Deutsche Originalcharaktere des achtzehnten Jahrhunderts/Graf Gustav Adolf von Gotter

Textdaten
<<< >>>
Autor: R. v. Gottschall
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Graf Gustav Adolf von Gotter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 680–683
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[680]

Deutsche Originalcharaktere des achtzehnten Jahrhunderts.

Graf Gustav Adolf von Gotter.
Von R. v. Gottschall.

Einer der interessantesten Emporkömmlinge des vorigen Jahrhunderts ist Graf von Gotter, eines jener bevorzugten Glückskinder, denen das, was andere im Schweiße ihres Angesichts zu erringen suchen, von selbst in den Schoß fällt. Er giebt den Beweis dafür, was der Zauber einer Persönlichkeit vermag; selbst seine Mißerfolge in Staatsgeschäften schadeten ihm nicht bei den Fürsten, bei den Höfen, noch weniger natürlich bei den Frauen; er blieb der gesuchte Liebling und Günstling, dem Ehren und Schätze im reichsten Maße zu teil wurden, dem die Kaiser von Oesterreich und die Könige von Preußen ihr Vertrauen schenkten.

Gotter war von bürgerlicher Herkunft und wurde am 26. März 1692 zu Altenburg geboren als Enkel des Generalsuperintendenten Johann Christian Gotter und als Sohn des Kammerdirektors Johann Michael Gotter in Gotha. Er studierte in Jena und Halle und machte dann Reisen in Holland, England und Frankreich. In Begleitung seines Vaters ging er 1715 nach Wien, wo dieser finanzielle Angelegenheiten zu ordnen hatte. Hier legte der Sohn rasch, in noch sehr jungen Jahren, den Grundstein zu seinem Glück; er erwarb sich die Gunst des Prinzen Eugen und anderer hochgestellter Persönlichkeiten, und so gelang es ihm, seinen Vater in Erledigung der Geschäfte des herzoglichen Hofes in Gotha aufs wirksamste zu unterstützen, schwebende Prozesse rasch und glücklich zu Ende zu führen und die Rückzahlung ausständiger Geldforderungen zu bewirken.

Gotter besaß Geist, Schönheit, große Weltgewandtheit und verstand es, von den Boudoirs aus die Entscheidungen der Kabinette zu beeinflussen. Schon im Jahre 1716 ernannte ihn Herzog Friedrich II zu seinem Legationssekretär, dem bald darauf die volle Vertretung aller Interessen des Herzogthums Gotha beim kaiserlichen Hofe anvertraut wurde. In jener Zeit war Wien ein Capua der Geister, und wer den Gelüsten der vornehmen Epikuräer bis hoch hinauf zu schmeicheln verstand, der war der Mann des Tages. Herzog Friedrich II bestärkte seinen Geschäftsträger, den er 1720 zum außerordentlichen Gesandten ernannt hatte, in den Neigungen zu einer glänzenden Repräsentation, die ja dem Ansehen des kleinen Hofes zu gute kam. Gotter besaß eine prächtig ausgestattete Wohnung, pomphafte Wagen, stolze Rassepferde und eine große Zahl von galonnierten Bedienten, Lakaien und Läufern. Seine Mahlzeiten waren reich an den ausgesuchtesten Leckereien und er berücksichtigte sich selbst dabei in der ausgiebigsten Weise. So war er ein großer Freund von jungen grünen Erbsen und es störte ihn weiter nicht, wenn er im Winter für jede Erbse einen Groschen zahlen mußte. Auch war er ein ausgezeichneter Weinkenner; sein Keller war reich an den seltensten Weinen, die niemals auf seiner Tafel fehlen durften; ja, er trieb in der Stille einen ansehnlichen Weinhandel, um die häufige Leere in seinen Kassen einigermaßen zu füllen.

