W. Heimburg (Die Gartenlaube 1884/39)

Textdaten
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Autor: B. R.
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Titel: W. Heimburg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 648–650
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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W. Heimburg.

Seit mehreren Jahren bereits gehört Wilhelmine Heimburg zu den Lieblingsautoren des lesenden Publicums, namentlich der Frauenwelt. In ihrer schlichten, aber von echtem poetischem Geiste durchwehten Erzählungsweise hat sie eine Reihe feinempfundener Novellen geschrieben, welche sich weit über das Niveau dessen emporheben, was unsere productionslustige Zeit hervorbringt, um ein kurzes, ganz unberechtigtes Dasein zu führen. Wie es wohlthuend berührt, wenn wir in einer Gemeinschaft von so und soviel ungebildeten, Halbgebildeten oder verbildeten Menschen einer feinen, wahren, harmonisch entwickelten Natur begegnen, so empfindet der Literaturfreund ein ähnliches Gefühl des Behagens, trifft er auf Bücher, die einem liebenswürdigen Charakter zu vergleichen sind. Und liebenswürdig sind sie alle die Novellen, mit denen W. Heimburg uns beschenkt hat, liebenswürdig wie man sie selten findet in unserer nach Sensation und greller Abwechselung strebenden Zeit; frei von jedem Flitter modernen Aufputzes, voll Poesie, voll Einfachheit, Frische und Ursprünglichkeit. Die Stärke der Dichterin liegt nicht in der Composition, nicht im Ausmalen äußerlicher Conflicte, sensationeller Scenen und Situationen, – sondern die Bedeutung ihres großen Talentes wurzelt in der Innigkeit, in der frauenhaften Gemüthstiefe, mit der sie Seelenkämpfe und Herzensgeschichten lebenswahr und schlicht zu erzählen versteht.

Die Ausmalung des Frauencharakters ist ihre Force, wenn man so sagen darf. Sei es das junge innige Mädchen oder die alte treue Dienerin, sei es die kokette Salondame oder die Hausfrau von altem Schrot und Korn, immer stehen uns diese Gestalten in klaren Umrissen vor Augen, fein gezeichnet bis auf die kleinsten Züge, und immer schwebt über diesen tiefempfundenen Schilderungen der Hauch echter Poesie, fesseln uns hier und da schwermüthige an das deutsche Volkslied gemahnende Verse, wie denn überhaupt die Erzählungen, selbst in den glücklichsten Situationen, von einem Aeolsharfenton leiser Trauer und inniger Schwermuth durchzittert sind.

W. Heimburg.
Nach einer Photographie von Fritz Bornträger in Wiesbaden, für die „Gartenlaube“ auf Holz gezeichnet von R. Huthsteiner.

Wilhelmine Heimburg, ihr wahrer Name ist Bertha Behrens, wurde zu Thale am Harz geboren, wo der Vater als praktischer Arzt lebte, nachdem er ein Jahr zuvor daselbst seinen jungen Hausstand begründet hatte mit einer blauäugigen lieblichen Försterstochter, die er als Student auf einer Ferienreise kennen gelernt – die kleine Bertha war das erste Kind, das dem jungen Paare geschenkt wurde an einem köstlichen Septembertage. Durch die geöffneten Fenster rauschte die Bode ein Wiegenlied, flüsterte der Wald seine Grüße, und unter der Dorflinde sangen im Mondschein die Bursche und Mädchen beim Flachshecheln alte Volkslieder des Harzes.

Wie oft hat die Mutter das dem Kinde erzählen müssen!

Und an der Wiege saß eine Großmutter, wie es keine bessere wieder gegeben hat! – Das großelterliche Haus wurde denn auch, als der Vater zwei Jahre später, nach der Geburt eines Sohnes, Thale verließ und nach dem benachbarten Quedlinburg übersiedelte, um sich der militär-ärztlichen Carrière zu widmen, der Wohnsitz aller Jugendherrlichkeit. So oft als thunlich holte sich die Großmutter ihre kleine Enkelin, und dort, am Fuße des Roßtrappefelsens, trieb das Kind seine Spiele in sonnigen Sommertagen, im Walde und am Ufer der Bode. Und wenn die Herbststürme über die Berge tobten, der Regen gegen die Fenster des traulichen Forsthauses schlug und der Wald rauschte wie ein brandendes Meer, dann saß es sich herrlich im warmen Stübchen zu den Füßen der Großmutter, die so köstlich erzählen konnte. Wunderbar verwob sich Wirklichkeit und Dichtung vor den Augen des Kindes, da sprachen die Bäume und das Wasser, da gab es Elfen und Kobolde, und der wilde Jäger zog in den Sturmnächten über das einsame Haus, daß sich das Kind erschreckt an die Erzählerin schmiegte.

