sie sorgte dafür in wahrhaft ausgezeichneter Weise, indem sie ihnen den berühmtesten Pädagogen der damaligen Zeit, den bekannten Kampe, Verfasser des Robinson, und später den kenntnißreichen Botaniker Kunth zu Lehrern gab. Ehe die Brüder die Universität besuchten, war es ihnen noch vergönnt, in Berlin den Vorlesungen eines Dehm über politische Statistik, des bedenkenden Rechtskundigen Klein über Naturrecht und vor Allen dem Unterrichte des berühmten Philosophen Engel beizuwohnen. Wichtiger noch als diese wissenschaftlichen Grundlagen war der Umgang und die Freundschaft, deren die strebsamen Jünglinge von Männern wie Biester, Ramler, Moritz, Teller, Friedländer und Herz gewürdigt wurden, den Geistesverwandten, Schülern und Freunden eines Lessing und Mendelssohn, den Trägern jener humanen Aufklärung, die mit Friedrich dem Großen den Thron bestieg und Berlin zur Stadt der Intelligenz erhob. Vor der Einseitigkeit dieser bloßen Verstandesrichtung wurde Wilhelm von Humboldt durch den Verkehr mit liebenswürdigen Frauen und besonders mit der schönen Hofräthin Henriette Herz behütet, bei denen das Gemüth seine volle Rechnung fand. Im Kreise dieser Freundinnen herrschte bereits jene sentimentale Richtung der Siegwart-Periode vor, die in Goethe’s Werther später ihren poetischen Ausdruck fand. Es bildete sich eine Art Tugendbund der „empfindsamen Seelen“ mit besonderen Statuten, Zeichen und geheimen Chiffern für die Eingeweihten, die mit einander correspondirten und das vertraute Du bei ihren gegenseitigen Herzensergüssen gebrauchten.

Unterdessen war die Zeit herangerückt, wo die beiden Brüder mit ihrem Hofmeister Kunth die Universität in Frankfurt a. d. O. bezogen, welche sie nach kurzem Verweilen mit der berühmteren in Göttingen vertauschten, wo Wilhelm von Humboldt neben juristischen Collegien besonders Philologie bei dem berühmten Heyne hörte. In seinem Hause lernte Humboldt dessen geistreiche Tochter Therese und ihren späteren Gatten, den genialen Naturforscher Forster kennen, mit dem ihn, wie mit dem berühmten Geschichtsforscher Johannes von Müller und dem bekannten philosophischen Dichter Jacobi, bald die innigste Freundschaft verband.

Ein so reichhaltiges Leben mußte notwendiger Weise einen bedeutenden Einfluß auf den Bildungsgang des Jünglings üben, dessen Geist im Umgang mit den hervorragendsten Männern seiner [282]  Zeit sich erweiterte und klärte, so daß hier der Grund zu seiner humanen und idealen Weltanschauung, zu der ihm eigenthümlichen harmonischen Vollendung gelegt wurde. Auch die großen, welterschütternden Ereignisse des Jahrhunderts sollten nicht spurlos an ihm vorübergehen; in Begleitung seines Bruders und des früheren Erziehers Campe war es ihm vergönnt, den ersten, noch nicht mit Blut befleckten Triumphen der neugeborenen Freiheit in Paris selbst beizuwohnen. Hier traten ihm die Geschicke der Völker und die Lehren der Geschichte nahe, die sich in unauslöschlichen Zügen ihm einprägten. Der Rückweg führte ihn durch die Schweiz und Süddeutschland, wo er die großartige Natur, die türmenden Gebirge, die schneebedeckten Felsmassen und die eisigen Gletscher auf sein Empfindungsleben und seine Phantasie einwirken ließ. Immer blieb ihm aber der Mensch und sein Denken das Wichtigste; deshalb suchte er überall neue Verbindungen anzuknüpfen, so in Zürich mit dem bekannten Lavater, den er jedoch schon damals als einen geistreichen Charlatan richtig würdigte.