Gotter erinnert lebhaft an einen Diplomaten des 19. Jahrhunderts, der in Wien ebenfalls ein glänzendes Vorbild sinnlichen Lebensgenusses geworden und ebenso wie Gotter sich des Vertrauens der Höchstgestellten erfreute: wir meinen Friedrich von Gentz, Metternichs Vertrauten. Doch springt auch der Unterschied alsbald in die Augen: Gentz war ein Diplomat mit der Feder; seine Schriftstücke waren stilistische Meisterwerke, und solange es den Kampf gegen Napoleon und die französische Uebermacht galt, darf ihm der Ruhm eines einflußreichen und tonangebenden Patrioten nicht abgesprochen werden. Gotter hat nicht mit der Feder gewirkt, sondern nur durch seine Persönlichkeit; er hatte eine unglaubliche Höhe von Einfluß und Bedeutung erreicht, und zwar schon vor seinem dreißigsten Lebensjahr, ohne daß sein Name bei irgend einer Haupt- und Staatsaktion genannt worden wäre, ja ohne daß man die äußeren Anlässe für die Auszeichnungen, die ihm zu teil geworden, nachweisen konnte. So weiß man nicht, warum im Jahre 1727 der zwölfjährige junge Czar Peter II von Rußland oder vielmehr sein Minister Fürst Mentschikoff ihm den Alexander Newsky-Orden durch eine besondere Stafette überschickte. Der Herzog von Gotha bezahlte inzwischen Gotters Schulden, erhöhte seinen Gehalt, ernannte ihn zum Legationsrat, während Kaiser Karl VI ihn am 6. August 1724 in den Reichsfreiherrnstand erhob.

Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I berief ihn 1728 nach Berlin und ernannte ihn bald darauf zum Wirklichen Geheimen Staatsrate mit Sitz und Stimme und einem jährlichen Gehalt von 1000 Thalern. Auch eine Majorspräbende am Stifte von Halberstadt wandte er ihm zu und erteilte ihm die Insignien des Schwarzen Adlerordens. Eine diplomatische Leistung, durch welche Gotter eine so hohe Stellung verdient hätte, war nicht vorausgegangen und irgend eine Verpflichtung nicht damit verbunden. Man muß sich fragen, weshalb Gotter bei dem gestrengen Monarchen einen solchen Stein im Brette hatte. Denn dieser leichtlebige Don Juan konnte doch nicht nach dessen Geschmacke sein; der König haßte ja die „französischen Windbeutel“. Sicher hatte Gotter ihm durch sein ganzes siegesgewisses und überlegenes Wesen imponiert, nicht am wenigsten wohl durch seine Stentorstimme, welche dem soldatenfreundlichen Fürsten beneidenswerte Mitgift fürs Kommandieren auf dem Exerzierplatz und im Krieg erschien; aber das erklärt noch nicht seine Gunstbeweise. Entscheidend war vielmehr dafür der große Einfluß, den Gotter in Wien besaß; der König brauchte dort für verschiedene Pläne einen Bundesgenossen. Eine Zeit lang war Gotter noch in Gothaischen Diensten geblieben und auch Gesandter seines Herzogs [682] in Regensburg geworden; doch Friedrich Wilhelm I wollte den seltenen Mann ausschließlich in seinen Diensten haben, und so erhielt er 1732 seine Entlassung vom Herzog von Gotha mit einer jährlichen Pension von 1000 Thalern und wurde preußischer bevollmächtigter Minister am Wiener Hofe mit einem Gehalt von 15000 Gulden. Doch Gotter war oft der rauschenden Vergnügungen überdrüssig; auch zeigten sich bei ihm die Folgen eines genußsüchtigen und ausschweifenden Lebens; er sehnte sich zur Wiederherstellung seiner Gesundheit nach ländlicher Ruhe. So kaufte er in der Heimat das Rittergut Molsdorf nicht weit von Arnstadt und auch das Ritter- und Lehngut zu Dietendorf, wo er Wollenzeugfabriken gründete und wohin er zahlreiche Arbeiter aus dem Auslande zog. Seine Neubauten erhielten anfangs den Namen Neugottern, später wanderten die Herrnhuter ein und nannten den Ort Gnadenthal; heute heißt er Neudietendorf.

