Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Das Rettungshaus

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Wilhelm Löhes Leben (Band 3)
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Das Rettungshaus.


 Es war, wie oft schon gesagt, von Gründung des Diakonissenhauses an der Wunsch Löhes, daß dasselbe in seiner allernächsten Umgebung seine „Herzwurzel schlagen“ und namentlich für die Pfarrei selbst eine Segensquelle werden möge. So spröde und kalt auch geraume Zeit die Pfarrgemeinde dem Diakonissenhause und seinem Werben um Teilnahme gegenüberstand, so sehr suchte dennoch Löhe in seinen Diakonissen die Erkenntnis zu erwecken, daß sie in dieser ihr nächstes Arbeitsfeld und Liebesziel zu erkennen hätten. So lange er lebte, bildete ja auch die Diakonissenanstalt mit dem Dorfe Neuendettelsau und den eingepfarrten Dörfern Eine Gemeinde, und so mußte es ihm naturgemäß daran liegen, in seinen Diakonissen das Bewußtsein dieses gliedlichen Zusammenhangs zu stärken. Namentlich das Kirchweihfest, das ja diese Gedanken nahe legte, benützte er zuweilen, um die daraus erwachsenden Pflichten der Schwesternschaft zu Gemüte zu führen. „Ihr seid – sagte er einmal den Diakonissen in einer solchen Kirchweihpredigt über 1 Kor. 12, 27 – mit euren Brüdern und Schwestern im Dorfe durch Gottes Vorsehung Eine Gemeinde. Diese Einheit, Gliedschaft, Gemeinschaft feiern wir heute. Auch ihr sollt feiern,| denn der Kirchweihtag der Gemeinde ist auch euer Fest. Wir haben vier Altäre hier, auf denen das Sakrament gefeiert wird, aber die Gemeinde ist Eine. Die Pfarrkirche mit ihrem alten Thurm und dem stillen Altar darunter sinnbildet euch diese Einheit. Dort ist euer geistlicher Ursprung; aller Segen, der hier fließt, ist entsprungen zu St. Nicolai. (Die Pfarrkirche von Dettelsau ist dem heil. Nikolaus von Myra als Schutzpatron geweiht.) So erkennt diese Einheit und erweckt die Teilnahme. Die Nöte, Übelstände, Sünden der Gemeinde sollt ihr zu den euren machen, indem ihr von dem Apostel das Verhalten gegen die Glieder lernt, die uns wol oder übel anstehen; sie sollen auch ins Gebet, in die Ermahnung, in die Arbeit für die Gemeinde treiben. Ihr seid Diakonissen. Wo wollt ihrs sein? Wollt ihrs überall auswärts sein von Nord bis Süd, von Odessa bis an die Ufer des Mississippi – und hier nicht? Wäret ihr dann nicht wie jene Weiber, von denen man sagt: „Gassenengel, Hausteufel?“ Drei Diakonissen gehen ja bereits hin und her in den Dörfern und wirken nach besten Kräften in der Gemeinde; das ist dankenswert; aber ihr andern, entschließt auch ihr euch, der Gemeinde zu dienen mit rechter Liebe und Treue. Tragt ihr immer ein gesalbtes Angesicht entgegen, baut hier Gottes Paradies, es muß euch Freude, ja ein Ehrenpunkt sein, daß die Gemeinde voll der heil. Gemeinschaft werde. Ihr habt nun mein Wort gehört, und wer jetzt mit mir und meinen Schafen nicht Kirchweih feiern will, der soll auch fortan mein Schaf nicht sein.“
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 Wir haben das vorstehende Predigtbruchstück hier eingefügt, weil der erste Bericht, der über das Rettungshaus erschien, der besonderen Freude und Befriedigung darüber Ausdruck giebt, daß gerade bei dieser Anstalt die Absicht der Stifter des Diakonissenhauses, der Gemeinde zu nützen, zu kenntlicher Offenbarung gekommen sei. Das Rettungshäuschen, ein einstöckiger Schweizerbau,| war nämlich eine Stiftung der Diakonissen zu Gunsten der Pfarrei. In seiner sinnigen Weise hatte Löhe, der gern für die Schöpfungen der Gegenwart auf dem Gebiet der christlichen Charitas Anknüpfungen in dem kirchlichen Altertum suchte, für die Einweihung des Rettungshauses, den Gedenktag des heil. Nikolaus von Myra (s. Apg. 27, 5) gewählt. Dieser Heilige, oben drein, wie schon erwähnt, der Patron der Neuendettelsauer Pfarrkirche, in deren Chor von alter Zeit her seine Statue sich befindet, gilt in der Legende als besonderer Kinderfreund, worauf wol auch die drei Äpfel in seiner Hand, mit denen man ihn abbildet, deuten sollen. An seinem Gedächtnistage also, den 6. Dezember 1862, wurde das Häuschen eingeweiht, und von der zur Hausmutter bestimmten Schwester mit zwölf Kindern, darunter vier aus der Gemeinde Dettelsau selbst, bezogen. Das Rettungshaus, wie es Stiftung und Eigentum der Diakonissen war, blieb auch Pflegling und Gegenstand fortwährender Fürsorge derselben; die Sorge um den nötigen Lebensunterhalt wurde ihm dadurch erleichtert, daß es von den Brosamen oder von den Körben übrig gebliebener Brocken vom Tisch des Mutterhauses aß, weshalb Löhe es nicht übel mit einem „wohlgemuten Hündchen“ verglich, das munter hinter dem Diakonissenhaus und seinen übrigen Anstalten einherlaufe.

 Das Rettungshaus war auf 12–15 Mädchen berechnet. Löhe war grundsätzlich gegen größere Rettungshäuser. „Auch die christliche Liebe – sagt er – befähigt kein Weib zu einer Fürsorge für mehr Kinder, als Gott zu einer zahlreichen natürlichen Familie versammelt.“

 Für verwahrloste Knaben (Löhe wollte keine Mischung der Geschlechter in Rettungshäusern) entstand später ein Rettungshaus in Polsingen.





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