Wie man dem Frantischek seinen Glauben nahm

Textdaten
<<< >>>
Autor: Fritz Mauthner
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wie man dem Frantischek seinen Glauben nahm
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 252–253
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[252]
Wie man dem Frantischek seinen Glauben nahm.
Eine Ostergeschichte.

Frantischek liebte die Stadt. Waren die Menschen auch überall dieselben, auf dem Lande und in der Stadt gleich hart gegen den armen Slovakenjungen, so waren doch die städtischen Hunde nicht so bösartig wie die Kettenhunde auf den Dörfern. Auch biß der Wintersturm zwischen den hohen, schützenden Mauern in den engen, heimlichen Gäßchen Prags nicht so grimmig, wie draußen auf freiem Felde. Frantischek liebte die Stadt.

Und einen so herrlichen Morgen hatte er noch nicht erlebt, seitdem er ohne den Tatinek (Väterchen) auf der beschwerlichen Wanderschaft war und allein sein helles „Drahtowat!“ erschallen ließ.

Was heute Morgen nur in der Luft liegen mag? Niemand geht geschäftig über die Straße; alle Leute blicken müßig darein. Und wie geputzt sie heute sind! Und wie gut! Er hat seit dem Aufstehen schon mehr an kleinen Geschenken erhalten, als der Erlös eines ganzen Tages für Mausefallen, Blechlöffel und geflickte Töpfe sonst auszumachen pflegt. Es ist heute freilich ein Sonntag, aber Frantischek weiß nur zu gut, daß die Menschen nicht an jedem Sonntage gut sind. Was das heute nur ist? Und der Himmel erst! Es ist zwar recht kalt in den geflickten Hosen, dem offenen Hemde, deren Größe nicht einmal für die zwölf Jahre des Slovakenjungen ausreicht. Aber dabei ist es so frisch, wie ein sommerliches Bad in den bräunlichen Wellen der Bistricza.

Es ist dem guten Frantischek so wohl um’s Herz; er möchte der Maminka (Mütterchen) von seinem Reichthume mittheilen. Warum er nur heute so viel an die Maminka denken muß? – Auf einmal weiß er’s. Zwei Knaben, wohl Frantischek’s Altersgenossen, gehen in Feiertagskleidern vorüber und beide halten – halten rothbemalte Eier in den Händen. Ostern!

Ostern! Jetzt wußte er’s. Ostern war’s, und Frantischek war nicht bei der Maminka, war fern, fern vom Hause und Niemand da, um auch ihm seine bunten Eier zu schenken.

Frantischek ging neidlos an den Herrlichkeiten der großen Stadt vorbei. Doch von diesen rothen Eiern konnte er kein Auge abwenden. Die beiden Knaben wurden ängstlich, als sie den zerlumpten Slovakenjungen bemerkten, der ihnen mit gierigen Blicken unablässig folgte. Sie beschleunigten ihre kleinen Schritte, und so war bald das Ziel erreicht. Es war eine Kirche, aus welcher tiefe Orgelklänge hervortönten. Ja, das waren Osterklänge, nur noch reicher, freigebiger, als draußen auf dem Dorfe, fern in der Slovakei. Diese Stadtmenschen waren Christen – sie konnten ihm kein Ei verweigern!

Hei, wie lustig waren die Ostern zu Hause in Trentschin! Die Ruthe schwang der Frantischek, sprang mit seinen Gesellen auf die Hausmutter zu und schlug mit wilden Fäustchen so lange auf die gutmüthig sich sträubenden Hausgenossen los und sang so lange sein klagendes Osterliedchen, bis alle die kleinen Stürmer ihr Osterei davon getragen hatten.

Hier mußte er es kürzer machen – das sah er ein. Mit dem Rufe: „Bitt’ ich Ei, junger Herr!“ sprang er auf die Knaben los, die eben auf der obersten Stufe der Kirchentreppe ihre wohlgebürsteten Hüte abnahmen. Flehend streckte er dabei die Hand aus. Die Knaben verstanden die Bewegung falsch und riefen um Hülfe.

Frantischek wußte, was ihm bevorstand. Was würde es ihm nützen, wenn er das Geschehene aufklären wollte; eine Tracht Prügel war ihm ja doch gewiß, und so lief er hinweg, was er nur laufen konnte. An der Kirchenthür warnte indessen ein erfahrener Mann die beiden weinenden Knaben vor Slovaken und anderen Vagabonden.

Als Frantischek wieder zu sich selber kam, war es mit seiner Osterstimmung noch nicht vorbei. In die schöne Kirche mit der mächtigen Orgel getraute er sich nicht mehr zurück. Er hoffte, in dem hundertthürmigen Prag eine andere zu finden. Da drüben stand schon wieder eine Kirche, ein großes vergoldetes Kreuz auf dem Firste ließ sie als solche erkennen. Andächtig nahm Frantischek den großen, schwarzbraunen Hut vom struppigen Kopfe und trat ein.