Zu Molsdorf aber schuf Gotter ein Thüringer Versailles; kaum einer der fürstlichen Parks des Landes konnte mit dem seinen wetteifern. Das reiche Rokokoschloß war, wie eine Moschee mit Koransprüchen, mit zahlreichen Inschriften geschmückt, welche alle die Weisheit des Epikur predigten: Hora rapit diem (Die Stunde raubt den Tag), Placida quies (Behagliche Ruhe), Fugaces labuntur anni (Flüchtig enteilen die Jahre), Hic summum bonum libertas (Hier ist das höchste Gut die Freiheit) und Hospes hic bene manet (Hier ist gutes Verweilen für den Gastfreund). Diese beiden letzten Sprüche standen als gastliche Einladungen am südlichen Eingang in den Garten. Doch mit solchen Sprüchen allein wurden die Ankömmlinge nicht abgespeist. Wer das Schloß vom Garten aus betrat, der fand dort einen Weinhahn, den er bloß zu öffnen brauchte, um sich mit einem köstlichen Trunk zu erfrischen, der durch ein Druckwerk herbeigezaubert wurde. Die Zimmer waren mit dem größten Luxus ausgestattet; Oelgemälde schmückten die Wände: Porträts der hervorragendsten Persönlichkeiten der Zeit, des Königs Friedrich Wilhelm I, der Maria Theresia, der Herzogin Louise Dorothea, der berühmten Schauspielerin Adrienne Lecouvreur, der berühmten Tänzerin Barbarini. Wie es scheint, spukte hier die Schönheitsgalerie des Münchener Residenzschlosses vor; denn es gab ein „Damenzimmer“ mit lauter Damenporträts, ein Tänzerinnenzimmer mit reizenden Schauspielerinnen und Sylphiden.

Der Park war ganz im französischen Stil: schnurgerade Alleen, die zu schmiedeeisernen Einfahrtsthoren führten, durchschnitten ihn in seiner ganzen Länge; alle Wege waren mit geschorenen Taxushecken eingefaßt, die Bäume zu allerlei Figuren zurechtgeschnitten. Den Vorplatz am Schloß bildete ein breiter Kiesplatz, auf welchem von Mitte Mai ab die reiche Orangerie des Grafen, 746 ausländische Gewächse, darunter 168 größere Bäume in Kübeln, aufgestellt war; dann folgte ein kreisrundes Rosenparterre mit Prunkbeeten und südlich davon, im Mittelpunkt des Gartens, ein geräumiges Wasserbecken, in welchem sich eine Statue des Herkules erhob. Ueber seine rechte Schulter hing die Haut des nemeischen Löwen den Rücken hinab; die Keule hatte er in seiner Hand erhoben und zu seinen Füßen krümmte sich die vielköpfige Hydra, aus deren einem Haupte ein starker Wasserstrahl emporstieg. Dieser Herkules war offenbar ein Zugeständnis an den Zeitgeschmack; er konnte für den Besitzer des Gartens keine symbolische Bedeutung haben; denn was hatte seine Diplomatie mit der Keule des Herkules zu thun? Da war ein Schlangenbändiger mehr am Platz, der, statt der Hydra den Kopf zu spalten, den Schlangen Lieder vorpfiff, daß sie mit geschmeidigem Gehorsam seinem Willen folgten. Gotter war allerdings von kräftiger imposanter Persönlichkeit, und so mochte er den Herkules vielleicht als eine steinerne Schmeichelei sich selbst zu Ehren in seinem Garten aufgestellt haben. Jedenfalls waren nach seinem persönlichen Geschmack mehr die aus den Nischen der Taxushecken hervorleuchtenden Olympierinnen. Auch die oberen Götter fehlten nicht; nur dem häßlichen Vulkan hatte er keinen Platz eingeräumt; soweit ging seine mythologische Gewissenhaftigkeit nicht, die schöne Venus mit einem so unschönen Ehemann zu belästigen. Dagegen waren neben den oberen Göttinnen auch die unteren cour- und parkfähig: Flora und Pomona leuchteten in blendender Marmorschöne mit Blumen und Früchten aus der gründunkeln Umrahmung hervor.