Vorbereitet wie Wenige seiner Altersgenossen trat Wilhelm von Humboldt nach beendeten Studien in den Staatsdienst; für ihn war die Hochschule zur wirklichen Universitas des Geistes geworden. Zwar fand er in Berlin den alten Kreis der Freunde wieder, aber die Stimmung, besonders in den höhern Gesellschaftsschichten, hatte sich wesentlich verändert. Die fast an Frivolität grenzende Aufklärung unter Friedrich dem Großen hatte einem noch verwerflicheren Pietismus weichen müssen, der durch des verrufenen Wöllner’s Religionsedict allen bisherigen Fortschritten des preußischen Volkes für immer eine Schranke zu setzen drohte. Ein unerschütterliches Bollwerk gegen diesen gläubigen Despotismus bildete das berühmte Kammergericht zu Berlin durch seinen Freimuth und erprobten Rechtssinn. An dieser Behörde arbeitete Wilhelm von Humboldt als Referendarius, und der Zufall wollte es, daß er bei einer der wichtigsten Entscheidungen dieses Gerichtes neben seinem Lehrer Klein als Protokollführer in einem Censurprocesse fungiren und so an dem folgenden Ausspruche wenigstens mittelbar Theil nehmen durfte: „Vielmehr verdient Beklagter öffentlichen Dank, daß er ohne Nebenabsichten als ein gewissenhafter und verständiger Staatsdiener seine Stimme gegeben und, so viel an ihm ist, die Rechte der Vernunft und die mit ihnen verbundene Ehre der preußischen Regierung aufrecht erhalten hat.“

Humboldt zog es unter den obwaltenden Verhältnissen vor, den Staatsdienst zu verlassen und nur noch seiner eigenen Ausbildung ferner zu leben, indem er den Grundsatz festhielt: „Der Moral erstes Gesetz ist: bilde Dich selbst, und nur ihr zweites: wirke auf Andere durch das, was Du bist.“ – Dieser Schritt wurde ihm wesentlich erleichtert durch die Begründung einer eigenen Häuslichkeit, indem er durch die Vorsorge der „empfindsamen Freundinnen“ die für ihn geschaffene Lebensgefährtin in Caroline von Dacheröden fand. Schon auf seiner Rheinreise lernte Wilhelm von Humboldt das durch Adel und Feinheit der Gesinnung ausgezeichnete Mädchen kennen, mit dem er sich bereits 1790 verlobte, um sie ein Jahr später als treue Gattin beglückt heimzuführen. Mit dem Titel eines Legationsrathes schied er aus dem preußischen Staatsdienste und bezog das Gut seier Frau, Burgörnen in der Nähe von Mansfeld.

Seinem Vorsatze getreu benutzte er die selbstgewählte Muße zu seiner Bildung im weitesten Umfange, indem er zunächst seine durch Heyne in Göttingen angeregten philologischen Studien wieder aufnahm. Schon im Dacheröden’schen Hause hatte Humboldt die Bekanntschaft des großen Philologen Wolf gemacht, der von Neuem mächtig in ihm die nie erloschene Liebe zu dem classischen Alterthum anfachte. Dennoch verlor er über diese Studien nicht den Sinn für die lebendige Gegenwart und ihre fortschreitende Entwicklung. Schon früher beschäftigte er sich mit den Schriften des großen Königsberger Philosophen Kant; immer mehr vertiefte er sich in dem Bergwerke der Gedanken, welche jener zuerst aufgedeckt. Ein Ergebniß des eigenen Nachdenkens und Forschens waren die „Ideen über Staatsverfassung“, worin er die Freiheit des Individuums gegenüber der bureaukratischen und politischen Bevormundung des Staates in Schutz nahm.

Die Vorliebe für Kant war der eigentliche Kitt jener Freundschaft zwischen Humboldt und Schiller, die sich zunächst aus ihren beiderseitigen Herzensangelegenheiten und Familienbeziehungen entwickelt hatte. Der Dichter des Don Carlos war der Magnet, welcher Humboldt von Burgörnen nach Jena zog, wo Schiller als Lehrer der Geschichte eine Anstellung gefunden hatte. Beide begegneten sich in demselben Streben nach den Idealen der Menschheit, in der gleichen ästhetischen Weltanschauung, in der Verehrung und dem Studium der Kant’schen Philosophie.

