Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Löhes vergebliche Meldungen um städtische Stellen

« Varia aus dem Amtsleben Löhes Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Das Jahr 1848 »
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Löhe’s vergebliche Meldungen um städtische Stellen.
 Viermal legte Löhe die Frage, ob er an dem ersten Orte seiner Wirksamkeit im geistlichen Amte ausharren oder weiter gehen solle, dem HErrn zur Entscheidung vor. Die göttliche Antwort hieß ihn bleiben, und da es ihm bei seinen Meldungen weniger um Befriedigung persönlicher Wünsche, als um Erforschung des göttlichen Willens zu thun war, so konnte er sich| ohne den Schmerz enttäuschter Hoffnungen in die göttliche Fügung schicken, die ihn immer deutlicher Neuendettelsau als die bleibende Stätte seines Wirkens erkennen lehrte.
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 Löhe bewarb sich im Jahre 1839 um die vierte Stelle bei den Barfüßern in Augsburg, im Jahre 1842 um eine Pfarrstelle an der St. Lorenzkirche in Nürnberg, im Jahre 1846 um eine Pfarrstelle in Fürth und im Jahre 1847 um die Pfarrei Altstadt-Erlangen. Die Gründe, welche ihn bei diesen Bewerbungen leiteten, waren nicht gewöhnlicher Art. Der Rat einsichtsvoller Freunde, welche eine städtische Gemeinde für ein seiner Begabung entsprechenderes Arbeitsfeld hielten, die Aussicht, bei der größeren Freiheit kirchlicher Verhältnisse, wie sie in Städten zu herrschen pflegt, nach und nach einen Kreis von freiwillig seiner pastoralen Leitung sich unterstellenden Seelen sich sammeln zu sehen, endlich die Hoffnung, durch die größeren Anforderungen, welche eine städtische Gemeinde an den Prediger stellt, mehr Anregung für das amtliche Leben und Wirken zu finden, waren die bei seinen Bewerbungen um diese Stellen ausschlaggebenden Beweggründe. Die Verbesserung seiner äußeren Lage hatte er dabei nicht im Auge, denn der etwaige nominelle Mehrertrag jener städtischen Pfarreien wäre bei der größeren Kostspieligkeit städtischen Lebens mit dem Ertrag seiner Pfarrei vielleicht nicht einmal ganz gleich gekommen. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, daß auch Wünsche mehr persönlicher Art bei einigen dieser Bewerbungen mitbestimmend waren. Zwar bei der Meldung nach Augsburg war dies nicht der Fall. Löhe folgte einfach wohlmeinendem Freundesrat, wenn er sich in die Reihe der Bewerber um die erwähnte Augsburger Pfarrei stellte, um, wie er sich in seiner Eingabe ausdrückte, „der Stadt, die unserer Kirche von unsterblichem Namen ist, die Huldigung eines zufriedenen, nach Mehrung seines Glücks nicht begierigen| Mannes darzubringen.“ Bei der Meldung nach Nürnberg hingegen übte allerdings die Erinnerung an seine frühere gesegnete Wirksamkeit in dieser Stadt, sowie an das innige persönliche Verhältnis zu einem Kreise treuer Christenseelen, welches während jener Zeit sich gebildet hatte, einen gewissen Einfluß auf Löhe’s Entschluß aus. „Könnte ich aus jenen Liebesruinen wieder eine Kapelle zu St. Aegydien bauen!“ ruft er einmal in einem Brief an Prof. C. v. Raumer aus. Fürth besaß selbstverständlich als seine Heimat und als Wohnort seiner Mutter und sämmtlichen Geschwister für ihn eine besondere Anziehungskraft. Die Universitätsstadt Erlangen hatte als solche für ihn nichts Lockendes. Er wünschte sich die Notwendigkeit erspart zu sehen, seine heranwachsenden Söhne auf öffentlichen Schulen außerhalb des Hauses unterhalten zu müssen: dies war der äußerliche Grund, der ihn seine Blicke auf Erlangen richten ließ. Außerdem versprach er sich von dem persönlichen Umgang mit seinem von ihm väterlich verehrten Freunde C. v. Raumer und mit dem ihm eng verbundenen Prof. v. Scheurl viel Anregung und Genuß für Geist und Gemüt. Der entscheidende Grund war aber auch bei dieser Meldung – wie er in seiner Eingabe versichert – die Meinung, daß er in einer Stadt dem Reiche Gottes mehr und bessere Dienste thun könne als auf dem Lande. Die zweimalige Meldung innerhalb Jahresfrist rechtfertigte er mit der Rücksicht auf sein zunehmendes Alter und mit dem Wunsche, die volle Manneskraft einer ihm etwa zu Theil werdenden neuen Gemeinde zu Dienst stellen zu können.