Auch an Wasserwerken und Wasserkünsten war der Park von Molsdorf so reich wie etwa der Garten der Villa Pallavicini in Pegli bei Genua. Auf einem in den Park hineinragenden Hügel war ein Reservoir angebracht, welches von den Ichtershäuser Teichen gespeist wurde. Von hier aus ergossen sich die Wasser in Kaskaden in einen Teich herab, den sechs wasserspeiende Figuren umgaben und in dessen Mitte ein Schwan einen Wasserstrahl hoch in die Luft schleuderte; auch sonst stiegen durch ein künstliches Wasserwerk aus Muscheln von Wassergöttern, aus Schnäbeln von Adlern und Schwänen, aus den Hälsen von Schildkröten, Eidechsen und Fröschen Wasserstrahlen in die Höhe. Außerdem enthielt der Park nahe der Umfassungsmauer noch vier Teiche und in jedem dieser Teiche hielt Gotter eine besondere Art von Fischen, die nicht bloß eine Augenweide für den Naturfreund bildeten, sondern auch der Küche des Gourmands zu gute kamen.

Das war eine glänzende Scenerie, das waren prunkende Dekorationen; doch wir müssen die Bühne mit den handelnden Personen des vorigen Jahrhunderts beleben. Da versammelte sich der Eremitenorden, dessen Losung Vive la joie! (Es lebe die Freude!) und dessen Priorin die feingebildete lebensfrohe Herzogin von Gotha, Louise Dorothea war. Diese Fürstin und ihre Begleiterin, die Oberhofmeisterin Juliane Franziska von Buchwald, waren oft Gotters Gäste, denen zu Ehren er die prunkvollsten Feste feierte. Louise Dorothea und ihre Freundin waren von makelloser Tugend und es ist charakteristisch für den damaligen Zeitgeist, daß sie mit einem verrufenen Wüstling wie Gotter so freundschaftlich verkehrten. Doch nicht immer waren tugendsame Eremiten und Eremitinnen in dem prachtvollen Schloß und Park versammelt; es gab auch Orgien, wo die Bacchantinnen die erste Rolle spielten; dazu wurden aber jene vornehmen Damen nicht geladen. Auch Volksfeste für die Bewohner des Ortes veranstaltete er: da lud sie ein Trompeter in den Schloßhof ein, und alle kamen, wie sie gerade waren, ohne ihren Sonntagsstaat anzulegen; sie erhielten hier Trank und Speise. Gotter ordnete Spiele und Tänze an, beteiligte sich selbst daran, indem er die hübschesten Mädchen herumschwenkte. Dies naturwüchsig Ländliche hatte für den Epikuräer einen eigentümlichen Reiz.

Doch die Muße, deren Gotter auf seinem glänzenden Tuskulum genoß, war nicht von langer Dauer; der Thronwechsel in Preußen machte derselben ein Ende. König Friedrich II, dem man von Hause aus mehr Sympathien für den Lebemann und Freigeist Gotter zutrauen durfte als dem gestrengen Friedrich Wilhelm I, und der, ein Freund geistreicher Unterhaltung, die glänzenden Gaben dieses zu früh zur Ruhe gesetzten Diplomaten zu würdigen wußte, berief ihn im Mai 1740 wieder nach Berlin und ernannte ihn zum Oberhofmarschall und geheimem Staats- und Kriegsrat; auch gab er seine Genehmigung dazu, daß Gotter die Reichsgrafenwürde annahm, die Kaiser Karl VI ihm verliehen hatte; ferner wurde Gotter Generaldirektor der Großen Oper. Für seine Befähigung zu dieser Stelle sprach die glänzende Inscenierung seiner Feste in Molsdorf und der prächtige dekorative Hintergrund, den er dort geschaffen hatte. Als ihm das halberstädtische vakant gewordene Kanonikat an der Liebfrauenkirche zufiel, zu welchem ihm schon Friedrich Wilhelm I in einem Dekret die Anwartschaft gegeben hatte, da wandelte Gotter wieder die Lust an, aus dem Staatsdienst auszuscheiden und mit dem Erträgnis dieser Pfründe ein angenehmes Stillleben zu führen; doch Friedrich II lehnte dies Gesuch in einem zwar schmeichelhaften Schreiben, aber mit aller Entschiedenheit ab. Er erklärte, daß Gotter seine Gelder nur in Berlin zu verzehren habe und vor Jahresfrist überhaupt keinen Urlaub erbitten dürfe; sonst habe er von ihm nichts zu erwarten. Friedrich der Große gehörte zu den Selbstherrschern, mit denen, um einen volkstümlichen Ausdruck zu gebrauchen, es nicht gut Kirschen essen war. Das sollte Gotter ebensogut erfahren wie Voltaire und viele andre – auch dem vertrauten Tischgenossen gegenüber kehrte der König plötzlich die rauhe Seite hervor, besonders wenn die Staatsraison dabei mitzusprechen hatte. Als Gotter seidene Stoffe aus Lyon hatte kommen lassen und um Erlassung der Zollabgaben bat, da ließ der König ihm sagen, daß er keine Ausnahme vom Gesetz machen dürfe und daß der Graf besser gethan hätte, diese Stoffe im Inlande zu kaufen. Auch ließ sich der König von Gotter, der, obgleich [683] er zweimal das große Los gewonnen hatte und die Gehälter mehrerer Aemter zusammenhäufte, stets in Geldverlegenheit war, zu keinen Gehaltserhöhungen bewegen. Einmal fand der Graf die für eine Gesandtschaft ausgesetzten Gelder nicht ausreichend; da machte der König kurzen Prozeß; er schrieb ihm, daß er ihn von dieser Gesandtschaft entbinde, da er für dieselbe eine Auswahl von geeigneten Persönlichkeiten habe.

