Textdaten
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Autor: Friedrich Karl Knauer
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Titel: Wasserspendende Lianen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 683–684
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wasserspendende Lianen.

Von Dr. Friedrich Knauer.

Welch’ merkwürdige Wirkung doch ein einziges Wort zu erzeugen vermag! Lianen – wem taucht da nicht sofort die Erinnerung an die herrlichen Urwaldschilderungen von A. v. Humboldt, von Grisebach oder aus diesem oder jenem Reiseberichte berühmter Tropenwanderer auf! Wem zaubert das Wort nicht augenblicklich den tropischen Urwald mit seiner Pflanzenüberfülle, seiner üppigen Vegetation vor Augen, die mächtigen, hochaufragenden Baumriesen über und über von Aroideen mit ihren riesigen Blättern, von Farnen mit ihren gefiederten Wedeln oder hängenden Bändern, von bizarr gestalteten farbenbunten Orchideen umklammert und überwuchert – den mit unzähligen Kräutern und riesigen Moderpflanzen überzogenen Waldboden und über all dem das dichte grüne Laubdach der Bäume, das dem Sonnenlichte den Eingang wehrt und das üppige Wuchern und Blühen mit grünem Dämmerlichte umfangen hält! Das ist die Heimat der Lianen, welche, dem Takelwerk eines Riesenschiffes vergleichbar, wie lebende Taue von Zweig zu Zweig sich winden, sich ineinander verschlingen und verflechten, in langen Strähnen zur Erde herabhängen, eine vielerwünschte und vielbenutzte Turnstätte für die Kletterlust des behenden Affenvolkes.

Daß aber diese Kletterer der Pflanzenwelt lebende Wasserbehälter sind, die Urwaldliane zur „Hebe“ werden kann, die dem durstenden Reisenden labendes Naß kredenzt, das war wohl dem einen und anderen Urwaldforscher bekannt, wird aber erst jetzt wissenschaftlich bestätigt und näher erforscht.

In neuester Zeit ist viel von dem Botanischen Garten zu Buitenzorg auf Java die Rede, der außer seinem Herbarium, botanischen Museum, pharmakologischen Laboratorium, den botanischen Laboratorien, [684] der Abteilung für Untersuchung der Forstgewächse Javas, der Versuchsstation für Kaffeekultur, dem Laboratorium für Untersuchungen über Deli-Tabak, der Abteilung für landwirtschaftlich-zoologische Untersuchungen, der Bibliothek und dem photographischen Atelier einen Kulturgarten mit einer Ausdehnung von über 70 Hektaren und einen botanischen Garten und Gebirgsgarten mit Urwald von über 300 Hektaren umfaßt. 27 größtenteils promovierte Europäer und über 200 Inländer sind in den verschiedenen Abteilungen angestellt, und Jahr für Jahr treffen Gelehrte aus aller Welt hier ein, botanische Studien zu machen. Es ist dieser Garten für den Laien und für den Botaniker ein „botanisches Paradies“, das nirgends seinesgleichen hat.

Hier hat der Botaniker H. Molisch seine Versuche über das Ausfließen des Saftes aus Stammstücken von Lianen gemacht, die er durch weitere Versuche im Urwalde bei Tjibodas ergänzte.

Zunächst sei der Begriff „Liane“ festgestellt. Als Liane bezeichnet man nicht etwa eine bestimmte Gattung oder Familie. Es ist dies vielmehr eine Kollektivbezelchnung für verschiedenste Schling- und Kletterpflanzen, ob sie nun ausdauernde, verholzende Stämme haben oder krautartig wachsen, insofern sie auf fremde Stützen angewiesen sind, um emporzuklimmen. So giebt es Lianen unter den Feigen, Wachsblumen, Winden, Gurkengewächsen, Bignonien, Schlingfarnen, solche unter den purpurblütigen Passifloren und den Aristolochien Amerikas mit ihren Riesenblumen; ja selbst Palmen – die indischen Rotangs – schießen über 150 m in die Höhe empor und ranken sich von Baum zu Baum, und auch unter den Pandanen, Baumgräsern, Schachtelhalmen giebt es klimmende Pflanzen. Lianen sind aber auch unsere wilde Weinrebe, unsere Clematisarten, das Geißblatt, die Brombeere, die Kletterrosen, die blauglockige Alpenrebe unserer Voralpen.