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 Allein keine seiner Bewerbungen war von Erfolg begleitet. Die Ursachen dieses viermaligen Mislingens sind uns unbekannt. Gerüchtweise wurde uns mitgetheilt, daß nach Einlauf der Meldung Löhe’s um die 4. Pfarrstelle an der Barfüßerkirche in Augsburg einer der dortigen patres conscripti, um sich über die Predigtgabe| des Bewerbers ein Urteil bilden zu können, Löhe’s homiletisches Erstlingswerkchen, die anno 1834 erschienenen „Sieben Predigten“ zur Hand nahm und unglücklicher – oder glücklicher Weise – auf die schon in Nürnberg berüchtigt gewordene Predigt „von der seufzenden Creatur“ stieß, nach deren Durchlesung er das Verdict fällte: „Was will man mit dem Manne? Der ist ja ein Narr“. Das Schicksal von Löhe’s Bewerbung um die Augsburger Pfarrstelle war hiemit entschieden. Nicht besseren Erfolg hatte seine Bewerbung um die Stelle bei St. Lorenzen in Nürnberg. Den Grund, warum auch diese Meldung erfolglos blieb, vermutete Rector Roth in der „großen Furcht unserer gebietenden Herren vor Einem, der uns könnte bekehren wollen“. Warum Löhe auch bei seinen Meldungen nach Fürth und Erlangen hinter andern Bewerbern zurückstehen mußte, darüber haben wir keine Kunde. Das aber ist sicher, daß Löhe vom Jahre 1848 an jeden Gedanken an einen Weggang von Dettelsau aufgegeben hat. Die Führung Gottes, welche ihm sein Neuendettelsauer ebenso einsames wie thätiges Stillleben erhalten wollte, war ihm von da an klar geworden. Es ist vielleicht auch nicht so schwer, Sinn und Absicht dieser manchem unbegreiflich dünkenden göttlichen Führung zu erkennen, die da wollte, daß Löhe von einem unansehnlichen Mittelpuncte aus seine großartige Wirksamkeit entfalte. Die Flur von Neuendettelsau ist still und abgeschieden, aber von der einsamen Hochebene kann der Blick ungehindert stundenweit über die Uferhügel der Rezat in die Ferne schweifen bis dahin, wo der fränkische Höhenzug, dessen Kamm die europäische Wasserscheide des Frankenlandes bezeichnet, den Horizont begrenzt. So war der unscheinbare Ort wol ein passender Schauplatz für die Thätigkeit eines Mannes, dessen Blick wie wenig Anderer in die Weite trachtete, dessen Wirksamkeit von dem stillen Mittelpuncte seines abgelegenen| Dörfleins aus sich in zwei Welttheile erstreckte. Hier konnte er von stiller Warte aus mit leidenschaftsloserer Ruhe und hellerem Blick den Gang der Zeitereignisse auf weltlichem und kirchlichem Gebiete verfolgen, als wenn ihn Gott mehr in örtliche Mittelpuncte der Bewegung und in das Getriebe der Parteien gestellt hätte. Hier war freier Raum für seine späteren Schöpfungen; niemand hinderte ihn hier, nach dem Maße des Gelingens, welches ihm Gott verlieh, seine Zeltseile weiter und weiter auszudehnen. Hier konnte sich, ungehemmt durch beengende Rücksichtnahme auf seine Umgebung und bestehende Verhältnisse, auch seine Eigenart kräftiger entfalten und allem, was um ihn her entstand, den Stempel seines Geistes aufprägen. Naturen, wie die Löhe’s, sind nicht für gemeinsames Wirken, nicht für koordinierte Stellungen, sondern für einsame Selbständigkeit geschaffen, werden aber trotz derselben vermöge der von ihnen ausgehenden Anregungen Mittelpuncte für neue, von ihrem Geiste beherrschte Gemeinschaftsbildungen, Centren, die sich selbst einen Umkreis um sich her schaffen.

