Bitte um Fahrstühle (Die Gartenlaube 1895/39)

Textdaten
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Autor: Die Redaktion
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Titel: Bitte um Fahrstühle
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 667
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[667] Bitte um Fahrstühle. Die meisten unserer Leser werden die schönen Sommertage benutzt haben, soweit es ihre Berufsgeschäfte und Pflichten erlaubten, sich in Gottes freier Natur zu ergehen. Und wer schlecht zu Fuße war, der hat sich hinausfahren lassen in Wald und Feld, um die Luft zu genießen. Aber allen ward es nicht so wohl. Es giebt viele Kranke, die nicht gehen und ihrer Armut wegen auch nicht fahren können, die den heißen Sommer in verdorbener Stubenluft zubringen mußten und auch keine Aussicht haben, in den paar sonnigen Tagen, die der Winter bringt, einmal ins Freie hinauszukommen. Und wie leicht könnte diesen nach Luft schmachtenden Unglücklichen oft aus allernächster Nähe geholfen werden!

In manchem Hause steht ein unbenutzter Fahrstuhl auf dem Boden oder sonstwo herum, dessen Besitz es diesen Armen erwöglichte, in die frische Luft zu gelangen, wodurch ihr trauriges Los ihnen erleichtert, ihr Gesundheitszustand gebessert würde. Wenn doch jeder, der schon einmal durch Krankheit an dem Gebrauch seiner Glieder behindert war und dabei die Wohlthat, einen Fahrstuhl zu besitzen, kennengelernt hat, aus Dankbarkeit für die wiedererlangte Gesundheit das alte Gefährt drangeben und einen leidenden Mitmenschen damit glücklich machen wollte! Seit vielen Jahren bittet die „Gartenlaube“ um diese unbenutzt stehenden Fahrstühle, um sie unbemittelten Kranken zur Verfügung zu stellen. Und ihr Bitten ist gottlob nicht ungehört verklungen. Wir konnten dank der Opferfreudigkeit unserer Leser so manchem Schwergeprüften die Freude bereiten, nun wenigstens zeitweilig seinem Schmerzenslager entrinnen zu können. In Nachstehendem teilen wir einige Fälle mit, aus denen so recht der Segen spricht, den die edlen Geber mit ihrem Geschenk bewirkt haben.

Ein am ganzen Körper gelähmtes junges Mädchen, dessen Krankenbett nicht weit von der Wiege des sächsischen Fürstenhauses, in Wettin, steht, war seit 9 Jahren nicht aus ihren vier Wänden herausgekommen. Ueber das Glück, welches ein von uns dorthin gesandter Fahrstuhl bereitete, wird uns von einem Augenzeugen geschrieben: „Was will meine Freude gegen das unaussprechlich große Glück sagen, von welchem dieses arme Mädchen beseelt wurde, als ich ihr den Stuhl übermittelte. Der Freudenausbruch erreichte einen Höhepunkt, der durch die schwache Feder schwer wiederzugeben ist. Dieser selige Augenblick, den ich hier in dem kleinen niedrigen Stübchen der schwer heimgesuchten Kranken erlebt habe, wird mir während meines ganzen Lebens unvergeßlich bleiben.“

Eine kränkliche Waschfrau in Witten a. d. Ruhr hat mit ihrer Hände Arbelt drei Kinder zu ernähren. Zwei von ihnen sind seit ihrer Geburt verwachsen und gelähmt, das jüngere außerdem blödsinnig. Diese unglücklichen Geschöpfe mußten noch in ihrem 11. bezw. 15. Jahre von ihrer Mutter im Kinderwagen gefahren werden. Auch hier brachte der zur Stelle geschaffte Fahrstuhl die langersehnte Hilfe.

Indem wir einer kleinen Gemeinde in der Nähe Bremerhavens einen Fahrstuhl überwiesen, wurde 7 armen Ortsangehörigen zugleich geholfen. Der Pastor des Orts hat die Sache in die Hand genommen und überläßt nun den Kranken das Fahrzeug zeitweise und abwechselnd zum Gebrauch.

Auch einem deutschen Kriegsmanne, der im großen Feldzuge vor 25 Jahren siegreich für sein Vaterland stritt und dabei seine Gesundheit einbüßte, konnten wir erfreulicherweise zu einem Fahrstuhl verhelfen. Der Arme, welcher durch die „monatelangen naßkalten Bivouacs vor Metz“ und die darauffolgenden Strapazen der Wintercampagne gänzlich gelähmt, dabei auf einem Auge erblindet, auf dem andern infolge der Lähmung schwachsichtig ist, dankt in rührendsten Worten für das große Glück, das ihm bei seinem „furchtbaren Leiden“ durch Ueberlassung des Fahrstuhls widerfahren sei.

Und nun mit dem Dank für alle Geber zugleich die erneute herzliche Bitte an die Leser und Freunde der „Gartenlaube“, an diesem segensreichen Wohlthun sich auch fernerhin freudig zu beteiligen! Noch ist so manche Thräne zu trocknen, so mancher Seufzer zu stillen. Und darum sind uns Anerbietungen von gebrauchten aber noch guten Fahrstühlen und Geldspenden zur Anschaffung solcher jederzeit willkommen. Die Redaktion.