Schneidet man einen nicht allzu dünnen Stamm einer dieser Lianen rasch durch und dann über der oberen Schnittfläche, etwa einen Meter höher, nochmals und hält das abgetrennte Stammstück senkrecht, so strömt Wasser, oft in überraschend großer Menge, aus der unteren Schnittfläche hervor. Das dauert etwa fünf Minuten. Wird dann das Stammstück zerschnitten, so kommt wieder Wasser, aber wieder nur aus der unteren Schnittfläche, hervor. Will man auch aus der oberen Schnittfläche Wasser austreten sehen, so muß man auch oben ein längeres Stück abtragen. So erhielt Molisch aus einem 5,5 cm dicken, 310 cm langen Stammstück der Liane Uncaria acida zuerst 235 kcm Saft, dann, zuerst unten, darauf oben ein Stück abschneidend, endlich das Reststück halbierend, noch 45 + 105 + 140 + 65 kcm Wasser, im ganzen also 590 kcm, was einer Flüssigkeitsmenge von etwas mehr als 1/2 l entspricht. Solche Versuche wurden an 24 Lianengattungen angestellt.

Weshalb gerade Lianen solche Wasserergiebigkeit zeigen, das liegt vor allem in der außerordentlichen Weite ihrer Gefäße, die wieder als Anpassung an die Lebensweise dieser Klimmpflanzen erscheint. Im Vergleiche zur Länge ist ja die Breite des Lianenstengels eine geringe; da ist eine rasche Leitung von Luft und Wasser nötig. Bedenkt man, daß die Höhe, bis zu der sich in Kapillarröhren Flüssigkeiten erheben können, im verkehrten Verhältnisse zum Dickendurchmesser steht, so leuchtet ein, daß das Wasser in so weiten Gefäßen nur bis zu einem gewissen Grade festgehalten wird und aus den plötzlich auf beiden Seiten geöffneten Gefäßen der größere Teil des Wassers ausströmt. Außer der Weite dieser Gefäße wird auch die Luftfeuchtigkeit und die Menge des Wasservorrates in der Liane auf die Menge des ausströmenden Wassers Einfluß haben.

Der ganze Vorgang dieses Wasserausströmens ist eine rein physikalische Erscheinung, eine Konsequenz des plötzlichen Luftdruckes auf die jäh aufgeschnittenen, mehr oder weniger wassererfüllten Gefäße der Liane. Die Kapillarität spielt sowohl bei dem Wasserheben als bei dem Wasserhalten in den Lianengefäßen eine nebensächliche Rolle.

Und auch unsere europäischen Lianen sind solche Wasserspenderinnen. Ein 108 cm langes, 1,5 cm dickes Zweigstück unserer Weinrebe lieferte 7,5 kcm Saft.

So haben sich denn die Mitteilungen Tropenreisender bewahrheitet, daß der aus den Stammstücken abtropfende klare Saft ein hochwillkommenes Mittel biete, den Durst zu löschen, worüber bisher nur vereinzelte wissenschaftliche Untersuchungen vorlagen. Frühere Reisende konnten sich solchen Saftabfluß in zweierlei Weise zu Nutzen gemacht haben, entweder indem sie das Bluten tropischer Gewächse ausnutzten oder verschiedene Urwaldpflanzen anbohrten. Haben ja kürzliche Versuche im Botanischen Garten zu Buitenzorg ergeben, daß ein angebohrter 10 cm dicker Stamm von Conocephalus azureus in den ersten 11 Nachtstunden 7820 kcm oder über 73/4 l klaren Saftes lieferte. Vor einigen Jahren hat Lecomtes von Musanga Smithii, einer Verwandten von Conocephalus, in 13 Stunden der ersten Nacht 9250 kcm oder 91/4 l Saft erhalten. Von einer 12jährigen Birke bekam man in 24 Stunden 5 l Saft. Noch weniger kann Urwaldreisenden die Wasserfülle der Lianen entgangen sein. Mußten sie sich doch oft genug mit dem Beil Schritt für Schritt den Weg durch das Lianengewirre bahnen.