Das innige Verhältniß der schon früher befreundeten Frauen pflanzte sich auf die Männer fort, beide Familien bildeten bald nur eine; täglich sah man sich, und oft dauerte das anregende Gespräch bis spät nach Mitternacht. Mit gerötheten Wangen und leuchtenden Augen entwickelte der Dichter dem lauschenden Freunde seine erhabenen Gedanken, welche dieser in sich aufnahm und weiter zu immer größerer Klarheit entwickelte.

Kindespflicht und Familienrücksichten nöthigten Humboldt, den verehrten Dichter und Jena zu verlassen, da seine Mutter gefährlich erkrankt den Sohn in ihrer Nähe wünschte. An die Stelle der mündlichen Unterredung trat jener Briefwechsel mit Schiller, der ein herrliches Zeugniß für ihre Freundschaft und geistige Größe ablegt und zu den hervorragendsten Denkmälern deutscher Bildung gezählt werden darf. Einigen Ersatz für den abwesenden Freund gewährte der Umgang mit der geistreichen Rahel Levin und mit dem vielbegabten, wenn auch charakterlosen Gentz, der schon früher mit Wilhelm von Humboldt bekannt geworden war. Größtentheils aber beschäftigte sich dieser mit größeren kritischen Arbeiten, unter denen sein Werk „Ueber Goethe’s Hermann und Dorothea“ den ersten Platz behauptet und gleichsam sein ästhetisches Glaubensbekenntniß ausspricht.

Gleich nach dem Tode der Mutter trat Humboldt mit seiner Frau eine größere Reise an, die ihn zunächst nach Frankreich und dann nach Spanien führte, wo er durch Kenntnißnahme des Baskischen den Grund zu seinen späteren umfassenden Sprachstudien legte. Reich mit Schätzen des Geistes und neuen Anschauungen beladen, kehrte er über Weimar, wo er den theueren Schiller traf, nach Berlin und Tegel zurück. Hier wurde er nicht wenig durch den Antrag der Regierung überrascht, wieder in Staatsdienste zu treten. Durch den Cabinetsrath Beyme wurde er zum Ministerresidenten in Rom dem Könige vorgeschlagen und von diesem angenommen, ein Posten, den er trotz seiner Liebe zur Freiheit um so lieber antrat, da er ihm die Gelegenheit verschaffte, seinen Neigungen und Studien auf classischem Boden zu leben. Im Herbst des Jahres 1802 reiste Humboldt nach Rom, wo sein Haus auf dem Pincischen Hügel bald der Mittelpunkt einer ausgezeichneten Gesellschaft wurde, angelockt von dem Geiste Humboldt’s und der bezaubernden Liebenswürdigkeit seiner Gattin. Vor Allen waren Schriftsteller und Künstler, wie Schlegel, die Staël, Rauch, Tieck und Thorwaldsen, hier willkommen und gern gesehen. So benutzte er seinen Einfluß zur Hebung der Kunst, welche damals Hand in Hand mit unserer Literatur einen nie geahnten Aufschwung nahm, an dem Humboldt selbst keinen geringen Antheil hatte. In seiner amtlichen Stellung, die ihm hinlängliche Muße ließ, erwarb er sich die Achtung seiner Vorgesetzten sowie der römischen Regierung, bei der er Preußen in würdigster Weise vertrat.