 Auf Grund solcher Erwägungen halten wir es für nicht so schwer, die göttliche Absicht zu begreifen, die es fügte, daß Löhe’s Leben sich in der einsamen Stille einer Dorfpfarrei abwickeln sollte. So blieb denn Löhe sein Leben lang ein einfacher Dorfpfarrer. Er hat kein höheres Kirchenamt, nicht einmal eine Capitelswürde bekleidet. Das Capitel Windsbach wählte ihn im Jahre 1843 zu seinem Senior, allein das Consistorium hieß die Wahl nicht gut. „Es ist mir sogar lieb“ – schreibt Löhe an Wucherer. „Aber man sieht doch, was man gilt. Sie haben mir die Note I mit Auszeichnung, d. i. mit der Bemerkung gegeben: eignet sich mit der Zeit zu höheren Kirchenämtern. Aber es scheint, als ob sie auch ein Seniorat für ein höheres Kirchenamt halten, für das es nicht Zeit ist.“

|  Je länger desto mehr war Löhe auch mit der göttlichen Führung zufrieden, ja er wurde derselben immer gewisser und froher, so daß er – wie schon gesagt – vom Jahre 1848 ab an keine Meldung mehr dachte. Wenn ihm später zur Zeit des bayerischen Kirchenkampfes der Gedanke des Austritts aus der bayerischen Landeskirche und – in Folge davon – auch des Weggangs von Neuendettelsau sich nahe legte, so wird darin niemand eine Untreue gegen seinen seit dem Jahre 1848 feststehenden Entschluß sehen, Dettelsau freiwillig nicht mehr zu verlassen.

 Wir sagten oben, daß Löhe den Miserfolg seiner Bewerbungen mit großem Gleichmut und ohne den Schmerz enttäuschter Hoffnungen getragen habe. Einige briefliche Aeußerungen von ihm mögen dies beweisen. In der Zeit, da er noch mit sich zu Rate gieng, ob er sich nach Augsburg melden solle, schrieb er an seine Schwiegermutter: „Meine Schwestern F. und S. und ihre Männer raten mir sehr, mich nach Augsburg zu melden. Meiner Mutter und meinem Bruder ist es darum, daß, was hier geschehen, liegen bleiben könnte. Vielleicht kommt heute Näheres von Augsburg. Helene ist mit mir ganz einig, obwol die Tauben, die Hühner, die Staaren, der Garten etc. ihr nicht ganz leicht zu entbehren sein würden. Mir ist eben alles gleich. Ich habe in der Welt nur Gottes Willen nachzugehen. Ich wäre zwar immer lieber in einer Stadt gewesen, aber was kann ich auf mein Gernesein merken.“

 Als auch seine Meldung nach Fürth erfolglos geblieben war, schrieb er am 9. Januar 1847 an Prof. C. v. Raumer: „Du sagst mir freundlich, Du wärest gern einmal dazwischen nach Fürth in meine Predigten gefahren. Und ich hätte auch Dir ganz gerne gepredigt und habe mich schon gefreut, manchmal zu Dir zu fahren, Dich eine Viertelstunde reden zu hören| und dann wieder heimfahren zu können. Aber es ist so – und so viel Vergnügen mir damit versagt ist, daß ich nicht nach Fürth kam, so hab ich doch gerade in der Zeit vor dem Eintreffen sicherer Nachrichten recht sehnlich gewünscht, daß nichts aus der Sache werden möchte, weil ich mich so sehr vor Lebenssorgen und vor einer Einschränkung fürchtete, die meine Linke genötigt hätte, von Dem Notiz zu nehmen, was meine Rechte that. Ich bin in meiner hiesigen armen Hütte bei meinen Feldern, Wiesen, Kühen und Schweinen doch leichter, wenn ich fliegen und beten will, als ichs dort gewesen wäre, wo all die nötigen neuen Sachen, die ich hätte schaffen sollen und müssen, nur mein Herz beschwert hätten. Auch sonst habe ich viele Gründe, ja viele, die saure Traube fröhlich zu entbehren. Ich würde mich auch nicht gemeldet haben, wenn man mich nicht von München und Ansbach erinnert hätte, und wenn mich nicht der (er war’s, wie ich merke) Hochmut verführt hätte, ein Stadtpfarrer werden zu wollen. – Natürlich folge ich nun auch keinem Präsidenten oder Consistorialen mehr, wenn sie sagen: da oder dorthin taug ich besser als nach Dettelsau zu meinen Bauern, von denen manche sagten, sie hätten mein Bleiben erbetet. – Aber ja, ja, daß ich nicht, wie ich mir so schön dachte, alle Morgen und Abend mit meinen Kindern zur Großmutter gehen und ihr guten Morgen und gute Nacht sagen kann etc. und daß ich keine Besuche bei Dir machen kann, ärgert mich.“