Die Verdienste Gotters in seinen verschiedenen Verwaltungsämtern wie auch bei seinen diplomatischen Sendungen blieben meistens im stillen; anfangs war er nur als Gesandter von Gotha für fürstliche Privatinteressen thätig. Nur einmal tauchte er auf der Bildfläche der Weltgeschichte auf und hatte einen Anteil an den großen Ereignissen derselben, allerdings keinen erfolgreichen; doch er war ein so großes Glückskind, daß selbst der Unstern bei einer der wichtigsten Verhandlungen ihm nichts anhaben konnte und er durch einen offenkundigen Fehlschlag nicht die Gunst seines Fürsten verscherzte.

Es war im Jahre 1741, als König Friedrich II ihn an den Wiener Hof schickte, um dort seine Forderungen auf die Fürstentümer Jägerndorf, Liegnitz, Brieg und Wohlau nach dem Tode des Kaisers Karl VI geltend zu machen; das war in der That eine weltgeschichtliche Sendung. Denn hätte Graf Gotter damals Erfolg gehabt, so wäre es nicht zu den Schlesischen Kriegen gekommen, und auch von dem Siebenjährigen Kriege hätte Klio nichts zu berichten; doch der Kriegsruhm des großen Friedrich sollte nicht im Keime erstickt werden. Gotter kehrte unverrichteter Sache von Wien zurück. Offenbar durch seine früheren Triumphe verwöhnt, vergaß der Diplomat, daß die Lage der Dinge an der Donau sich inzwischen gänzlich geändert hatte. Die früheren Genossen Gotters, die vornehmen Freunde und Gönner hatten nicht mehr das Heft in Händen und Maria Theresia war weit davon entfernt, in einem hochbegabten Don Juan das Ideal einer bewundernswürdigen Männlichkeit zu sehen. Doch Gotter schien in seiner Selbstverblendung von dem Umschwung der Dinge gar nichts zu merken, oder er glaubte, im Vollgefühl seiner diplomatischen Kunst widerstrebende Einflüsse rasch beiseite schieben zu können. Hierzu kam, daß er der Vertreter eines jungen, genialen, hochstrebenden Monarchen war, der im stillen schon die Absicht hegte, sein Schwert in die Wage der Geschicke Europas zu werfen. Das alles bestimmte ihn, einen hochfahrenden gebieterischen Ton anzuschlagen.

Doch die vierundzwanzigjährige Maria Theresia war keine gekrönte Staatspuppe, sondern eine energische junge Frau; sie durfte auf die begeisterte Anhänglichkeit ihres Volkes rechnen, die sich ein Jahr später so glänzend bewährte, als sie in Pest mit ihrem kleinen Sohn in der Mitte der getreuen Magyaren erschien, deren Säbel unter lautem Jubelruf aus der Scheide flogen und die mit Begeisterung ihre Hilfsbereitschaft erklärten. So wurde dem Abgesandten des Preußenkönigs auf seine ungestüme Forderung ein schroff ablehnender Bescheid zu teil, und als er trotzdem die Verhandlungen in die Länge zu ziehen suchte, um dem König Zeit für seine kriegerischen Vorbereitungen zu gewinnen, erhielt er die Weisung, binnen 48 Stunden Wien zu verlassen. Er schied vom Schauplatze seiner früheren Triumphe mit einer diplomatischen Niederlage. Doch fast schien es, als ob der König über diesen Mißerfolg gar nicht ungehalten sei; sein Thatendurst, seine Kampflust konnten ja jetzt volles Genügen finden.