Was war das? Keine buntfarbigen Fenster, kein Heiligenbild, kein goldstrotzender Altar? Das konnte keine Kirche sein. Dicht bei einander standen die Reihen der Bänke; da saßen ernste Menschen, blickten in dicke Bücher und sangen zusammen. Auf erhöhtem Platz sah Frantischek einen Geistlichen, neben ihm ein schwarzes Brett, auf dem etwas geschrieben stand. So stellte sich [253] Frantischek nach einer dunklen Ahnung eine Schule vor. Aber eine Kirche war das nicht. –

„Was willst Du hier, mein Kind?“ fragte ihn eine alte Dame, indem sie sich heimlich umsah, ob man es auch bemerkte, wie herablassend sie mit dem Betteljungen sprach.

„Hab’ ich wullt in Kirchen, Babitschko (Großmütterchen), hab’ ich nicht wullt in Schulen.“

„Du bist wohl katholisch, mein Kind,“ sagte die Dame überlegen lächelnd. „Hier beten nur protestantische Christen. Geh’, kaufe Dir etwas!“

Sie ließ ihm eine kleine Silbermünze in das schwielige Händchen fallen. Das Geldstück freute den Frantischek. Aber der Gedanke, daß es Christen gäbe, die anders beten dürften, als er, quälte ihn. Hatte ihm doch die Maminka immer gesagt: alle Leute kämen in die brennheiße Hölle, die nicht genau ebenso zum Pambitschek (dem lieben Gott) beteten, wie die Gemeinde von Trentschin.

Immer inbrünstiger sehnte sich Frantischek nach dem Gebet in einer Kirche. Er mußte Ostern feiern und für die Maminka beten, und nun auch für die armen Seelen, die nur „protestantische Christen“ waren. Sinnend wanderte er weiter; seine großen Augen schickten zum ersten Male ernsthafte Fragen zum Himmel empor. Er kam vor ein großes Gebäude, das sah wieder aus, wie ein Gotteshaus. Durch hohe Fenster schimmerte der Schein zahlloser Flämmchen; drinnen tönte seltsamer, vielstimmiger Gesang. Ein goldener Zierrath, wie zum Spiele verschlungene Kreuze anzusehen schmückte das Dach. Der Gottesdienst mußte eben erst begonnen haben, denn eilig kamen noch verspätete Beter herbei, feingekleidete Herren, welche im Gehen laut und eifrig mit einander stritten, schöne, schwarzäugige Frauen in schweren seidenen Gewändern. Reiches Goldgeschmeide glitzerte vor Frantischek’s Augen. Er faßte endlich Muth, einen minder gut gekleideten Mann anzusprechen.

„Ise sich Pambitschek da drinnen?“

„Was soll da drinnen sein?“

„Bitt’ ich, frag’ ich, ise sich liebes Gott da drinnen?“

Der Mann lachte, daß es dem Knaben weh that.

„Das hab’ ich bisher noch gar nicht gewußt, daß es auch jüdische Slovakenjungen giebt. Ja, kleiner Drahtenbinder, das hier ist eine Synagoge, wo nur die Juden beten. Wenn Du auch beten willst, so komm’ nur mit!“

Frantischek wich entsetzt zurück. Die Juden waren in seiner Vorstellung schwarze Teufel, welche am Sabbath Christenkinder aufspießten. Und diese Gottesmörder sahen nun aus wie andere Menschen auch, hatten goldene Ketten und eine Kirche und durften am Ostersonntag darin beten. Sollte Maminka falsch berichtet sein oder gar ihn getäuscht haben?

Das waren heute schlimme, sehr schlimme Ostern. Von seiner Kirche hatte man ihn fortgescheucht, und er wollte doch beten. Sogar die Juden beteten, und der Frantischek sollte nicht beten? Ob das wohl derselbe Pambitschek war, zu welchem er und die Juden beteten?

Planlos irrte er in der Stadt umher. Er kaufte von dem geschenkten Gelde zwei Ostereier und aß sie auf. Aber helle Thränen liefen dabei über seine Backen; er wußte nicht warum. So gelangte er bis auf die alte „steinerne Brücke“. Unter ihm brauste die hoch angeschwollene Moldau in raschen Wirbeln dahin; dort glänzte das Kaiserschloß vom Hradschin herunter; darüber ragte der herrliche Dom empor. Ob dort wohl Christen oder Juden beteten?

Mitten auf der Brücke stockte Frantischek. Neben ihm stand die Bildsäule des heiligen Johannes von Nepomuk. Fünf goldene Sterne glänzten im Kreise um den Kopf des Heiligen; fünf goldene Sterne in einer Marmorplatte luden am Brückenrande ein, die Symbole zu küssen.

„Heiliger Nepomuk, bitt’ für mich armen Sünder!“ hörte Frantischek in diesem Augenblick einen Greis flüstern; eifrig sprach er nach:

„Heiliges Nepomuk, bitt’ ich armer Sünder,“ und zögernd blieb er stehen. Ob es nicht am besten wäre, hier unter freiem Himmel zu beten? Zwischen den verschiedenen Kirchen konnte er sich nicht mehr zurechtfinden.