 „Ich sehe recht ein“ – schreibt er ein andermal an denselben – daß es für mich ein Glück ist, hier zu sein, wo ich, wenn auch thätig, doch auch recht still sein kann. Ich wünsche mein Haupt hier niederzulegen und als der Hirte bei meinen Schafen zu schlafen, bis der allmächtige Morgenwind vom Aufgang kommt.“

|  Seiner Schwester, die ihm die Nachricht von der Erfolglosigkeit seiner Meldung nach Fürth geschrieben hatte, antwortete er: „Zwar kenne ich auch die Fabel vom Fuchs, welcher die Traube nicht mochte, die er nicht haben konnte. Ich darf aber doch sagen: Deinen Willen, mein Gott, leide ich gerne – wenigstens in diesem Fall. Ich habe mich gefürchtet, es möchte mir die 3. oder 4. Pfarrstelle von Fürth bestimmt sein. Ich habe meinem Hausgesinde bei Tisch die Nachricht gesagt, und es freut sich alles darüber. Dreimal hab ich mich nun in bald 10 Jahren weggemeldet, und der HErr hat mir meinen Platz immer hier behalten. Seine Gedanken werden mir klar, und ich will zu Seinem gnädigen Versagen ein fröhlich Amen sprechen.“
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 So war und blieb denn Dettelsau Löhe’s irdische Stätte bis zu seinem Tode. Und er weilte nicht blos notgedrungen, sondern gerne an dem armen Orte. Mit jener ihm eigentümlichen Gabe, auch an dem Unscheinbaren Reiz und Anmut zu entdecken, wußte er auch der landschaftlich dürftigen Umgebung Dettelsau’s Geschmack abzugewinnen. Vor allem erfreute er sich der wunderbar tiefen Stille, die über dem abgeschiedenen Dorfe liegt, durch welches selbst heute noch nicht einmal eine Districtsstraße führt. Wenn er (Richter 18, 27) von der stillen Landschaft um Lais her las, mutete ihn das ganz dettelsauisch-heimatlich an. Den weiten Horizont, den Blick über die doch mannigfaltig abgestufte und von dem blauen Rand des fränkischen Höhenzuges eingerahmte Landschaft, den nächtlichen Anblick des sternenbesäten Firmamentes, das in weitem Bogen sich über der Dettelsau wölbt, haben auch weitgereiste Menschen zuweilen schön gefunden. Ein Spötter meinte freilich einmal: auf der Lüneburger Haide habe man das noch besser. Aber Löhe war, wie gesagt, mit dem sparsamen Reiz der Natur Dettelsau’s zufrieden, so zufrieden, daß er im Diaconissenkalender| für 1864 dem armen Orte eine stellenweise sogar panegyrisch klingende Schilderung widmete. „Ich bin“, sagt er dort, „11/2 Stunde von Neuendettelsau im Jahre 1836 Pfarrverweser geworden, ohne zu wissen, daß es einen Ort dieses Namens gibt, und als ich zum ersten Mal hieher kam, um dem Capitelssenior die Aufwartung zu machen, war mein Ausspruch: ,Nicht todt möcht’ ich in dem Neste sein‘.