Vor der Berufswahl/Die „Stütze der Hausfrau“

Textdaten
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Autor: R. Artaria
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Titel: Die „Stütze der Hausfrau“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 666–667
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Warnung und Ratschläge für unsere Großen
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Vor der Berufswahl.

Warnung und Ratschläge für unsere Großen.
Die „Stütze der Hausfrau“.

Obgleich kaum ein anderer Frauenberuf so rein weibliche Neigungen und Fähigkeiten voraussetzt wie der der „gebildeten Stütze“, so ist doch keiner von allen so mangelhaft besetzt als gerade dieser. Nicht der Zahl nach – bekanntlich bewerben sich um jede freie Stelle Dutzende von Mädchen –, aber der sprichwörtlich gewordenen ungenügenden Leistung nach, die gewöhnlich weit unterhalb dessen bleibt, was eine Hausfrau von ihrer „Stütze“ verlangen darf.

Der Grund der beklagenswerten Thatsache liegt in der Art, wie dieser Beruf gewöhnlich ergriffen wird. Kaum jemals denkt ein siebzehnjähriges Mädchen daran, „Stütze“ werden zu wollen. Sie lebt entweder die bekannten sechs bis sieben „Wartejahre“ in dem halbmüßigen Vergnügungstreiben der höheren Stände, beschäftigt mit unnützen kleinen Handarbeiten und Liebhaberkünsten, oder in den beschränkten Verhältnissen der ärmeren Familien, ohne Begriff von dem, was ein gut situierter Hausstand an Kenntnissen und Fähigkeiten erfordert. Der Mangel einer Versorgung oder die plötzlich hereinbrechende Lebensnot veranlaßt dann beide, sich als gebildete Stütze anzubieten, in der stillschweigenden Annahme, daß hierzu keine besonderen Kenntnisse nötig seien, indem man unter Leitung der Hausfrau arbeite, die einem das Erforderliche schon täglich sagen werde.

Und somit beginnt die dornenvolle Laufbahn des „Fräuleins“. Ihre Unbewandertheit, oft schon in den kleinsten Dingen, wie Lampenrichten und Staubwischen, erregt erst das Staunen, dann den Aerger der Hausfrau, es zeigt sich, daß sie nichts vom Kochen und Schneidern versteht, die Erledigung aufgetragener Besorgungen verrät einen schlimmen Mangel an Warenkenntnis, sie vermag nicht, sich bei den Nachhilfestunden den Kindern gegenüber in Respekt zu setzen – es wäre das auch eine Kunst bei den zahlreichen Mißbilligungen von seiten der Mama, welche diese tagsüber mit anhören! Und so sitzt denn das Fräulein, welches in dieser Familie herzliche Behandlung, Anschluß, etwas Geselligkeit vielleicht, erhofft hatte, abends, wenn die kleinen Plagegeister endlich im Bett sind, einsam in ihrem Zimmerchen und benetzt den Brief an ihre fernen Lieben mit heißen Thränen. Sie fühlt sich verkannt, mißhandelt und geringgeschätzt, sie bereut es tausendmal, „Stütze der Hausfrau“ geworden zu sein.

Wenn sie, anstatt zu weinen, ruhig nachdenken wollte, so müßte ihr bald klar werden, daß alle die bitteren Erlebnisse die Folge ihrer eigenen großen Untüchtigkeit sind. Wer also in diesem Beruf ein gutes Fortkommen finden will, der muß es praktischer angreifen.

Drei Lehrjahre mindestens sind unerläßlich, sie müssen ausgefüllt werden mit Erlernung aller häuslichen Verrichtungen, sowie mit der Uebung in Dienstfertigkeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, welche allen aus der Schule kommenden Mädchen ohne Ausnahme so sehr not thut!

Vollständige Kenntnis aller Zimmer- und Hausarbeit, nebst der Fähigkeit, sie mustergültig vorzumachen, ist das erste, was gelernt werden muß. Hierauf folgt Kochen bis zur vollen Selbständigkeit, Früchteeinmachen etc., Feinbügeln und Feinwaschen, Nähmaschinenarbeit und Schneiderei. Auch ein paar Monate im Kindergarten sollten jedenfalls noch dazu kommen, sie tragen künftig reiche Frucht! In den erstgenannten scheinbar nur körperlichen Fertigkeiten steckt viel geistige Uebung, auch bleibt bei richtiger Einteilung noch Zeit genug zur inneren Fortbildung und zur körperlichen Erholung.