Da hörte er hinter sich reden. Ein älterer Herr sprach zu einigen jungen Leuten. Frantischek begriff anfangs nicht, was der beredte Mann erklärte. Da war von langen Jahreszahlen, von Erzguß und von Künstlern die Rede. Der Knabe spitzte die Ohren.

„Was den Gegenstand dieses Werkes anbetrifft, meine Herren, so hat der Johannes von Nepomuk, der hier zu Lande als Heiliger angebetet wird – Sie sehen, meine Herren, mit welcher Schwärmerei dieser Slovakenjunge eben zu ihm aufschaut – wahrscheinlich niemals gelebt. Wo Sie jetzt Bildsäulen Johann’s von Nepomuk erblicken, da standen vor dreihundert Jahren noch Erinnerungsbilder an den großen Ketzer Johannes Huß, den das Volk als seinen nationalen Helden liebte. Die katholische Geistlichkeit, der die Verehrung ihres verbrannten Opfers natürlich ein Dorn im Auge war, erfand den Johann von Nepomuk und setzte seinen Namen allmählich überall an Stelle des von Johannes Huß. Der von Nepomuk hat nie auf Erden gelebt. Gehen wir weiter, meine Herren!“ –

Und sie gingen weiter, und Niemand achtete des armen Frantischek, dem sein Gebet auf der Lippe erstarrt war.

Svaty Jan (der heilige Johann) hat nix gelebt auf Erden“, rief er den Fremden nach, „jetzund is er nix im Himmel.“

Es trieb ihn unwiderstehlich, dem ernsten Manne und seinen Hörern zu folgen, die so fürchterliche Dinge wußten. Er ging bescheiden nebenher und horchte gespannt auf jedes Wort. Unter dem Gewölbe des verwitterten altstädter Brückenthurmes hinweg kam er so auf einen blumengeschmückten Platz. Da stand auf hohem Sockel ein herrliches Bildwerk. Eine Krone ruhte auf dem Haupte, das von schönen Locken und einem dichten Barte eingefaßt war. Milde wohnte auf den Lippen. Ein langer Königsmantel floß in reichen Falten bis auf den Boden nieder. Ob das wohl der Herrgott war? Schon erklärte der ernste Mann:

„Ihm verdanken wir Alles, was Sie rings umher sehen meine Herren. Ihm verdanken wir die Pracht der Paläste und Dome, die dort vom Hradschin auf uns herunterblicken ihm diese unvergängliche Brücke, ihm die Schönheit dieser Stadt, ihm den Wohlstand …“

Verklärt blickte Frantischek empor. Jetzt endlich hatte er seinen Pambitschek gefunden, dem er Alles zu verdanken hatte. Fromm legte er die klirrenden Hausirwaaren auf den Boden, kniete daneben hin und begann laut und innig ein „Vaterunser“ zu beten.

Gelächter weckte ihn jäh aus seiner Andacht. Schnell hatten sich die Vorübergehenden um das betende Kind versammelt und bildeten einen dichten Kreis von Lustigen und Neugierigen.

Frantischek stammelte:

„Hab’ ich nix ’than! Hab’ ich wullt beten!“

Die Leute lachten noch lauter. Da flammte der Zorn im Knaben auf.

„Darf armes Frantischek in Stadt nix bet’ ich zu seinem Pambitschek?“ rief er mit Thränen der Wuth im Auge.

Der beredte Mann, der Alles wußte, näherte sich ihm.

„Du irrst, liebes Kind. Du betest hier vor einem Menschen und nicht vor einem Gotte. Dieses Denkmal ist für den guten Kaiser Karl den Vierten errichtet worden, der ein Mensch war wie Du und ich.“

Frantischek schlich hinweg. Bis zum Abend irrte er müßig in den Straßen umher, kein einziges Mal rief er mehr an diesem Tage sein „Drahtowat!“ Es wollte ihm nicht aus dem Kopfe, daß dort ein Heiligenbild stand und daß der Heilige ein Mensch war wie der fremde Herr, der die fürchterlichen Dinge wußte, und wie er, der Frantischek. Erst als es dunkel geworden, kehrte Frantischek zu dem Bilde des Menschen zurück. Scheu blickte er um sich, als wollte er ein Verbrechen begehen. Dann lag er dort lange auf dem Boden und wollte weinen. Aber er konnte es nicht; er mußte über die Erlebnisse des Tages nachdenken.

Endlich erhob er sich und eilte, hart an den Brückenrand gedrückt, über die Brücke bis zum Heiligenbild. Dort schaute er sich noch einmal zitternd um; dann fuhr er mit der Rechten unter sein Hemd und riß eine blecherne Denkmünze gewaltsam von der Schnur los. Es war der heilige Nepomuk, den ihm einst die Maminka zum Schutze gegen Krankheit mit auf die Reise gegeben hatte. Mit starren, bösen Augen sah er den Heiligen an und warf mit raschem Schwunge die Münze über das Steingeländer hinaus in den Strom.

Eisig wehte die Nachtluft von Norden her und Frost durchschauerte den Knaben.

Fritz Mauthner.