“ Und doch habe ich nun bereits über ein Vierteljahrhundert hier gelebt und habe das arme Dorf so hoch schätzen lernen, daß ich einen Aufsatz über Neuendettelsau in diesen Kalender liefere... Ich armer Mann, von Natur ungeeignet zum Reisen, bin doch notgedrungen hie und da gewesen. Ich bin einmal auf den Inseln der Heiligen St. Marguerite und St. Honorat, den sogenannten Lerinischen Inseln, gewesen und habe von den marmornen Ruinen über den Golf Juan hinüber auf die wunderschönen Höhen des Esterellgebirges und die hinter ihnen sich erhebenden Seealpen gesehen, beim strahlendsten Sonnenschein, unter dem Farbenspiel des schönen Meeres und später der Abendsonne. So was habe ich nie wieder gesehen und ich möchte die Gutschmecker aller Länder fragen, was sie viel Schöneres gesehen haben. Ich habe vom Col di Tenda hinab gesehen in das schöne, grüne, von schneeigen, strahlenden Bergen begrenzte Land Piemont. Ich habe mich mehr als einmal wieder nach dem Luganosee gesehnt, in dessen milden Lüften die hohen Berge ihre Leiber, ihren Fuß aber in seinen Wassern baden. Ich habe mehrere Male die schöne Schweiz durchzogen und kurzum allerlei gesehen, so daß ich schier sagen möchte, ich bin mehr als einmal Sehens und Schauens satt geworden. Und nun denke, ich kann’s dennoch auf der armen Dettelsau nicht blos aushalten, sondern mir gefällt’s ganz gut. Ich habe viele die stille Aue verachten hören und ihnen ohne Störung meiner Freude an| der Gegend für ihren Standpunct Recht gegeben; es sind aber auch öfters recht weit gereiste und weltkundige Menschen hieher gekommen, gegen die ich nur wie ein unkundiger Stubensitzer oder Einsiedler zu rechnen bin, die aber dennoch ohne alles mein Begehren mit der Dettelsau zufrieden waren wie ich... Ein weiter Blick, ein großer Horizont, ein strahlender Himmel, eine Flur voll feierlicher Stille, wie wenn sich da ein immerwährender Sabbath des HErrn gelagert hätte. Tönt dann etwa vom Kirchthurm die Betglocke in die tiefe Stille, so kann es völlig Sabbath und das Herz zum Frieden und zur Freude gestimmt werden.“