Dann kamen die Lehrjahre. Das Kind ward früh in die finstere Schulstube gesperrt, „weil es so gar viel fragte“. – Mit vier Jahren las sie schon, eine Musterschülerin ist aber nicht aus ihr geworden. Sie war beständig zerstreut, dachte an viel schönere Dinge, als der Lehrer sie vortrug, und vom Rechnen ist nie eine Spur in dem blonden Kopfe haften geblieben, es war neben dem schrecklichen Strickstrumpf das Verhaßteste, was es gab. Die einzigen Unterrichtsfächer, denen sie Geschmack, aber auch viel Geschmack, abgewann, waren: Deutsche Sprache und Literaturgeschichte. Nach der Confirmation hörte das Lernen leider noch immer nicht auf; die Privatstunden nahmen ihren Fortgang, und der Glanzpunkt derselben ist die Malstunde bei einem tüchtigen Landschafter. Das junge Mädchen besitzt keine Spur von Talent, statt dessen macht sie Unsinn, und die ganze Gesellschaft der Mitschülerinnen und Freundinnen lacht; der Herr Lehrer will ernst bleiben, aber vergeblich! Er setzt sich an ihren Platz, bringt die verunglückte „Studie“ in Ordnung und sagt: „Na, lachen Sie nur, Kind, lachen Sie nur!“ [650] Jetzt ist auch die Zeit der Jugendfreundschaften gekommen; es werden viel Gedichte gelesen, Tagebücher geführt und ewige Treue gelobt. Mutter und Großmutter aber sorgen, daß Waschen, Kochen und Plätten erlernt wird, und Großmutter spricht sogar vom Heirathen und erzählt von ihrer Jugendzeit, und wie der Großvater sie zuerst geküßt.

Eine Reise nach Arnstadt in Thüringen zu der Großmutter väterlicherseits ist ein Ereigniß. Das junge Mädchen hat „Goldelse“ gelesen, und nun promenirt sie stundenlang vor E. Marlitt’s Fenstern, ohne je die gefeierte Schriftstellerin zu erblicken; sie begegnet Willibald Alexis, der in seinem Rollstuhle an ihr vorübergefahren wird, und beginnt mit wahrer Begeisterung dessen vaterländische Romane zu lesen.

Im Jahre 1868 wird der Vater nach Glogau in Schlesien versetzt. Es ist ein schwerer Abschied von dem großelterlichen Hause, von den betrübten Freundinnen und der schönen, schönen Heimath.

In der kleinen Festung sieht sich die Familie sogleich in reges Gesellschaftstreiben hineingezogen. „Tanzen“ ist die Losung während der nächsten Jahre. Aber nun kommen ernstere Zeiten für das junge Mädchen. Vater und Bruder zogen mit in den Krieg nach Frankreich, und ein schweres Jahr mußte durchlebt werden, ehe die Sonne wieder heller strahlte. Beide kehrten glücklich heim, der Bruder, nunmehr Officier, stand ebenfalls in Glogau. Zwei Jahre blieb man dort noch beisammen, dann erfolgte die Versetzung nach Salzwedel in der Altmark; der Bruder ging nach Thorn.

Salzwedel, ein kleines Landstädtchen, machte auf das junge Mädchen zuerst einen trostlosen Eindruck; sie gesteht, sich in den ersten Monaten dort grenzenlos unglücklich gefühlt zu haben. Erst nach und nach lernte sie den stillen Zauber verstehen, der sich über die Mark breitet, über die weiten grünen Felder, die köstlichen Eichenwälder und über das kleine Städtchen mit dem schiefen Kirchthurm, den alterthümlichen Backsteinthoren und den alten Wällen und Mauern. Ruhig floß das Leben dahin, zumal am Krankenbette der Mutter. In jenen Stunden, da sie wachend im Nebenzimmer saß, ergriff das junge Mädchen zum erstenmale die Feder, und unter dem Weihnachtsbaum 1875 lag, anstatt einer langweiligen Kreuzsticharbeit, ein kleines beschriebenes Heft auf dem Platze des Vaters, betitelt: „Melanie, eine Novelle“.

Der gestrenge Papa soll sich sehr darüber gefreut haben. Er ließ es auch nicht fehlen an Aufmunterung zum Weiterarbeiten und sandte jenen ersten Versuch einer Zeitschrift zu, allerdings unter dem Protest der jungen Autorin. „Paß auf,“ behauptete sie, „man wird schreiben: stricken Sie lieber Strümpfe!“

Aber sie irrte sich; die Novelle wurde freundlich aufgenommen und erschien in der „Victoria“ bei Franz Ebhardt, der das große Talent sofort erkannt hatte.