Während er so in Rom voll classischer Erinnerungen schwelgte, stürzte indeß die Monarchie Friedrich des Großen, aus der sein hoher Geist längst gewichen war, unter dem Angriffe des neuen Cäsars schmachvoll zusammen. Schmerzlich war der Eindruck, den eine so unerwartete Niederlage hervorrief, aber in Humboldt lebte nicht nur die unfruchtbare Bewunderung des classischen Alterthums, sondern auch sein Bürgersinn, die männliche „Virtas“ der großen Vorwelt. Er beugte sich weder wie der abtrünnige Johannes von Müller vor Napoleon’s blendender Gewalt, noch flüchtete er wie Goethe vor dem Sturme der Zeit in die stille Wissenschaft, einem ohnmächtigen Quietismus huldigend.

Thätig nahm er an der Wiederbelebung und neuen Schöpfung des preußischen Staates Theil, die der Minister Stein unter den ungünstigsten Verhältnissen mit eherner Kraft in’s Leben rief. Der unglückliche König ernannte Humboldt zum Leiter des Cultus und Unterrichts, und dieser erfaßte seine große Aufgabe mit freudigem Opfermuthe und hohem Sinn, indem er den „deutschen Geist“ vor Allem als die einzige wirksame Waffe gegen die Gewalt und den Despotismus Napoleon’s richtig erkannte und in der Seele des niedergedrückten Volkes zu erwecken suchte. Er selbst rührte und schürte die heilige Gluth, indem er die ihm zu Theil gewordene Aufgabe der Erziehung des Volkes mit bewunderungswürdiger Energie und Weisheit löste. Für diesen hohen Zweck schien ihm das Elementarerziehungswesen, wie es [283] Pestalozzi lehrte, besonders geeignet, weshalb er als einer der eifrigsten Beförderer desselben für seine Einführung in Preußen wirkte. Fast noch wichtiger war die Gründung der Berliner Universität, die er dem Könige vorschlug, indem er seinen Antrag mit folgenden Worten motivirte: „Auf’s Neue würden sich Eure Majestät dadurch Alles, was sich in Deutschland für Bildung und Aufklärung interessirt, auf das Festeste verbinden, einen neuen Eifer und neue Wärme für das Wiederaufblühen Ihrer Staaten erregen und in einem Zeitpunkt, wo ein Theil Deutschlands vom Kriege verheert, ein anderer in fremder Sprache von fremden Gebietern beherrscht wird, der deutschen Wissenschaft eine vielleicht kaum jetzt noch gehoffte Freistatt eröffnen.“

Es war dies einer der größten und kühnsten Gedanken, unter den Augen der fremden Unterdrücker, während auf dem Lande eine fast unerschwingliche Kriegssteuer lastete, mit den schwersten Opfern eine wissenschaftliche Lehranstalt in der Metropole des Landes zu begründen, aus welcher, wie Pallas Athene geharnischt aus dem Haupte Jupiters, der Geist der Freiheit in unbezwinglicher Rüstung hervorsprang. Männer wie Fichte, Schleiermacher, Wolf und Böckh, Savigny und Reil wurden von ihm berufen, und schon diese Wahl beweist seine Weisheit und die freisinnige Richtung, die er der neuen Hochschule für immer zu geben gedachte, indem er nicht einen engherzig preußischen, sondern einen allgemein deutschen Stand dabei verwalten ließ und eine wirklich ideale Schöpfung in’s Leben rief.

Nachdem er so mehr als seine Pflicht gethan, wünschte er von Neuem sich von den Geschäften zurückzuziehen, um seiner eigenen Ausbildung ferner zu leben. Aber der Staat konnte seine Dienste nicht entbehren; durch Cabinetsordre vom 14. Juni 1810 wurde er zum außerordentlichen Gesandten in Wien mit dem Titel eines Geheimen Staatsministers ernannt. Auf der Reise dahin lernte er in Prag den damals durch Napoleon geächteten Stein persönlich kennen. Beide Männer legten hier den Grund zu einer trotz der Verschiedenheit ihrer Naturen bis an ihr Ende dauernden Freundschaft; zugleich besprachen sie die Noth des Vaterlandes und die Mittel zur Erweckung und Befreiung des deutschen Volkes. In Wien war es Humboldt angenehm, manchem alten Freunde zu begegnen, vor Allen dem talentvollen Gentz, dem Vertrauten Metternichs, Friedrich Schlegel, Adam Müller und dem jugendlichen Theodor Körner, für den er mit väterlicher Liebe besorgt war.