 Freilich sah Löhe die Landschaft rings um Dettelsau nicht blos mit natürlichem Auge an, vor seinem Geistesauge wurde die unbedeutende Gegend belebt und geweiht durch das Andenken an eine größere Vergangenheit, deren Schauplatz sie einst gewesen und deren Denkmäler noch von einstiger Größe der Gegenwart Zeugnis geben. Löhe war – wie schon seine „Erinnerungen aus der Reformationsgeschichte Frankens“ beweisen – ein großer Freund und Kenner der Specialgeschichte seines Frankenlandes. Dieser geschichtliche Blick war es, der für Löhe den jetzt so unbedeutenden Fleck Erde, auf dem er wohnte, wie mit einem Widerschein ehemaliger Herrlichkeit verklärte.

 „Es schläft“ – sagt er in dem oben erwähnten Kalenderaufsatz – „rings umher in dieser Stille eine edle Vergangenheit. Siehst Du beim Blick nach Süden den spitzigen Kirchthurm? Dort ist Stadt Eschenbach, von welcher Wolfram von Eschenbach, der Dichter des Parcival, seinen Namen hat.

Begraben und besarkt
Ist sein Gebein, das edel.
In Eschenbach, dem Markt;
In unsrer Frauen Münster hat er Sedel.“

|  So dichtete im 15. Jahrhundert der bayerische Ritter Püttrich von Reichertshausen, der zwanzig Meilen ritt, um Wolfram’s Grab zu suchen und es endlich in Eschenbach fand. Rings umher bezeugen die von Wolfram erwähnten Orte, der Anger zu Abenberg, Pleienfelden (Pleinfeld), Truhendingen, Nördlingen etc., daß kein anderes Eschenbach Wolfram’s Heimat ist. Wer deß gedenkt, dessen Seele könnte sich bei dem feierlich stillen Blick nach Eschenbach hin in die Sage vom heiligen Graal hineinträumen und damit die Dichterheimat feiern. – Südöstlich von Dettelsau findest Du, etwa noch einmal so weit als Eschenbach, Abenberg. Dort ragt auf hohem Fels noch jetzt eine große mächtige Burgruine[1], eine Stammburg der königlichen Hohenzollern, eine Hausung der berühmten Grafen von Abenberg. Nahe der hochgelegenen Burg, auf einem Hügel im Thal steht ein Kirchlein und in demselbigen unversehrt das Grab einer gräflichen Tochter von Abenberg, der von Päpsten selig gesprochenen Stilla. Unweit des Grabes der seligen Stilla findest Du die Diaconissenheimat zur Dettelsau, durch Stilla zur geistlichen Stille und innigem Glaubens- und Liebesleben gemahnt. – Ich könnte noch weiter versuchen, die stille Gegend durch Verweisung auf die Nähe hochberühmter Gräber zu verherrlichen. Das ehemalige Cistercienzerkloster Heilsbronn, triefend vom Andenken des großen Bischofs Otto von Bamberg, die Grabstätte der Hohenzollern und der Markgrafen von Ansbach, durch den Abt Schopper der Ausgangspunct der mittelfränkischen Reformation, könnte meinem Zwecke dienen. Mein ferner schweifender Blick fände die Gegend von Heidenheim und das Andenken Wunibald’s und seiner Schwester, der großen Diaconissin Walpurgis –, die Gegend von Herrieden und das Gedächtnis| St. Deocars. Ja ich könnte, obwol mein Blick nach Westen hin durch den Wald beschränkt ist, dennoch mit meinem Geiste zum Stifte des heil. Gumbert in Ansbach wandern und von der Wirksamkeit seiner Person und Stiftung bis herab nach Dettelsau reden, da auch die hiesige Nicolaikirche im Bereich seiner Stiftungen liegt. Doch will ich nicht, damit ich nicht von der Vergangenheit zu viele Strahlen für Dettelsau borge und einen winzigen Mittelpunct eines großen historischen Horizontes nicht so darstelle, als wäre er ein Quellpunct aller der vergangenen Größe, da er doch nichts ist als ein Standpunct für die Betrachtung derselben und – wenn nicht auch das unmäßig geredet ist – ein moderner Erbe des Sinnes, der rings umher in Gräbern schlummert.“

 In Folge dieses geschichtlichen Sinnes liebte Löhe es, was unter seiner schaffenden Hand erstand, in Verbindung mit dem Leben der Vergangenheit zu bringen, in demselben gleichsam eine neue Blüte des alten Mandelstabes zu sehen. Als an den jenseitigen Abhängen des Hahnenkamms, in den Gegenden, die heute noch an die gesegnete Liebesarbeit der heil. Walpurgis erinnern, das Diaconissenfilial Polsingen entstanden war, ließ Löhe für den Altar des dortigen Betsaals ein Antependium verfertigen, das im Medaillon einen aus der feurigen Lohe erstehenden Phönix zeigte. Es war das Wiedererwachen des Sinnes für weibliche Liebesthätigkeit in dem Diaconissentum unserer Tage, was Löhe in jenem Sinnbild darstellen und zum Preise Gottes feiern wollte.