Der Günstling des Glückes hatte aber auch seine bösen Stunden, die indes seine unverwüstliche Heiterkeit nicht trüben konnten. Infolge seines ausschweifenden Lebens stand es schlecht mit seiner Gesundheit; Gicht und Wassersucht hatten sich eingestellt. Der König, der ihn noch 1744 zu einem der vier Kuratoren der königlichen Akademie der Wissenschaften ernannt hatte, konnte doch nicht umhin, seinem Drängen nach Verabschiedung aus dem Staatsdienste endlich nachzugeben, und so wurde er 1745 pensioniert. „Ich beklage,“ schrieb ihm Friedrich, „einen liebenswerten Mann, dessen Verlust ein Bankerott für Berlin ist, und versichere Sie, daß, wenn man jemand an Ihrer Stelle zum Teufel schicken könnte, ich ihm ein halbes Kommando opfern würde, um Ihre schöne und große Seele aus seinen Händen zu retten.“

Seine Geldsorgen ließen Gotter indes nicht zur Ruhe kommen. Er hatte schon 1742 sein Rittergut Neugottern an einen Herrnhuter verkauft, den Grafen Balthasar Friedrich von Promnitz; er verwandte den Ertrag zur Aufbesserung seines Gutes zu Molsdorf, kaufte einige Acker vom Kammergute Ichtershausen dazu und hob gegen eine Abgabe die Fronen auf. Gleichwohl konnte er auch Molsdorf nicht behaupten und verkaufte diese Besitzung an den württembergischen Geheimrat und Erboberstallmeister Heinrich Reinhold Freiherrn Roeder von Schwende, wobei er sich indes das Recht vorbehielt, unter gewissen Bedingungen und Beschränkungen Schloß und Park benutzen zu dürfen. Erst einige Jahre später, 1757, nahm er für immer Abschied von dem schönen Besitztum. Unbemerkt und still ritt er an einem nebelgrauen Morgen durch den Weidgarten von dannen; beim Abschied hatte er ausgerufen: „Liebes Molsdorf, lebe wohl! Du hast mir Geld genug gekostet!“

Inzwischen hatte sich im Jahre 1752 in Montpellier, wo Gotter eine längere Kur durchmachte, seine Gesundheit wieder gänzlich gebessert, seine kräftige gesunde Natur abermals den Sieg davongetragen über die Leiden, die er sich durch allzugroße Zumutungen an dieselbe zugezogen, und als er mit vollständig wiedergewonnener Frische des Körpers und Geistes zurückkehrte, da zögerte er nicht, nochmals in den preußischen Staatsdienst zu treten. Als Oberhofmarschall, Kurator der Akademie und als Generalpostmeister blieb er in diesem thätig bis zu seinem Tode, der am 28. Mai 1762 in Berlin erfolgte.

Die hohe Anerkennung, die Friedrich der Große ihm zollte, ist ein bleibender Rechtstitel für seinen guten Ruf bei der Nachwelt; denn dieser Sausewind des Gothaschen Eremitenordens, dieser „blitzeschleudernde Jupiter“ in den Kabinetten der Wiener Diplomaten muß doch auch eine große geschäftliche Tüchtigkeit besessen haben, wenn ein Herrscher wie Friedrich der Große, der sich in Staatsangelegenheiten nicht mit dem Schaum des Esprits begnügte, sondern auf den Kern der Sache ging, ihm so viele hohe Staatsämter anvertrauen konnte. Ebenso bewies Gotter, daß das Glück nicht immer nur den Dummen hold ist, sondern auch den Klugen; denn er war eine der klügsten, gewandtesten, geistreichsten Persönlichkeiten, welche das Deutschland des 18. Jahrhunderts besaß.