Die Flammen von Moskau und der Rückzug des französischen Kaisers aus Rußland veränderten mit einem Schlage die Weltverhältnisse. Der König von Preußen erließ jenen denkwürdigen Aufruf an sein Volk und verband sich mit dem Kaiser Alexander zur Bekämpfung Napoleon’s. Alles lag daran, Oesterreich zu gewinnen und seinen Beitritt zu erlangen. Jetzt erst entwickelte Humboldt den ganzen Reichthum seiner Kenntnisse der Menschen und Verhältnisse, und während er als echter Idealist über den Geist aufjubelte, welcher in dem preußischen Volke loderte und flammte, wußte er als vollendeter Diplomat die Vorurtheile des Wiener Cabinets zu schonen und den schwankenden Metternich zu entscheidenden Schritten zu drängen. Er selbst wurde von dem Strome der Begeisterung getragen und erfuhr in sich eine mächtige Umwandlung, indem er, von der lebendigen Bewegung der Gegenwart ergriffen, nicht mehr allein in classischen Erinnerungen lebte, sondern den Augenblick in seiner ganzen Bedeutung erfaßte und das von seiner idealen Höhe nur zu oft verkannte Volk erst jetzt schätzen und achten lernte. In diesem Sinne sandte er den eigenen Sohn mit den Worten in den heiligen Kampf: „Es ziemt sich für den Jüngling, an dem Kriege Theil zu nehmen, der einmal sein und der Seinigen Dasein sichern soll.“ – Aber der Kampf um die Freiheit und nationale Unabhängigkeit trug trotz des Sieges über Napoleon nicht die gehofften Früchte; was die Schwerter der Helden errungen, sollten die Federn der Diplomaten wieder vernichten. Nicht Humboldt trifft die Schuld des Geschehenen; er war unablässig bemüht für die Größe Preußens, für das Wohl Deutschlands; an ihm scheiterten die Künste eines Metternich und Talleyrand, der ihn in seinem Zorne mit Unrecht le sophiste incarné, die Fleisch gewordene Sophistik nannte. Er verachtete die Ränke der gewöhnlichen Diplomaten, er kannte keine Intrigue, aber gerade weil er nur die Wahrheit zu seinem Schilde gebrauchte, blendete er er mit ihrem Glanze die verwöhnten Augen der Höflinge, die ihn für den gewandtesten Sophisten und schlausten Diplomaten hielten.

Schon in jener Zeit hatte Humboldt einen für die damaligen Verhältnisse durchaus freisinnigen Verfassungsentwurf für Deutschland entworfen, der jedoch an den Ränken Metternich’s und an der Schwäche und Nachgiebigkeit Hardenberg’s scheiterte, der immer mehr von der sich nach dem Kriege erhebenden Reaction überflügelt und zu weiteren Rückschritten gedrängt wurde. Nach wie vor blieb Humboldt seiner Ueberzeugung treu. In seiner Klarheit durchschaute er die überall wieder emportauchende Lüge trotz der pietistisch frommen und patriotisch gleißnerischen Maske. Nicht mit Unrecht fürchtete der Kaiser Alexander von Rußland seinen kalten Scharfblick und sarkastischen Spott, weshalb er verlangte, daß der König von Preußen vor Humboldt aus der eben gestifteten „Heiligen Alliance“ ein Geheimniß machen sollte. Noch mehr war der altersschwache Staatskanzler darauf bedacht, ihn zu entfernen, um einen eben so klugen als kühnen Beurtheiler seiner unverzeihlichen Maßregeln zu beseitigen. Zu diesem Zwecke erhielt Humboldt den Posten eines Gesandten in London, den er jedoch nur kurze Zeit bekleidete, da Hardenberg schnell genug zu der Einsicht gelangte, daß ein Mann wie Humboldt der Regierung in ihrer damaligen Lage unentbehrlich war.