 Die Pfarrkirche von Neuendettelsau ist dem heil. Nicolaus von Myra (Act. 27, 5) als Patron geweiht. Noch ist in der Kirche die Statue des Heiligen, mit dem vergoldeten Hirtenstab und der bischöflichen Tiara geschmückt, zu sehen. Scherzhaft äußerte Löhe manchmal, der heil. Nicolaus werde wol jetzt erst,| nachdem eine ganze Colonie von Anstalten der Barmherzigkeit hier erblüht, sei, wissen, warum er zum Patron der Dettelsauer Pfarrkirche erwählt worden sei. Nicolaus lebt bekanntlich als Wohlthäter der Armen und insbesondere als der freundliche Kinderheilige im Andenken der Kirche. Ob Zufall, ob Fügung der göttlichen Vorsehung, jedenfalls war es ein liebliches Zusammentreffen, daß ein Heiliger, der den wahrhaft evangelischen Ruhm eines Wohlthäters der Armen und Freundes der Kinder genießt, zum Patron des Ortes erwählt wurde, auf dessen einsamer Höhe in unseren Tagen eine Quelle der Barmherzigkeit entsprungen ist, deren Rinnsale, will’s Gott, noch weiterhin die nach Erquickung dürstende Menschheit laben werden. Löhe freute sich des Zusammentreffens dieser Erinnerungen mit seinen eigenen Bestrebungen auf dem Gebiete der christlichen Liebesthätigkeit, und als im Jahre 1862 das hiesige Rettungshaus entstand, verlegte er die Einweihungsfeier auf den 6. December, den Gedächtnistag des heil. Nicolaus. So gieng überall seine neuschaffende Thätigkeit in den ehrwürdigen Spuren der Vergangenheit einher, dieselbe gleichsam aus ihrem Grabe rufend und wiederbelebend. Und seine begeisterte Liebe und Verehrung für das Sacrament des Altars – schälte sie nicht den biblischen Kern aus der Legende vom heiligen Graal, welche der Dichterfürst des Mittelalters verherrlichte, dessen Grab jene Kirche birgt, die mit ihrem spitzen Thurm und hochgewölbten Chor am südlichen Horizont von Dettelsau auftaucht?
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 In diesen Zusammenhang schickt sich auch die Erwähnung der einzigen bedeutenderen historischen Arbeit Löhe’s: der im Jahre 1847 erschienenen „Erinnerungen aus der Reformationsgeschichte von Franken.“ Diese Schrift war die Frucht eingehender und mit Vorliebe gepflegter Studien über die Specialgeschichte des Frankenlandes. Wie alles, was Löhe schrieb, war| auch diese Schrift auf dem Boden und aus dem Bedürfnis seines Lebens im Amte erwachsen. „Der Verfasser – sagt er in der Vorrede dieses Büchleins – hatte manch liebes wiederkehrendes Jahr in der Reformationschristenlehre von Luther’s Leben und Wirken erzählt. Im Jahre 1844 lüstete es ihn, auch einmal etwas von der Reformation in Franken vorzutragen, da er und seine Pfarrkinder dem fränkischen Stamm angehören und in Franken wohnen. Luther’s Geschichten sind herrlich, aber es geht ihnen wie allen Wundern Gottes: assiduitate vilescunt.“ Er erzählt dann weiter, wie der Vortrag der dürftigen Notizen, die er für die Reformationschristenlehre jenes Jahres sammeln konnte, ungewöhnliche Aufmerksamkeit bei der Gemeinde fand, so daß er sich dadurch ermuntert fühlte, die vaterländische Reformationsgeschichte zum Gegenstand tieferen Studiums zu machen. Uebrigens verfolgte er mit der Veröffentlichung seiner Studien zur Reformationsgeschichte des Frankenlands auch noch den weiteren Zweck, unter dem fränkischen Volke überhaupt Sinn und Liebe für die reiche Vorgeschichte seines Stammes zu wecken. „Daß unsern Kindern – sagt er in der Vorrede des Buchs – in den Schulen die Namen und guten Werke unserer bayerischen Könige erzählt und eingeprägt werden, ist ganz recht, denn Christenkinder sollen die Könige nach Gottes Befehl ehren und für sie beten lernen. Daß man ihnen die Namen und Thaten aller bayerischen Herzoge von Ur an einprägt, mag loben wer da will, ungehindert. Aber daß die Kinder von den Helden und Thaten im Lande zu Franken, wo sie geboren sind und leben, gar nichts erfahren, daß sie nicht einmal den Stamm kennen lernen, zu welchem sie gehören, daß sie sich am Ende einbilden, nicht blos bayerische Unterthanen, sondern auch bayerischer Abkunft zu sein: das kann man nicht loben.“
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|  Die fränkische Reformationsgeschichte war für Löhe auch noch aus dem Grunde anziehend, weil er bei den Häuptern der fränkischen Reformation eine Fassung der Lehre vom heil. Amte vertreten fand, die seiner eignen Anschauung nächst verwandt war.

 Löhe’s Reformationserinnerungen sind wol über den Kreis des Frankenlandes hinaus nicht viel bekannt geworden. Für den historischen Wert des Buches bürgt das gewichtige Zeugnis des Altmeisters der deutschen Historiker, Leopold von Ranke, der nach Kenntnisnahme von dem Inhalt desselben das Urteil fällte: „Löhe habe Beruf zum Historiker.“





  1. Seit neuester Zeit ist die Ruine restauriert.


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