Im Herbste desselben Jahres erkrankte das junge Mädchen schwer; noch in der Reconvalescenz schrieb sie das Buch, welches bestimmt war, sie in die Gunst des Publicums einzuführen und in allen Kreisen beliebt zu machen: „Aus dem Leben meiner alten Freundin“.

Der Vater schickte das Manuscript zuerst an die „Gartenlaube“. Es kam aber als nicht geeignet für ein Blatt, welches von acht zu acht Tagen erscheine, wieder zurück und wurde nun im Feuilleton der „Magdeburger Zeitung“ abgedruckt, später als Buch im Verlage von A. u. R. Faber. Die einfache Erzählung machte gradezu Aufsehen, und eines Tages erhielt die beglückte Verfasserin einen Brief von Ernst Keil, worin er ihr schrieb, daß er leider – damals zur Cur in Karlsbad – die reizende Erzählung nicht selbst gelesen, er würde sie sonst nie aus der Hand gelassen haben; daß er tief davon ergriffen sei und die Autorin ein für allemal bitte, Mitarbeiterin an der „Gartenlaube“ zu werden! Er nannte „die alte Freundin“ ein Buch voll süßberauschenden Reizes, voll stimmungsvoller Wehmuth, und fügte hinzu: „das darf Ihnen der Mann sagen, der Tausende von Manuscripten, und darunter manches Vortreffliche gelesen und der morgen die letzte Nummer des ersten Vierteljahrhunderts seiner Zeitschrift zusammenstellt!“ –

„Das war die schönste Stunde meines Lebens!“ sagte Wilhelmine Heimburg, als sie den Brief gelesen. Leider ist es ihr nicht vergönnt gewesen, Ernst Keil von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen.

So aufgemuntert schrieb sie in den folgenden Jahren die Erzählungen: „Lumpenmüllers Lieschen“, „Kloster Wendhusen“, “Ihr einziger Bruder“. Dazwischen jene kleinen stimmungsvollen Novellen, die in einem Bande vereinigt als „Waldblumen“ erschienen sind.

Im Jahre 1879 lernte sie Theodor Storm kennen, für den sie seit langer Zeit eine verehrungsvolle Schwärmerei hegte.

Die Mutter, Schwägerin und sie wollten nach Wyk ins Seebad reisen, mußten aber in Husum übernachten, weil das Dampfboot erst am andern Mittag abging. Verschiedentlich lenkte das junge Mädchen ihre Schritte in die enge Gasse, wo das Haus des Dichters stand, aber vor Herzklopfen vermochte sie nicht einzutreten; sie kam immer wieder unverrichteter Sache in das Hotel zurück und fuhr auch richtig ab, ohne Storm gesehen zu haben. Auf der Ueberfahrt nach Wyk lernte sie eine Verwandte des Dichters kennen und diese vermittelte eine Unterredung mit dem gefeierten Autor. Er nahm die junge Schriftstellerin sehr freundlich auf. Eine Erinnerung, auf die W. Heimburg stolz ist; und sorgsam wird der Brief des Dichters aufbewahrt, in dem er sich lobend über „Die alte Freundin“ ausspricht.

Im Jahre 1880 wurde der Vater nach Frankfurt am Main versetzt. Von dem stillen Salzwedel wurde ihr der Abschied schwerer, als sie es für möglich gehalten. Der Dichterin wollte es überdies in Frankfurt nicht behagen. Während der kurzen Zeit ihres dortigen Aufenthaltes flüchtete sie aus der „überheizten“ Atmosphäre, wie sie die Frankfurter Luft nannte, in die Schweiz oder an den Rhein. Die große Stadt mit ihrem hundertfältigen Lärm und Trubel lähmte sie völlig, Arbeiten am Schreibtisch schien ihr unmöglich; wie konnte ihr die nöthige innere und äußere Ruhe kommen in jenem Menschengewirr und gesellschaftlichen Treiben, bei den Spaziergängen auf überfüllten Promenaden!

Bald siedelte die Familie nach Arnstadt über, wo Verwandte derselben leben. Aber hier gefiel es beiden Eltern durchaus nicht. So kam man auf den Gedanken, es mit Dresdens Umgebung zu versuchen, mit Kötzschenbroda, wo die Großstadt und ihre Genüsse sich mit der Stille des Landlebens einen. In Kößschenbroda schrieb sie ihre reizende Erzählung „Ein armes Mädchen“, welche ebenfalls in der „Gartenlaube“ erschien und ihren Ruf als liebenswürdige und fesselnde Erzählerin noch fester gründete.

Möge die Feder W. Heimburg’s uns noch viele jener Erzählungen bringen, die nichts anderes scheinen wollen, als was sie sind: einfache Herzensgeschichten, voll echter Weiblichkeit und ursprünglichen Zaubers, fern von jeder Launenhaftigkeit und Excentricität. Wir werden ihr gern und willig folgen. B. R.