Ein so vorgebildetes Mädchen kann dann schon in ihrer ersten Stelle einen guten Gehalt verlangen, denn sie leistet ja unendlich mehr als die vielen, welche im geheimen Bewußtsein ihrer Unfähigkeit den „Gehalt als Nebensache“ bezeichnen. Von vornherein muß sie sich aber klar machen, daß ihre Stellung zwischen Herrschaft und Gesinde keine leichte ist, sondern ein bedeutendes Maß von Takt und Selbstbeherrschung, gepaart mit ruhiger Festigkeit, erfordern. Den Dienstboten imponiert nur sachverständige Arbeit und tadelloses Benehmen, nicht das hochmütige Fräulein-Gebahren, das sich für dies und jenes zu vornehm hält. Ein gutes Einvernehmen mit ihnen muß angestrebt werden und ist durch freundliche Teilnahme und Hilfe bei kleinen Versehen zu erreichen. Wo aber Ungehöriges geschieht, da ist strenge Mahnung notwendig und, fruchtet diese nicht, Bericht an die Hausfrau. Zu ihr muß sich die Stütze unter allen Umständen halten, selbst wenn der Verkehr mit ihr manchmal seine Schwierigkeiten haben sollte. Nicht alle Frauen behandeln ihre Hausgenossen mit Güte und Rücksicht, aber auch die launenhaftesten begreifen bald, wie wertvoll eine sehr tüchtige Kraft im Haushalt ist, und hüten sich, sie zu verlieren. Zweifellos liegt in dem Verhältnis zur Frau der wichtigste Punkt der ganzen Frage: ist es gut und freundlich, so kann der Aufenthalt im fremden Hause alle Härten verlieren. Ein großes Bindeglied sind ja auch die Kinder: selbst verzogene und unartig gewordene ändern sehr schnell ihr Benehmen dem liebenswürdigen und heiteren Mädchen gegenüber, die ihnen nach gut gemachten Aufgaben noch etwas erzählt oder die kleinen Kunstfertigkeiten lehrt, welche alle Kinder entzücken, ein Spiel mit ihnen macht u. dergl. Die Kindernatur bleibt, allen modernen Zuständen zum Trotz, ewig dieselbe und ist immer mit denselben Mitteln zu behandeln und zu erziehen. Und die Mutter, mag sie selbst schlecht erzogen und unvernünftig sein, ist derjenigen dankbar, die jene anzuwenden versteht. In wievielen Häusern schaltet aber eine gemütvolle, verständige Frau, welche solche Fähigkeit nach threm vollen Wert würdigt!

Dann kommt nach und nach der Familienanschluß von selbst, welchen so viele Eltern als erste Bedingung für ihre Tochter beanspruchen. Ganz ungerechtfertigterweise, wie sogleich hinzugesetzt werden muß. Es ist keiner Familie zuzumuten, eine ihnen völlig Fremde in die Vertraulichkeit ihres abendlichen Zusammenseins aufzunehmen, und die Forderung davon beruht auf einem sentimentalen Ineinandermengen von Geschäfts- und Gemütsverhältnis, welches immer schlechte Früchte trägt. Das junge Mädchen, welches sich auf eigene Füße stellt, muß imstande sein, seine letzten Abendstunden ohne Thränen zur Lektüre, zum Briefschreiben, zur Fortbildung oder zu Handarbeiten zu verwenden. Bei der Abmachung ihres Verhältnisses soll sie nicht vergessen, sich hierfür einen angemessenen im Winter geheizten Raum auszubedingen. Geselligkeit, welche so viele im stillen ersehnen, hat sie, wenigstens in den ersten Zeiten, bis man sie näher kennt, nicht zu erwarten. Der heimliche Wunsch danach, genährt durch die vielen Gouvernantenromane mit glänzendem Heiratsausgang, lähmt ihre Arbeitsfreudigkeit, macht sie ungerecht gegen die Familie und unzufrieden mit ihrer Stellung. Viele, sonst recht brauchbare Mädchen, haben sich diese schon durch zu große Anschlußbedürftigkeit erschwert: taktvolle Zurückhaltung führt jedenfalls viel sicherer zum Ziel als verfrühte Herzensergießungen. Die junge Stütze vergesse nie, daß sie vorläufig unter Fremden ist; bei Annahme ihrer Stelle hatte sie es in der Hand, sich einen freien Nachmittag in der Woche auszubedingen und kann diesen benützen, um ihre eigenen Bekannten zu sehen. Daß sie bei solchen Ausgängen vorsichtig sein muß und nur mit Personen von gutem Ruf verkehren darf, bedarf keiner näheren Ausführung.

Aber auch hinsichtlich der Kleidung soll sie stets vor Augen haben, daß sie sich in einer bescheidenen und dienenden Stellung befindet. Der ganze Billigkeitsstaat von hochgesteckten bunten Hüten, halbseidenen Blousen und Jäckchen aus schlechtem Baumwollsammet, mit welchen arme Mädchen das „Fräulein“ zu markieren suchen, ist zu vermeiden. Die Hausfrauen haben wohl kein Mittel, eine derartige Toilettenwahl zu verbieten, sie sehen aber äußerst ungern ihre Kinder in Gesellschaft eines so auffallend gekleideten Mädchens ausgehen. Wahre Bildung wird es verstehen, auch mit unscheinbaren Stoffen und Farben ein nett und zierlich sitzendes Kleid herzustellen und im einfachen Paletot und Hut als wirkliche Dame zu erscheinen. Der Putz macht ja dieselbe nicht, sondern das hohe Pßichtgefühl, das gute Benehmen, die vollkommene Lauterkeit der Denk- und Handlungsweise und das Bewußtsein, daß man durch nichts erniedrigt werden kann, solange man sich nicht selbst erniedrigt.

Wie die Verhältnisse heute in Deutschland liegen, bei der großen Ueberfüllung der verschiedenen Lehrerinnenberufe, würden viele Mädchen wohlthun, sich in der angegebenen Weise zum Beruf einer Stütze der Hausfrau vorzubereiten. Wenn die freie Station [667] mit in Anrechnung gebracht wird, steht sie sich nicht schlechter als die weiblichen Hilfskräfte in Läden und Gewerbsbetrieben, das Leben in der Familie aber mit seinen wechselnden Beschäftigungen ist gesünder als jene Thätigkeiten und, im Fall gegenseitiger Zufriedenheit, menschlich angenehmer.

Es fehlt heute, trotz der entschieden verminderten Arbeitslust, noch nicht an einfach-tüchtigen Menschen, allein es sollen ihrer auf allen Gebieten unseres Lebens wieder viel, viel mehr werden! Und so mögen denn die jungen künftigen „Stützen“ vor allem nach einer zweifellosen Tüchtigkeit trachten, dann wird es ihnen nicht am guten Fortkommen und nicht an der inneren Zufriedenheit fehlen, welche der Lohn jeder treu erfüllten Pflicht ist! R. Artaria.