Zum Minister des Innern ernannt beschäftigte sich dieser ausschließlich mit der Verfassung, welche Friedrich Wilhelm der Dritte seinem Lande feierlich versprochen hatte; sie schien ihm die wichtigste Angelegenheit für den preußischen Staat, gleichsam die Garantie seiner Größe und Zukunft. Leider wurde seine Arbeit durch die Bemühungen der damaligen Junkerpartei, durch die schwankende Gemüthsart des Königs und durch die Macht der Verhältnisse, welche das verfassungsfeindliche österreichische Cabinet schlau zu benutzen verstand, vereitelt. Die Ermordung Kotzebue’s, die That eines edlen, aber verirrten Jünglings, diente zum Vorwande, ein gegebenes Versprechen zu brechen und die Freiheit an ihren Wurzeln, in den Universitäten, anzugreifen. Es folgten die berüchtigten „Karlsbader Beschlüsse“, welche, verbunden mit anderen Mißhelligkeiten, Humboldt bestimmten, sein Ministerportefeuille niederzulegen und für immer aus dem Staatsdienste zu scheiden.

Von Neuem kehrte er zu seinen geliebten Studien zurück, indem er die ihm gewordene ehrenvolle Muße zur Abfassung seines berühmten Werkes „über die Kawi-Sprache“ benutzte, womit er eine neue Aera für die philosophische Sprachforschung schuf und der Linguistik eine nie zuvor geahnte Bedeutung gab. Zugleich siedelte er nach Tegel über, dessen Schloß er nach den Angaben des genialen Schinkel restauriren ließ. Von nun an lebte er nur noch ausschließlich für die Wissenschaft und seine Freunde, zu denen er die ersten Männer seiner und aller Zeiten zählen durfte. Sein Tegel wurde im eigentlichen Sinne ein Tempel des Genius, ein Sammelplatz der erhabensten Geister, aber auch dem Herzen räumte Humboldt die ihm gebührenden Rechte ein, wie sein bekannter „Briefwechsel mit einer Freundin“ rührend bezeugt. Charlotte Diedé hieß die beklagenswerthe Frau, welche er als junger Mann in Pyrmont kennen gelernt und der er bis in das späteste Alter ein rein freundschaftliches Andenken bewahrte. Sie hatte eine unglückliche Verbindung mit einem ungeliebten Manne gelöst und von Neuem ihr Herz einem unwürdigen Verführer geschenkt. Arm und verlassen, geächtet von der lieblosen Welt, hülflos und krank, eine Beute der Verzweiflung, wandte sie sich an den Freund ihrer Jugend und fand bei ihm Trost und Rath, Hülfe und Unterstützung.

Noch einmal rief ihn die Julirevolution in das politische Leben zurück, in den Tagen der Bewegung und der drohenden Gefahr verlangte der König seinen Rath, und er entzog ihm denselben nicht, ohne jedoch thätig und dauernd in die Lenkung der ihrer Bestimmung unaufhaltsam entgegeneilenden Regierung einzugreifen. Das Alter und zunehmende Kränklichkeit ließen ihm die bisherige Ruhe doppelt wünschenswerth erscheinen; sein Zustand, eine beginnende Lähmung, fand weder in Gastein, noch im Seebade, das er auf Anrathen seines Arztes besuchte, die gewünschte Besserung. Am Abend des 8. April 1835, als eben die Sonne ihre letzten Strahlen in sein Zimmer warf, schlossen sich die klaren Augen des großen Geistes, endete er sein harmonisches Dasein, das in gleicher innerer Abrundung und Vollendung kaum in einem anderen Sterblichen gefunden werden dürfte. Im Garten zu Tegel, an der Säule, welche das Bild der Hoffnung trägt, dort ruht, an der Seite der ihm vorangegangenen ebenbürtigen Gattin und des ihm spät erst nachgefolgten berühmten Bruders, Wilhelm v. Humboldt, gleich groß als Staatsmann, Gelehrter und als Mensch.

Max Ring.